Wenn ein Papst aus Südamerika die „besserwisserischen“ Yankees in Nordamerika besucht, hat das seinen besonderen Reiz. Erst recht, wenn er über Kuba, den direkt vor der „Haustür“ liegenden Erzfeind der Vereinigten Staaten, einreist. Franziskus I. hatte als Start für seine gut einwöchige Reise in die Neue Welt die Karibik gewählt, den vielleicht kleinsten Schauplatz der „Weltrevolution“, für die einen Symbol des Kalten Krieges in der westlichen Hemisphäre, für die anderen die davidische Speerspitze der Unterdrückten gegen den allmächtigen Goliath US-Kapitalismus. Nachdem es der vatikanischen Diplomatie gelungen ist, in der mehr als ein halbes Jahrhundert andauernden Eiszeit zwischen Washington und Havanna zumindest eine Frostabschwächung zu bewirken, wollte Franziskus I. mit seiner Anwesenheit vor Ort nun zu Weiterem ermutigen. Ob ein nachhaltiges Tauwetter einsetzt, ist noch nicht sicher. Es wird vom künftigen US-Präsidenten sowie - irgendwann - von den Castro-Nachfolgern abhängen.
Um die Bemühungen nicht zu gefährden, vor allem die Altkommunisten und ihre Mitläufer-Nutznießer auf Kuba nicht zu provozieren, blieb dem Bischof aus Rom nichts anderes übrig, als in der Öffentlichkeit verklausuliert zu sprechen. So erklärte der Papst bei der sonntäglichen Eucharistiefeier auf dem „Platz der Revolution“ vor der großen Kopf-Silhouette des Revolutionärs Ernesto Che Guevara und der des anderen „Revolutionärs“ Christus: „Weit entfernt von jedem Elitedenken umfasst der Horizont Jesu nicht nur einige wenige Privilegierte, die fähig sind zur ‚ersehnten Erkenntnis‘ oder zu verschiedenen Ebenen von Spiritualität.“ Wer groß sein will, soll den anderen dienen „und nicht sich der anderen bedienen“. Mancher missbrauche seinen Dienst für die Gesellschaft, um im Namen des Allgemeinwohls die eigenen Leute zu begünstigen.
Am Nationalheiligtum der Barmherzigen Jungfrau von Cobre in Santiago würdigte der Papst die Familien, die in der Zeit des staatlich verordneten Atheismus den Glauben wachgehalten und trotz aller Bedrängnis an die Kinder und Kindeskinder weitergegeben haben. „Sie hielten einen Spalt offen, so klein wie ein Senfkorn, durch den der Heilige Geist weiter das pulsierende Leben seines Volkes begleitete.“ An dem Wallfahrtsort griff Franziskus I. sein Lieblingsthema auf: an die Ränder gehen. „Wie Maria wollen wir eine Kirche sein, die aufbricht, die aus ihren Kirchen, aus ihren Sakristeien herausgeht, um das Leben zu begleiten, die Hoffnung zu unterstützen und ein Zeichen der Einheit zu sein.“
Werbefeldzug für Barmherzigkeit
Nahezu alle journalistischen Beobachter haben darauf hingewiesen, dass zwar annähernd sechzig Prozent der Kubaner getauft sind, aber nur ein winziger Bruchteil den christlichen Glauben praktiziert. Dennoch vermied der Papst religiöse Schelte. Er blieb seiner Sendung als „Missionar der Barmherzigkeit“ treu. Die Kirche solle arm und bescheiden die Botschaft Jesu beherzigen, die alle Menschen erreichen und niemanden verstoßen will. Die Ordensleute rief Franziskus I. auf, Barmherzigkeit auch im Beichtstuhl zu üben. Dort begegne man dem Menschen, der sein Elend zeigt, „das Elend, das wir alle haben“. Betont volkstümlich wandte sich der Papst an die Kleriker: „Schimpft ihn nicht aus, bestraft ihn nicht!“
Wie viele Menschen gehen aber überhaupt noch in den Beichtstuhl? Diese Frage scheint den Oberhirten „vom anderen Ende der Welt“ auf seinem Werbefeldzug für Barmherzigkeit, Milde und Gelassenheit nicht sehr zu kümmern. So wie er auch nicht auf die Kritik kubanischer Dissidenten reagierte, dass er mit den Machthabern zu sanft umgegangen sei. Auch die „Neue Zürcher Zeitung“ zeigte sich verwundert: „Dass sich der bei anderen Gelegenheiten angriffigen Klartext sprechende Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der in seiner Heimat unter einer Militärdiktatur gelebt hat, in Kuba so vorsichtig äußert, überrascht nicht nur Kritiker des Castro-Regimes. Selbst seine Vorgänger hielten sich bei ihren Besuchen weniger zurück, wenn auch sie ein Treffen mit der Opposition vermieden.“
Dass der Papst Staatschef Raúl Castro nicht brüskierte und zu einem - wie es hieß - „familiären“ Gespräch dessen Bruder und Amtsvorgänger Fidel traf, um mit ihm über - wie verlautete - Gott und die Welt und den Tod zu reden, diente sicher dazu, das politische Klima auch zugunsten der Kirche zu verbessern. Der jetzige Papst denkt da weniger grundsätzlich, vielmehr pragmatisch: Die katholische Kirche Kubas will „ihre privilegierte Stellung als einzige Organisation außerhalb des Geflechts von Partei und Staat, die vom Regime als offizielle Gesprächspartnerin akzeptiert wird, nicht aufs Spiel setzen“, mutmaßt die „Neue Zürcher Zeitung“. Auf allzu starken Beinen stehe die katholische Kirche dabei jedoch nicht.
Franziskus folgt Fidel?
Die Atmosphäre zwischen Staat und Kirche sollte vor den Kameras der globalen Nachrichtennetzwerke freundlich erscheinen. Daher waren Parteimitglieder und Betriebsgruppen von der kommunistischen Führung energisch aufgefordert worden, zur Eucharistiefeier auf den Revolutionsplatz in Havanna zu kommen, um die Reihen zu füllen. Eine Prominente ließ sich nicht abkommandieren: die Tochter des - wie der Papst - aus Argentinien stammenden Che Guevara, Aleida Guevara March. Die Kinderärztin und Leiterin des Zentrums für Che-Guevara-Studien erklärte gegenüber Journalisten, sie sei Atheistin. Und sie habe ein kritisches Verhältnis zur Kirche, weil diese sich während der Diktatur in Buenos Aires auf die Seite der Militärs gestellt habe.
Wie erwartet nutzten die Machthaber jede Gelegenheit, um ihre Propaganda abzuspulen und den Papst zu vereinnahmen. Raúl Castro betonte bereits bei der Ankunft des Gastes, dass dieser mit seiner vielfach wiederholten Kapitalismuskritik und seinem Kampf gegen die Armut lediglich das entdeckt habe, was der Bruder Fidel Castro und dessen Mitkämpfer bereits vor mehr als fünfzig Jahren gefordert hätten. Eindeutig stehe dieser Papst auf der Seite der Revolution. Bei diesen Worten habe der Papst einen missmutigen Gesichtsausdruck aufgelegt, berichteten Dabeistehende, und die Fotos scheinen es zu bestätigen.
Zur Missachtung der Menschenrechte äußerte sich Papst Franziskus öffentlich nicht. Was er in den „privaten“ Begegnungen mit der Staatsführung ansprach, ist nicht bekannt. Das Parteiorgan „Granma“ berichtete intensiv über den Papstaufenthalt und erklärte, dass die Unterredungen zwischen der Vatikan-Delegation und Vertretern der Regierung in guter und vertrauensvoller Atmosphäre verlaufen seien. Weniger versöhnlich reagierte die während des Papstbesuchs mit zeitweiligen Verhaftungen drangsalierte Opposition. Der Dissident José Daniel Ferrer kritisierte: „Dieser Papst ist selbst in seinen besten Momenten viel zu halbherzig, doppeldeutig und wenig direkt gewesen.“ Anders urteilte das gleichfalls regimekritische Portal „Diario de Cuba“: „Wir haben festgestellt, dass es auf der Insel immer noch junge Menschen gibt, die glauben, dass ein anderes, besseres Kuba möglich ist, und die keine Angst haben, dies auch auszudrücken.“ Diese Leute hat Papst Franziskus ermutigt, indem er auf eine Initiative seiner Heimat verwies: In Buenos Aires hätten jüdische, christliche und kommunistische Studenten gemeinsam ein Jugendzentrum gebaut. Dies zeige, dass es möglich sei, über geistige Grenzen hinweg soziale Freundschaften zu schließen. „Wer nicht fähig ist zu träumen, der ist nicht jung“, so der Papst.
Einst waren wir selber Fremde
Wo Freiheit herrscht, ist das freie Wort nicht zu fürchten. Das weiß der Papst so gut wie jeder freie Bürger. Daher fühlte er sich in den Vereinigten Staaten freier als auf Kuba, seine inzwischen weit verbreiteten sozialmoralischen Appelle vor höchsten politischen Instanzen nochmals zu Gehör zu bringen in der Hoffnung, als globaler Oberhirte einer globalen religiösen Gemeinschaft auch säkular Verbindlichkeit ausstrahlen zu können. Auch auf dem Boden der Großmacht USA bevorzugte es Franziskus I., zu ermutigen statt zu tadeln. Indirekt erinnerte er an die unter John F. Kennedy geborene Idee einer „Allianz für den Fortschritt“ zwischen Nord- und Südamerika, nun ausgeweitet auf alle Weltregionen. Vor dem US-Kongress erklärte der Pontifex seine Mission und die der Politik so: „Es ist meine Pflicht, Brücken zu bauen und allen Menschen zu helfen, auf jede mögliche Weise dasselbe zu tun… Ein guter politischer Leader ist, wer im Gedenken an die Interessen aller die Gunst der Stunde zu nutzen weiß, in einem Geist der Offenheit und des Pragmatismus. Ein guter politischer Leader entscheidet sich immer dafür, Prozesse in Gang zu setzen, anstatt Räume zu besetzen.“ Die Politik solle erkennen, „dass sie nicht Sklave von Wirtschaft und Finanzwesen sein kann“.
Vom Waffenhandel über Todesstrafe, Umweltverschmutzung, Verletzung von Religionsfreiheit bis zur Flüchtlingsproblematik zog der Papst eine Linie über viele akute Konfliktfelder. Dabei spiegelte er persönliche Erfahrungen hinein in historische Sensibilitäten der amerikanischen Seele: „Hier denke ich auch an den Marsch, den Martin Luther King vor fünfzig Jahren von Selma nach Montgomery anführte als Teil der Kampagne, um seinen ‚Traum‘ von den vollen bürgerlichen und politischen Rechten für Afroamerikaner zu verwirklichen - ein Traum, der immer noch in unseren Herzen nachklingt. Ich freue mich, dass Amerika weiterhin für viele ein Land der ‚Träume‘ ist. Träume, die zum Handeln führen, zur Beteiligung, zum Engagement. Träume, die das Tiefste und Wahrste im Leben eines Volkes erwecken.“ Und dann sprach Franziskus I. von seiner eigenen Herkunft und dem einst so großen Traum der Neuen Welt, der viele Einwandernde beflügelte: „In den letzten Jahrhunderten sind Millionen Menschen in dieses Land gekommen, um ihren Traum vom Aufbau einer Zukunft in Freiheit zu verfolgen. Wir, die Menschen dieses Kontinents, haben keine Angst vor Fremden, denn die meisten von uns sind einst selber Fremde gewesen. Ich sage Ihnen das als Sohn von Einwanderern, da ich weiß, dass viele von Ihnen ebenfalls von Einwanderern abstammen.“ Mit Blick auf das weltweite Flüchtlingselend bezog sich der Papst auf die Goldene Regel: „Behandeln wir die anderen mit derselben Hingabe und demselben Mitgefühl, mit dem wir behandelt werden möchten.“
Nicht überall stieß diese Sicht, die Franziskus mit Barack Obama teilt, auf Wohlwollen, zumal er die kontroversen Themen wie die verfassungsmäßige Anerkennung homosexueller „Ehen“ oder die freizügige Abtreibungsregelung weitgehend mied oder allenfalls sachte andeutete. Franziskus als Mensch hat die Amerikaner insgesamt jedenfalls stärker beeindruckt als der Papst als Amtsträger. Obama sagte das sogar öffentlich: „Ich glaube, die Begeisterung über Ihren Besuch ist nicht nur Ihrer Rolle als Papst zuzuschreiben, sondern Ihren einzigartigen Eigenschaften als Person.“ In der Einfachheit und Freundlichkeit seiner Gestalt zeige sich „ein lebendes Beispiel der Lehren Jesu“.
Der „Stellvertreter Christi auf Erden“ aus Argentinien möchte offenbar weniger institutionell oder lehrmäßig denn lebenspraktisch als „Stellvertreter“ in Erscheinung treten. Dazu gehören Symbolhandlungen wie das Treffen mit Obdachlosen unmittelbar nach der Rede im Kongress. Die „Washington Post“ stellte fest, Franziskus habe mit dem nahtlosen Übergang von der Machtelite zu den Armen einen „provokativen Kontrast“ geschaffen.
Klimakanzlerin und Klimapapst
In New York hat Papst Franziskus die Gipfelkonferenz der Vereinten Nationen über die neuen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (vgl. CIG Nr. 35 und in dieser Ausgabe S. 446) eröffnet, was der Generaldebatte zur siebzigsten Vollversammlung der Uno vorgeschaltet war. Vor 150 Staatsmännern und Regierungschefs, darunter die deutsche Klimakanzlerin Angela Merkel, sprach Franziskus I. streckenweise als Klimapapst, indem er vielfach auf seine Umwelt-Enzyklika Bezug nahm. Doch versuchte er vor dem säkularen Gremium eine klimatische Horizonterweiterung, indem er den Öko-„Regenbogen“ auf ein religiöses Fundament setzte: „Gemeinsam mit anderen monotheistischen Religionen glauben wir Christen, dass das Universum aus einer Entscheidung der Liebe des Schöpfers hervorgegangen ist, der dem Menschen erlaubt, sich respektvoll der Schöpfung zu bedienen zum Wohl seiner Mitmenschen und zur Ehre des Schöpfers. Er darf sie nicht missbrauchen, und noch viel weniger ist er berechtigt, sie zu zerstören. Für alle religiösen Überzeugungen ist die Umwelt ein grundlegendes Gut.“ Franziskus I. wiederholte Äußerungen von Papst Paul VI., dass „das Gebäude der modernen Zivilisation“ auf „geistigen Prinzipen“ errichtet werden muss, „den einzigen, die nicht nur fähig sind, es zu stützen, sondern auch es zu erleuchten“.
Das „gemeinsame Haus aller Menschen“ gründe auf „der universalen Brüderlichkeit und der Achtung der Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens… - jedes Mannes und jeder Frau; der Armen, der Alten, der Kinder, der Kranken, der Ungeborenen, der Arbeitslosen, der Verlassenen und derer, die man meint ‚wegwerfen‘ zu können, weil man sie nur als Nummern der einen oder anderen Statistik betrachtet.“ Jene Achtung erfordere „eine höhere Stufe der Weisheit, welche die Transzendenz akzeptiert, auf die Bildung einer allmächtigen Elite verzichtet und begreift, dass der vollkommene Sinn des einzelnen wie des kollektiven Lebens im selbstlosen Dienst an den anderen und in der klugen und respektvollen Nutzung der Schöpfung für das Gemeinwohl liegt.“
Wegwerfware Mensch?
Der Papst wünscht sich Reformen im internationalen Finanzsystem, bei den obersten Finanzregulierungsbehörden, also dem Internationalen Währungsfonds sowie der Weltbank, und beim Weltsicherheitsrat. Es müsse darum gehen, „alle Art von Missbrauch oder Zinswucher besonders gegenüber den Entwicklungsländern zu begrenzen“, um Armut wirksam zu bekämpfen. Vor der Uno-Versammlung kritisierte der Papst deutlicher, ohne einzelne Staaten oder Regierungen anzuklagen, politische und militärische Interventionen, die nicht unter den Mitgliedern der Staatengemeinschaft abgestimmt sind und üble Folgen haben. Ohne den Dschihadismus beim Namen zu nennen, verwies Franziskus I. auf die Weltregionen des Nahen und Mittleren Ostens: „Dort sind Christen gemeinsam mit anderen kulturellen und ethnischen Gruppen und sogar gemeinsam mit jenem Teil der Mitglieder der Mehrheitsreligion, die sich nicht in Hass und Wahnsinn verwickeln lassen wollen, gezwungenermaßen Zeugen der Zerstörung ihrer Kultstätten, ihres kulturellen und religiösen Erbes, ihrer Häuser und ihrer Habe geworden; sie wurden vor die Wahl gestellt, zu fliehen oder ihr Festhalten am Guten und am Frieden mit dem Leben oder der Sklaverei zu bezahlen.“ Alle, die „für die Lenkung der internationalen Angelegenheiten zuständig sind“, sollten ihr Gewissen erforschen.
Papst Franziskus versteht sich getreu seinem Namensgeber als Papst der Armen, Ausgeschlossenen, Geringen, Verachteten, Schwachen, Leidenden, der „Nichtse“, jener, die - so deutet er es - wie Wegwerfware der Menschheit betrachtet und behandelt werden. Dagegen begehrt Franziskus I. auf, mild im Ton, manchmal umständlich in der Wortwahl, aber entschieden in der Haltung. Ist dieser Papst ein „Linker“? Eher ein Fundamentaler, zugleich ein Anti-Fundamentalist. Franziskus I. will als Caritaspapst wirken, der als Stellvertreter der Vielen, die Erbarmen nötig haben, um Erbarmen fleht: Erbarmen mit den „Minderwertigen“, mit den Flüchtlingen, mit der Natur, mit den Sündern, ja selbst mit den Mördern. Anders als seine beiden Vorgänger rückt er neben dem sozialen Erbarmen auch das religiös-kirchliche Erbarmen für jene in den Vordergrund, die als Glaubende gegenüber der Lehre der eigenen Glaubensgemeinschaft versagt haben.
Wer träumt mit Gott?
Nur ein Problem scheint ihn in seiner betont volkstümlichen, volksreligiösen und volkskirchlichen Haltung, die er in argentinischen Verhältnissen entwickelt hat, nicht so sehr zu berühren: der Glaubensverlust als Folge eines kirchlichen Antimodernismus, der allzu lange meinte, die Erkenntnisse von Aufklärung und Entmythologisierung beim Glaubensverständnis, in der Gottesfrage ignorieren zu können. Dem Caritaspapst von der Südspitze der Neuen Welt scheint diese mitten in der Alten Welt zuerst dynamisierte Perspektive der neuzeitlichen Philosophie wie der modernen Naturwissenschaften und der zeitgenössischen Künste innerlich fremd zu sein.
Beim abschließenden Besuch des katholischen Weltfamilientreffens in Philadelphia hat Franziskus I. wie so oft sein Redemanuskript beiseitegelegt und improvisiert. In einer Passage des vorbereiteten Textes wird jedoch manches von seiner Spiritualität deutlich, die auch jenseits der weltweit bröckelnden volkskatholischen Milieus Gefühle freisetzt. Franziskus I. spricht da vom Traum Gottes, von einem Gott, der nicht für sich allein träumt. „Der Traum Gottes wird fortwährend wahr in den Träumen vieler Paare, die sich entschließen, ihr Leben als Familie zu gestalten. Daher ist die Familie das lebendige Zeichen des liebevollen Plans, den der himmlische Vater sich einst erträumte. Der Wunsch, eine Familie zu gründen, ist der Entschluss, ein Teil von Gottes Traum zu sein; der Entschluss, mit ihm zu träumen; der Entschluss, mit ihm aufzubauen; der Entschluss, sich gemeinsam mit ihm in dieses Abenteuer zu stürzen, eine Welt aufzubauen, wo keiner sich allein fühlt, wo keiner sich überflüssig vorkommt oder meint, für ihn sei kein Platz vorhanden.“
Gibt es ein Erbarmen des - einsamen - Menschen auch für den - einsamen - Gott? Gibt es auch für diesen noch einen Platz im Leben?
Die Reden von Papst Franziskus I. mögen, zumal wenn er den volkstümlich plaudernden Tonfall bevorzugt, keine intellektuellen rhetorischen Glanzstücke sein. Aber sie sind ehrlich, echt. Sie sprechen Seelenschichten an zwischen dem Kältestrom der Wirklichkeit und dem Wärmestrom der Sehnsucht. Sozialappelle verrauschen wie der Wind. Diplomatische Realutopien haben oft nur eine sehr kurze Halbwertszeit. Papstreisen werden schnell wieder vergessen. Was nachhallt und nachfärbt ist die Klangfarbe der Barmherzigkeit, des Mitleids, der Ermutigung, der Hoffnung. Papst Franziskus versteht sich darauf. Seine „Botschaft“: „Wir wollen mehr Träume wagen!“ Menschen guten Willens mit Realitätssinn berührt das selbst in ernüchterten Zeiten - ob in New York, Havanna, Rom oder ganz woanders.