Nach der weihnachtlichen Entbindung kommen die Rhythmen des Erwachsenwerdens, zum Beispiel Beschneidung, Taufe, Initiation. Mystik hat mit Erwachsenwerden zu tun, und was wäre dringlicher heutzutage? Aber nun platzt das Trauerspiel mit der kirchlichen Aufarbeitung des Sexualskandals dazwischen: Wie mit diesem Gefühlscocktail von Ärger, Respekt, Trauer, Wut, Ratlosigkeit umgehen? „Wie kann ich noch zu diesem Laden gehören?“ fragte spontan eine erfahrene Katholikin. Warum erneut dieser Imageschaden? Aber vielleicht sind gerade solche Unglücksfälle in und mit der real existierenden Kirche ein besonderer Anlass, um „endlich“ erwachsen zu werden, mündig und mystisch, mutig und demutig.
Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden - die Kirche. Die 2000 Jahre Christentum sind eine gigantische Erfolgs- und Segensgeschichte. Das gilt auch heute und weiterhin. Wie sähe die Welt sonst aus? „Aber, aber …“ - werden viele sofort denken. Mit Recht. Zu Triumphgehabe besteht keinerlei Anlass, zu Selbstzufriedenheit auch nicht. Wohl aber zum Dank - und zur glasklaren Unterscheidung, und das um der Hygiene willen, der spirituellen und intellektuellen, nie zu vergessen die Opfer. Ohne das Evangelium sähe die Welt nachweislich sehr anders aus. Menschenwürde und Menschenrechte, Emanzipation und Sozialfürsorge - genug Stichworte für die humanisierende Kraft des Christlichen, nicht zuletzt mittels und dank der Kirchen. Konkret bedeutet das auch Konflikt, oft sehr schmerzlich. Nicht wenige fanden zu christlicher Reife, also zu mystischer Gottesverbundenheit und reformatorischer Kraft, indem sie sich wund rieben an den Kircheninstanzen und -verhältnissen. Und doch wurden sie nie bitter und ließen nie locker. Ob wirkliche Kirchenreform überhaupt nur so gelingt? Die mittelalterliche Mystikerin Mechthild von Magdeburg zum Beispiel nimmt derart illusionslos entschieden die kirchlichen Verhältnisse ins Gebet - „so kühn, dass ich verwegen die verdorbene Christenheit sofort in den Arm meiner Seele nahm…“
Nächststehende rieten dem französischen Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin, die Kirche zu verlassen. Zu nervig sei die Zerreißprobe zwischen Wissen(schaft) und Glaube, zu verhärtet das kirchliche System. Er antwortete in einem Brief vom 14. Juli 1927: „Wäre es für mich logisch, wenn ich, durch den Bruch mit meiner Kirche, ungeduldig das Wachsen des christlichen Triebes forcierte, von dem ich überzeugt bin, dass sich in ihm der Saft der Religion von morgen vorbereitet? Ich bin Gefangener der Kirche aufgrund eben der Anschauungen, die mir ihre Unzulänglichkeit aufdecken.“
Mit dieser paradoxen Haltung wird ernst genommen, was gemäß dem kirchlichen Credo selbst seit Ursprungszeiten der Maßstab christlicher Reifung ist: nicht an die Kirche glauben, sondern an den lebendigen Gott allein - dies aber mittels, dank und trotz der Kirche (unbedingt in dieser Reihenfolge). Denn die ist ein Acker voll Unkraut und Weizen. Gottesmystik und Kirchenreform(ation) sind christlich untrennbar. Teilhard ist der „Überzeugung, dass meine besten Anstrengungen nutzlos wären, wenn ich mit dem religiösen Strom bräche, bei dem das Problem nicht darin besteht, ihn zu bekämpfen, sondern ihn umzuwandeln. Auf einem solchen Schlachtfeld kann ich nicht aus politischen Überlegungen, sondern aus reiner Überzeugung nur von innen her wirken.“ Deshalb kann und darf es auch kein Zurück geben hinter den Satz des Konzils: „Ja, selbst die Feindschaft ihrer Gegner und Verfolger, so gesteht die Kirche, war für sie sehr nützlich und wird es bleiben.“ („Gaudium et spes“, Art. 44)