Gott ist verliebt

Und wir dürfen dieses kostbare alte Bild im heutigen Sinn deuten.

Gott ist verliebt. Die Zeit des Exils geht zu Ende, es gibt einen neuen Anfang für Israel, und die Heimkehr wird ein Fest. Symbolisiert wird das mit der Figur Zions, Jerusalems, die für ganz Israel steht. Jerusalem wird wieder belebt, Jerusalem wird Gottes Braut, wird Gottes Schmuck für das feierlichste Fest, die Hochzeitsfeier.

Gott ist verliebt, und Gott freut sich voller Verliebtheit über Jerusalem, Gott hat Lust an Israel – das Wort „Gefallen“ ist eine Abschwächung in der Übersetzung, weil in ihm die erotisch-sexuelle Komponente nicht so mitschwingt wie bei „Lust“. Das hebräische Chafez ist auf der Skala zwischen Gefallen und Lust, Freude und Begehren anzutreffen. Eine Übersetzung stellt also zwangsläufig eine Betonung des einen oder anderen Aspekts dar, während das Hebräische die Balance in der Mitte halten und entsprechend changieren kann.

Wie großartig, die verliebte Freude des Anfangs zwischen Gott und Gottes Volk zu sehen! Gott und Mensch: Das ist mehr als Gebote und Gehorsam, mehr als Herrschaft und Dienst. Das ist die pure Freude daran, dass es den anderen, die andere gibt. Angesichts all dessen, was bei uns, in unserer Welt zu beklagen ist, so viel Gewalt und Unrecht, geht uns das vielleicht manchmal unter, können wir uns das gar nicht vorstellen: Gott ist hin und weg, Gott ist verliebt. In uns.

So weit, so wunderschön. Zwei Einschränkungen trüben das Bild, mit beiden ist heute umzugehen, da es sich um einen sehr alten Text handelt. Einerseits ist da die klare Heteronormativität, mit der die Liebe als eine gegengeschlechtliche Liebe dargestellt wird. Damit wird Gott vermännlicht, weil die Stadt Jerusalem, die für ganz Israel steht, als Frauengestalt inszeniert wird, wie es im antiken Orient üblich war. Hier gilt wie überall: Es ist ein Bild. Es stellt eine Facette von Gott dar. Gott ist selbstverständlich auch anders und mehr als ein verliebter Bräutigam, und das männliche Bild ist nur eines von Gottes vielen Gewändern. Aber warum nicht, auch Männer sind im Angesicht Gottes geschaffen, also sind auch männliche Gottesbilder geeignet, von Gott zu sprechen. Man muss sich nur davor hüten, sie wortwörtlich zu nehmen, sie ausschließlich zu verstehen und sie in einem patriarchalen Sinn der übergeordneten Herrschaft über das Weibliche zu gebrauchen.

Das führt zur zweiten Einschränkung. Die Ehe ist im antiken Orient keine Angelegenheit zwischen zwei gleichberechtigten Personen, sondern Männer sind dabei aktiv, Frauen passiv: Der Mann nimmt eine Frau zur Frau, die Frau wird jemandem zur Frau gegeben. Er heiratet, sie wird geheiratet. Auch das im prophetischen Text verwendete Wort spiegelt dies wider, denn es heißt im ersten Sinn tatsächlich „besitzen, in Besitz nehmen“ und erst mit zweiter Bedeutung auch „heiraten“. Deshalb schwingt bei diesem „heiraten“ die Erstbedeutung „in Besitz nehmen“ immer mit. So entscheidet sich auch die neue Einheitsübersetzung von 2016 und überträgt „Wie der junge Mann die Jungfrau in Besitz nimmt“, während ihre Vorgänger-Fassung, die Einheitsübersetzung von 1980, noch die Vokabel „vermählt“ verwendete. Für den prophetischen Text ist dieses Mitschwingen der Unterordnung kein Problem, da auch diese Geschlechterordnung gut in die Gott-Volk-Analogie passt, in der Gott bei aller Verliebtheit doch die Autorität behält.

Oder? Zwischen diesem Text und uns liegen ungefähr 2300 Jahre Geschichte und Theologie. In seiner Entstehungszeit war es so, dass beim Verb „in Besitz nehmen, heiraten“ die Besitz-Aussage einfach eine Rechtspraxis benannte – dass aber das Eintreten in ein intimes Verhältnis dabei präsent blieb. Heute im Deutschen jedoch schwingt bei „in Besitz nehmen“ dieses Eintreten in ein intimes Verhältnis eben nicht mehr mit.

Der Text vergleicht die Wieder-Aneignung Jerusalems durch Israel mit einer Eheschließung, das heißt zeitgenössisch auch einer In-Besitz-Nahme. In Bezug auf die Stadt und das Land erscheint das zunächst einmal schlüssig. Aber der Text changiert, denn schon im nächsten Satz rückt Gott an die Stelle des Bräutigams. Und da, wenn im Gottesdienst als deutsche Übertragung die Einheitsübersetzung zu Gehör kommt, mag zumindest den Frauen die Verliebtheitsfreude wohl vergehen: „Wie der junge Mann die Jungfrau in Besitz nimmt, so nehmen deine Söhne dich in Besitz – wie ein Bräutigam sich freut an der Braut, so freut sich dein Gott über dich.“

Wenn wir nun nicht nur fragten, was die Vokabeln damals bedeuteten, sondern weiter Gott entgegendächten. Dann könnten wir fragen, was mit diesem Bild passiert, wenn wir das Heiraten anders verstehen als eine Handlung, die zwischen einem aktiven und einem passiven Menschen stattfindet. Wenn wir unser Bild einer Handlung zwischen gleichberechtigten Beteiligten zugrunde legten, und in diesem Bild dann Gottes Liebe zu uns entdeckten – dann ist das riskant, weil wir selbstverständlich nicht mit Gott auf einer Stufe stehen. Aber von Gott her auf uns hin gedacht, bringt es Gottes glühende Liebe sogar noch leuchtender ins Bild. Es führt ins Staunen wie in Psalm 8: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst? ... Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott...“ Und, noch weiter gedacht, könnte uns das auch ein Bild sein, anders mit der Erde umzugehen. „Heiraten“ statt „in Besitz nehmen“: Hegen, pflegen und wertschätzen, behutsam, respekt- und liebevoll.

Gott ist verliebt. Das ist ein Bild aus einem alten, wertvollen Text. Wenn es heute sprechen soll, dann verstellt die patriarchale Dimension der Sprachbilder den Blick auf Gott und dieses unerhörte, wunderbare Bild. Theologie kann aber mehr sein als Patriarchatsverteidigung, und darum dürfen wir die Dimension des Bildes weiterdenken und noch mehr darin entdecken als die ursprünglichen Autoren: Gott will uns nicht besitzen. Gott ist verliebt. In uns.

„Gott hat Gefallen an dir ... Wie ein junger Mann ein Mädchen heiratet, so wird dich heiraten, wer dich erbaut. Wie sich ein Bräutigam freut an der Braut, so freut sich deine Gottheit an dir.“ (Jes 62,4–5)

Christ in der Gegenwart im Abo

Unsere Wochenzeitschrift bietet Ihnen Nachrichten und Berichte über aktuelle Ereignisse aus christlicher Perspektive, Analysen geistiger, politischer und religiöser Entwicklungen sowie Anregungen für ein modernes christliches Leben.

Zum Kennenlernen: 4 Wochen gratis

Jetzt gratis testen