„Ich bin Charlie“ - dieses Schild halten viele hoch, die sich mit den ermordeten Redakteuren der französischen Satire-Zeitschrift solidarisieren. „Je suis Charlie“ - dieses Schild trägt auch Mohammed vor der Brust auf dem neuesten Cover des Magazins, nach dem die Käufer verrückt sind: „Alles vergeben“. Sollen die Attentäter oder die Karikaturisten vom Titelhelden Pardon erhalten? Muss man die Karikaturen gut finden, um den Terroranschlag zu verurteilen? Wer denkt noch an die Opfer aus dem koscheren Supermarkt?
„Je suis Ahmed“ - dieses Wort hält die Erinnerung an einen französischen Polizisten wach. Der Publizist Dyab Abou Jahjah hat es getwittert: „Charlie machte sich über meinen Glauben und meine Kultur lustig, und ich starb für sein Recht, das zu tun.“
„Ich bin Christ“ - das ist mein Bekenntnis, mein Standpunkt, meine Perspektive: Wie sehe ich die Gewalt, die sich auf Gott beruft? Wie sehe ich die Opfer, die Komiker wie die Geiseln und den Polizisten? Wie sehe ich die Proteste, die weltweit laut werden - die republikanischen gegen den Anschlag auf die Freiheit und die religiösen, die nicht nur die Gewalt kritisieren, sondern auch die Verunglimpfung „des Propheten“?
In Paris hat die Religion ihre Fratze gezeigt. Was ist ihr wahres Gesicht? Ob man nach Syrien, Nigeria oder Pakistan schaut, ob nach Madrid, London oder New York: Gewalt im Namen Gottes ist eine Geißel der Menschheit. Die Politik ist hilflos. Der übliche Hinweis auf soziale Brennpunkte und fatale Kriege führt noch nicht zur Lösung. Die Religionen selbst sind gefragt, ihr Verhältnis zur Gewalt zu klären. Sie stehen auf dem Prüfstand, nicht nur der Islam. Eine gründliche Untersuchung ist angesagt. Wenn die Religionen dieser Welt ihre kanonischen Texte, wenn sie ihre Liturgien und Gebete, wenn sie ihre heiligen Gefühle und ihre moralischen Werte ernstnehmen, ihre ehrwürdigen Traditionen und ihre revolutionären Aufbrüche, ihre Empfindlichkeit und ihre urwüchsige Kraft - wie sehen sie dann diejenigen, die nicht glauben oder anders glauben? Wie reagieren sie auf das, was ihnen gottlos und menschenverachtend oder auch nur ungerecht und gedankenlos erscheint? Welches Verhältnis haben sie zur säkularen Welt und zur kulturellen Vielfalt?
Wahrheit ist nur Meinung?
Die westliche Moderne ist aus leidvoller Erfahrung überzeugt, dass die Religionen radikal abrüsten müssen, wenn sie ihr Gewaltproblem in den Griff bekommen wollten: kein Absolutheitsanspruch, kein prägendes Menschenbild, kein theologischer Gesellschaftsvertrag, sondern eine demütige Konzentration auf private Frömmigkeit und gesellschaftliche Nützlichkeit, die sich in der Erzeugung von Werten und Normen, in Samariterdiensten und vielleicht noch in Bildungsprojekten ausweist. Der englische Aufklärungsphilosoph David Hume (1711-1776) hat in seinem Buch „The Natural History of Religion“ von 1757 (deutscher Titel: „Die Naturgeschichte der Religion“) bereits alle Argumente beisammen. Der Ägyptologe Jan Assmann hat sie in seinem Buch „Die mosaische Unterscheidung“ (München, Wien 2013) auf die heutigen Verhältnisse übertragen. Der evangelische Ethiker Friedrich Wilhelm Graf hat sie sich zu eigen gemacht („Mord als Gottesdienst“, in: FAZ 7.8.2014). Die These lautet: Jeder Monotheismus wolle ein Monopol, Mission sei Imperialismus, religiöse „Wahrheit“ sei in Wirklichkeit nur Meinung.
Allerdings stößt die liberale Empfehlung, die Religion nicht so ernst zu nehmen, in weiten Teilen dieser Welt, besonders in Afrika und Asien, auf Unverständnis oder auf Verachtung. Die Relativierung der Religion gilt als der stärkste Versuch des Westens, die Welt kulturell zu beherrschen. Tatsächlich gibt es kaum eine Religion, die nicht öffentlich sein will, nicht politisch, nicht sozial. Und seit den alten Römern gibt es wohl keine, die nicht umfassend das Leben der Menschen bestimmen wollte (vgl. Bernhard Linke, „Antike Religion“, München 2014). Den monotheistischen Religionen nahezulegen, sie sollten nicht so sehr an den einen Gott glauben, heißt, ihnen theologische Schizophrenie zu verordnen.
Heißer Atem der Gottesliebe
Desto stärker sind sie selbst gefragt. Die Gretchenfrage kehrt sich heute gegen die Religion: Sag, wie hast du’s mit der Gewalt? Wenn sie nicht an spirituellem Burn-out leiden, sind religiöse Menschen vom heißen Atem der Gottesliebe beseelt. Wird in diesem feurigen Geist das Leben der anderen verbrannt oder erwärmt, vielleicht sogar aufgetaut? Die Antwort kann nicht für alle Religionen einheitlich gegeben werden, denn Gleichmacherei ist arrogant. Alle Religionen haben besondere Versuchungen, aber auch besondere Möglichkeiten. Beides muss genau und differenziert beschrieben werden. Nur so kann eine Gewalt bekämpft werden, die auf erschreckende Weise so faszinierend scheint, wie nur Religionen faszinieren können - der tiefste Grund dafür, dass Terroristen Märtyrer sein wollen. Perverser geht es nicht. Die gegenwärtige Krise ist die Stunde der Wahrheit. Nur wenn die Religionen eine öffentliche Gewissenserforschung leisten, kommen sie aus der Schmuddelecke der Verdächtigungen und aus der Garküche des Extremismus heraus auf das weite Feld der Freiheit, die nach Sinn sucht.
Das Christentum hat seine eigene Geschichte der Gewalt, der es sich stellen muss (vgl. Arnold Angenendt, „Toleranz und Gewalt“, Münster 2006). Nichts hat ihm weltweit so sehr geschadet wie die religiösen Zwischentöne, mit denen George W. Bush 2003 den Irak-Krieg als einen modernen Kreuzzug der Freiheit gegen das islamistische Böse ausgerufen hat (während Johannes Paul II. in der Kriegsfrage ablehnend und in der Sprache nüchtern war). Gegenwärtig lastet auf den Kirchen in vielen Ländern ein enormer Verfolgungsdruck: von Nordkorea und China über Indien und die meisten muslimischen Staaten bis in die Sahel-Zone. Dass hier und da auch Gewalt von Christen ausgeht oder gerechtfertigt wird, ist eine traurige Wahrheit, lässt sich aber dagegen nicht aufrechnen.
Das Christentum ist eine Religion des Glaubens. Es wird nicht durch einen Stamm, eine Nation, einen Beruf, eine Sprache, eine Kultur oder ein Ethos zusammengehalten, sondern durch eine gemeinsame Erzählung - durch die Gottesgeschichte der Bibel, die immer weitergeht und zur Glaubensfrage wird: Gibt es Gott wirklich? Ist er so, wie Jesus ihn verkündet hat? Kann man ihm Glauben schenken? Die positive Antwort wird zu einem Bekenntnis, das sich in wenigen einfachen, klaren, positiven Sätzen aussprechen kann. Das Credo gehört zur Taufe, die Taufe ist der Eintritt in eine religiöse Zeichenwelt, die geheimnisvoll ist und das Verstehen anregt. Der Glaube hat eine Mystik, die zu Gott „Du“ sagt, und ein Ethos, das durch das Vorbild Jesu geprägt ist.
Weil es eine Religion des Glaubens ist, konnte das Christentum eine Weltreligion werden. Die Kirche steht Menschen aller Sprachen und Kulturen offen. Das wird schon in den ältesten Zeugnissen klar: „Da gilt nicht Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau - alle seid ihr einer in Christus“ (Gal 3,28). Paulus spielt mit diesem Satz auf die Taufe an. Es gibt nur dieselbe eine Taufe für alle Menschen, woher sie auch kommen. Geschlecht und Beruf, Stand und Herkunft spielen keine Rolle - eine emanzipatorische Kraft ohnegleichen, getragen vom Glauben an den einen Gott.
Pogrome - bis zur Schoa
Aber die grandiose Theologie der Taufe hat eine Schattenseite: Der Glaube ist fragil, zerbrechlich, gefährdet. Muss man ihn nicht immer wieder verteidigen und vor dem Aberglauben, dem Irrglauben, dem Unglauben schützen? Die Gläubigen sind nervös - sie haben nur den Glauben, der sie verbindet. Die Ausgrenzung von Ketzern, die Diffamierung von Andersgläubigen, die Verachtung von Agnostikern scheinen dann unausweichlich. Die religiöse Besserwisserei ist eine Erbkrankheit des Christentums. Sie verlangt nach einer Therapie, die nicht nur auf die Selbstheilungskräfte des eigenen Körpers, der Kirche, setzt, sondern auch Hilfe von außen annehmen muss.
Besonders prekär ist das Verhältnis zu den Juden. Es fällt dem Christentum ungeheuer schwer, zu akzeptieren, dass die große Mehrheit des Volkes, aus dem doch Jesus stammt, Nein zu ihm als Messias sagt. Paulus hat zwar bereits erkannt, dass es bei den Glaubensunterschieden bleiben wird, solange die Zeit währt, und dass erst Gott selbst alles zum Guten wird wenden können (vgl. Röm 11). Aber die mittelalterlichen Judenpogrome mit dem Vorwurf des Hostienfrevels und die brutale Rhetorik Martin Luthers, der Synagogen brennen sehen wollte (vgl. Thomas Kaufmann, „Luthers Juden“, Stuttgart 2014), zeigen Abgründe eines heiligen Eifers, der katholischerseits durch die Ehrfurcht vor dem Sakrament, evangelischerseits durch das Prinzip „Allein der Glaube“ (sola fide) angestachelt worden ist, aber jedes Maß verloren hat - auch den Bezug zum Letzten Abendmahl und zur Glaubensverkündigung Jesu selbst. Nach dem Schock der Schoa hat eine Neubesinnung eingesetzt, die anerkennt, dass die Juden - mit den Augen des christlichen Glaubens betrachtet - von Gott offensichtlich eine andere Aufgabe als die Christen erhalten haben, eine „eigene Sendung“, wie es Joseph Ratzinger formuliert hat.
Erst im Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich die katholische Kirche dazu durchgerungen, in der Erklärung „Nostra Aetate“ über das Verhältnis zu anderen Religionen das bleibende theologische Recht des Judentums anzuerkennen. In dem Dekret über die Einheit der Kirche „Unitatis redintegratio“ wird darüber hinaus die Kirchlichkeit der nichtkatholischen Christengemeinschaften gewürdigt. Und in der pastoralen Konstitution „Gaudium et spes“ über die Kirche in der Welt von heute wird auch der säkularen Welt ein positiver Sinn zugestanden. Aber die Texte sind umstritten bis heute. Bedeuten sie einen Bruch mit der Tradition? Oder sind sie eine echte Reform: eine Rückkehr zum Ursprung und ein Aufbruch in eine bessere Zukunft?
Saulus, Paulus, Friedensapostel
Der Blick muss sich auf die Anfänge richten, wenn die Antwort Bestand haben soll. Eine Schlüsselfigur ist der Apostel Paulus. Erstens ist er vor seiner Bekehrung geradezu das Paradebeispiel eines religiös motivierten Fanatikers, der die höchsten Motive für seine Aggressionen geltend macht, die in diesem Fall den ersten Christen galten. Zweitens ist er nach seiner Berufung der große Missionsstratege des Urchristentums, der wie kein zweiter die weltweite Mission vorangetrieben hat. Wie hat Paulus seine eigene Gewaltverherrlichung und wie hat er seine Aufgabe als Diener Jesu Christi gesehen?
Paulus setzt sich eingehend mit seiner blutigen Vergangenheit auseinander. In seinen Briefen sagt er sich von jeder Gewalt los. Er macht nicht den Fehler, dem „Gesetz“, das er verteidigen wollte, oder dem Judentum, dem er sich zugehörig weiß, die Verantwortung in die Schuhe zu schieben. Er sucht die Schuld bei sich selbst. Er sei in seinem Eifer maßlos gewesen (Gal 1,15f); er habe das Gesetz benutzt, um seine eigene Gerechtigkeit vor Gott aufzurichten (Phil 3,9). Die Christenverfolgung hat er als den großen Fehler seines Lebens erkannt.
Und danach? Man kann Paulus vieles vorwerfen, aber kaum, dass er mit Feuer und Schwert das Evangelium verbreitet hätte. Das Gegenteil war der Fall: Paulus ist ein Friedensapostel. Er hat niemanden umgebracht, sondern selbst ungeheure Gewalt am eigenen Leibe erfahren - am Ende sogar das Martyrium erlitten. Wie ist es zu diesem Wandel gekommen?
Die Antwort rührt an den Nerv der paulinischen Gotteserfahrung: Der Gekreuzigte, der im Namen Gottes den schändlichsten, grässlichsten, grausamsten Tod erlitten hat, ist kein Gotteslästerer, der seine verdiente Strafe bekommen hat, sondern ein unschuldiges Opfer, Gottes ureigener Sohn, vom Vater gesandt, um durch Hingabe das Böse gerade dort zu besiegen, wo es sich austobt - in einer Gewalt, die religiös begründet und überhöht wird.
Dieser Blickwechsel ist revolutionär. Er führt zu einer durchgreifenden Humanisierung der Religiosität. Die große Intuition der Religionen besteht darin, dass Gott nicht in den Dingen dieser Welt aufgeht. Deshalb versuchen die meisten Gottgläubigen, Gott und das Leid so weit wie möglich auseinanderzuhalten. Das Christentum geht mit Jesus den umgekehrten Weg. Paulus hat es auf den Begriff gebracht: Gott zeigt sich im entstellten Antlitz des Opfers. Er trägt die Wunden des Gefolterten. Er teilt die Schmerzen der Verwundeten. In der Herzkammer der christlichen Erlösungshoffnung schlummert nicht der Traum, Hass und Gewalt seien nur ein Missverständnis. Der Puls des Glaubens schlägt dort, wo das Wissen erwacht, dass Gott seine Feinde liebt (vgl. Röm 5,5ff). Deshalb zielt die christliche Hoffnung nicht nur darauf, das eigene Leben und das der geliebten Anderen zu retten. Sie wagt es, von der Teilhabe aller am Leben Gottes selbst zu reden. Deshalb suchen Christen die Spuren Gottes auch in der Natur, in der Kunst, in der Wissenschaft, in den Lebensplänen der Menschen, die den eigenen Glauben nicht teilen. Paulus hat sich auf den Areopag in Athen getraut. Er hat sich in Ephesus einen Hörsaal gemietet, um das offene Gespräch über Vernunft und Glaube, Gott und Welt zu führen. Er hat auf Bildung gesetzt. Er hat mit Schriftgelehrten und Atheisten, mit Politikern und Priestern, mit Philosophen und mit ungebildeten Leuten gesprochen: über Gott. Das hat Eindruck gemacht; denn viele haben verstanden, dass Paulus über Gott spricht, weil er mit Gott - und Gott mit ihm - spricht.
Im Herzen des christlichen Glaubens, wie Paulus es schlagen hört, wird Gewalt weder verherrlicht noch verleugnet. Sie wird erlitten und verwunden. Das ist die Geschichte Jesu von Nazaret, eingezeichnet in die Hoffnungsgeschichte Israels. Aus diesem Grund hat es, Gott sei Dank, nie nur christliche Gotteskrieger, sondern immer auch christliche Friedensapostel gegeben, nicht nur die Segnung von Waffen, sondern immer auch die Kritik an der religiösen Gewalt, die Friedensarbeit, die Heilung der Erinnerung.
Hoffnung über die Welt hinaus
Ohne Religion versiegt eine starke Motivationsquelle, Frieden zu stiften. Es fehlt auch an einer Idee, dass es mehr geben kann und muss, als Menschen erleiden und erfahren können - unendlich mehr. Wer eine so große Hoffnung hat, wie Jesus Christus sie macht, steht allerdings in der Gefahr, alles zu tun, um sie nicht untergehen zu lassen. Dabei kann er selbst zum Übeltäter werden. Aber die Liebe Gottes ist größer als der eigene Furor. Die Rettung, von der das Evangelium spricht, ist nicht exklusiv, sondern positiv an den Glauben gebunden: Wer das Glück - oder die Gnade - hat, glauben zu können, genießt das Privileg, jetzt schon hoffen zu dürfen, was Gott mit allen Menschen und seiner ganzen Schöpfung vorhat: sie zur Vollendung zu führen, zum ewigen Leben.
Freilich gilt auch: „Gott lässt seiner nicht spotten“ (vgl. Gal 6,7). Wenn eine so große Hoffnung angegriffen und verächtlich gemacht wird, muss man sie auch verteidigen dürfen. Deshalb geht Paulus mit seinen Gegnern hart ins Gericht. Er verteidigt das Evangelium. Er verteidigt sich selbst. Er verteidigt vor allem die Schwachen. Paulus nutzt alle Möglichkeiten der politischen Kultur, des römischen Rechts und der religiösen Zivilisation, um Druck abzubauen, Anklagen zu klären und Verleumdungen zurückzuweisen. Aber er kennt die Grenzen dieser Versuche - und er kennt den, der diese Grenzen, wie er glaubt, überschritten hat: „Die Schmähungen derer, die dich schmähen, haben mich getroffen“ (Röm 15,3). Dieses Zitat aus Psalm 69, das die Not eines verfolgten Gerechten ausruft, zitiert der Apostel als Wort Jesu selbst. Damit gibt er vor, wohin die Blasphemie geht: in die Arme Gottes selbst.
Das Opfer, blutig
Und die vielen Bibeltexte mit religiöser Gewalt? Sie sind nicht selten zur Legitimation politischer und kirchlicher Machtansprüche herangezogen worden. Aber sie haben die christliche Theologie auch herausgefordert, eine Lösung zu suchen, die sie mit Jesus Christus verbindet, dem Opfer, das die Gewalt durch Leiden, Tod und Auferstehung überwindet. Die historisch-kritische Exegese hat jene bluttriefenden Seiten von Jesus abzutrennen versucht und in die Zeit ihrer Entstehung verbannt, wo sie keinen Schaden mehr anrichten können. Die Theologie der Kirchenväter hat sie von Jesus her gedeutet und als Bilder eines inneren Kampfes gesehen, den jeder Mensch gegen das Böse im eigenen Herzen gewinnen muss. Heute kann die Bibelwissenschaft neue Zugänge eröffnen, weil sie das Ganze der biblischen Erzählung in den Blick nimmt und deshalb dramatische Glaubensgeschichten nacherzählt: Die Tötung der ägyptischen Erstgeburt? Rituell entschärft in der Schlachtung des Paschalammes. Die Vernichtungsweihen? Sakralisiert und damit zivilisiert im Tempelkult. Das Opfer unschuldiger Tiere? Ein für alle Mal aufgehoben im Kreuzestod Jesu. Der Berserker Elija, der tausende Baalspropheten ermordet? Selbst verfolgt, bis er Gott im „sanften Säuseln“ (Martin Buber) erfährt und in den Himmel aufgenommen wird, um wiederzukommen, es besser zu machen.
Diese Geschichten sind es, die alt- wie die neutestamentlichen, an denen die Glaubwürdigkeit der Bibel hängt. Es ist die Aufgabe der Theologie, diese Zusammenhänge aufzuzeigen - bis zur letzten Konsequenz, die Menschen erkennen können: Es gibt kein Heil ohne Gericht, weil sonst der Zynismus triumphierte. Deshalb gibt es Heulen und Zähneknirschen. Aber es gibt das Gericht um des Heiles willen, weil sonst der Tod das letzte Wort hätte. Deshalb strahlen die Gerechten, deshalb werden die Armen seliggepriesen.
Es ist gerade die Neuzeit, von vielen frommen Geistern allzu gerne als Wüste des Glaubens beschrieben, in der diese Dramatik und diese Weite neu zu entdecken sind: weil die Welt größer und bunter geworden ist. Das säkulare Zeitalter, vom Religionsphilosophen Charles Taylor beschrieben, hat seine dunkelsten Stunden durch Religionen ohne Gott erlebt, durch ebenso menschenverachtende wie menschenverherrlichende Ideologien. Es hat mit den Gottesreligionen, gegen sie und ohne sie Zivilisationsleistungen ohnegleichen erbracht. Braucht es die Stimme des Glaubens noch? Wer die Frage verneint, schneidet nicht nur die Verbindung zwischen Glaube und Vernunft sowie zwischen Gehirn und Geist ab, wie dies der Berliner Philosoph Volker Gerhardt in seinem neuen Buch „Der Sinn des Sinns, Versuch über das Göttliche“ (vgl. Rezension in CIG Nr. 41/2014) erläutert. Wer die Religion verleugnet, verleugnet auch die Hoffnung für alle, denen bei allem Einsatz in dieser Welt nicht zu helfen war und nicht zu helfen sein wird.
Die Religionen müssen ihr Verhältnis zur Moderne klären - und die Moderne muss ihr Verhältnis zur Religion klären. „Charlie Hebdo“ muss verteidigt werden um der Pressefreiheit willen. Aber die Medien müssen sich die Freiheit nehmen, die Religion nicht nur zu karikieren, sondern auch zu charakterisieren, informiert und interessiert, fair und kritisch.
„Ich bin Christ“. Wer dieses Bekenntnis teilt, weiß, wie jede heilige Messe beginnt: mit dem Bekenntnis der eigenen Schuld. Wer sich mit der Bibel und mit ihrer Geschichte beschäftigt, die in der Kirche als Wort Gottes verkündet wird, kann durch Hören und Lesen lernen, wie religiöse Gewalt entstehen - und wie sie überwunden werden kann. Deshalb ist das Schuldbekenntnis die Kehrseite des Glaubensbekenntnisses: „Ich bin Christ“. Weil ich Christ bin, weiß ich, dass ich in einer Welt lebe, die kein Gottesstaat sein soll, aber auch keine Welt ohne Gott ist. Die Religion, das Bekenntnis aus dem öffentlichen Gespräch, aus der Schule, aus der Universität zu verbannen, ist die Ausgeburt eines Laizismus, der selbst längst zur Ideologie geworden ist. Die Religion nicht der öffentlichen Kritik, nicht den Fragen der Schülerinnen und Schüler, der Studentinnen und Studenten zu stellen, ist das Hirngespinst eines Fundamentalismus, der längst seine Glaubenskraft verloren hat.