Manche vatikanischen Dokumente wirken ein bisschen aus der Zeit gefallen – und manche erscheinen genau im richtigen Moment. Ende Januar warnte Papst Franziskus in dem Schreiben Antiqua et nova („Alt und neu“) davor, dass „gegenwärtig der größte Teil der Macht über wichtige Anwendungen der Künstlichen Intelligenz in den Händen einiger weniger mächtiger Unternehmen liegt“ – und jetzt hat Mega-Unternehmer Elon Musk Interesse geäußert, die Firma hinter der bekanntesten KI der Welt, ChatGPT, aufzukaufen. Dass Musk seinen oftmals scheinbar spontan herausposaunten Angeboten (im aktuellen Fall geht es um die unvorstellbare Summe von 100 Milliarden Dollar) durchaus Taten folgen lässt, zeigte sich zuletzt im Herbst 2022. Damals kaufte er nach etwas juristischem Gerangel das soziale Netzwerk Twitter, nur um es zu seinem ganz persönlichen Sprachrohr umzubauen.
Womöglich hat mich diese Entwicklung besonders getroffen, weil ich mich für meine Promotion lange mit dem Einfluss von Twitter auf die demokratischen Revolutionen des Arabischen Frühlings beschäftigt habe. Ich habe gesehen, was für ein wichtiges Werkzeug Soziale Medien sein können, um Sprachlosen eine Stimme zu geben und tatsächlichen politischen Wandel im Sinne der „kleinen Leute“ möglich zu machen. Twitter heißt heute X und ist nicht nur von bezahlten Bots und Trollen überlaufen, sondern pusht auch ganz offen die Agenda und die Wortmeldungen seines Besitzers. Von der Idee eines Werkzeugs der Demokratie, die einmal für einen kurzen Augenblick die Welt in ihren Bann gezogen hat, ist nicht viel übrig geblieben.
Vielleicht steht die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz gerade tatsächlich an einem Scheideweg. Bei aller grundsätzlichen Kritik, die man an den großen KI-Modellen haben kann, war die Firma hinter ChatGPT jahrelang eine reine Non-Profit-Organisation, die ihren Service jedem Internetnutzer kostenlos und ohne Werbebanner zur Verfügung stellte. Dass sich so ein System auf Dauer nicht trägt, war klar. Doch dass jetzt – kaum dass sich das Unternehmen in eine profitorientierte Richtung öffnet – ausgerechnet Musk mit einem Angebot auf der Matte steht, ist ein düsteres Omen. Auch wenn Fachleute sich streiten, welche Rolle KI in Zukunft tatsächlich spielen wird, spricht doch einiges dafür, dass sie in vielen Branchen bald nicht mehr wegzudenken sein wird. Richtig angewendet könnten KI-Systeme dabei „wichtige Innovationen in der Landwirtschaft, der Bildung und der Kultur, eine Verbesserung des Lebensstandards ganzer Nationen und Völker sowie das Wachstum der menschlichen Geschwisterlichkeit bewirken“, wie es in Antiqua et nova schwärmerisch heißt. Doch diese frommen Wünsche rücken in weite Ferne, wenn die Verlässlichkeit der Künstlichen Intelligenz im Zweifel von der Willkür eines einzelnen Mannes abhängt.
Es wird immer offensichtlicher, dass wir global in einem neuen Zeitalter des ganz offenen Imperialismus leben. Und während Donald Trump um „Immobilien“ wie Grönland und Kanada feilscht, kauft sich sein „zweiter Mann im Staat“ Elon Musk Stück für Stück ein unüberschaubares Unternehmensimperium zusammen. Das sind düstere Aussichten, doch vielleicht kann es auch ein Weckruf sein, noch einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, wer wie viel Macht über die Technologien der Zukunft haben soll. Immerhin: Musks Kaufangebot für ChatGPT wurde (diesmal) ausgeschlagen. „Nein, danke“, schrieb Firmenchef Sam Altman schlicht – damit es auch garantiert bei Musk ankommt, direkt auf X, vormals Twitter.