Da reden und schreiben sie munter über Liebe und Ehe, als wäre nie etwas gewesen. Immer noch sind dabei zölibatäre Männer führend am Werk, jetzt auch wieder zur bevorstehenden Weltbischofssynode über Liebe, Sexualität und Ehe. Dabei wäre es doch das Mindeste, dass nur jene sich äußern, die durch Erfahrung auch wissen, wovon sie sprechen.
Zu meinem Alltag gehören geistliche Gespräche. Leute jedenfalls meiner Generation haben erschütternde Geschichten über Sexualität zu erzählen (gemeint ist der Gesamtzusammenhang der Liebe und keineswegs nur die genitale Lust). Natürlich sind sie nicht einfach Opfer kirchlicher Sexualmoral. Zu viel Prüderie geriet bis zur sexuellen Revolution überall ins Spiel, nicht bloß kirchlich. Vermutlich haben jene Forscher recht, die in der Geschichte der Sexualunterdrückung gerade der kapitalistischen Lebens- und Denkform Schlimmstes zuschreiben. Aber unleugbar ist der Beitrag einer naturrechtlich fixierten Kirche: Erster, ja einziger Zweck der Ehe sei die Fortpflanzung. Es ist keine fünfzig Jahre her, dass Theologen abgestraft wurden, weil sie das bestritten und mindestens gleichwertig die Liebeslust im göttlichen Schöpfungsplan entdeckten. Eine Moraltheologie und Seelsorge des Verdachts über ganze Generationen hinweg - mit einer neurotisierenden Doppelbotschaft: Geschlechtlichkeit sei gottgewollt und Geschenk. Zugleich sei sie brandgefährlich und eine Versuchung! Dazu die angstgetriebenen Männerphantasien gegenüber dem bösen Weib mit seiner „geilen“ Verführungslust. Umgekehrt wurden Männer zurückgestutzt auf sündige Triebtäter, ständig nur das Eine im Sinn. Über diesen Niederungen schwebte die hehrste Spiritualität des engelgleichen Lebens und der marianischen Sublimation.
Das alles sei Schnee von gestern, heißt es?- auch in Kirchenämtern. Aber die geistlichen Gespräche offenbaren anderes - und nicht wenige Therapien ebenfalls: viele Verletzungen noch heute. Spürbar ist die Wiederkehr des Verdrängten in seiner ganzen Wucht - in der Sprache der Tränen, der Trauer, der Wut oder der schlichten Abkehr. Was nicht betrauert wird, rumort lähmend weiter. Was nicht bereut und gebeichtet wird, behält zerstörerische Macht. Was nicht auf den Tisch kommt, kann nicht verwandelt werden, auch eucharistisch nicht. Könnte es sein, dass der Auszug aus den Kirchen auch damit zusammenhängt, dass da nie klar und ausdrücklich um Vergebung gebeten wurde?
Ich kenne keine bereuende bischöfliche Erklärung, die selbstkritisch die verkündete Sexualmoral hinterfragte. Vergessen sei nicht die Vergebungsbitte von Johannes Paul II. wegen der kirchlichen Minderbewertung der Frau. So schmort der Verdacht weiter, „die“ Kirche sei lebensfeindlich. Wie befreiend ist da jetzt der Beitrag des Antwerpener Bischofs Johan Bonny! Es ist vorbildlich, wie meine Kirche auf den schlimmen Missbrauch von Kindern durch Priester reagiert hat. Manch einer Institution wäre ein ähnlicher Mut zu wünschen. Aber liegen nicht Fehler auch im gesamten „System“? Sind wir, ist die Kirche schon im Reinen mit ihrer eigenen Botschaft von der sexuellen Auszeichnung des Menschen? Ihre Lehre hatte stets?- und mit Recht?- die Gefahren sexueller Ausbeutung und Unterwerfung im Blick. Aber hatte sie gleichermaßen „die Hoffnungsgestalt von Eros und Lust“, wie der Salzburger Theologe Gottfried Bachl formulierte, im Auge?
Jede Kirchengestalt ist zeitbedingt. Die emanzipative Kraft des Evangeliums ist gerade im Geschlechterverhalten im Allgemeinen und beim Ringen um die Gleichberechtigung der Frau viel wirksamer als meistens wahrgenommen. Doch gibt es weiterhin Engführungen, ja Irrwege in der Moralpastoral und im kirchlichen Lehramt, die der Aufarbeitung bedürfen - jetzt hoffentlich auch in Rom bei der Weltbischofssynode.