In den 80 Jahren meines Lebens habe ich einen tiefen Wandel in der Gesellschaft, in der Kirche, im Kloster und im Selbstverständnis der Menschen erlebt ... Auch ich selber bin in all den Jahren nicht der Gleiche geblieben. Wenn ich auf die Zeit zurückschaue, die ich bisher leben durfte, dann ist zumindest in meinem Leben aber auch die Erfahrung einer großen Kontinuität. Die bleibende zentrale Erfahrung war, mein Leben lang – wie es der hl. Benedikt sagt – Gott zu suchen. Diese Suche hält lebendig, aber es ist immer auch ein Prozess. Es wandelt sich im Laufe eines Lebens nicht nur das Gottesbild; meine Erfahrungen ändern sich, mein Verständnis vom Leben und auch das, was mir wichtig ist. In der Jugend kam es mir vor allem darauf an, etwas zu leisten: für Gott und für die Kirche. Jetzt im Alter ist für mich etwas anderes zentral: einfach zu sein – aber zugleich durchlässig zu werden für den Geist Christi, für seine Liebe, für seine Kraft.
Aus: Anselm Grün, „Alles in allem. Was letztlich zählt im Leben“ (Verlag Herder, Freiburg 2024)