Vortrag von Clemens Blattert SJVon Gott berufen zu leben

Wie Berufung in einem weiten, umfassenden Sinn zu verstehen ist, hat der Jesuit Clemens Blattert beim CIG-Berufungstag in seinem Eröffnungsvortrag dargelegt.

Vortrag von Clemens Blattert SJ: Von Gott berufen zu leben
© Johanna Hechler

Die Kooperation des CHRIST IN DER GEGENWART mit dem Zentrum für Berufungspastoral am Weltgebetstag für geistliche Berufungen mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Beim Stichwort Berufung im Rahmen der katholischen Kirche denken viele zuerst an „Kirchliche Berufe“. Berufung wird als etwas verstanden, was wie ein Privileg für wenige wirkt. Berufung als kirchlicher Beruf ist aus meiner Sicht jedoch nur ein Aspekt in diesem weiten Felde von „Berufung“. So freue ich mich über unsere gemeinsame Veranstaltung und Ihr Interesse. Sie gibt uns die Gelegenheit, uns dem Feld Berufung zu nähern und auszuloten, welche Perspektiven dieses Thema noch öffnen kann, ja welches Potential für uns selbst und uns als Gemeinschaft darin enthalten ist.

Ich selbst bin Jesuit und bei uns sind Exerziten, d. h. Übungen sehr zentral. Deshalb möchte ich mit einer kleinen Übung beginnen: Stellen Sie sich eine Person aus ihrem Umfeld (Familie, Arbeit, Kirche, Freunde) vor, von der sie sagen würden, diese Person hat ihre Berufung gefunden und lebt sie. Wenn Sie diese Person vor Augen haben, welche Eigenschaften strahlt sie aus? Würden wir die Begriffe hier sammeln, kämen sicherlich solche Worte auf das Flipchart:

  • in sich ruhend, strahlt inneren Frieden aus
  • Feuer und Flamme, leidenschaftlich
  • authentisch, inspirierend
  • freilassend, gelassen
  • kann andere Meinungen stehen lassen, offen, fähig zur inneren Distanz
  • kraftvoll, entschlossen, motviert, steht für etwas
  • hat Krisen bestanden, treu, ist im Frieden mit seinen Grenzen
  • zugewandt, warmherzig
  • neugierig, lernbereit
  • macht sich an Gott fest, intrinsisch motviert, nicht an Äußerlichkeiten

Als Oberbegriff lässt sich zusammenfassend finden: glücklich, erfüllt!

Wenn ich diese Übung mit Jugendlichen oder jungen Menschen durchführe, dann kommt bald folgende Aussage: Genau das wünsche ich mir für mein Leben: Ich suche danach, wie mein Leben gelingen kann. In uns Menschen steckt also eine Sehnsucht, eine Dynamik nach diesem erfüllten Leben.

Interessant ist, dass diese Sehnsucht noch mit einer anderen Sehnsucht korrespondiert. Nämlich mit der Sehnsucht Gottes für uns Menschen. Jesus sagt im Evangelium: Ich bin gekommen, dass die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10,10).

Aus diesen Wahrnehmungen abgeleitet könnte man Berufung definieren als: Einladung Gottes an jeden Menschen zu einem gelingenden und erfüllten Leben – in den Umständen in die er / sie hineingestellt ist.

Das hört sich erst einmal schön, harmonisch an. Es gibt aber nicht nur die Kraft in unserem Leben, die das Leben will. Jesus stört mit einer Aussage im heutigen Evangelium. Er spricht davon, dass es auch Räuber gibt, die Leben vernichten. Man kann daraus ableiten, dass Erfüllung und Gelingen von Leben nicht etwas ist, dass wir haben wie ein Auto, das wir uns kaufen, oder ein Wissen im Sinne, so jetzt habe ich es verstanden. Gelingendes Leben können wir nicht habhaft machen. Berufung als gelingendes Leben heißt eben nicht, dass man, wenn man seine Berufung gefunden hat, ein Leben ohne Probleme führt, dass alles glatt läuft. Viele haben ja dieses Bild von einem gelingenden Leben: alles läuft perfekt. Aber nein: Berufung meint, in allen Momenten des Lebens, in allen Umständen von Gott berufen zu sein, zu leben. Berufung in unserem Verständnis ist daher eher die Frage, wie bin ich gegenüber dem Leben, dem was mir aus mir selbst und von außen / von anderen entgegenkommt, eingestellt. Berufung ist eine innere Einstellung, eine Haltung, gerne spreche ich auch mit Christoph Theobald von einem „Lebensstil“. Oder, wenn Sie mögen, es ist eine Spiritualität, ein Geist, aus dem heraus ich auf die Welt zugehe und die Welt in mich hineinlasse. Berufung als die Überzeugung, dass wir in allen Phasen unseres Lebens von Gott berufen sind, zu leben, wie dieser Tag überschrieben ist – als junger Mensch, als Berufstätige, als Verheiratete, als jemand in Krise, als älter werdender Mensch, am Ende des Lebens – immer wieder von Gott berufen zu leben.

Eine kleine Begebenheit, die das vielleicht veranschaulicht. Die 89-jährige Anna bricht sich das Bein. Sie wird operiert, nach einer Woche kommt sie wieder nach Hause und sitzt am Tisch bei einer Tasse Tee und stellt sich die Frage: „Was wollte ich nicht hören?“ Sie sitzt da, sinniert ein wenig, schaut sich in ihrer Wohnung um und kommt zu der Erkenntnis: Ich lebe noch als ob. Als ob ich jeden Tag kochen würde, 20 Gäste empfangen würde, mein verstorbener Mann zurückkommt... Das stimmt nicht. Mit der Haushaltshilfe, die ihr für die Zeit nach dem Krankenhaus zur Verfügung gestellt wurde, räumt sie zwei Garagen voll Sachen, die dann abtransportiert werden. Sie meinte dann zu mir: Clemens, nach diesem Prozess, ging es mir besser als vor dem Sturz.

Oder der 21 jährige junge Mann der vor kurzem zur Begleitung in meinem Büro saß. Er spürte über Wochen Stress; konnte sich aber nicht erklären, woher er kommt. Auch die Gebetszeiten, die er bei seiner Auszeit bei uns machte, waren eine Qual für ihn. Im Laufe des Gesprächs tauchte auf, dass er sich nichts sehnlicher wünscht als Annahme, von Freunden, von Gott. Er wisse auch, dass Gott ihn annimmt – doch innerlich spürte er dann einen Widerstand, einen Widerstand, der es nicht zuließ, diese Annahme zu spüren. Aber noch im Beschreiben dessen, was er da gerade in sich spürte, sagte er, das tut gerade gut, es löst sich, es kehrt Frieden ein…

Jungen Menschen geht es genauso: Sie planen, suchen, wünschen, sind gleichzeitig verängstigt, besorgt über die Zukunft. Viel geht dann über Kraft, Kontrolle, etc. Was hilft nun, in eine solche Haltung der Berufung hineinzufinden. Da finde ich ein Wort, das Hartmut Rosa in seinem jüngsten Büchlein „Demokratie braucht Religion“ in seiner Doppeldeutigkeit schön hervorhebt: Es braucht das Aufhören.

  • Aufhören, einerseits als Unterbrechen, Dinge aus der Hand legen, zur Ruhe kommen – wir haben das hier in der Zukunftswerkstatt erlebt. Wir bieten vor allem Freiraum an. Das hilft, aufzuhören, äußerlich und innerlich.
  • Aufhören, andererseits im Sinne von Aufhorchen, wahrnehmen, was da ist, wahrnehmen, was auf dem Inneren aufsteigt, wahrnehmen, was da in der Bibelstelle steht, wie das wirkt.

Berufung – es steckt ja die akustische Dimension im Wort - wird geübt, indem ich mich in der Resonanzfähgigkeit schule. Anna setzt sich an den Tisch, hört auf zu tun, zu machen. Und hört auf das, was Leben vernichtet und das, was zum Leben einlädt. Was kommt ihr entgegen, was steigt aus ihrem Inneren auf? Das macht sie dann handlungsfähig und vor allem, setzt es dann eine neue Qualität von Lebendigkeit frei.

Junge Menschen hören auf die Lebenskräfte, die in ihnen liegen, geschenkt sind. Diese bekommen Raum – und was wächst ist Vertrauen, Zuversicht, Kraft.

Dieses Aufhören ist ein Prozess, den wir in der ignatianischen Tradition „Unterscheidung der Geister“ nennen. Das ist nicht zu verwechseln mit dem Sezieren eines Problems mit der Kraft der Vernunft. Auch hier ist es ein Prozess, der mehrere Dimensionen umfasst:

1. Wahrnehmen, aufhören, in Kontakt mit sich und seiner Umwelt kommen. Auch Papst Franziskus spricht ja viel vom Hören.

2. Spüren, was damit einhergeht – führt es mehr in die Weite, schenkt es Kraft, führt es mehr in die Enge, raubt es Kraft – das eigentliche Unterscheiden

3. draus entsteht Klarheit, die Kraft zum Wählen und Ergreifen schenkt, sodass man einen Schritt machen kann… j

Ein letzter Punkt: Berufung wird häufig sehr individuell verstanden. Ich glaube aber, Berufung hat auch für Gemeinschaften und Institutionen, die ja von Menschen getragen werden, eine wichtige Dimension. Wenn wir Berufung so in unserer Gemeinschaft, in unserer Kirche verstehen, dann glaube ich, dass nach innen eine Verbundenheit stark wird, die ermutigt, trägt und Kraft schenkt, und nach außen offen und frei wird. Der / die andere entspricht dann nicht unbedingt meinen Vorstellungen, so wie auch ich der Vorstellungen anderer nicht entspreche, aber gemeinsam sind wir auf der Suche nach einem Mehr an Lebendigkeit. Könnte so Kirche als Freiraum, als Ort aufzuhören, als Raum für unterschiedliche Geschichten ein unglaublich freier und lebendiger Ort sein? Ist das nicht das, was Jesus meint, wenn er seine Herde als der gute Hirte zu Lebendigkeit führen will?

Ich selbst stamme aus einer Handwerkerfamilie und von meinem Bruder habe ich eine wichtige Erkenntnis bekommen. Er ist Müller und gibt Brotbackkurse. Beim Kneten spricht er davon, dass man die Erfahrung braucht, wie sich die richtige Teigkonsistenz anfühlen muss. Das kann man durch keinen Text und durch kein Youtube-Tutorial lernen, sondern das muss man mit den Händen im Teig spüren.

Es braucht das Sprechen und Nachdenken über Berufung als Lebensstil, weil es Perspektiven öffnet. Es braucht aber auch Erfahrungen, die wir mit diesem Tag ermöglichen wollen, in der Selbstreflexion, im Austausch und im betenden Feiern dann im Gottesdienst. Starten werden wir aber mit unseren Workshops. Berufung hat mehr zu bieten als die Verengung auf einen kirchlichen Beruf. Berufung als Thema hat Sprengkraft zu neuer Lebendigkeit.

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