Lehrer sind die ärgsten Gegner der Schüler, Eltern die schlimmsten Feinde ihrer Kinder, und die Ehe ist der brutalste Mörder der Liebe. Dieser absurde Eindruck kann sich einstellen, wenn man so manche Darstellung im Talk-Fernsehen und die vielen öffentlichen Debatten über Bildungsmangel, Erziehungsnotstand und Beziehungskrisen verfolgt. Seltsam ist dann nur: Immer noch werden die meisten Menschen der Welt über Lehrer ins Wissen geführt, von treu sorgenden Eltern gestützt und angeregt und durch den lustvollen sexuellen Bund fürs Leben ins Leben gerufen. Und das ist für den Homo sapiens auch - sehr - gut so.
Das Wurzelgeflecht der Menschwerdung des Menschen waren und bleiben das Abenteuer Ehe, die Anziehungskraft des Geschlechtlichen, die Gefühlskraft der Liebe, die Bindungskraft gegenseitiger Unterstützung wie Fürsorge. Manche Formen der ehelichen Institution mögen sich im Lauf der zigtausend Jahre Kulturgeschichte verändert haben. Mit der auf Lebenszeit geschlossenen Einehe wurde in diesem evolutiven Prozess jedoch eine Verbindlichkeit erreicht, die der Sehnsucht des personalen, auf Partnerschaft, Vertrauen und Verlässlichkeit angelegten Wesens Mensch am besten entspricht. Es gibt nichts Moderneres in unserer Natur und Kultur.
Allerdings wird diese Einsicht zusehends infrage gestellt, durch das persönliche Verhalten, durch ideologische Propaganda in den Medien, durch gedankenloses Nachplappern dessen, was „man" meint, wie durch politische Uminterpretation von Recht und (Grund-)Gesetz. Ist die Zeit der Einehe auf Lebenszeit abgelaufen?
Trends sagen freilich nicht alles aus über den längeren Atem der Geschichte und der Sehnsüchte. So meldete das Statistische Bundesamt soeben, dass es in Deutschland 2009 etwas weniger Ehescheidungen gab als 2008, aber etwas mehr als 2007. Seit acht Jahren deutet sich eine leichte Rückläufigkeit an, nach rasanten Anstiegen zuvor. Das hängt vielleicht aber auch damit zusammen, dass insgesamt deutlich weniger Menschen verheiratet sind als früher, weshalb logischerweise ebenso weniger Trennungen anfallen. Die Ehedauer der Paare, die sich scheiden lassen, hat sich im Durchschnitt leicht erhöht. Immer noch allerdings geht jedes dritte Versprechen lebenslanger Treue in die Brüche. Eine enorm hohe Zahl, die ähnlich in vielen anderen europäischen Staaten und in Amerika gilt. Auch in Asien nehmen die Trennungen stark zu.
Von gestern?
Umgekehrt sinkt die Bereitschaft junger Leute, eine Ehe einzugehen, rapide. Aus dem katholischen Polen kam soeben die Nachricht, dass dort mittlerweile sehr viele uneheliche Kinder geboren werden. Seit der Wende in Osteuropa ist deren Anteil an der Gesamtzahl der Geburten von sechs auf nunmehr zwanzig Prozent rasant angestiegen. Der Heiratswille der Polen ist deutlich geschwächt. In den achtziger Jahren heirateten von tausend Bürgern noch etwa zehn, inzwischen sind es nur noch etwas über sechs. Ist die Ehe doch eine Institution von gestern? Oder wird sie womöglich mehr und mehr zu etwas Besonderem, womöglich sogar Rebellischem gegen einen gewissen Zeitgeist?
Nervenkitzel Treue
In der „Frankfurter Allgemeine" (26. Januar) fand sich eine Glosse mit der Überschrift: „Ehe ist subversiv". Sie sei ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, das viele Durchschnittsbürger inzwischen scheuen. Lange habe man uns eingeredet, die Ehe müsse so etwas wie Folter sein. „So war dann auch lange Zeit vollkommene Libertinage das Credo freiheitsliebender Menschen, die jede Beschneidung als Gewaltakt interpretierten. Das Ergebnis: Singles in den Großstädten, Dating-Börsen im Internet, und in Japan feiert ein Videospiel Triumphe, das softwaregestützt die perfekte, niemals aufmüpfige Lebenspartnerin formt." Gegen ein derart hochgezüchtetes, somit aber auch langweiliges Liebesverständnis habe sich der polnische Soziologe Zygmunt Bauman vor kurzem für einen altmodischen Partnerschaftsbegriff starkgemacht: „Liebe könne nur das Resultat einer verbissenen und engagierten, den Umweg, das Scheitern und den Verlust in Kauf nehmenden Hingabe sein." Bindungsfähigkeit, Bindungswille und Treue sind demnach der eigentliche neue Nervenkitzel unserer Tage. Bei der Ehe sehen wir uns „mit einer Wirklichkeit konfrontiert, in der das hingebungsvolle und für manche sogar als konservativ verschriene Konzept der monogamen Ehe paradoxerweise zur letzten Option subversiven Handelns aufsteigt … Und wer wirklich Mumm hat, der wählt den Weg des allergrößten Risikos: die Ehe. Das ist pures Adrenalin, mehr Abenteuer, als es jede Affäre sein kann." Die Ehe ist nicht der Hafen, wie es die volkstümliche Redeweise nahelegt, sie ist der Ozean.
Die FAZ verweist auf den - geschiedenen - Kulturphilosophen Slavoj Žižek, der die Verhältnisse an einem Beispiel ironisch veranschaulicht: „Eine Frau führt ein zufriedenes, ruhiges Leben mit zwei Männern. Dann lässt sie sich auf ein riskantes Experiment ein und heiratet, doch dieser Versuch scheitert kläglich, und sie kehrt zur gewohnten Sicherheit des Lebens mit zwei Männern zurück." Der FAZ-Autor zieht daraus den Schluss: In der postmodernen „Welt des Exzesses" seien die Verheirateten „die eigentlich subversiven Menschen", weil sie das Risiko nicht scheuen. Die strammen Kommunarden der Achtundsechziger, die freien Sex, freie Liebe, freies Zusammenleben und freies Auseinandergehen predigten, um so gegen das reaktionäre Establishment aufzubegehren, hätten diese Entwicklung nicht für möglich gehalten: „Wir sind in einer Zeit angekommen, in der die Ehe die gewagteste aller Überschreitungen ist."
Nur in der Gesellschaft wie in der Kirche scheint man diese Veränderung noch gar nicht wahrgenommen zu haben. Weiterhin herrscht dort wie hier - allerdings auf unterschiedliche Weise - eine völlige Über-Idealisierung der Paarbeziehung vor: In der Gesellschaft meint man, sie müsse auf total optimierter Liebesfähigkeit der Partner gründen, und wenn es aus sei, sei es eben aus. In der Kirche meint man, die eheliche Ordnung habe als institutioneller Rechtsakt einen Status erreicht, an dem sich faktisch nichts wandeln kann. Aber vieles wandelt sich im Lauf eines Lebens, erst recht im Eheleben. Die Ehe ist ein Werdeprozess, alles andere als ein statischer Status. Vor allem das katholische Verständnis, das - wie die Orthodoxie - in der Ehe ein Sakrament sieht, also ein Gnadengeschenk Gottes, das die treue Liebe Gottes in Christus zu den Menschen abbildet, hat bisher kaum zur Kenntnis genommen, dass dieses Sakramentale mit der Trauung vor dem Altar keineswegs „gelaufen ist". Es bewegt, verändert, dynamisiert sich in der Geschichte der Beziehung der Partner.
Sexualität und Sakrament
Das heilige Sakramentale beginnt außerdem längst vor der Ehe und setzt sich über den Eheabschluss selbstverständlich fort. Das aber ist kirchlich unterbelichtet, wie der belgische Theologe Thomas Knieps-Port le Roi aus Leuven bemängelt. In der „Zeitschrift für katholische Theologie" (Heft 3/2010) weist er nach, wie im katholischen Verständnis das Eheleben weiterhin „eher als ein unveränderlicher Dauerzustand erscheint denn als ein auf Dauer angelegtes Beziehungsprojekt unter den Bedingungen der Zeitlichkeit". Das Kirchenrecht zum Beispiel zeigt kein Interesse am Alltagsleben der Eheleute, an den Konflikten und Krisen wie an den beglückenden Momenten und Phasen. Alles dreht sich nur um das rechtmäßige, „ordentliche" Zustandekommen, den gültigen Abschluss der Ehe. Das aber ist unter den heutigen Bedingungen von Kultur und Gesellschaft entschieden zu wenig, mit Blick etwa auf die Bedeutung des Sexuellen für die Beziehung von Mann und Frau. Das sexuelle Verhalten hat sich aufgrund der hormonellen, chemischen wie mechanischen Möglichkeiten zur Empfängnisverhütung wie aufgrund der erheblich verbesserten Methoden zur Bestimmung der - wenigen - fruchtbaren Tage im Zyklus der Frau einschneidend verändert.
So gut wie kein katholisches Paar schließt die Ehe, ohne dass es vorehelichen Sex hatte. Doch das kirchliche Lehramt schließt davor die Augen und tut so, als sei die teilweise sehr lange Beziehung vor dem Eheversprechen „nichts" gewesen. Diese Absurdität wird genauso beim Zerbrechen, beim Ende einer Ehe deutlich. Im staatlichen Bereich kommt es dann meistens zur Scheidung. In den Fällen, in denen eine sakramentale Ehe durch kirchliche Gerichte aufgelöst wird, spricht man jedoch nicht von Scheidung, sondern von „Annullierung". Das heißt: Die Ehe wird für ungültig erklärt, weil sie aufgrund einer Willensschwäche, Täuschung, einer falschen Sicht ihrer Sakramentalität oder Unauflöslichkeit oder wegen anderer nicht erfüllter Voraussetzungen und Bedingungen von vornherein ungültig gewesen, gar nicht erst zustande gekommen sei. Dabei wird schon in der Wortwahl so getan, als sei vorher, manchmal über lange Jahre, „nichts" - also „Null" - gewesen. Und das nicht selten sogar dann, wenn in dieser Beziehung Kinder gezeugt wurden, wenn also die Partner offenbar sehr wohl Lust aufeinander, auf den Körper des anderen, auf Sex gehabt hatten.
Es ist an der Zeit, kirchlich redlich zu werden, zu akzeptieren, dass das, was im weltlichen Sinne eine Scheidung ist, ebenso eine Scheidung im sakralen Kontext des Sakramentalen, ein Erlöschen des Sakraments bedeutet, so weh das auch tut. Damit hängt die viel diskutierte Frage zusammen, wie die katholische Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen umgeht. Amtlich sind sie vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen, praktisch exkommuniziert, wobei sie immer wieder in „Sonntagsreden" aufgefordert werden, trotzdem den Kontakt zur Gemeinde zu suchen, beim gottesdienstlichen Feiern und Beten dabei zu sein.
Angesichts der rasant zurückgehenden kirchlichen Eheschließungen und der gewaltigen Distanz junger Leute zur Kirche wäre es allerdings noch viel dringlicher, sich auf die Anfänge vor einem Eheversprechen zu besinnen und das Wunder der Paarfindung und Paarbeziehung, das Wunder der Liebeslust und des Geschlechtlichen bewusstzumachen. Denn die Sexualität, die seltsamerweise aus der Liturgie, aus unserem gemeinschaftlichen wie individuellen Beten verdrängt ist, bestimmt nachhaltig den großen Entwicklungsprozess des Sakramentalen von Ehe und auf Ehe hin.
Wir sind nicht unfehlbar
Knieps-Port le Roi plädiert für die Vorstellung eines „permanenten Sakramentes". Ähnlich wie die Feier der Eucharistie und der Empfang der eucharistischen Gaben von Brot und Wein ein fortlaufendes spirituelles Geschehen ein ganzes Leben lang sind, müsste die Ehe als fortlaufendes Sakrament betrachtet und inszeniert werden, transparent auf Gott, auf das ewige Heil hin. Ehe ist kein Vergangenheits-, sondern ein Zukunftssakrament. Die Paarbeziehung weitet und öffnet die Partner auf Zukunft hin. Die sakramentale Ehe ist ein Abenteuer der Menschen, die sich das Ja-Wort für gute und schlechte Tage, für Gesundheit und Krankheit gegeben haben, unter dem Horizont des Abenteuers mit Gott, ebenfalls in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit - bis der Tod uns scheidet und im Reich Gottes unserer gemeinsamen Hoffnung eint. Das ganze Leben ist Sakrament, erst recht das ganze Eheleben. Ein solches Verständnis des Sakramentalen ist ebenfalls etwas großes Subversives, Risikoreiches, gegen religiöse Verflachung und Banalisierung.
Thomas Knieps-Port le Roi erklärt den Gesamtprozess Ehe als ein Werden „vom Abenteuer des Verliebtseins zum andauernden Wagnis der Liebe", mit realistischer Einschätzung von Versagen, Schuld und Scheitern - vor allem aber auch Vergeben. Das beginnt schon mit der Paarfindung. Daher verlangt der Theologe, in den lehramtlichen Texten, Predigten und Aussagen mit der ahnungslosen Polemik aufzuhören, als sei die - sexuelle - Liebe der jungen, noch unverheirateten Leute nur eine „Liebe auf Probe" oder eine „Ehe auf Probe". Unser gesamtes Leben ist Risiko, steht immer irgendwie unter Vorbehalt. Wir sind Menschen, nicht Gott. Wir sind nicht perfekt. Nichts auf Erden ist unfehlbar. Auch kirchlich sollten wir die Ideologie des Unfehlbaren an den Tatsachen messen und aufgeben. Junge Menschen, die es mit der Liebe meistens doch ernst meinen, wollen ja möglichst „ewig" zueinanderstehen. „Es liegt in der Logik der Liebe selbst, dass Liebende sich auch aktiv und bewusst aneinander binden wollen." Das schließt die beiderseitige Absichtserklärung ein, „das eigene Verhalten in der Zukunft so auszurichten, dass die Liebe einen geeigneten Lebensraum erhält, in dem sie erhalten bleibt und gedeihen kann. Wer sich an einen Partner bindet, sichert diesem Verlässlichkeit bezüglich der eigenen zukünftigen Haltung ihm gegenüber zu und legt sich selbst gleichzeitig die nötige Entschlossenheit auf, sich auch tatsächlich so zu verhalten. Gerade angesichts der Wankelmütigkeit des Gefühlslebens, der Gefahr der Vergesslichkeit, der Gebrochenheit der Liebesfähigkeit und der unvorhersehbaren Macht der Umstände ist die Treuezusage deshalb die Weise, um den Vorbehalt, der auch die größte Liebe umfängt, nicht ängstlich zu verdrängen, sondern ihm gefasst ins Auge zu sehen und sich gegen ihn zu wappnen."
Das Lehramt hat sich vergaloppiert
„Ich bleibe bei dir, komme, was da wolle" - das ist äußerlich betrachtet vielleicht nur ein frommer Wunsch. Im Bewusstsein der verbindlichen Institution Ehe kann er allerdings zu einem inneren geistigen wie geistlichen Kompass werden, um sich auch in schlechten Zeiten an die Sehnsucht des Großen von einst zu erinnern, die neu zu einer Sehnsucht für dereinst werden kann.
Um jungen Leuten Mut zur Ehe zu machen, müssen nicht nur die Eltern an sich arbeiten, sondern muss die gesamte Gesellschaft an sich arbeiten - und die Kirche, die in den Fragen von Paarbeziehung und Sexualität unter einem massiven Realitätsverlust leidet. Der Politik- und Sozialwissenschaftler Bernhard Sutor schreibt in der Zeitschrift „Familien-Prisma" des Eichstätter „Zentralinstituts für Ehe und Familie in der Gesellschaft" (Herbst 2010), das Lehramt der katholischen Kirche habe sich - zum Beispiel in seinen Äußerungen zur Geburtenregelung - „vergaloppiert". Es habe versucht, Fragen zu normieren, „die nicht mehr unter seine Kompetenz fallen". Wenn man kirchlich noch etwas zur Lebensführung beitragen wolle, genüge es nicht, sich auf die Autorität von Papst und Bischöfen zu berufen. „Dann müssen die Eigengesetzlichkeiten der Lebensbereiche und die jeweiligen Umstände mit in Betracht gezogen werden. Also darf der gläubige Laie vom Lehramt Begründungen erwarten, die vernünftig nachvollziehbar sind. Ich kenne aber nur wenige Priester und noch weniger Laien, die die kirchliche Lehre zu Fragen der Methoden der Geburtenregelung als vernünftig nachvollziehbar akzeptieren."
Man mag einwenden, dass für die mittlere und jüngere Generation dieses Thema ohnehin längst keines mehr ist. In der Tat hat das kirchliche Lehramt da so gut wie keine Relevanz mehr. Doch in dem Maße, in dem die Leute merken, dass das Lehramt in sexuellen Dingen ahnungslos daherredet, Unvernünftiges behauptet und Unrealistisches fordert, wenden sie sich auch von anderen Perspektiven des Religiösen und Kirchlichen ab. Der Glaube verliert dann nicht nur äußerliche Autorität, sondern innerliche Glaubwürdigkeit. Deshalb ist das kirchliche Drama auf dem Feld des Sexuellen ein Drama auch fürs Christsein. Die Entfremdung und Ablösung junger Leute vom Christentum beginnt meistens hier.
Die Jugend auf Ehe vorbereiten
Sexualität ist und bleibt eben das Zentralthema des Menschen - ebenfalls in religiöser Hinsicht. Kirchliche Polemik gegen eine sexualisierte Gesellschaft und Kultur, gar gegen eine „Kultur des Todes" hilft nicht; sie schadet nur dem Christlichen selbst. Auch die Unterstellung, dass junge Leute bloß egoistisch seien und daher keine Kinder wollten, ist eine maßlose Unterstellung. Sie zielt an der Wirklichkeit vorbei. Tatsächlich verbinden sich mit Sexualität und Fruchtbarkeit die erregendsten Debatten der Gegenwart. Ums Kinderkriegen dreht sich viel und immer mehr, fast alles. Die Verbindung von Berufung, Beruf und Familie, Karriere und Häuslichkeit ist eine riesige Herausforderung nicht nur für junge Frauen. Und was sichert einen, wenn man Kinder hat, die Beziehung zerbricht oder wenn man schwer krank, arbeitslos wird, womöglich für längere Zeit? Nicht umsonst streitet hier die Politik heftig um Lösungen. Und das reicht weit über das Soziale hinaus bis zu den Fortschritten der Biomedizin, der Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik. Fortpflanzung und Nachkommenschaft - das ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt von Kultur, Politik und Ökonomie. Die gewaltigen Sorgen um den Generationenvertrag gehören genauso dazu. Es geht um das Seelenheil von Menschen, gerade vieler junger Menschen, die unsicher sind auf der Suche nach einem guten Partner, einer guten Partnerin, einer zuverlässigen, festen Beziehung, erfüllter Sexualität - das alles durchaus mit Kinderwunsch. Demgemäß bilden bei den Shell-Jugendstudien wie in allen entsprechenden Untersuchungen Familie und treue Bindung stets die Spitze der Rangfolge. Nur - so Sutor: „Die kirchliche Ehe- und Familienpastoral steht vor noch kaum angemessen erkannten, geschweige denn angepackten Aufgaben … Die Vorbereitung junger Menschen auf Ehe und Familie muss aber viel früher ansetzen … Es stellt sich … die Aufgabe einer neuen kirchlichen Partnerschafts- und Paarbegleitung, die weit über die bisherigen Ehevorbereitungskurse hinausgeht. Sie muss früh in der Jugendarbeit begonnen werden als Einladung und als Hilfe auf einem Weg zu menschlich und christlich gelingender Partnerschaft mit der Perspektive der sakramentalen Ehe als ein Ziel; also ein langer Weg der Ehevorbereitung, der den hohen Anspruch des Christseins und die ideale Norm nicht aufgibt, aber die Menschen in ihrer Unvollkommenheit auf ihrem Weg begleitet und ein Ziel plausibel macht."
Das aber ist nicht nur Aufgabe von Kirche, sondern genauso von Politik und Staat. Es braucht viel mehr als nur werbende Einladung und finanzielle Anreize. Es braucht das persönliche Vorbild der Politiker,
Anregung und einen sanften Druck in der gesamtgesellschaftlichen Erziehung zur Ehe hin. Dieses Menschenrecht ist auch als eine Menschenpflicht anzusehen. Statt die Institution Ehe gesetzlich mehr und mehr auszuhöhlen und damit zu schwächen, wie es inzwischen selbst in den „C"-Parteien geschieht, wäre ein umfassender Bildungs- und Erziehungsprozess zur Ehe hin - auch in der Schule - einzuleiten. Nichts ist besser für die Beziehung der Partner und ihre Beziehung zu den Kindern als die Ehe. Und nichts ist besser für das Gemeinwesen und den Staat als die Ehe, Ausdruck tiefster personaler Solidarität. Aus guten Gründen wird diese Selbstverpflichtung von Mann und Frau, in Partnerschaft, Treue, Vertrauen und Liebe zueinander und zu den Nachkommen zu stehen, was immer auch kommen mag, öffentlich, amtlich-institutionell und rechtssicher bekundet. Neben der sexuellen Aufklärung ist ein gesamtgesellschaftliches Aufklärungsprogramm über die Ehe und zugunsten der Ehe zu erarbeiten. Das schließt Realitätssinn für das Leben in allen Stärken wie Schwächen ein - und Achtung vor dem Religiösen.
Papst Benedikt XVI. sprach in seiner Antrittsenzyklika „Gott ist die Liebe" bewegend von der erotischen Anziehungskraft, vom Eros. Seltsamerweise sprach er nicht von der Sexualität, vom uneingeschränkt Positiven des sexuellen Wesens Mensch und Christ. Sexualität ist Lust und Glück des Menschseins wie des Christseins, bei allen Bedrohungen und gewiss auch Abgründen bis zum Perversen. Im Sexuellen entscheidet sich die Zielrichtung des Menschlichen. In der Sexualität verdichtet sich immer neu der Prozess der Menschwerdung des Menschen, für Gläubige im Horizont der Menschwerdung des Göttlichen. Dabei geht es auch um das Menschliche Gottes durch Sünde, Elend, Versagen und Tod hindurch. Die Ehe ist das größte natürliche Sakrament, in dem Natur und Gnade zusammenkommen wie nirgendwo sonst in unserem armen, schwachen Fleisch und Geist. Die Ehe ist das Heiligste, was alle Menschen in ihrer großen Sehnsucht nach ewiger Liebe haben. Deshalb ist sie nicht nur ein idealistisches Zeichen, sondern ein Realsymbol, ein Werkzeug für das, was wir im Kampf unseres Lebens letztendlich ersehnen: Barmherzigkeit, Vergebung, Erlösung, Befreiung.
Der Schweizer Pastoraltheologe Leo Karrer formuliert es in der „Theologisch-Praktischen Quartalschrift" (4/2010) kurz und bündig: „Die Ehe ist ein ‚weltlich Ding' (Martin Luther), aber sie sagt über den Menschen und dessen religiöse Hoffnung etwas Wesentliches aus." Die Ehe war, ist und bleibt ein heiliges Experiment zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Gott.