August 2016: die erste Runde im DFB-Pokal zwischen Dynamo Dresden und „Red-Bull“-Leipzig. Ein Hochrisikospiel. Der von einem österreichischen Getränkekonzern finanzierte Leipziger Club ist für viele Fans der negative Inbegriff für die kommerzielle Vermarktung des Sports. Neben zahlreichen schmähenden Transparenten in der Dynamo-Fankurve kam es bei diesem Spiel zu einem makaberen Zwischenfall. Ein abgetrennter Stierschädel wurde von einer Dresdner Zuschauertribüne auf das Spielfeld geworfen - ein Ausdruck des Hasses auf die „Bullen“.
Wo fängt Feindschaft an? Das Fußballspiel mag ein banales Beispiel sein. Es zeigt aber, wie sich Feindbilder einnisten, ohne dass ein konkreter Konflikt oder Gewalt im Vorfeld eine Rolle gespielt haben. In vielen Bereichen begegnen uns ähnliche Phänomene. Pauschalverurteilungen von Andersdenkenden, Hass gegenüber Minderheiten werden getwittert, geteilt und gepostet.
Wer gegen wen? Das ist nicht nur im Sport die Frage. Das gilt auch für Medien, Politik und Wirtschaft. Gesellschaften werden konstruiert nach dem Muster: Wo sind meine Feinde? Von wem grenzen wir uns ab? Es zeugt nicht von Stärke, anderen Menschen von vornherein mit Abwertung und Verdacht zu begegnen oder alle, die sich nicht angleichen und unterwerfen, ins Lager der Feinde zu verweisen. Alles, was im Gegensatz zum Eigenen, zum Nahen und Gewohnten steht, ist dann nicht geheuer und wird als Bedrohung erfahren. Sozialphilosophisch hat Hans Magnus Enzensberger festgehalten, dass der Konflikt mit dem Nachbarn der Fremdenfeindlichkeit vorausgeht.
Feindbilder stehen am Anfang von Feindseligkeit und Gewalt, wenngleich sie auch nicht alleinige Ursache sind. Sie dienen häufig als Legitimation für Handlungen, die unter normalen Umständen als nicht angebracht oder unmoralisch angesehen werden. Feindbilder signalisieren das Muster: Ich bin bedroht, der Feind will mir Böses - also habe ich ein Recht auf eine vorbeugende Verteidigung. Diese Feindbilder können sich krankhaft steigern, das Stichwort lautet Verfolgungsängste. Das Feindbild kann auch das eigene sein, Stichwort Selbsthass.
Die rechte, die linke Wange
Ist die Botschaft Jesu von der Feindesliebe demgegenüber nicht naiv, ja sogar gefährlich für die Sicherheit und den Frieden? Kann man das Wort Jesu: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere Wange hin“, auf die Realpolitik übertragen? Oder ist es schlicht und einfach weltfremd, wie es ein Siebzehnjähriger in einer religionspädagogischen Studie geschrieben hat: „Ich fand den Religionsunterricht in der Grundschule noch witzig. Altes Testament, Gott lässt wieder mal Rauch rein, Schlachten und Geschichten, das war interessant. Dann kam Jesus, und plötzlich war alles wie im Blumen-Sonne-Lutscher-Land. Keine Gewalt, Nächstenliebe, wenn dir einer die Jacke klaut, gib ihm die Hose auch noch - ja, ja, ganz klasse“.
Wie ernst meinen wir es mit der Nachfolge Jesu? Zur Feindesliebe gehört die Abrüstung des Denkens und der Sprache. Da sollen Verfolgungsängste und Hassgefühle aufgearbeitet, Feindbilder abgebaut und Vorurteile hinterfragt werden. Jesus nachfolgen bedeutet gerade auch Gewalt überwinden. Ja, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt mit Feindesliebe zu durchbrechen, mutet wie ein Paradox an. Es führt uns an unsere menschlichen Grenzen und doch zu einem tiefen Bewusstsein, was Vergebung und Versöhnung wirklich bedeuten. Will ich dem anderen vergeben, oder will ich ihm sein verletzendes Verhalten weiterhin nachtragen? Möchte ich mich endlos im Kreisverkehr von Rache-Phantasien und Schuldzuweisungen drehen, oder will ich die Sache „gut sein oder werden“ lassen? Es braucht Kraft, Mut und Größe, um vergeben zu können, und umgekehrt stärkt Verzeihen zugleich das Selbstvertrauen und die Selbstverantwortung.
Feindesliebe ist keine Garantie dafür, „feindlos“, ja nicht einmal „feindbildlos“ zu sein, denn Feindesliebe lässt sich nicht auf einen moralischen Appell verkürzen. Sie ist und bleibt Herausforderung und Provokation - ein jesuanischer Stachel im christlichen Fleisch, wenn man so will. Die Provokation steht unter dem Vorzeichen der Verheißung Gottes: Dort, wo wir selbst nicht weiterkommen, ist Gott noch lange nicht am Ende. Er wird gewaltlos jede Feindschaft entgiften und „entfeinden“.