Ist der sogenannte synodale Weg im Wesentlichen beendet, bevor er überhaupt begonnen hat? Jedenfalls hat der Vatikan mit seinem vehementen Widerspruch die allzu hehren Versprechungen der Veranstalter, der deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der Katholiken als Laienorganisation, mit seinem Veto gegen Kernabsichten zunichtegemacht. Kaum 36 Stunden nachdem die letzte Ausgabe des CIG mit dem Beitrag „Überrascht uns endlich!“ gedruckt war, wurde ein Schreiben des Präfekten der vatikanischen Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, an den Bischofskonferenz-Vorsitzenden, den Münchener Kardinal Reinhard Marx, bekannt, das aufgrund eines Gutachtens des päpstlichen Rats zur kirchenrechtlichen Auslegung von Gesetzestexten schwerste Einwände gegen das Vorhaben erhebt.
Die Hauptkritik lautet: Mit den geplanten Themenschwerpunkten „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“, „priesterliche Lebensform“, „Sexualmoral“ und „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ maße sich eine bloß regionale Veranstaltung einer „Teilkirche“ an, über Inhalte zu bestimmen, die weitgehend die Weltkirche betreffen. Die vatikanischen Gremien, die kaum ohne Zustimmung des Papstes in der Angelegenheit tätig geworden sind, sehen mit den deutschen Plänen faktisch eine Art Partikularkonzil organisiert, auch wenn es offiziell nicht als solches bezeichnet werde. Für eine derartige Institution müssten die Bischöfe jedoch den vom Kirchenrecht vorgesehenen Verfahrensweg beachten und insbesondere zuvor die ausdrückliche Zustimmung Roms einholen. „Die Bischofskonferenz kann den Beschlüssen keine rechtliche Wirksamkeit verleihen, zumal dies außerhalb ihrer Kompetenz liegt“, heißt es im Gutachten.
Besonders schwer wiegt im Urteil Roms, dass sogar Laien durch Abstimmungen Entscheidungsvollmachten erhalten sollen, die ihnen nicht zustehen: Die „Parität von Bischöfen und Laien kann kirchenrechtlich keinen Bestand haben“. Die Verantwortung der Bischöfe unterscheide sich von der Verantwortung der Priester und der Laien. Besonders scharf formuliert ist die Aussage: „Wie kann eine Versammlung einer Teilkirche über Themen der Weltkirche beschließen, und wie kann sich eine Bischofskonferenz von einer Versammlung dominieren lassen, von der die meisten Mitglieder keine Bischöfe sind?“
Der Bischof ist kein „Unterhirte“
Konkret bedeutet die erinnernde Intervention Roms: Laien dürfen zwar mitberaten, aber beschließen: Nein! Bischöfe dürfen – zumal als Bischofskonferenz – zwar beschließen, aber Entscheidendes entscheiden: Nein! Wie bei Weltbischofssynoden als bloß beratendem, nicht entscheidendem Gremium üblich darf an Rom, darf an den Papst allenfalls mit Voten und Vorschlägen zu bestimmten Anliegen unverbindlich herangetreten werden. Alles bleibt dabei letztendlich der obersten Kirchenleitung vorbehalten: ob sie Ja sagt oder Nein oder sich einer Entscheidung entzieht und alles beim Alten belässt. Allenfalls niederrangige Angelegenheiten des jeweiligen Bistums, die nicht die Weltkirche betreffen, kann demnach ein Bischof regeln. Und das, obwohl er nach katholischem Amtsverständnis eigentlich eine eigene Vollmacht in der ununterbrochenen Nachfolge der Apostel – Sukzession – hat. Was wäre, wenn angesichts eines immer schwerer wiegenden Priestermangels in besonders stark betroffenen Gebieten ein Bischof oder kollegial gleich mehrere Bischöfe beginnen würden, ähnlich wie in den mit Rom verbundenen katholischen Ostkirchen, aufgrund eigener Autorität und Vollmacht verheiratete Männer gültig gemäß katholischem Sakramentsverständnis zu Priestern zu weihen, um die Seelsorge aufrechtzuerhalten und den Christusglauben zu fördern? Warum fehlt bei anhaltender Weigerung Roms, da endlich Reformen zu beschließen, den betreffenden Oberhirten, die qua Amt keine „Unterhirten“ sind, der Mut, kraft eigenen apostolischen Amtes theologisch gut begründet zu handeln? Ganz ohne Laien-Mitmischen. Rom käme in Zugzwang. Und das wäre nicht das Schlechteste.
Hinsichtlich des beabsichtigten synodalen Wegs bedeutet die Intervention des Vatikan nun aber: „Verbindliche Beschlüsse“ dürfen nicht gefasst werden, sofern sie – und das betrifft fast alle angezielten Bereiche – die Weltkirche betreffen. Laut katholischem Verständnis sei die Kirche nicht demokratisch strukturiert, hält das Gutachten definitiv fest. Daher würden „Entscheidungen nach Mehrheit der Gläubigen“ verworfen. Synodalität, auf die sich Papst Franziskus oft beruft, sei „kein Synonym für Demokratie oder Mehrheitsentscheidungen, sondern verstehe sich als eine andere Art der Teilnahme an Entscheidungsprozessen“, wird eingewendet. Hören auf das Volk Gottes – ja, aber ebenso Hören auf den Papst. „Wie der Diözesanbischof alleiniger Gesetzgeber einer Diözesan- synode ist, obliegt es dem Papst, die Ergebnisse einer Bischofssynode vorzustellen.“ Ausdrücklich wird betont, dass sich ein „synodaler Vorgang … im Leib einer hierarchisch strukturierten Gemeinschaft vollziehen“ muss. Gemeint ist mit hierarchisch allerdings offensichtlich: monarchisch.
Ortskirche hilft Universalkirche
Synodaler Weg – was nun? Die Mitbestimmungsprozesse, wie sie zunächst vorgesehen waren, finden nicht die Zustimmung Roms. Entsprechend wurde von der Bischofskonferenz gleich vermerkt, dass sich Rom ja auf ein früheres Verfahrens-Statut beziehe, das bereits überholt sei, vor allem was die Mitbestimmungsrechte der Laien angeht. Kardinal Marx, der in diesen Tagen zu Gesprächen im Vatikan ist, soll sich mit deutlichen Worten in einem bis Redaktionsschluss nicht öffentlich gemachten Brief an Kardinal Ouellet gewandt haben. Rom habe aus allen zugeleiteten Protokollen wissen müssen, dass es sich beim synodalen Weg – was schon die Wortwahl zeigt – nicht um eine Synode, geschweige denn etwas Ähnliches wie ein Partikularkonzil handele. Vielmehr gehe es um einen Prozess eigener Art. Zudem würden mögliche Beschlussfassungen sich bloß an die Bischofskonferenz beziehungsweise die Bischöfe richten, die ihrerseits entscheiden müssten, wie sie angemessen damit umgehen. Bei universalkirchlichen Fragen würden die Vorschläge ohnehin dem Papst zur Kenntnisnahme so weitergeleitet, dass er nach eigenem Ermessen das Ganze beurteilen und eventuell weitere Schritte vorsehen kann.
Wie auch immer die jetzigen Beratungen ausgehen: Fast alles erinnert an die Kontroversen beim Kommunionstreit vor einem Jahr, als es bloß darum ging, ob und unter welchen Bedingungen der evangelische Partner in einer konfessionsverschiedenen Ehe die Kommunion empfangen darf. Und was eine Bischofskonferenz als Kollektiv lehramtlich beziehungsweise bloß pastoral dazu überhaupt verbindlich regeln darf. Nach einigem Hin und Her wurde es dem einzelnen Ortsbischof überantwortet, wie er mit dem Erörterten und mehrheitlich Beschlossenen umgeht. Der Bischofskonferenz als solcher bleibt trotz der ständigen Betonung der bischöflichen Kollegialität weiterhin eine lehramtliche Befugnis vorenthalten.
Da scheint momentan auch die Hauptfurcht Roms zu liegen: dass sich eine Bischofskonferenz anmaßen könnte, mit womöglich doch lehramtlicher Autorität für eine Ortskirche eine Orientierung zu geben, die weltkirchlich nicht eingeholt ist. Die Kirche aber verwirklicht sich nach katholischem Verständnis auch in der Ortskirche. Bezeichnend ist, dass Rom diesen katholisch und theologisch gefüllten Begriff meidet und nur abwertend von „Teilkirche“ spricht. Dabei könnte eine Ortskirche durchaus der Universalkirche vorangehen mit guten Überlegungen, Argumenten, Anregungen und konkreten Vorschlägen. In diese Richtung zielt zumindest der Überzeugungsversuch von Marx.
Gesprächsprozess? War schon mal
In Kenntnis des Ausgangs bisheriger Dispute zwischen Ortskirchen und der römischen Teilkirche kann man allerdings skeptisch sein, was nunmehr die Bedeutung und Zukunft des synodalen Wegs betrifft. Hier steht ja noch Substantielleres zur Debatte als bloß die Frage der Communio in der Hauskirche einer sakramentalen Ehe. Vieles, wenn nicht das meiste der ursprünglichen Pläne, jedenfalls was die Laien-Mitwirkung betrifft, dürfte wohl Makulatur sein. Die verantwortlichen Protagonisten des gesamten Prozesses, neben Kardinal Marx führend der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Thomas Sternberg, sind bemüht zu retten, was zu retten ist. Sternberg gibt sich entschlossen: „Glaubt irgendjemand, man könne in einer solchen Krise der Kirche das freie Gespräch, das nach Ergebnissen und notwendigen Reformschritten sucht, unterdrücken?“
Möglicherweise läuft es aber doch nur auf eine Neuauflage des Gesprächsprozesses hinaus, den der frühere Bischofskonferenz-Vorsitzende Robert Zollitsch nach Bekanntwerden des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker angeregt und durchgeführt hat. Ebenfalls anfangs mit sehr großen Hoffnungen verbunden, dann jedoch ohne bedeutsame Ergebnisse. Der Berg kreißte und gebar eine Maus?
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller, einer der „progressivsten“ Kanonisten, die es momentan gibt, äußerte sich zur neuen Initiative nunmehr ebenfalls recht ernüchtert: „Eine kleine Minderheit unter Führung von Kardinal Woelki hat es durch gute Kontakte nach Rom geschafft, den ganzen Reformprozess zu konterkarieren.“ Woelki, ein entschieden traditionell verhafteter Gegenspieler des Münchener Kardinals Marx, befürchtet durch den synodalen Weg sogar eine Kirchenspaltung, womöglich die Bildung einer Nationalkirche, die sich gegen die Weltkirche stelle. Schüller teilt – wie „Focus“ verlautbart – „den Optimismus von ZdK-Päsident Sternberg über ‚freie Gespräche‘ auch auf Laien-Ebene nicht“. Die von vielen Seiten genährte „Vorstellung, die Laien könnten auf Augenhöhe mitentscheiden, ist illusorisch in einem hierarchischen System, in dem letztlich immer die Bischöfe und der Papst entscheiden“, so Schüller.
Weltkirchlich? Dann ein Konzil!
Die Frage ist nur: Warum tun die Kirchenleitenden es nicht? Seit Jahrzehnten wird gebetsmühlenartig wiederholt, es handele sich um Themen, die nur auf weltkirchlicher Ebene behandelt und letztendlich beschlossen werden können. Also: Dann tut es doch endlich! Will Rom die Dramatik der weltkirchlichen Entwicklungen nicht sehen – oder kann es sie nicht sehen? Die massive Erosion, den epochalen Glaubensverlust, den Zusammenbruch der Seelsorge nicht nur in einigen europäischen Sonderzonen. In Nordamerika bricht das Christentum in der Generation der Unter-Dreißigjährigen unter dem Druck der jetzt auch dort um sich greifenden Säkularisierung rasant weg, wie das Pew Research Center hinlänglich erforscht hat. Im einstmals „katholischen“ Lateinamerika verlassen die Menschen in Scharen die katholische Kirche und wenden sich pfingstlerischen beziehungsweise evangelikalen Gemeinschaften zu, sofern sie nicht – zu einem erheblichen Teil – gleich ins religiöse Niemandsland, in die Glaubenslosigkeit abwandern. Auch in der Neuen Welt, etwa in Brasilien, nimmt wie in der Alten Welt des Abendlands Europa die Zahl der Agnostiker und Atheisten beschleunigt zu, ganz besonders unter der bessergebildeten Bevölkerung. Ähnliches – wenn auch noch nicht in diesem Maße – gilt für die städtischen Zonen Afrikas und Asiens. Die Verweise auf das angeblich blühende kirchliche Wachstum dort sind trügerisch. Überall, wo die neuzeitliche Aufklärung mit ihrer Entmythologisierung insbesondere auch magischer Sichtweisen, die immer noch tief ins Sakramentale hineinreichen, Einzug hält, erodieren die angestammten Glaubensvorstellungen.
Tatsächlich gibt es angesichts der riesigen religiösen Problemfelder nur eine Konsequenz – und da hat die Intervention aus dem Vatikan völlig recht: Es braucht dringend eine weltkirchliche Behandlung. Es ist höchste Zeit für ein Konzil, bei dem die Bischöfe kollegial mit und unter dem Papst entscheiden oder der Papst allein als oberster Gesetzgeber beschließt: so oder so. Ein Ja ist dann ein Ja, ein Nein ist dann ein Nein. Aber so hätte man wenigstens Klarheit – statt des vagen Hin und Her mit unendlichen Frustrationen, weil nichts vorangeht.
Papst Franziskus ist selber in diesem Komplex inzwischen – anders kann man es nicht sagen – eine tragische Gestalt. Er will ständig Mut verbreiten, ruft auf zu Reformen, zu dezentralen synodalen Prozessen, lobt dies und lobt das. Wenn es aber „zum Schwur“ kommt, zaudert er, lässt er alles im Unverbindlichen hängen, flüchtet er sich in deutungsoffene Fußnoten, in weitschweifige, vage, nebulöse Reden, aus denen jeder herauslesen kann, was ihm gefällt. So eben auch aus dem Sommer-Brief an die Deutschen, den die einen als Ermutigung für den synodalen Weg auffassten, kritische Beobachter – darunter der CIG – eher als freundliche Warnung und klare Bremse. Letztere Deutung scheint der Wirklichkeit nähergekommen zu sein.
Was will der Papst?
Was will der Papst? Immer mehr scheint er allgemeine Sozialappelle, etwa zur bedingungslosen Aufnahme aller Migranten, zu bevorzugen. Als Klimabotschafter à la Greta erhebt er vermehrt die Stimme. Seine Aufgabe gemäß dem römischen System und dem katholischen Kirchenprinzip ist es allerdings nicht, bloß ein Weltpfarrer, ein Weltseelsorger zu sein, sondern als Nachfolger des Petrus schwierige Entscheidungen bei schwierigsten Problemen vorzubereiten, voranzubringen, letztendlich durchzusetzen. Wenn alles, was momentan zur Debatte steht, von weltkirchlicher Relevanz ist, dann muss das schlichtweg weltkirchlich mit aller Entschlossenheit behandelt werden. Heute, nicht erst morgen oder übermorgen, wenn das Zeitfenster geschlossen ist – falls es nicht ohnehin, wie nicht wenige vermuten, längst geschlossen ist. Ist der Hoffnungs-Aufschlag des Zweiten Vatikanischen Konzils womöglich schon verspielt?
Papst Franziskus soll Farbe bekennen. Rührende mitmenschliche Gesten und volkstümliche Nähe reichen nicht mehr. Wird er über die Amazonas-Synode, die demnächst im Vatikan tagt, mehr Klarheit bringen, oder verschwimmt schlussendlich alles wie das Wasser des Amazonas in einem breiten Strom, manchmal des Nebels?
Dabei wären mit den aktuell zu behandelnden, seit Jahrzehnten diskutierten Inhalten noch nicht einmal die Glaubens-Kernprobleme getroffen: Was könnte das Christsein neu inspirieren, begünstigen in einer Welt mit Erfahrungshorizonten, die mit sehr vielen dogmatischen Vorstellungsmodellen nicht mehr in Einklang zu bringen sind, erst recht nicht, wenn man auf die (natur-)wissenschaftlichen Revolutionen schaut. Wie kann der Christusglaube, Gott selber unter diesen Bedingungen neu an Plausibilität gewinnen? Und das gerade in einem Zeitalter mächtigster Entzauberungen, die auf der Kehrseite umso erregender, ergreifender und berührender, manchmal erschreckender die Menschen wieder verzaubern durch das große Wunder, das Mysterium Universum und Leben? Was beim synodalen Prozess und bei einem Konzil verhandelt würde, wäre ja allenfalls nur eine Vorstufe dazu. Umso schlimmer sind die ständigen Blockaden – nicht nur aus Rom.
Ja, es ist eine Machtfrage. Allerdings tut die gemäß dem katholischen systemischen Selbstverständnis gegebene Macht inzwischen alles, um sich selber zu demontieren, um die Lehrautorität päpstlicher wie bischöflicher Art in die Irrelevanz abdriften zu lassen. Vollmacht. Welche Vollmacht? Welche Macht? Das Lehramt hat über die Getauften überwiegend nur noch eine eingebildete und keine reale Macht mehr. Sie läuft ins Leere in dem Maße, in dem die Menschen sich ihr entziehen, ihrer eigenen Wege gehen, religiös oder gar nicht (mehr) religiös. Selbst die Drohmacht mit Höllenstrafen ist erloschen. Wozu soll der Mensch an eine Hölle oder gar an einen Teufel, den Papst Franziskus so gern im Mund führt, glauben, wenn es immer schwieriger wird, überhaupt noch zu glauben? Gott?
Rom will nicht, dass andere entscheiden. Nun gut. Das liegt in der Natur der Sache des katholischen Kirchenwesens. Mögen die Laien also ruhig außen vor bleiben, sofern sie nicht ohnehin schon ganz draußen sind. Dann aber Bischöfe, Kardinäle und Papst: Entscheidet! Habt endlich Mut zu einem ökumenischen, zu einem Weltkonzil!
Wir laden unsere Leserinnen und Leser herzlich dazu ein, sich an der Diskussion über den Synodalen Weg zu beteiligen.