Vor etwa zwei Jahren berichtete der „Spiegel" unter der Überschrift „Die fröhlichen Schüler von Heidelberg" von einem neuen Schulfach, dem Schulfach „Glück". Mit diesem sogar abiturrelevanten Fach wolle der Direktor der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule der Stimmung unter seinen Schülerinnen und Schülern entgegenwirken, wonach diese die Zeit in der Schule mit der Beliebtheit eines Zahnarztbesuchs gleichsetzen würden. Das baden-württembergische Kultusministerium unterstütze diesen Vorstoß, habe aber Schwierigkeiten mit der Etikettierung des Schulfachs und schlage vor, lieber von Lebenskompetenz als von Glück zu sprechen, so der „Spiegel".
Glück ist nicht nur Inhalt eines neuen Schulfachs, auch der Mediziner und Kabarettist Eckhart von Hirschhausen steht mit seinem Buch „Glück kommt selten allein" auf der Bestsellerliste. Zuvor war es François Lelord, der mit seinem Roman „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück" die Bestsellerlisten anführte, obwohl darin nur ein uralter Topos in banal-kitschiger Weise aufgewärmt wird: Jemand sucht das Glück, bis ihm aufgeht, dass er es eigentlich schon längst gefunden hat. Jede Zeit hat die Bücher, die sie verdient: Offenbar stillt das Glücksversprechen, das sich hinter solchen Angeboten verbirgt, ein Bedürfnis vieler Käufer und damit eine große Sehnsucht. „Fortune sells" könnte man in Abwandlung eines Sprichwortes sagen. Allen Behauptungen zum Trotz scheint Glück doch käuflich zu sein - oder zumindest das, wovon man sich Glück verspricht.
Erst jenseitig, dann diesseitig
Natürlich möchten jede und jeder glücklich sein oder zumindest glücklich werden. Was wäre von einem Menschen zu halten, der bestrebt wäre, unglücklich zu sein? Und dennoch: Leben wir nicht in Zeiten, in denen Glück als eine Art Grundrecht angesehen wird, das es zwingend zu verfolgen und umzusetzen gilt? Nicht nur in der Werbung, sondern auch in jener schwer zu greifenden „Lebenskultur", die sich heute mehr aus Lifestyle-Magazinen, Daily Soaps und Internetforen als aus Traditionen und überkommenen Werten speist, herrscht inzwischen eine Diktatur des Glücks. Die Unglücklichen sind mega-out, weil sie inmitten der ewig lachenden und ewig gestylten Szene eine Art Unterbrechung provozieren, die anstößig ist, weil sie einen ernsthaften Ton in einer Komposition ständiger Abwesenheit von Ernsthaftigkeit und Tiefgang anschlägt. Es gibt wohl nur wenig, mit dem man sich mehr ins Aus setzen kann als mit der öffentlichen Thematisierung der Überzeugung, dass dieses Leben keine Veranstaltung linearen Wachstums, eben kein Zuckerschlecken ist. Wir leben in einer Gesellschaft der Sieger, der Hauptdarsteller und der Glücklichen. Wer mitspielen will, muss glücklich sein - oder zumindest so tun als ob.
Vielleicht stimmen ja die Begriffe nicht. Vielleicht suchen die, die von Glück reden, ja etwas ganz anderes: Lebenskompetenz oder Lebensintensität? Die Herkunftswörterbücher gehen von einer Entstehung des Wortes „Glück" nicht vor 1300 aus und vermuten eine altniederfränkische Herkunft aus „lukan", was so viel wie „schließen" bedeutet. Damit also wäre auf den Aspekt der schicksalhaften Festlegung angespielt. Ein Blick in andere Lexika zeigt, dass Glück in seiner allgemeinsten Bedeutung tatsächlich „das Gelingen des Lebens" meint. Deshalb gibt es eine Vielzahl ritueller Formen, um demjenigen Glück zu wünschen, dessen Leben sich verändert und der an bestimmten Lebensübergängen wie Hochzeit, Beginn einer Berufstätigkeit oder Anfang eines neuen Zeitabschnitts steht. In zahlreichen Religionen gibt es sogar Götter, die Glück gewähren oder verwehren. An all dem wird sichtbar: Glück ist letztlich nicht herstellbar und gelingendes Leben nur bedingt auf eine erlernbare Fertigkeit zurückzuführen. Gelingendes Leben ist eher Glücksache.
Geistesgeschichtlich betrachtet könnte man sagen, dass unser Verständnis von Glück mit einer entscheidenden Wende im Verständnis der Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen) zusammenhängt, die sich zwischen Mittelalter und Neuzeit vollzogen hat. Ging das Mittelalter noch davon aus, dass Glück in der Vollendung der im Menschen liegenden Fähigkeiten liegt und insofern erst außerhalb dieser Lebenszeit in einer ewigen Glückseligkeit zu erreichen ist, so brach sich in der beginnenden Neuzeit die Vorstellung Bahn, dass Glück mit Erlebnissen in Beziehung steht. Insofern stellte sich nicht mehr die Frage nach dem Wann des Glücks, sondern nach dem Wie des Glücklichwerdens. Es wurde also nicht mehr gefragt, was zu Lebzeiten zu tun ist, um sich dereinst einen ewigen Glückszustand zu sichern oder sich ihn zumindest nicht zu verscherzen - es ging nun darum, die letzte Gelegenheit zu nutzen und das Leben so zu gestalten, dass Glück oder sogar Lust empfunden werden können.
Immanuel Kant erkannte die entscheidende Problematik einer solchen Verschiebung der Ebenen und stellte fest: Einerseits kann der Mensch einen Zustand endgültigen Glücks überhaupt nicht erreichen, weil der Mensch eben von sich aus endgültige Befriedigung nicht finden kann. Andererseits aber erwächst dem Menschen aus seiner Vernunft heraus die Idee einer idealen, das heißt nach ihren Prinzipien vollständig geordneten Welt, in welcher er tatsächlich glücklich werden kann, wenn er sich nur moralisch verhält. Verkürzt könnte man sagen: Es ist die Idee des Glücks, die den Menschen moralisch handeln lässt. Dass er dabei aber wirklich endgültig glücklich wird, ist zu bezweifeln. Noch banaler gesagt: Es gibt kein Glück, außer man tut es!
Die moderne Philosophie bemühte sich demgegenüber, Glück als eine Empfindung zu definieren, die man nicht herstellen kann. Glück lässt sich nicht machen, nicht verfolgen. Es ereignet sich vielmehr in Augenblicken der Zeitenthobenheit. Glück ist dann nur in nichtalltäglichen Augenblicken und in außergewöhnlichen Lebenssituationen möglich. Das schließt unweigerlich mit ein, dass ich möglicherweise erst danach sagen kann, ob ich in einem solchen Augenblick der Zeitenthobenheit Glück erlebt habe, da ich ja in einem solchen Augenblick nicht zu einer sachlich urteilenden Außenperspektive fähig bin.
So weit ein erster Gang durch die Entwicklung des philosophischen Glücksbegriffs. Es bleibt zumindest ein grundsätzlicher Zweifel daran, dass Glück lernbar und lehrbar ist. Möglich aber ist sicherlich, jemanden zu einer Lebensgestaltung - der Philosoph Wilhelm Schmid würde sagen: zu einer Lebenskunst - anzuleiten, die als Voraussetzung eines gelungenen, damit also eines geglückten Lebens angesehen werden kann. Wer sich dessen bewusst wird, dass sein Leben (zumindest teilweise) geglückt ist, wird vielleicht ein kurzlebiges Glücksempfinden haben, mag darüber vielleicht sogar glücklich sein oder wird zumindest zugestehen, Glück gehabt zu haben. An dieser Stelle aber verrät ihn die Sprache schon.
Lieber Gnade?
Schmids Buch „Philosophie der Lebenskunst" erscheint mir als eine - im Doppelsinn des Wortes - großartige Auswalzung des aristotelischen Begriffs der eudaimonia. Dieser Begriff meint nichts anderes als die Verwirklichung der eigenen Möglichkeiten. Es geht also um eine gelungene Aktualisierung des Selbst. Glücklich kann sich insofern schätzen, wem es gelungen ist, sich selbst nach seinen Möglichkeiten in Freiheit zu gestalten. Wilhelm Genazino erzählt in seinem Roman „Das Glück in glücksfernen Zeiten" von einem traurigen Helden, dessen noch traurigere Freundin sich ein Kind mit ihm wünscht. Das bringt den Protagonisten, der den Namen Gerhard Warlich trägt, in einen Konflikt, ist es doch sein Wunsch, nur „halbtags leben" zu können, wie er es nennt. Der Roman schließt damit, dass Gerhard Warlich sagt: „Eine Art Glück durchzitterte mich. Offenbar kann ich, trotz allem, immer noch wählen, wie ich in Zukunft leben will." Zu wählen, wie man leben will, das ist offenbar eine der ganz entscheidenden Bedingungen für das, was Zeitgenossen Glück nennen.
In einem solchen Glücksverständnis steht zu sehr die Selbsterlösung des Menschen im Vordergrund, als dass die Theologie eine solche Vorstellung hätte unterschreiben können. Insofern wanderte der Begriff „Glück" - wenn er denn überhaupt jemals wirklich dort beheimatet war - aus der Theologie aus. Geblieben sind Begriffe wie „Heil" und „Gnade".
Wer das Wort „Gnade" ins Spiel bringt, erntet nicht selten Stirnrunzeln. Es ist zu einem verpönten theologischen Fachbegriff geworden, der sogar in der Verkündigung weitgehend vermieden wird. Zu sehr und zu lange ist Maria als „voll der Gnade" bezeichnet worden. Zu oft haben Opfer in Western und Thrillern um Gnade gefleht, als dass man noch von Gnade sprechen könnte, ohne dass festgelegte Bilder im Kopf entstehen.
Otto Hermann Pesch hat in dem von Peter Eicher herausgegebenen Neuen Handbuch Theologischer Grundbegriffe „Gnade" folgendermaßen definiert: Sie sei „die unverdiente, unerwartete, unbegreifliche Zuwendung der Liebe Gottes zum Menschen, die diesen zum Heil in der Lebensgemeinschaft mit Gott führt, indem sie den Widerstand gegen Gott als Gefangenschaft des Menschen bei sich selbst aufdeckt und befreiend überwindet". Der Mensch ist also in sich selbst gefangen und deshalb in einem Widerstand Gott gegenüber gefangen. Das ist insofern logisch, als derjenige, der nur um sich selbst kreist, für nichts und niemand anderen offen sein kann - auch nicht für Gott. Gnade wird geradezu als therapeutischer Akt Gottes verstanden. Von sich aus überschreitet er die Grenze, die der Mensch selbst aufgebaut hat. Diese Zuwendung bestimmt Pesch mit drei Adjektiven: „unverdient", „unerwartet", „unbegreiflich". Eigentlich also geschieht dieses Handeln Gottes ohne Vorleistung des Menschen und ist insofern gratis, womit wir bei dem lateinischen Synonym des Wortes „Gnade" sind. Das deutsche Wort hat den etymologischen Wörterbüchern zufolge die Bedeutung „du mögest unterstützen", was eher in den Bereich der Vergünstigungen durch amtliche Stellen verweist.
Der Begriff „Gnade" ist nach Pesch ein, wenn nicht der Grundbegriff der Theologie. Er ist der „allumfassende Grundgesichtspunkt, unter dem jedes einzelne Thema der Theologie zu verhandeln ist". Wenn Gott am Menschen handelt, dann hat dieser nicht einfach Glück gehabt. Es ist ihm vielmehr etwas widerfahren, das er selbst durch ein noch so moralisches Verhalten und eine noch so bemühte Form der Lebenskunst nicht hätte selbst bewirken können.
Das Gnadenverständnis geriet aber auch ins Hintertreffen, weil die katholische Gnadenlehre eher sprachlos gegenüber einer reformatorischen Theologie blieb. Letztere verdinglichte die Gnade nicht und machte sie nicht zu einer Systemfrage, sondern personalisierte sie, indem sie auf das in Christus rückhaltlos und ganz geschenkte Heil hinwies.
Das zentrale Problem der Gnadenlehre ist die Freiheitsgeschichte. Die fünfziger Jahre brachten der Theologie - namentlich durch Karl Rahner - die neuerliche Diskussion der „ungeschaffenen Gnade". Der von ihren Gegnern als „Nouvelle théologie" bezeichneten Neuformulierung der Gnadenlehre ging es um das Verhältnis der bislang voneinander getrennten Systeme „Natur" und „Gnade". Theologen wie Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar und Henri de Lubac lag eine Konzeption der menschlichen Natur, ja der Natur überhaupt als Bedingung der Möglichkeit zur Gnade am Herzen. Der Mensch erfährt nicht Gottes Zuwendung trotz seiner menschlichen Natur, sondern gerade wegen ihr. Der Mensch ist seit seinem Ursprung als Geschöpf zur Gnade berufen - und nicht erst im Nachhinein, um die „gefallene Schöpfung" in einem Akt göttlicher Zuwendung doch noch zu retten. Mit dieser „anthropologischen Wende" sind die Probleme nicht abschließend gelöst. Durch die theologischen Diskussionen des letzten Jahrhunderts wird der Mensch jedoch nicht mehr bloß als Objekt und Adressat einer göttlichen Heilsveranstaltung angesehen, sondern als Subjekt seines Heils. Damit wurde auch die Gnadendiskussion zwischen den Konfessionen wieder aufgenommen. Während Luther die Gnade als verurteilende und rettende göttliche Instanz strikt außerhalb des Menschen sah, betonte dagegen das gegenreformatorische Trienter Konzil die Wirklichkeit der Gnade im Menschen.
„Gnade" begegnet konsequent in Verbindung mit „Erlösung". Das leuchtet nach der von Pesch vorgelegten Definition der Gnade als „unverdiente, unerwartete, unbegreifliche Zuwendung der Liebe Gottes" ein. Das Verständnis von Erlösung ist jedoch nicht weniger belastet als das der Gnade. Erlösung erscheint vielen als überflüssig. Und weil es als mehr oder minder ausgemacht erscheint, dass der Mensch der Erlösung eigentlich gar nicht bedarf, unterscheiden nicht wenige - vielleicht ohne dies so zu benennen - zwischen Heil und Glück. Es wäre also naheliegend, zu vermuten, dass die Karriere des Wortes „Glück" deshalb so glänzend verläuft, weil Begriffe wie „Heil", „Erlösung" und „Gnade" von einem Großteil der Menschen inhaltlich nicht mehr gefüllt werden können. Wer kann noch spontan sagen, wovon er sich im Tiefsten erlöst fühlt oder wo er Heil erfahren hat? Es ist einfacher zu erzählen, wo man Glück hatte oder glücklich war. Es scheint, als hätte das irdische Glück das himmlische Heil endgültig in den Schatten gestellt. Lassen sich diese beiden Größen überhaupt noch zueinander in Beziehung setzen?
Kreuz statt Kleeblatt
Vielleicht leben wir in Zeiten, denen die großen Visionen von einem allumfassenden Heil abhanden gekommen sind. Der Spatz in der Hand, das kleine private Alltagsglück, ist heute vielen weitaus lieber als die Vorstellung eines umfassenden Glücks für alle Menschen. Es gehört jedoch zum Glutkern des Christlichen, ganz und gar maßlos zu sein, wenn es um die Hoffnung geht. Nach Karl Rahner haben Christen „nicht das Recht, zu bescheiden zu sein". Sie erwarten gewissermaßen immer mehr von der Welt, als diese geben kann. Deshalb kann ein Christ nie wirklich glücklich sein, wenn damit eine Zufriedenheit mit dem Erreichten oder ein Sich-Einrichten in den Gegebenheiten gemeint ist. Genug kann für einen Christen - um ein Lied von Konstantin Wecker aufzugreifen - nie genug sein.
Die kurzzeitigen Glückserfahrungen verweisen auf das Leben in Fülle, das zu bringen Jesus gekommen ist (Joh 10,10). Dennoch steht im Mittelpunkt des Christentums ein Kreuz - und kein vierblättriges Kleeblatt. Der biblische Gott ist kein Glücksgott, kein Gott des Gelingens. Das Israel alttestamentlicher Zeit hat sich immer bemüht, Jahwe ausdrücklich von Baal abzugrenzen, der für Fruchtbarkeit, Ernte und somit für gutes Gelingen verantwortlich gemacht wurde. Mit diesem Glücksgott durfte Jahwe nicht verwechselt werden. „Erfolg", so Martin Buber, „ist keiner der Namen Gottes." Ist Glück einer seiner Namen?
Die Versuche, das Christentum als eine Religion attraktiv zu machen, die zu einem gelingenden Leben beiträgt und kleine Bausteine zum Glück liefert, mehren sich - auch unter Theologen. Doch damit wird die christliche Botschaft unterboten. Denn das Reich Gottes, das Jesus in den Mittelpunkt seiner Botschaft gestellt hat, ist kein Reich der Glücklichen und Geglückten. Das wäre zu banal. Im Herrschaftsbereich Gottes haben auch die Mühseligen und Beladenen, die in den Augen dieser Welt Unglücklichen und Nichtgeglückten ihren Platz. Dieser Herrscher stürzt, wenn wir den Lobgesang Mariens etwas freier übersetzen, die Glücklichen aus ihrem Glück und lässt die Unglücklichen glücklich werden.
Es geht nicht darum, menschliches Glück und Glücksempfinden herabzuwürdigen oder die Sehnsucht des Menschen nach Glück, die ja ganz zweifellos auch eine Sehnsucht nach Transzendenz ist, schlechtzureden. Aber entwertet sich eine Religion nicht selbst, wenn sie sich in innerweltlichen Glücksverheißungen erschöpft? Das Heil des Christentums ist das unverdiente, unerwartete und unbegreifliche Geschenk, für das kein Unterrichtsfach uns trainieren kann. Es gilt, vielleicht wieder mehr darauf hinzuweisen, dass wir eben noch nicht in einer erlösten und restlos geglückten Schöpfung leben. Es geht darum, das Wissen darüber wachzuhalten, dass wir noch des Heils bedürftig sind, dass wir also nicht nur Glück haben, sondern wirklich Gottes Gnade erleben.