Wir rennen gleichzeitig gegen Mauern - und offene Türen ein.“ So hat Markus Heil, Sprecher der Schweizer Pfarrei-Initiative, die Gefühlslage vieler Seelsorger beschrieben, die sich in der Amtszeit von Benedikt XVI. zusammengeschlossen hatten, um sich für kirchliche Reformen einzusetzen. Mitte Oktober waren Vertreter von Priesterinitiativgruppen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, aber auch aus Irland, Australien und den USA in Bregenz am Bodensee zu einem Vernetzungstreffen zusammengekommen. Mit einem spektakulären „Aufruf zum Ungehorsam“ hatte die österreichische Pfarrer-Initiative 2011 eine Welle von Gründungen ähnlicher Gruppen im deutschsprachigen Raum ausgelöst. Gegenüber der Kirchenleitung treten sie zum Beispiel für die Freistellung des nur im lateinischen Teil der katholischen Kirche geltenden verpflichtenden Zölibats sowie die Stärkung der Rolle der Frau in der Kirche ein. Sie bekennen, auch mit Christen anderer Konfessionen die Kommunion zu teilen, kompetente Laien predigen zu lassen, und sie halten die ständige Vergrößerung von Pfarreiverbünden für die falsche Reaktion auf die sinkende Zahl von Priestern.
Man habe in Bregenz keine Dachorganisation gründen wollen, erklärte der Sprecher der österreichischen Pfarrer-Initiative, Helmut Schüller, dem in Österreich erscheinenden „Standard“. Wenn er - als ehemaliger Generalvikar des Bistums Wien das bekannteste Gesicht dieser Reformgeistlichen - das Bemühen, diese Bewegungen strukturell zusammenzuschließen, etwas abschwächt, liegt dies auch an der kirchenpolitisch neuen Situation nach dem Wechsel im Papstamt und dem damit verbundenen Wandel der Wahrnehmung von Kirche in der Öffentlichkeit. Bislang konnten die Bischöfe den Reformbewegten vor Ort - vor der Gründung der Pfarrerinitiativen waren dies überwiegend kirchlich hoch engagierte Laien - bei Dialogveranstaltungen, in Priester- und Diözesanräten mit dem Verweis auf Rom stets sagen: Ich verstehe die Anliegen, aber das kann nur auf weltkirchlicher - gemeint: vatikanischer - Ebene gelöst werden. In anderen Weltregionen stellten sich die Probleme ganz anders dar.
Priestergruppen suchen Anschluss
Wie eingefahren dieses Ritual aus vorgetragenen Reformanliegen und bischöflichem Bedauern unter Verweis auf die Gesamtkirche war, zeigt sich daran, dass zuletzt immer mehr engagierte Gläubige resigniert bekundeten, sie könnten die immer gleichen Themen nicht mehr hören. Manche traditionalistischen Gruppen meinten schon, dies als Sieg für sich verbuchen zu können.
Doch diese Einschätzung unterliegt einem großen Irrtum. Denn der Wunsch nach Veränderung ist weltweit beträchtlich. Es handelt sich keineswegs um europäische Sonderwünsche. Weltweit werden Seelsorgeeinheiten erweitert. In Lateinamerika und Afrika kommen deutlich mehr Gläubige auf einen Pfarrer als in Europa. Von Eucharistiefeiern jeden Sonntag kann in vielen Regionen keine Rede sein. Frauen tragen weltweit religiöses Leben in Pfarreien und Familien und sind längst nicht mehr bereit, sich bei den wirklich wichtigen Entscheidungen nur hinten anzustellen. Viele seelsorglich vernachlässigte Katholikinnen und Katholiken auf der Südhalbkugel wandern in evangelikale oder pfingstlerische Freikirchen ab. Dies war auch die Lage, mit der sich Jorge Mario Bergoglio als Erzbischof von Buenos Aires auseinandersetzen musste. Da er dies auch als Papst Franziskus nicht vergessen hat, wollen die Reformpriester nun den günstigen Moment der teilweisen Enttabuisierung mancher Themen und Verhaltensweisen nützen: „Wie können wir anschlussfähig werden an Franziskus?“
Mit den Reformgruppen teilt der Papst das Anliegen, Strukturen zu verändern. In der medialen Öffentlichkeit wird derzeit vor allem auf die Gesten seines bescheidenen Lebensstils geachtet: Er wohnt weiterhin im Gästehaus Santa Marta und nicht im Apostolischen Palast. Er zieht die Fahrt in diversen Kleinwagen dem Papamobil vor und greift selbst zum Telefonhörer. Mancher fragt sich jedoch, wann und ob den hoffnungsvollen Worten und Symbolhandlungen zugunsten einer armen Kirche für die Armen auch Taten folgen.
Mit der Kurie - gegen die Kurie
Die Weigerung, die päpstliche Wohnung im Apostolischen Palast zu beziehen, ist jedoch bereits eine Tat. Entsprechend seiner Kritik an der Kurie vor der Papstwahl lehnt Franziskus I. es ab, Teil der vatikanischen Verwaltungsbehörde zu werden. Deren Strukturen ähneln denen absolutistischer Fürstenhöfe und gelten als intransparent, ineffizient, chaotisch und in Teilen sogar korrupt. Angesichts der sogenannten Vatileaks-Affäre, bei der Dokumente vom päpstlichen Schreibtisch verschwanden, um in der Presse aufzutauchen, erkannte Papst Benedikt XVI., dass ihm die Kraft für eine Erneuerung der Kurie fehlte. Deshalb trat er zurück.
Franziskus hat daraus die Konsequenzen gezogen. Um überhaupt Strukturen ändern zu können, will er als Oberhaupt der Kirche, die für ihn das Volk Gottes ist und die er scharf von den vatikanischen Institutionen trennt, absolut unabhängig bleiben. Vor diesem Hintergrund ist selbst der Griff zum Telefon oder der Gang zum Briefkasten keine bloße Geste der Bescheidenheit, sondern Kampf um Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit. Der Papst will weder Welt noch Kirche gefiltert durch den vatikanischen Apparat wahrnehmen. Er will sich auch nicht vorschreiben lassen, wen er wann wie lange empfangen darf.
„Die Führer der Kirche waren oft narzisstisch, umschmeichelt und von ihren Höflingen zum Schlechten verleitet. Der Hof ist die Lepra des Papsttums.“ Diesen Satz soll Franziskus I. gegenüber dem Gründer der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ und bekennenden Atheisten Eugenio Scalfari geäußert haben, was dieser aber weder durch Tonbandaufnahmen noch schriftliche Notizen belegt hat. Franziskus I., so Scalfari, habe einer Veröffentlichung dieses Wortlauts jedoch zugestimmt. Der entsprechende Text liest sich „wie eine Kriegserklärung an die eigene Kurie“, meint „Focus“. Als Truppe von Aussätzigen beschimpft, formiere sich unter den 4000 Mitarbeitern nun der „Aufstand gegen den Papst“, so der Titel und durchgängige Tenor des Beitrags. „Die Stimmung sei ‚mies‘ …, alle seien verunsichert, ‚weil niemand weiß, was morgen mit ihm und der Kirche geschieht‘“, werden Geistliche aus dem Vatikan zitiert, die ihren Namen aus Angst nicht nennen, weil auch der neue Papst absoluten Gehorsam einfordere und sich Kritik an seiner Person verbitte.
Doch auch rund um den Globus formiert sich laut „Focus“ Widerstand. In den Vereinigten Staaten befürchteten Bischöfe, dass die „liberalen Sprüche“ etwa zu Homosexualität und Verhütungsmethoden „die Gläubigen im puritanischen Amerika endgültig zu den gestrengen Evangelikalen treiben“. In Lateinamerika seien Geistliche, „die jahrelang gegen kommunistische und kirchenkritische Populisten kämpften, … irritiert“. In Polen fürchte der Klerus, dass der Papst mit seinem unkonventionellen Stil die Kirche kaputt mache. In Deutschland störten sich Bischöfe daran, dass der Papst ihnen das Volk abspenstig gemacht und für sich eingenommen habe. Und mancher Theologe befürchte, dass er die geschürten Erwartungen nicht erfüllen kann.
Papst „Obama“?
Nach der Euphorie die Enttäuschung wie bei Barack Obama? Zum Teil wird der neue Papst fehlender theologischer Tiefe - insbesondere im Vergleich zu Benedikt XVI. - verdächtigt. Oder ihm wird unterstellt, seine demonstrative Bescheidenheit und Demut seien verkappte Eitelkeit, ein Hauch Narzissmus. Dass von führenden vatikanischen Mitarbeitern kaum Kritik nach außen dringt, liegt auch daran, dass der Papst nur den „Hof“ und keineswegs die Kurie als „Lepra“ bezeichnet hat. „Nein, in der Kurie gibt es zuweilen Höflinge, aber die Kurie insgesamt ist etwas anderes … Sie leitet die Dienste, die der Heilige Stuhl braucht“, soll der Papst - in den Medien überwiegend verschwiegen - auf die Nachfrage von Scalfari erläutert haben. Mit „Hof“ scheint Franziskus I. gewisse geistige Haltungen und Verhaltensweisen als Überbleibsel aus dem weltlichen Kirchenstaat vergangener Zeiten zu meinen, der sich von den damaligen Fürstentümern nicht unterschied.
Der Papst will die „vatikanzentrierte Sicht“ der Verwaltung ändern, wie er gegenüber Scalfari ausführte. „Ich habe als Erstes entschieden, eine Gruppe von acht Kardinälen zu ernennen, die meinen Rat bilden sollen. Keine Höflinge, sondern weise Personen, die von derselben Haltung beseelt sind wie ich.“ Dass unter den acht Beratern mit Giuseppe Bertello nur ein Mann aus der Kurie kommt, der als Diplomat jedoch bis 2011 fast 25 Jahre den Vatikan in Afrika, Lateinamerika und Italien sowie gegenüber den verschiedenen Behörden der Vereinten Nationen in Genf und der Welthandelsorganisation vertrat, zeigt, dass der heutige Bischof von Rom tatsächlich den Heiligen Stuhl von außen reformieren will. Damit nimmt er die Erwartung der in den Bistümern tätigen Kardinäle auf, die ihn - gegen den Willen der Mehrheit der römischen Kurienkardinäle - zum Papst gewählt hatten. Die Abneigung gegen die zentralistischen, undurchsichtigen, nicht selten arrogant auftretenden vatikanischen Verwaltungsbehörden, die die Ortsbischöfe lediglich als Befehlsempfänger betrachteten, war derart groß, dass man denjenigen zum Papst wählte, der in der Kardinalsversammlung die Missstände am deutlichsten anprangerte.
Kollegialität - aufgewertet
Franziskus I. sieht sich am Beginn einer „Kirche mit einer nicht nur vertikalen, sondern auch horizontalen Organisation. Wenn Kardinal Martini davon sprach und den Akzent auf die Konzilien und Synoden legte, wusste er sehr wohl, wie lang und schwierig der in diese Richtung zu gehende Weg war.“ Mit diesem Hinweis auf den 2012 gestorbenen früheren Mailänder Kardinal und jesuitischen Ordensbruder erinnert Bergoglio an einen der wenigen hochrangigen Kirchenführer, die offen für Reformen eintraten. Carlo Maria Martini hatte in einem vielbeachteten Interview kurz vor seinem Tod der müden, vom Reichtum belasteten und seit zweihundert Jahren stehengebliebenen Kirche in den Wohlstandsländern Europas und Amerikas empfohlen, sich - „angefangen beim Papst und den Bischöfen“ - zu ihren Fehlern zu bekennen und „einen radikalen Weg der Veränderung“ einzuschlagen.
Mit der Ankündigung einer Bischofssynode bereits für 2014 zum Thema Familie hat sich Papst Franziskus schon auf den Weg der Synoden begeben. Wenig beachtet wurde bislang, dass er im Gespräch mit Scalfari auch auf Konzilien verwies. Bisher haben Bischöfe bei der Frage nach einem neuen Konzil stets abgewiegelt. Zunächst müsse das Zweite Vatikanische Konzil „umgesetzt“ werden. So mancher Gläubige im fortgeschrittenen Alter mag mit diesem Konzil noch einen Aufbruch verbinden. Für die jüngeren Generationen - diese umfassen alle bis zum sechzigsten Lebensjahr - ist es schlicht nur mehr Historie. Sie kennen keine vorkonziliaren Verhältnisse - trotz mancher Versuche, Neuerungen zurückzudrehen, wie etwa durch die Wiederbelebung der tridentinischen Liturgie. Aber auch das jüngste Konzil ist ein Ereignis von gestern - und löst viele neue Probleme, Fragen von heute nicht, gerade im Kern des Glaubens.
Der Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica“, Antonio Spadaro, notierte in einem weiteren Papstinterview (vgl. CIG Nr. 39, S. 430) überrascht: „Der Papst … sieht das Konzil einfach als ein so selbstverständlich gegebenes Faktum an, dass es sich nicht lohnt, länger darüber zu sprechen, um seine Bedeutung zu unterstreichen.“ Franziskus lässt keinen Zweifel daran, dass die Früchte enorm waren und die Erneuerung - ausdrücklich auch der Liturgie - unumkehrbar ist. Entgegen den Debatten, ob das Konzil einen Bruch darstelle, ob es „nur“ pastoral und nicht lehramtlich-dogmatisch gewesen sei, ordnet Franziskus es als historisches Ereignis ein. Er macht so den Weg frei für ein weiteres Konzil, das sich dann den Herausforderungen derer stellen kann, die heute um einen modernen Gottesglauben und um ein zeitgemäßes, angesichts wissenschaftlicher Erkenntnisse vertretbares Christsein ringen.
Papst Franziskus spricht aber nicht nur von neuen Synoden und Konzilien, sondern achtet bei den seit langem diskutierten Reformanliegen auch auf kritische Stimmen. So stellte Erzbischof Pietro Parolin kurz vor seinem Amtsantritt als neuer Kardinalstaatsekretär - in der Kurienstruktur gilt er als mächtigster Mann nach dem Papst - fest: „Der Zölibat ist kein Dogma … Er kann zur Diskussion gestellt werden, weil er eine kirchliche Tradition ist.“ Das Bemerkenswerte: Es passierte nach diesem Interview in der venezolanischen Tageszeitung „El Universal“ nichts. Als sich 2006 Kardinal Claudio Hummes kurz vor seiner Ernennung zum Präfekten der Kleruskongregation ähnlich äußerte, wurde er im Vatikan umgehend gemaßregelt und zum Schweigen gebracht. Wenn Parolin zudem davon spricht, dass in der Kirche mehr Demokratie nötig sei und dass es in dieser „Gemeinschaft, in der alle gleich sind“, keine unterschiedlichen Klassen von Personen gibt, zeigt sich, dass Papst Franziskus seinen Worten auch personelle Konsequenzen längst folgen ließ.
Im Fall Limburg wiederum hat der Papst bereits durch seine Entscheidung zu erkennen gegeben, dass er eine kirchliche Dezentralisierung und Stärkung des Bischofskollegiums vor Ort und insbesondere der regionalen Bischofskonferenzen will. Während manche deutschen Bischöfe und auch viele Laien wie gebannt nach Rom starrten und von dort ein Machtwort in diese oder jene Richtung erwarteten, hörte der Papst sich in Ruhe alle Seiten an und verwies den Fall dorthin zurück, wo er hingehört: in das Kollegium der Bischöfe der Landes-Ortskirchen. Die von der deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Vorgänge soll in Ruhe und fair ihre Arbeit machen. Erst auf Grundlage ihrer Ergebnisse wird endgültig entschieden. Dies entspricht dem Grundsatz der Subsidiarität aus der christlichen Soziallehre, demzufolge die untere Instanz ihren Fähigkeiten entsprechend selbst entscheidet und nur bei übergeordneten Fragen die nächsthöhere Ebene um Hilfe anruft.
Bürgerrechte - kirchlich
Das fordert auch die ureigene apostolische Vollmacht der Ortsbischöfe heraus - und die Frage, welche Kontrollinstanzen es für sie gibt, die ja in ihrem Bistum die gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt innehaben. Der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück fragte in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Wäre es nicht an der Zeit, die gebündelten Kompetenzen zu entflechten und dem Bischof wirksamere Kontrollorgane an die Seite zu stellen?“
Die Freiheit, die jedem Bischof und dem Bischofskollegium der jeweiligen Bischofskonferenz derzeit von päpstlicher Seite genauso gewährt wird wie den Priestern und Laien in den Pfarrgemeinden, muss vor Ort auch genutzt werden. Dabei könnten sich die Bischöfe durchaus auf Vorarbeiten der Reformbewegungen von Laien und Priestern stützen. Unter dem Titel „Bürgerrechte in der Kirche“ wurde in Bregenz auch darüber debattiert, wie auf allen Ebenen das Volk Gottes mitwirken kann. „Es genügt nicht, dass die Leute nur beraten, aber nicht entscheiden dürfen“, sagt Klaus Kempter, einer der Sprecher der Pfarrer-Initiative Deutschland. Es gehe nicht darum, „Demokratie“ einzuführen. Aber es gibt brennende Fragen, die alle betreffen: Was ist notwendig, damit sich die Pfarrgemeinde sonntags um den Tisch des Herrn zur Eucharistie versammeln kann? Welche zeitgemäßen Formen von Autorität braucht es, damit alle ihre Meinung angstfrei sagen können? Und schließlich: Wer bestimmt über die materiellen Mittel? Das alles kann nicht einfach der Bischof mit seiner Verwaltung entscheiden, sondern braucht die Gemeinschaft aller Glaubenden, ist Kempter überzeugt.
Lange wurde kritisiert, dass das Lehramt der katholischen Kirche das Subsidiaritätsprinzip zwar für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einfordert, in den eigenen Reihen aber nicht angewendet wissen will. Die von Papst Franziskus angestoßenen und in Teilen schon umgesetzten Veränderungen eröffnen eine anstrengende Freiheit vor Ort. Wer Reformen will, muss den Mut haben, sie in Angriff zu nehmen und sich gleichzeitig der weltkirchlichen Debatte auszusetzen. In einer Kirche der Synoden und Konzilien ist der Glaubenssinn aller Gläubigen, des gesamten Volkes Gottes, des echten Leibs Christi gefragt.
Das Sein und das Licht
Papst Franziskus sucht in der Glaubensfrage aber auch den Austausch über die Glaubensgemeinschaft hinaus, wenn er etwa Eugenio Scalfari fragt: „Sie als Laizist, als nicht an Gott Glaubender, an was glauben Sie? … Antworten Sie mir nicht mit Worten wie Ehrlichkeit, die Suche, die Vision des Gemeinwohls. Das sind alles wichtige Prinzipien und Werte, aber das ist nicht das, wonach ich Sie frage. Ich frage Sie, was Sie für das Essenzielle der Welt, ja des Universums halten.“ Auf Scalfaris Antwort: „Ich glaube an das Sein, das heißt an das Gewebe, aus dem die Formen entstehen, das Seiende“, bekennt der Papst: „Und ich glaube an Gott. Nicht an einen katholischen Gott, es gibt keinen katholischen Gott, es gibt Gott. Und ich glaube an Jesus Christus, seine Menschwerdung. Jesus ist mein Lehrer und Hirte, aber Gott, der Vater Abbà, ist das Licht und der Schöpfer. Das ist mein Sein. Scheint es Ihnen, dass wir weit auseinanderliegen?“
Wenn beide im Folgenden die Begriffe „Sein“ und „Gott“ ausführen, wird noch deutlicher, wie sehr sich menschliches, existenzielles Fragen nach dem Sinn trotz aller Unterschiede ähnelt. Scalfari: „Das Sein ist ein Gewebe von Energie. Chaotische Energie, aber unzerstörbar und in ewigem Chaos. Aus dieser Energie entstehen die Formen, wenn die Energie ihren Explosionspunkt erreicht. Die Formen haben ihre Gesetze, ihre Magnetfelder, ihre chemischen Elemente, die sich zufällig miteinander verbinden, sich entwickeln, schließlich verlöschen, aber ihre Energie wird nicht zerstört.“ Darauf merkt Franziskus I. an, „dass Gott Licht ist und die Finsternis erhellt, auch wenn er sie nicht zerstreut, und ein Funken dieses göttlichen Lichtes ist in jedem von uns. Ich erinnere mich, dass ich in dem Brief, den ich an Sie geschrieben habe, Ihnen sagte, dass auch unsere Spezies einmal vergehen wird, dass aber das Licht Gottes nie vergehen wird, das in jenem Augenblick alle Seelen erfüllen und alles in allem sein wird.“