Es ist hocherfreulich, dass am 6. Februar 2017 der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, in Begleitung von Kardinal Reinhard Marx, dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Papst Franziskus in Rom einen offiziellen Besuch zum Reformationsjubiläum abgestattet hat. Der Papst sprach von „einer bereits versöhnten Verschiedenheit“. Er schätze, wie er sagte, die geistlichen und theologischen Gaben, die wir von der Reformation empfangen haben, und er wolle sich mit all seinen Kräften „darum bemühen, die noch bestehenden Hindernisse zu überwinden“.
Schon im September 2016 haben Bischof Bedford-Strohm und Kardinal Marx das Gemeinsame Wort „Erinnerung heilen - Jesus Christus bezeugen“ vorgestellt. Nach fünf Jahrhunderten der Abgrenzung und gegenseitigen Verwerfungen wollen die beiden großen Kirchen in Deutschland dieses Gedenken gemeinsam als „Christus-fest“ begehen. Am 11. März 2017 soll ein zentraler Buß- und Versöhnungsgottesdienst der deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD in Hildesheim als weiterer Kristallisationspunkt im Prozess der Erinnerung und der Heilung gefeiert werden.
Doch römische Absichtserklärungen und Vorschläge zur Buße und Versöhnung haben wir zu oft gehört. Wir ökumenisch engagierten Christen erwarten endlich Taten. Leider verschweigt das Gemeinsame Wort den Stillstand der Amtskirchen in entscheidenden Fragen und übergeht die praktizierte Ökumene, die in vielen evangelischen und katholischen Gemeinden und Gruppen schon lange gelebt wird. Für sie stellen die gegenseitige Anerkennung der Ämter und die eucharistische Gemeinschaft kein Problem mehr dar. Diesen Fortschritten hinken die Kirchenführer weit hinterher. Sie allein tragen die Verantwortung vor Gott und den Menschen, wenn sie mit der Beseitigung der „noch bestehenden Hindernisse“ nicht ernstmachen.
Für das Jubiläumsjahr 2017 sollten die Verantwortlichen die teils schon seit Jahrzehnten vorliegenden Ergebnisse der ökumenischen Dialogkommissionen konsequent in die Tat umsetzen. Für die katholische Kirche drängen sich auf: die Rehabilitation Martin Luthers, die Aufhebung aller Exkommunikationen aus der Reformationszeit, die Anerkennung der protestantischen und anglikanischen Ämter und die gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft.
Ungezählte Christen wünschen sich, dass diese Postulate von evangelischer Seite genauso freimütig und deutlich an die katholische Kirche herangetragen werden, freilich nicht ohne die gebotene Selbstkritik. Nur 500 Jahre Reformation feiern, ohne die Kirchenspaltung wirklich zu beenden, heißt, neue Schuld auf sich zu laden. Der Druck der Theologie und der kirchlichen Basis, der Gemeinden und vieler engagierter Frauen und Männer, möge helfen, dass die oft ängstlichen und zaudernden Kirchenleitungen in Rom und anderswo diese historische Gelegenheit nicht verpassen, sondern aufwachen. Sonst werden noch mehr Menschen sich von der Kirche abwenden, noch mehr Gemeinden und Gruppierungen zur Selbsthilfe greifen! In der globalisierten und säkularisierten Welt von heute wirkt das Christentum nur dann glaubwürdig, wenn es sich als Gemeinschaft in wahrhaft versöhnter Verschiedenheit darstellt.