Mystik im Alltag

Aller Anfang ist schwer“ – auch bei dieser Reihe: das unbeschriebene weiße Blatt, das leere Computerfeld, die vielgesichtigen Adressaten, das unendlich weite Themenfeld. Es geht ja schließlich um Alles und Nichts, um All-tag wortwörtlich und das in seiner mystischen Tiefendimension. Wo anfangen? Wie den Einstieg finden? Natürlich im Hier und Jetzt. Wo denn sonst? Also beim Geheimnis des Anfangens: Premiere alltäglich.

„Aller Anfang ist leicht.“ Wir kommen von weit her, und wie viele Anfänge haben wir schon hinter uns und in uns. Der erste Geburtsschrei, der erste Schluck an der Mutterbrust, zum ersten Mal auf den eigenen Beinen, das erste Nein und das Ich-Sagen, der Schulanfang, die erste Liebe – lauter Premieren und Initiationen. Zuvor war das alles nicht, und auf einmal ist es in der Welt, zum ersten Mal. So war es, so wird es immer sein, solange wir leben. So ist es jetzt, beim Beginn dieser Reihe.

„Im Anfang steht worthafter Geist. Denn worthafter Geist geht nach Gott. Gott selber ist worthafter Geist. Von Anfang an geht er nach Gott“ (Joh 1,1f). So beginnt das große Schöpfungslied auf Christus in der Übersetzung Eugen Drewermanns. Alles trägt demnach das Kennzeichen eines göttlichen Versprechens. Groß werden deshalb am Beginn der alten Bibelhandschriften die Initiale geschrieben. In jedem Zauber, der dem Anfang bekanntlich innewohnt, klingt das Geheimnis der Schöpfung im Ganzen an, das Geheimnis der Menschwerdung, das Wunder des Anfangs. Das Schöpfungslied auf Christus am Beginn des vierten Evangeliums intoniert dieses Geschenk des Daseins im Ganzen und im Einzelnen.

Der Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling sagte vom Geheimnis, das wir Gott nennen: „Er ist der, der anfangen kann.“ Nicht nur etwas kann er anfangen, mit sich und mit uns – nein es gilt absolut: Er ist das Beginnen vor und in allem Beginnen. Viel zu selbstverständlich nehmen wir es, wenn wir mit uns etwas (oder nichts) anfangen können. Bei Licht besehen ist es unglaublich. Schwer und leicht – erst wenn der Anfang geglückt ist, können wir erahnen, wie alles wäre, wenn er nicht gelungen wäre.

„Mystik im Alltag“ – das wird sich also nur erschließen lassen beim Ankommen im Hier und Jetzt. Aber nicht bei Null fangen wir an. Im Reichtum der Lebensund Glaubensgeschichten liegen die Schätze schon parat. Immer wieder gilt es in dieser Reihe, in die „Hausapotheke der Menschheit“ zu gehen – so nannte Heinrich Heine die Bibel – und sich darin bedienen zu lassen. Schier unerschöpflich sind die Erfahrungen und Texte der Glaubensgeschichte seitdem, der christlichen und kirchlichen besonders. Und in allem die Einladung, den All-tag zu heiligen. „Höre nie auf, anzufangen, fange nie an, aufzuhören“ – aus diesem Reichtum von Alltag und Mystik gilt es zu schöpfen. Also machen wir es fortan Woche für Woche wie der Mönchsvater Pior. Er war einer, der „jeden Tag einen Anfang machte“.

Gotthard Fuchs

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