Artikel 6 der deutschen Verfassung erklärt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Theoretisch. Denn praktisch haben sich in der Geschichte der Bundesrepublik die Akzente verschoben. Der Druck auf Ehe und Familie hat sich stetig erhöht, die Belastungen haben zugenommen: von der Liberalisierung des Scheidungsrechts, infolge dessen sich der Zerfall von Ehen rasant beschleunigte, bis zu den gesteigerten finanziellen Aufwendungen der Familien etwa durch explodierende Mieten und überproportional verteuerte Lebensmittelpreise. Jetzt werden die riesigen Kosten für die Energiewende in erster Linie mehrköpfigen Haushalten aufgebürdet.
Daneben wurde der ideologische Kulturkampf zur Relativierung der treuen, lebenslangen Einehe verschärft. Das beim Homo sapiens, dem weisen Menschen, natural-biologisch begründete, in allen Kulturen hochgeachtete und in der Hochzeit überall am festlichsten gefeierte Lebensmodell von Mann und Frau hat sich dem Individualisierungs- und Emanzipationsprozess unterordnen müssen. Die rechtliche Anerkennung eingetragener Lebenspartnerschaften war die Einfallsschneise, um den einstigen Konsens über die Besonderheit und Bedeutung der Ehe als Verantwortungsgemeinschaft für Fruchtbarkeit, Generationensolidarität und gesellschaftliches wie staatliches Wohl amtlich-offiziell endgültig zu zerbrechen. Die von Politikern und Aktivisten angezielte völlige Gleichstellung der nicht-ehelichen, landläufig so bezeichneten „Homo-Ehe“ mit der wahren Ehe würde nur bestätigen, was längst vollzogen ist.
Dennoch zeigt die jüngste Debatte, dass die heilsame Nachdenklichkeit noch nicht völlig dem Mainstream gefälliger Anpassung gewichen ist, obwohl eine an Absurdität und Skurrilität nicht zu überbietende Sprachregelung unter Journalisten bereits die „Hetero-Ehe“ erfunden hat, um damit schlichtweg die Ehe zu bezeichnen. Ist ein Auto begrifflich etwa mit dem Fahrrad gleichzustellen, nur weil es ebenfalls auf Rädern fährt? Semantischer Betrug kennt offenkundig keine Grenzen. Aber die Ehe ist Ehe - sonst nichts.
Auch Richter sind nicht frei
Die obersten judikativen wie legislativen Instanzen haben allerdings zu klären, was der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, bezogen auf die Personwürde des Einzelnen, bedeutet angesichts der realen Ungleichheit verschiedener sexueller Liebesbeziehungs-Formen. Was ist Privatsache - und was geht den Staat an?
Das Bundesverfassungsgericht soll wieder einmal als eine Art Über-Parlament Schneisen ins Dickicht der Ansichten schlagen und die Abgeordneten zum nachträglichen Handeln zwingen. Das ist kein Glanzstück einer auf sich selbst so stolzen Demokratie, der es in ihrem vielfachen Lobby-(Un-)Wesen anscheinend immer seltener gelingt, die kritischen Folgen ihrer Gesetzgebung für die Gesamtzivilisation, für Staat und Gesellschaft richtig abzuschätzen. Aber auch unabhängige Richter sind nicht frei von Ideologien und persönlichen Ansichten, erst recht nicht frei vom Wandel der veröffentlichten angeblichen Volksmeinung und von den gelebten Verhaltensweisen im Volk. Internationale Regelungen homosexueller Paarbeziehungen bringen zusätzlich die souveräne nationale Rechtsprechung in ganz und gar unsouveränen Zugzwang
Was aber ist wirklich die Meinung der Menschen? Selbst wenn man einmal anders denken mochte als „die anderen“, anders, als die veröffentlichten Meinungsumfragen zum Besten geben, bleibt die Psychologie der Angleichung ans „Man“ des Kollektivs in Kraft. So schließt „man“ sich der angeblichen, behaupteten „Mehrheitsmeinung“ willig an, um nicht als „Ewiggestriger“ abseits zu stehen. Insofern ist der von Meinungsforschern und Meinungsmachern über die Massenmedien verbreitete „Mehrheitswille“ zugunsten der gleichrangigen Anerkennung homosexueller Paarbeziehungen oft nichts anderes als ein Nachplappern, was „man“ zu denken hat, weil es politisch korrekt so gewollt ist und weil „man“ nicht als „Homophober“ übel verleumdet, ja verunglimpft werden will.
Artikel 6, entsorgt?
Die anstehenden Entscheidungen werden gewiss nicht leichtfertig gefällt. Falls die totale Gleichstellung fester homosexueller Freundschaften mit der biologisch-natural verankerten, wesensartig verschiedenen Ehe von Mann und Frau durchgesetzt würde, zeigt dies nur, wie wenig erhaben auch eine gute Verfassung über den Zeitmoden steht. Ganz unabhängig von Bundestags-Zweidrittel-Mehrheiten kann sie gegen ihren Sinn geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden. Selbst ein Grundgesetz ist nicht davor gefeit, mit dem Strom der Zeit zu schwimmen. Wenn es auf das hinausläuft, worauf alle Anzeichen hindeuten, wird der erste Absatz des Artikels 6 obsolet, inhaltlich entsorgt, selbst wenn er formal weiterhin im Grundgesetz steht.
Solche Prozesse sind nichts Neues. Auch Artikel 1 hat sich der Uminterpretation beugen müssen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Was aber ist die Würde des Menschen? Spätestens mit der Neuregelung der Abtreibungsgesetzgebung, mit dem Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung eines Schwangerschaftsabbruchs unter gewissen Voraussetzungen wurde sogar die allerheiligste und erste Aussage der Verfassung relativiert und gebogen.
Im Ausland ist bereits Sterbehilfe erlaubt. Verfassungen sind also ausgerechnet dann besonders wenig wert, wenn es auf ihren Widerstand gegen bloße Mehrheitsverhältnisse ankäme. Genauer: Sie sind nur so viel wert, wie die Geistesverfassungen der Menschen sie stützen. Das hehre Reden vom Verfassungspatriotismus, der ausreiche, um die Stabilität und den inneren Frieden eines demokratischen Rechtsstaats zu gewährleisten, steht auf tönernen Füßen. Allzu sehr ist dem Verfassungspatriotismus nicht zu trauen.
Verfassungsrichter können sich allerdings nur schwer dem entziehen, was in einer Gesellschaft zur neuen Einsicht wird. In unserer Kultur hat sich die Meinung durchgesetzt, dass mit der Ehe, wie sie in Artikel 6 zugrundegelegt ist, eigentlich die gegenseitige partnerschaftlich-fürsorgliche Zuneigung des Paares in wechselseitiger Verpflichtung gemeint sei. Deshalb müssten andere auf Dauer angelegte Paar-Liebesbeziehungen, ob heterosexuell oder homosexuell, genauso behandelt und zum Beispiel steuerlich entlastet werden, aus Dankbarkeit dafür, dass die Partner Verantwortung füreinander übernehmen. Niemandem scheint aufgefallen zu sein, wie unlogisch dieses stetig vorgetragene, vermeintlich so „einsichtige“ Argument ist. Denn dann müssten Alleinlebende, die keinen haben, der im Notfall für sie sorgt, erst recht noch weitaus besser finanziell-steuerlich begünstigt werden, weil sie anders als Personen mit Partner im Fall des Falles fremde Hilfe beanspruchen und besonders teuer bezahlen müssen.
Zweier-Beziehung ist Privatsache
Mit den Irrungen und Wirrungen über das Wesen der Ehe ist der Zusammenhang von Artikel 6 aus dem Blick geraten: Die Ehe steht hier nicht für sich allein, abgekapselt als Dyade, als pure Zweierbeziehung. Sie ist vielmehr unmittelbar mit Familie verknüpft. Die Ehe zielt auf Fortpflanzung, Familiengründung, Verantwortung für Dritte: Bildung, Erziehung, Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Diese über die persönliche Zweisamkeit individueller Liebe hinausreichende Solidaritätsverantwortung für Nachwuchs, für die Generationenfolge und damit für das künftige Wohl der Bürger in Staat und Gesellschaft ist aber das Entscheidende. Genau und nur deshalb versieht jener Grundgesetzartikel die Ehe mit einem Schutzauftrag. Die freie Zweier-Fürsorge der Partner - ob in einer heterosexuellen oder einer homosexuellen Liebesverbindung - ist jedoch reine Privatsache. Diese persönliche Angelegenheit auf besondere Weise zu schützen, liegt nicht im Interesse und Aufgabenbereich des Staates, unabhängig davon, wie anerkennenswürdig oder lobenswert eine treue Paarbeziehung - welcher Art auch immer - sein mag. Staatstragend und staatspolitisch maßgeblich ist einzig und allein die Koppelung der Ehe an die Elternschaft und damit an die Beziehungsverantwortung der Eltern für ihre Kinder. Deshalb ist der erste Absatz des Artikels 6 logisch mit dem zweiten Absatz verbunden, der die Beziehung zur Elternpflicht herausstellt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Dieser Zusatz wird ständig unterschlagen und somit der erste Teil in ein falsches Licht gerückt.
Das hat zeitgeschichtliche Gründe: Während früher bis auf wenige Ausnahmen faktisch jede Ehe in Elternschaft, also Familie, mündete und damit für die demografische Funktionsfähigkeit des Staates sorgte, ist diese Selbstverständlichkeit weggebrochen. Viele Paare haben freiwillig oder unfreiwillig keine Kinder. Die Unfruchtbarkeit hat - verbunden mit viel Leid für die Betroffenen - dramatisch zugenommen. Infolge der extrem erhöhten Scheidungsraten hat auch die Stabilität der einstmals stabilisierenden Ehe schwer gelitten, mit negativen Auswirkungen auf die Scheidungswaisen, denen bei heftigen psychischen Problemen nachträglich wieder die Gemeinschaft, sprich: der Staat, zu Hilfe eilen muss. Dass jede Bürgerin und jeder Bürger auch dem Gemeinwesen dienen muss, diese Plausibilität des Gemeinsinns über die Ehe hat sich verflüchtigt.
Das „Privileg“ ist kein Privileg
Im Gegenzug hat eine verengte individualistische Ideologie der Selbstverwirklichung das Anspruchsdenken gegenüber dem Staat vermehrt. So entstand der Verdacht, der Staat „privilegiere“ zum Beispiel durch das steuerliche Ehegattensplitting die privaten ehelichen Partner-Liebesbeziehungen. Unterschlagen wird, dass es sich nicht um ein Privileg handelt, sondern um eine allenfalls minimale Erleichterung der Mehrfachbelastung jener Ehepaare, die als Eltern für Kinder sorgen und dazu erhebliche zusätzliche - unentgeltliche - Solidarleistungen fürs Staatswohl erbringen. Wegen dieser besonderen Leistung ist der besondere Schutz von Ehe und Familie ins Grundgesetz gekommen. Aber wie will man der ständigen Falschbehauptung von „Eheprivilegien“ wirksam entgegentreten, wenn solcher Schwindel bis in höchste politische Kreise hinein wider besseres Wissen ständig in die Welt gesetzt und unaufhörlich über die Medien weitertransportiert wird?
Zeitweise schienen sogar führende CDU-Politiker und Minister vom Etikettenschwindel der „Homo-Ehe“ befallen zu sein, obwohl man etwa beim Verbraucherschutz allergisch reagiert, wenn falsche Etikettierung von Lebensmitteln andere Produktinhalte behauptet, als drin sind. Nur beim bedeutendsten, intimsten menschlichen „Lebensmittel“, der Ehe, scheinen sich inzwischen viele Entscheidungsträger in Staat und Gesellschaft bereitwillig auf Täuschung einzulassen.
Ein anderes, allerdings nicht unerhebliches Problem ist, ob bei den Versuchen zur Nivellierung der einzigartigen, unvergleichlichen Ehe auch starke Kräfte innerhalb der CDU den Etikettenschwindel nicht scheuen, in diesem Fall in Bezug auf das „C“. Angesichts der biblischen Hochschätzung der Ehe, insbesondere in der Bergpredigt, also in den womöglich ureigenen historisch überlieferten Worten Jesu, und in den Mahnungen des Paulus, kann man nicht so tun, als ob es sich dabei um religiös niederrangige Sachverhalte handele, die unter anderen zeitlichen Bedingungen schlichtweg beiseitezuschieben seien. Bereits vor längerem hatte der Kölner Kardinal Joachim Meisner der Christlich Demokratischen Union Deutschlands vorgeschlagen, dann doch besser das „C“ zu streichen, wenn es nicht mehr ins Konzept passt.
Das wird eine Partei, die allein schon wegen ihres „Corporate Designs“, ihres Schrift-Logos und aus Traditionsgründen einer auch optischen Identität verpflichtet ist, natürlich nicht wagen. Allerdings können selbst bei besten Absichten Parteien in nicht geringe Verwerfungen geraten, je bunter sie verfasst sind und je höher ihr Anspruch ist, breite Mehrheiten zu sammeln. Auch wenn die CDU nicht mehr wie früher eine ganz große Volkspartei ist, erweist sie sich momentan doch als die einzige, die am wenigsten unter der Auflösung der Milieus leidet.
Manche Politikwissenschaftler meinen, dass dies dem Kanzlerinnenbonus zu verdanken sei. Augenscheinlich hält sich die Bundeskanzlerin in vielen strittigen Fragen lange bedeckt. Mit öffentlichen Bekenntnissen tritt sie - strategisch geschickt - erst dann hervor, wenn andere aus ihrer Partei das Terrain ausgetestet haben. Nach Begutachtung des Bildes, das Meinungsforscher erarbeitet haben, entscheidet die Kanzlerin, was opportun sei. Entsprechend wurde der Vorstoß zur endgültigen Gleichstellung homosexueller Partnerschaften nach heftigen Turbulenzen vom Parteipräsidium erst einmal ruhiggestellt und die Diskussion aufgeschoben, um Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten.
Der CDU wird momentan unter allen Parteien am wenigsten nachgetragen, wenn sie sich in rasanten Kehrtwendungen von Haltungen und Programmpunkten verabschiedet, die sie soeben noch vehement verteidigt hat. Programmatik wie in der Nachkriegsgeschichte scheint für die Parteien im Medienzirkus der Medienrepublik insgesamt eine immer geringere Rolle zu spielen. Wichtiger ist, wie man populistisch aktuell ankommt. Die „Kanzlerpartei“ CDU ist als zurzeit erfolgreichste Sammlungspartei mit Tendenzen zum Wahlverein streckenweise zu einer Demoskopenpartei geworden, die ihre Ansichten sorgfältig so austariert, wie es Umfrage-Ergebnisse als vorteilhaft nahelegen.
Die Christen und die Union
Da inzwischen die treuesten Kirchgänger - vor allem Katholiken - unter den Stammwählern der CDU kaum noch ins Gewicht fallen, allenfalls ein bis zwei Prozent auf die Waage bringen, ist es ein nüchternes Kalkül, wie viele Stimmen man zum Beispiel bei einem eventuellen Ja zur „Homo-Ehe“ unter betont Frommen verlieren und wie viel mehr Stimmen man anderswo genau dadurch gewinnen würde. In der Staatsführung, in der Regierung, im Parlament sind nicht wenige prominente Amtsträger, in den Führungskadern der Parteien nicht wenige Funktionäre in Sachen ehelicher Treue zudem nicht mehr Vorbilder der Nation. Daher fällt es leichter, auch in anderer Hinsicht die Toleranzfähigkeit ernsthafter, religiös engagierter Christen einzufordern, zumal wenn diese bei der Stimmabgabe keine echte Alternative sehen.
Zudem profitiert die CDU davon, dass auch in der kirchlichen - jetzt besonders katholischen - Glaubensgemeinschaft vieles im Argen liegt, nicht zuletzt auf dem sensiblen Feld des Sexuellen. Wenn es stimmt, dass, wie manche Berichte nahelegen, auch im Vatikan schwule Seilschaften existieren und regieren, wenn sogar in einem Theologenmemorandum und in Laien-Forderungskatalogen die lebenslange sakramentale Ehe im Werben, andere Beziehungsformen anzuerkennen, relativiert wird, muss eine politische Partei, die auf „Volkes Stimmen“ in einer christlich bereits weit distanzierten Gesellschaft angewiesen ist, nicht päpstlicher sein als der Papst. Angesichts der realen Verhältnisse kann eine Partei wie die CDU einzig dann größere Teile der Bevölkerung gewinnen, wenn sie darauf verzichtet, das Christliche - womöglich gar in Abhängigkeit vom Kirchlichen - allzu sehr zu betonen. Der Zerfall der Democrazia Cristiana in Italien und die Entwicklung hin zu konservativ orientierten bloßen Volksparteien in vielen europäischen Ländern bestätigen, wie wenig zukunftsträchtig eine ausdrückliche religiöse Grundierung inmitten der säkularen Parteienlandschaft noch ist.
Im Gegenzug sehen sich die Christen in ebenso pragmatischer Offenheit nicht mehr auf natürliche Weise an eine Partei mit „C“ gebunden. Sogar betont Kirchentreue orientieren sich im Parteienspektrum neu. Nicht wenige sind darüber zu Wechselwählern geworden. Das sorgt hin und wieder für überraschende Wechselstimmung. Die CDU kann sich jedenfalls immer weniger auf die ihr einst zuverlässig anhängenden Kirchgänger verlassen. Und das ist auch gut so.
Papst im Bundestag - verdrängt
Das beflügelt positiv den Wettbewerb. Allenfalls noch die Linke kann auf ein festes Klientel in den alten SED-Milieus bauen. Die Grünen haben unter den verbürgerlichten Achtundsechzigern sowie Akademikern ein gewisses Stammpublikum erreicht. Die FDP hat faktisch kein eigenes Milieu mehr, nicht einmal mehr die „Besserverdienenden“. Sie existiert einzig noch durch Leihstimmen. Die SPD ringt nach dem Verlust der Arbeiterschaft um die disparaten Schichten der Angestellten. Einzig die Unionsparteien scheinen es mit Dauer-Pragmatismus geschafft zu haben, quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen Vertrauen zu mobilisieren, mit Machtpolitik von Fall zu Fall. Die Piraten bleiben ein winziger Unruhepunkt. Nicht sicher ist, ob die verschiedentlich geäußerte Absicht, eine neue konservative Partei für unzufriedene Unionswähler zu gründen, die Merkel-CDU aufmischen könnte. Die CDU-Nachkriegsgeschichte mit dem ausdrücklichen Willen, Staat und Gesellschaft betont aus dem Geist und im Geist des Christentums zu erneuern, zu gestalten, ist 2013 jedenfalls definitiv abgeschlossen.
Und was bleibt von der Papstrede im Bundestag? Benedikt XVI. erhielt Beifall für seine philosophische Betrachtung, wie im Licht einer natürlichen, allen Menschen zugänglichen Vernunft und eines davon durchdrungenen natürlichen Rechts gutes Recht geschaffen werden könne. Er widersprach einem kalten Rechtspositivismus, der sich am pragmatisch Machbaren und Gemachten orientiert, ohne auf die inneren geistigen, existenziellen, natürlichen Zusammenhänge und Umwelt-Bedingungen des Menschseins zu achten. Die subjektive Vernunft könne keine beliebige Vernunft sein, sie sei auf eine objektive Vernunft verwiesen, die trotz Meinungsverschiedenheiten etwas Universales, Verbindendes und Verbindliches wahre - für die Humanität, für die Menschenwürde. Benedikt XVI. sprach sich dafür aus, auch eine „Ökologie des Menschen“ zu berücksichtigen, den inneren Seelen- und Geisteshaushalt, an dem man nicht Raubbau betreiben dürfe. Der Mensch besitze ebenfalls eine Natur, „die er nicht beliebig manipulieren kann“.
Die Realpolitik wird zeigen, ob der parlamentarische Applaus für den Papst mehr war als Höflichkeit. Das wahre „C“ nährt sich nicht aus Floskeln vom „christlichen Menschenbild“, die unter anderem von der Bundeskanzlerin immer wieder bemüht werden, letztlich aber ebenso diffus und konfus geworden sind wie das „C“ im Bewusstsein der allermeisten inzwischen religiös distanzierten Getauften.
Wie viel „C“ steckt noch in der Politik, in den Parteien, ja letztlich in den Kirchen? Eine Gewissenserforschung wäre sinnvoll, nicht nur in der Fasten- und Bußzeit, nicht nur im katholischen Interregnum zwischen Papstrücktritt und Papstwahl. Wie ernst meinen wir es überhaupt noch mit dem „C“ in unserer privaten Lebensführung, in unserer Zivilisation? Die kulturellen Folgewirkungen reichen weit über das hinaus, was mit Blick auf die Nicht-Ehe „Homo-Ehe“ diskutiert wird. Im Horizont der großen gesamtgesellschaftlichen Diffusion in „C“ sind weder Parteinamen noch kirchliche Treuebekundungen ein Ersatz für Redlichkeit, Wahrhaftigkeit.