GlaubensbekenntnisIch glaube

"Ich glaube an Gott", sprechen Christen im Credo. Norbert Scholl fragt nach dem "Ich", wenn es bekennt und gleichzeitig zweifelt.

Das christliche Glaubensbekenntnis beginnt mit den Worten „Ich glaube an Gott". Es geht bei dem Glauben um mich, um ein „denkendes Wesen, das zweifelt, einsieht, bejaht". Das Bekenntnis „Ich glaube an Gott …" eröffnet einen personalen Bezug, eine Ich-Du-Beziehung. Das Bekenntnis besagt zudem, dass beim Sprechenden eine personale Entscheidung vorausgegangen ist. Er hat eine für ihn wichtige und bedeutsame Erfahrung gemacht. Er ist zu einer ihn ganz persönlich betreffenden und betroffen machenden Einsicht gelangt. Dieses Widerfahrnis hat eine Beziehung zu einem Du aufkommen lassen, das ihm nun als unbedingt und unumstößlich, als des Glaubens würdig erscheint. Die Glaubenserfahrung hat den Einzelnen - ein denkendes, einsehendes, zweifelndes Ich - zu einer Entscheidung bewegt, die das gesamte persönliche Leben betrifft. Dieser Glaube ist nicht Ausdruck mangelnden Wissens oder unzureichend begründbarer Annahmen, sondern Ausdruck einer tiefen inneren Sicherheit aufgrund eines persönlich gefassten Vertrauens und Zutrauens, genährt aus dem unbedingten Ja zu einer Person, auf die ich mich ganz und gar verlassen will.

Weil es sich hier um etwas sehr Wichtiges handelt, das den Personkern zutiefst betrifft und bestimmt, darf der Glaube nicht blind und unvernünftig sein. „Der Glaube muss sich auf Einsicht und Vernunft zurückführen lassen, wenn wir es nicht mit den Phantasten halten wollen", wie es der Theologe John Henry Newman formuliert hat. Weder darf die Liebe blind machen, noch darf es der Glaube. Auch die Beziehung zu einer Person - und erschiene sie auf den ersten Blick noch so glaubhaft und vertrauenswürdig - bedarf kritischer Überprüfung und abwägender Reflexion.

Person-im-Werden

Doch wer oder was ist eigentlich dieses Ich, das da von seinem Glauben, von seinem unbedingten Vertrauen spricht? Ist es die Seele, die sich der menschlichen Sprachorgane als Werkzeug bedient? Ist es der Geist, der sich hörbar Ausdruck verschafft? Verschiedene Antwortversuche sind im Laufe der menschlichen Geistesgeschichte auf die Frage nach dem Ich gegeben worden.

Für die einen ist das Ich Ausdruck des Bewusstseins seiner selbst: Ich zweifle, ich denke, ich entscheide, ich handle - und ich bin mir dessen bewusst.

Andere haben darauf hingewiesen, dass das menschliche Ich nicht plötzlich von einem Augenblick auf den anderen da gewesen ist. Es hat sich vielmehr in einem „sehr allmählichen Übergang" aus dem Stadium des unbewussten Existierens (Embryo, Kleinkind) zum seiner selbst bewussten Ich entwickelt. Der Mensch ist Person-in-Evolution, Person-im-Werden.

Das seiner selbst bewusste Ich erkennt sich als bezogen auf anderes, vor allem auf ein menschliches, aber auch auf ein transzendentes, jenseitiges Du. Der Mensch wird am Du zum Ich, so der jüdische Philosoph Martin Buber. Der Mensch ist eine „offene Person", ein dialogisches Wesen.

Sigmund Freud zufolge ist das Ich aber leider nicht „Herr im eigenen Haus" . Es ist bestimmten Ansprüchen und Anforderungen aus seinem Inneren, aus dem Unterbewusstsein (Es), und von außen (Über-Ich) ausgesetzt. Diese muss es miteinander versöhnen und in Einklang zu bringen suchen: „Was ‚Es' ist, soll ‚Ich' werden."

Im Bekenntnis meines Glaubens schwingen alle diese vier Aspekte mit. Ich bekenne meinen Glauben vor Gott. Ich bezeuge antwortend meine Dankbarkeit für das - wie ich glaube - in der Menschheitsgeschichte auf vielfache Weise ergangene und erfahrbar gewordene Gotteswort. Ich bekunde mein Verwundern und Staunen über die staunenswerten Taten Gottes in Kosmos und Universum, über seine Zuwendung zu den Menschen - vor allem in Jesus von Nazaret -, über das machtvolle Wirken des Gottesgeistes in Zeit und Welt. Dazu spreche ich ein bewusstes und überzeugtes Ja, denn mein Verstand hat das aufgenommen und kritisch geprüft. Ich allein bin verantwortlich für mein mit vollem Bewusstsein gesprochenes Bekenntnis.

Ich lebe aber auch in einer langen Tradition des allmählichen Erwachens von Religion. Ich weiß mich verbunden mit den Uranfängen, in denen Menschen tastend suchend und dunkel ahnend in ihren Bestattungsriten zum Ausdruck brachten, dass ihre Hoffnungen über das irdische Leben hinausreichen. Ich weiß mich wegen der Evolution des Menschen aus dem Tierreich, ja aus der materiellen Welt überhaupt, verbunden mit allen Geschöpfen dieser Welt. Darum kann und darf ich mich nicht zum Herrscher über Tiere und Pflanzen, über Rohstoffe und Ressourcen, über Wasser und Ackerboden aufspielen und sie nach Gutdünken ausbeuten und zerstören. Wenn ich vor Gott und Menschen meinen Glauben an Gott, den „Schöpfer des Himmels und der Erde", bezeuge, kann ich mir nicht alleinige Verfügungsgewalt über „Himmel und Erde" anmaßen.

Ich bekenne meinen Glauben zudem nicht nur für mich allein im stillen Kämmerlein. Ich lege Zeugnis ab vor anderen Menschen und für andere Menschen, die meine Worte hören und die so zur Stellungnahme herausgefordert werden. Sie können sich dem An-Spruch meines Bekenntnisses öffnen oder verschließen. Sie können meine gläubig-bekennenden Worte überhören oder ignorieren, kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen oder brüsk ablehnen, nachdenklich erwägen oder freudig annehmen.

Ich bin in meiner inneren Freiheit und Selbstbestimmung aber immer auch eingeschränkt und ständig gefährdet. Ich weiß darum, dass Glaube und religiöse Erfahrung unbewusste Voraussetzungen haben und dass deswegen in die Äußerungen des Glaubens neurotische Störungen und Ängste, irrationale Wünsche und Strebungen, Elternbindung und Kindheitsfixierungen, psychodynamische Mechanismen und Gewohnheiten einfließen können, die nicht immer sofort als solche zu erkennen sind.

Weil das Ich des Menschen ein derart vielschichtiges Gebilde darstellt, ist zu erwarten, dass die unterschiedlichen Komponenten nicht immer im richtigen Verhältnis auszubalancieren sind. Es kommt vor, dass der eine oder andere Aspekt entweder ständig vorherrscht oder zumindest in gewissen Situationen, zu bestimmten Zeiten, je nach Anlass die Oberhand gewinnt. Das geschieht nicht nur aufgrund der individuellen Verfassung des Einzelnen, sondern auch aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht, zu einem Beruf oder in Abhängigkeit von einer modischen Zeitströmung. Meine Erlebnisse und Erfahrungen, meine gewordene und gewachsene Persönlichkeit fließen, ob ich es will oder nicht, in meine bewusste Aus­ein­andersetzung mit dem Glauben ein. Das Glaubensbekenntnis der Kirche ist daher immer und überall mein höchst individuelles, ureigenes, durch mein Ich begrenztes und eingefärbtes Bekenntnis.

Vielleicht ist es wahr

Wenn ich mir dessen bewusst bin, dann werde ich auch den Zweifel an meinem Bekenntnis und in meinem Bekenntnis zulassen und ihn nicht gewaltsam unterdrücken. Denn der Zweifel besitzt im Leben und ­Bekennen des Glaubens eine heilsame Funktion. Er kann meinen unkritischen Enthusiasmus ent-täuschen. Er kann desillusionieren. Er kann Irrungen aufzeigen.

Der Zweifel ist kein Feind des Glaubens, sondern sein Schutz: Der Zweifel schützt davor, Geltungsansprüchen oder Heilsversprechungen zu schnell und leichtfertig Glauben zu schenken. Er schützt davor, Aussagen ungeprüft zu übernehmen und schlechte Argumente mit guten zu verwechseln. Er schützt vor allzu forschem Auftreten und vor übertriebener Selbst­sicherheit, denn er lehrt mich, dass sich dahinter nicht selten Unsicherheit oder gar gähnende Leere verbergen.

Der Zweifel muss ein Hausrecht beanspruchen dürfen in unserem Glauben, in den Gemeinden, in der Kirche. Der Zweifel ist in seinem Element, wenn der Glaube durch mangelhafte geistige Anstrengung und Denkfaulheit am Leben gehalten wird. Wir dürfen ihn nicht aussperren, weil er uns unbequem erscheint, weil er unsere Selbstgewissheit durchkreuzt, weil er uns in unserer Scheinsicherheit verunsichert. Allerdings muss ich auch am Zweifel immer wieder zweifeln. Denn auch der Zweifel „glaubt nur".

Wir brauchen uns nicht zu beunruhigen, wenn heute viele gläubige Menschen mit massiven Glaubenszweifeln ringen. Im Gegenteil: „Vielleicht könnte gerade der Zweifel, der den einen wie den anderen vor der Verschließung im bloß Eigenen bewahrt, zum Ort der Kommunikation werden. Er hindert beide daran, sich völlig in sich selbst zu runden, er bricht den Glaubenden auf den Zweifelnden und den Zweifelnden auf den Glaubenden hin auf, für den einen ist er seine Teilhabe am Geschick des Ungläubigen, für den andern die Form, wie der Glaube trotzdem eine Herausforderung an ihn bleibt", so Joseph Ratzinger einmal.

Eine jüdische Geschichte, die Martin Buber aufgezeichnet hat, veranschaulicht das Dilemma des Menschseins zwischen Zweifel und Glaube: „Einer der Aufklärer, ein sehr gelehrter Mann, der vom Berditschewer (chassidischer Rabbiner; d. Red.) gehört hatte, suchte ihn auf, um auch mit ihm, wie er's gewohnt war, zu disputieren und seine rückständigen Beweisgründe für die Wahrheit seines Glaubens zuschanden zu machen. Als er die Stube des Zaddiks (des Gerechten; d. Red.) betrat, sah er ihn mit einem Buch in der Hand in begeistertem Nachdenken auf und ab gehen. Des Ankömmlings achtete er nicht. Schließlich blieb er stehen, sah ihn flüchtig an und sagte: ‚Vielleicht ist es aber wahr.' Der Gelehrte nahm vergebens all sein Selbstgefühl zusammen - ihm schlotterten die Knie, so furchtbar war der Zaddik anzusehen, so furchtbar sein schlichter Spruch zu hören. Rabbi Levi Jizchak aber wandte sich ihm nun völlig zu und sprach ihn gelassen an: ‚Mein Sohn, die Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben ihre Worte an dich verschwendet, du hast, als du gingst, darüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können, und auch ich kann es nicht. Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr.' Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegnung auf; aber dieses furchtbare ‚Vielleicht', das ihm da Mal um Mal entgegenscholl, brach seinen Widerstand."

Dieses Vielleicht ist die unentrinnbare Anfechtung, der sich niemand entziehen kann - nach der einen wie nach der anderen Seite hin. Joseph Ratzinger hat es vor Jahren so ausgedrückt: „So wie der Gläubige sich fortwährend durch den Unglauben bedroht weiß, ihn als eine beständige Versuchung empfinden muss, so bleibt dem Ungläubigen der Glaube Bedrohung und Versuchung seiner scheinbar ein für alle Mal geschlossenen Welt. Mit einem Wort - es gibt keine Flucht aus dem Dilemma des Menschseins, wer der Ungewissheit des Glaubens entfliehen will, wird die Ungewissheit des Unglaubens erfahren müssen, der seinerseits doch nie endgültig gewiss sagen kann, ob nicht doch der Glaube die Wahrheit sei."

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