Kirche und FinanzenDas verdammte Geld

Der traurige Fall des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst gibt Anlass zu einer vielfachen Gewissenserforschung.

Die öffentliche Empörung steigerte sich, angeheizt durch die Berichterstattung in den Medien, fast schon ins Hysterische. Ein Bischof verschwendet Unsummen, er baut Gebäude teuer, plant Fertiges kostenträchtig um, kauft großzügigst edle Inneneinrichtungen nach seinem ästhetisch überreizten persönlichen Geschmack. Niemand weiß genau, aus welchen historischen oder aktuellen Quellen das Geld stammt. Doch gewiss ist: Es war ursprünglich das Geld von Gläubigen, durch deren harte Arbeit erwirtschaftet oder in feudalen, quasi-feudalen Pfründesystemen vom Volk erpresst, das wohlgefällig glaubte oder den Grundherren glauben zu müssen meinte. Unter dem Deckmantel des „Bischöflichen Stuhls“ aber wird so getan, als sei es mehr oder weniger eine Art Privatbesitz des Amtsträgers, ihm zur freien Verfügung gestellt, der öffentlichen Kontrolle entzogen - damit er in Freiheit schalten und walten kann, wie er will? Ein Trugschluss! In demokratischen Zeiten erst recht. Daher sind die Glaubenden von heute zu Recht zornig, wenn Ausgaben verschleiert, versteckt, womöglich wissentlich in ein undurchschaubares Dickicht von Lügen eingesponnen werden. Irgendwann kommt es ans Licht. Jetzt ist der Schaden gewaltig, der geistige noch mehr als der materielle.

Wieder einmal: Wasser predigen und Wein trinken? Der Fall des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst ist persönlich tragisch, wobei viele rätseln, wie es möglich war, dass er sich sehenden Auges in solche Fangstricke begeben konnte. Die Amtsautorität hat gelitten. Das Ansehen der katholischen Kirche ist erneut schwer beschädigt worden, vor allem in einer religiös distanzierten, kirchenfeindlichen Öffentlichkeit, und das ausgerechnet in einer Phase, in der sich nach den Skandalen sexuellen Missbrauchs mit dem weltweit vielgelobten furiosen Amtsantritt des neuen Papstes Franziskus die Lage zu entspannen schien. Obwohl es im Christsein um nichts anderes geht als um Gott und um das ewige Leben durch Christus, geht es wieder nur um die Kirche, um das weltlich Ding, das in die Sphäre des Himmlischen hineinreichen möchte, jedoch ständig der banalen irdischen Wirklichkeit verhaftet bleibt. Aber auch das ist ein historisches Gesetz von Anfang an, vom Rangstreit der Jünger um Einfluss und Macht über den Kampf zwischen Petrus und Paulus, wessen Theologietheorie über die Aufnahme ins Gottesvolk die richtige sei, bis zur rechten Verteilung der materiellen Gaben in der Gemeinde.

Selbstwert - Selbstsucht

Gemessen an der gigantomanischen Verschwendungssucht allenthalben, nicht zuletzt durch Staatsdiener, Finanzjongleure und die von den Volksmassen bewunderten Unterhaltungsstars jeglicher Couleur, handelt es sich bei den Beträgen, die in der Limburger Provinz diskutiert werden, eigentlich nur um „Peanuts“. Das Geld allein kann es also nicht sein. Dahinter verbirgt sich eine weitaus heftigere Unzufriedenheit mit der Amtsführung eines Bischofs, der in der Spannung zwischen Sparzwang und Glaubensoffensive anscheinend auch seelsorglich recht eigenmächtig gehandelt und viele Leute - insbesondere engagierte, reformoffene Priester und sonstige pastorale Mitarbeiter - vor den Kopf gestoßen hat. Was sich in den Vorwürfen von „Prunksucht“, „Autoritarismus“ und „Ritualismus“ Luft verschafft, hat mit noch ganz anderen Verletzungen und Verlusten zu tun als denen, die in Euros zu messen sind. Außerdem mag manche Enttäuschung über ausgebliebene Beförderung und Anerkennung unter dem einen oder anderen Protagonisten der Kritik verstärkend gewirkt haben.

Aber es ist eben wie immer: Sobald einmal der Jagdinstinkt der journalistischen Meute geweckt ist, gibt es kein Halten mehr. Der mächtige Trieb, der zur Aufklärung drängt und im selben Atemzug die Sensationsgier der Öffentlichkeit füttert, gehorcht denselben psychischen Gesetzen der Unersättlichkeit, die angeprangert werden. Wieder bestätigt sich: Vor der Ursünde der Begierde ist kein Mensch gefeit, weder Bischof noch Medienschaffender. Aber es gibt seelische und soziale Regelungsmechanismen, die diesen Drang in Grenzen zu halten oder zumindest auf ein erträgliches Maß einzubremsen versuchen. Wenn diese Steuerungen ausfallen, sei es aufgrund fehlender Außenkontrolle oder aufgrund individueller, womöglich krankhafter Veranlagung im Unschärfebereich zum Autismus, kann die jedem Menschen auf natürliche Weise innewohnende Selbstliebe, die zu großen Leistungen befähigt, suchtartige Züge annehmen. Wo das gesunde Selbstwertgefühl aufhört und die Pathologie der Selbstsucht beginnt - das zu bestimmen fällt allerdings selbst Psychologen schwer. Tatsächlich kann ein sozialer Aufstieg in Amt und Würden der Auslöser sein, eine entsprechende Neigung freizusetzen, die im schlimmsten Fall in Realitätsverlust mündet.

Der Limburger Fall hat viele Facetten der Wahrheit. Denn auch ein Bischof ist niemals bloß Einzelgänger. Dieses Amt, das in der frühen Entwicklungsgeschichte des Christentums dem römischer Provinzverwaltungsbeamter „nachgebaut“ wurde, hat in der katholischen Kirche seinen streng monarchisch-autokratischen Charakter zwar immer noch nicht verloren, aber Domkapitel, Ordinariatsräte, Bischofskollegen, einflussreiche Laien-Persönlichkeiten und andere können durchaus - wie es in der Kirchengeschichte oft geschah - rechtzeitig ratend, mahnend, warnend eingreifen. Warum wurde das an der Lahn versäumt? ­Warum versucht ein sogenannter Vermögensverwaltungsrat, sich nun mit Entschuldigung auf Entschuldigung herauszureden, dass er eigentlich nie die Aufgabe zur Kontrolle, bloß zur Beratung gehabt habe? Das ist nachweislich falsch! Und warum hat der angesehene Architekt als verantwortungsvoller Planer nicht mit Nachdruck gebremst, wo das Maß voll war? Auch da: Geldgier? Die vielen Rechtfertigungsversuche, die vor allem mit dem Ur-Vertrauen in den Bischof begründet werden, überzeugen nicht. Offenbar fehlte es an Mut, dem Bischof die Wahrheit ins Gesicht zu sagen.

Hat der Nuntius versagt?

Nicht minder irritiert, wie leichtfertig offenbar immer wieder Kandidaten fürs Bischofsamt ausgesucht werden, obwohl sie angeblich zuvor streng geprüft werden. Auf was hin werden sie eigentlich geprüft? Haben die Vorschlagsberechtigten bei der Suche nach einem Nachfolger für den hoch geachteten Franz Kamphaus geschlafen? Hat der Nuntius versagt, die vatikanische Bischofskongregation? Oder wird die Auswahl doch überwiegend nach dem Maßstab getroffen, ob der künftige Amtsträger stromlinienförmig ins Profil einer konservativ-traditionellen Ausrichtung von Theologie und Kirchenpolitik passt? Querdenker sind nicht willkommen. Das ist das Problem. Wie in etlichen anderen Fällen heißt es auch jetzt wieder: Gewisse Schwächen und Neigungen seien im Vorfeld der Limburger Auswahl bekannt gewesen. Wur­den sie verschwiegen oder schlichtweg ignoriert? Auch diese Fragen könnten Anlass zu einer Gewissenserforschung geben über den Einzelfall hinaus.

Verheiratet, nüchtern, fähig

Warum hält man sich seit nahezu zwei Jahrtausenden bei der Auswahl der Bischöfe eigentlich nicht schlicht und einfach an die sehr konkreten und weiterhin höchst modernen, aktuellen Maßgaben des Neuen Testaments, wie sie eindrücklich im ersten Timotheusbrief formuliert sind? „Das Wort ist glaubwürdig: Wer das Amt eines Bischof anstrebt, der strebt nach einer großen Aufgabe. Deshalb soll der Bischof ein Mann ohne ­Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern, besonnen, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig zu lehren; er sei kein Trinker und kein gewalttätiger Mensch, sondern rücksichtsvoll; er sei nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. Er soll ein guter Familienvater sein und seine Kinder zu Gehorsam und allem Anstand erziehen. Wer seinem eigenen Hauswesen nicht vorstehen kann, wie soll der für die Kirche Gottes sorgen?“

Gewünscht ist also überhaupt kein Übermensch oder spiritueller Superman, nicht einmal ein ausgesprochener Seelsorger, vielmehr jemand, der seriös und treu mit beiden Beinen im irdischen Leben steht, der es versteht, die täglichen Dinge seiner Familie vernünftig, angemessen, umsichtig und sorgfältig zu regeln, das Notwendige zu verwalten, der aber ein gebildeter Mensch sein soll, was sich darin ausdrückt, dass er die Vollmacht haben muss zu lehren.

Wenn die irritierenden Vorgänge um Franz-Peter Tebartz-van Elst etwas Positives bewirken können, dann doch wohl vor allem dies: dass über die Bedeutung, die Ausgestaltung und die Aufgaben des Bischofs­amtes sowie die Auswahl der Kandidaten unter den Bedingungen des dritten Jahrtausends grundlegend neu nachgedacht wird.

Es braucht insbesondere eine größere Bandbreite der Begabungen im Gesamt des Bischofskollegiums. Dass ein Bischof ein Seelsorger sei, wird immer wieder lobend herausgestellt. Aber das ist jeder Pfarrer. Die bischöfliche Autorität sollte darüber hinausgehen. Tatsächlich vermisst man in den bischöflichen Kollegien schmerzlich intellektuelle Persönlichkeiten, die es unter anderem mit den bedeutendsten Intellektuellen der Gegenwart, mit den Kulturschaffenden und wissenschaftlichen Fachleuten innerhalb wie außerhalb der Kirche aufnehmen können, die deren fruchtbare Erkenntnisse und Argumente in die Glaubensfragen hineinnehmen, um die Menschen in Zweifeln und Hoffnungen bildend auszurichten auf Gott. Welcher Bischof versteht es wirklich noch, im Vielerlei seiner sozialen und individualmoralischen Botschaften zu diesem und jenem Sinn und Geschmack fürs Unendliche zu wecken, die Plausibilitätsbrüche im Glaubensverständnis überhaupt erst einmal anzunehmen? Unter den Bedingungen einer wissenschaftlich aufgeklärten, entmythologisierten Welt erscheint vieles weiterhin rätselhaft, widersprüchlich, aber spannungsgeladen an den Grenzen von Entzauberung und Verzauberung, von Sinnlosigkeit und Sinnhaftigkeit. Dem wäre im Lehramt jenseits fixierter Dogmatik einmal eindringlich nachzuspüren. Tag für Tag hört man die Bischöfe über Kirche reden. Was aber haben sie ohne den Reflex sofortiger Apologetik religiös zu sagen zu den Paradoxien und Absurditäten im konventionellen Gottes- und Glaubensverständnis, zum gut begründeten radikalen Umbruch der religiösen Vorstellungswelten? Ein Katechismus-Bischofswesen alter Schule hilft uns nicht mehr weiter. Auch da markiert der Fall des Tebartz-van Elst einen klaren und endgültigen Bruch.

Wie endlich ist die kosmische Unendlichkeit und wie unendlich ist unsere existenzielle Endlichkeit? Da liegen die großen Themen, von denen die Menschen ergriffen und erschüttert werden, wenn man sie nur anregt. In solche Suche nach religiöser Erkenntnis wären die Millionen und Abermillionen bestens investiert. Dabei sollte die Liturgie, dieser „öffentliche Dienst“ im heiligen Spiel des Heilsdramas Welt, nicht zu kurz kommen. Es geht um nichts anderes als um die Hoffnung auf Auferstehung - um die Argumentationskraft des Ewigen. Stattdessen dreht sich der Dauerstreit um ­Seelsorgeeinheiten, Gemeindestrukturen, Leitungskompetenzen, Führungsvollmacht, Personalentwicklung usw., als ob am Management-Kirchenwesen unsere Seelen genesen. Vom großen Fest des Glaubens scheint wenig übrig geblieben zu sein im Jammertal der absolut langweiligen, nur noch um sich selbst kreisenden Allerweltskirchen-Vereinsmeierei.

Wie wächst Vertrauen?

Mit der Fixierung auf Kirche als Struktur und Unterhaltung wurde - wenn auch ohne böse Absicht - eine Glaubensdemontage gefördert. Und damit einher ging eine Demontage des Bischofsamtes. Während in allen sonstigen Religionen die geistlichen Führungspersönlichkeiten hoch geachtet, respektiert, geehrt und verehrt werden, ist in den letzten Jahrzehnten durch den Beschuss mit Dauerkritik das Besondere des Bischofsamtes weitgehend eingeebnet worden. Ein Bischof ist aber nicht jemand wie Hinz und Kunz. Als Reprä­sentant des Heiligen, als Verwalter und Vermittler im Dienst Gottes soll er die Menschen inspirieren, vorangehen in der sakramentalen Öffnung des Irdischen, Materiellen auf das in allem durchscheinende Geistige, Himmlische hin. Darin liegt der Kern jener obersten Verwaltungstätigkeit, die zugleich eine priesterliche Tätigkeit ist: lehrend, heilend, redend, entscheidend und urteilend das Menschsein erheben in die göttliche Berufung eines jeden Einzelnen. Das Bischofsamt besitzt eine eigene Würde, die allerdings nicht aus sich selber kommt und auch nicht vom Himmel fällt, sondern aus der Kraft von Bildung und Selbstbildung, von Argumentation erwächst. Es ist höchste Zeit, neues Vertrauen ins Bischofs­amt zu fördern und zu gewinnen.

Dazu müssen allerdings die Amtsträger ihre Verantwortung für den bischöflichen Autoritätsverlust genauso kritisch bedenken. Sie haben durch Selbstdemontage den Bischofsdienst mit in die Krise gestürzt und Glaubwürdigkeit verspielt: durch Besserwisserei, Beratungsresistenz, Starrsinn, ­Autoritätsgehabe, Realitätsverweigerung, Re­formverschleppung, Romhörigkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit, Fortschrittsverachtung, Antimodernismus und Amtsanmaßung. Vielleicht könnte der hoffnungsvolle Amtsantritt von Papst Franziskus als Kon­trast zu den traurigen Entwicklungen um Tebartz-van Elst einen wichtigen Korrektur- und Lernprozess einleiten: im Bischofskollegium, im sonstigen Klerus wie im Kirchenvolk. Es ist nicht gut, was die Gläubigen mit ihren Bischöfen in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Es ist aber auch nicht gut, was die Bischöfe vielfach aus sich selber nicht gemacht haben.

Für Gott das Beste

Wenig zukunftsweisend sind die Dürftigkeit und Belanglosigkeit, in der wir uns in einem mal mehr progressiven, mal mehr konservativen Traditionschristentum behaglich eingerichtet haben. Der Ruf des Papstes zur Armut bedeutet ja keineswegs, in geistige, intellektuelle und ästhetische Armseligkeit zu fallen. Das betrifft insbesondere die sinnliche Wahrnehmung im Christentum.

In allen Religionen ist für die Gottheit das Beste gerade gut genug. In allen Religionen wird opfernd dem Heiligsten das Wertvollste dargebracht als Dank für die große Gabe des Lebens. In keiner Religion werden Kosten und Mühen gescheut, um ins Heilige zu investieren, seien es prachtvolle Pyra­miden, Tempel- und Klosteranlagen, Moscheen, Synagogen oder sonstige Weihestätten. Im Kontext des Heiligen hat sich, begonnen bereits bei der Höhlenmalerei der frühen Menschen, die Kunst entwickelt und weiterentwickelt, Bildende Kunst, Malerei, Musik, Literatur, Architektur, Theater. Wir bewundern die bedeutenden Bauwerke der Vergangenheit, die Menschen zum Lob und Ruhm Gottes errichtet haben. Selbst ärmliche Dörfer haben teure Künstler bezahlt, sich verausgabt, um Gott die Ehre zu geben. Und wie viele Äbte, die sich als Bauherren überhoben hatten, wurden „in die Wüste geschickt“ für ein Werk, das wir heute als Ausdruck höchster Kunstsinnigkeit und innovativsten Fortschritts preisen!

Zudem wurden und werden in vielen Religionen kostbare Amtssitze errichtet für jene, die auf Zeit - und niemals in alle Ewigkeit - Verantwortung tragen für den rechten Dienst und die rechte Lehre. Auch diese Residenzen bewundern wir heute. Nicht wenige gehören zum Weltkulturerbe. Sie sind nicht nur der subjektive Ausdruck individueller Lebensfreude und Lebenslust des Amtsinhabers, sondern ein objektives Zeichen für das Sakrale, das alles Säkulare übersteigt.

Seit jeher hat sich auch die weltliche Architektur solcher Erhabenheit bemächtigt. Ob Burgen, Schlösser oder sonstige Residenzen von Fürsten, Königen und Kaisern - vom römischen Palatinhügel aus eiferten die Palasthelden stets um die Wette, um sich gegenseitig zu überbieten und ihre Herrlichkeit - gedacht aus Gottes Gnaden - in die Welt strahlen zu lassen. Wenn es um öffentliche Repräsentanz geht, hat das Geld eben nur eine dienende Funktion. Niemand würde sich beschweren, dass der Amtssitz einer Bundeskanzlerin gut eine Viertelmilliarde Euro an Baukosten verschlungen hat. Die kritischsten Journalisten, die sich im Fall Tebartz-van Elst besonders aufklärerisch hervortun, genießen ihren Triumph über einen gedemütigten Bischof ebenfalls residierend, in nobelster Architektur hoch oben thronend im weit über hundert Millionen Euro teuren Prachtbau in der Hamburger Hafencity. Banken streben als die neuen Götter des globalen Kapitals mit ihren Türmen in den manchmal allerdings doch wolkig vernebelten Himmel. Vom Guggenheim-Museum über den erneuerten Louvre bis zum Stelenwald des Holocaust-Mahnmals für die ermordeten Juden Europas steht außer Frage, dass das Gedenken und Erinnern seinen Preis hat, haben darf und haben soll. Denn die Würde des Menschen ist auch die Würde seiner Kunst, erschütternd und aufrichtend quer durch die Zeiten.

Es ist ein Drama, dass wir angesichts der Abbruch- und Abrissarbeiten des Christlichen in Europa kaum noch Gelegenheit haben, über das Architektonische etwa von Kirchenneubauten die innovative Geisteskraft des Glaubenssinns ausstrahlen zu lassen ins öffentliche Leben, auf die Straßen und Plätze der Stadt. Im Religiösen herrschen Lähmung, Rückschritt, Depression. Kirchengebäude werden eingemottet, entleert, umgewidmet, plattgemacht. Stattdessen entstehen im kulturellen Wettbewerb hierzulande repräsentative Moscheen. Eine bedeutende Baumeisterfamilie wie die der Böhms, die einst avantgardistische Kirchen entwickelte, erhält Aufträge vom Islam, um dort jenes Geistige durch Stein, Glas und Stahl transparent werden zu lassen, für das im christlichen Milieu kein Raum mehr ist, nachdem man sich hier weitgehend mit Museumspflege - künstlerisch wie liturgisch - abgefunden hat. Während in vielen Zeitungen bedeutende Synagogen-Neubauten in verschiedenen deutschen Städten hochgelobt wurden, hat sich das kirchliche Niveau weitgehend auf die Sparflamme einiger Kapellen begeben, da und dort allenfalls noch aufgemischt von einer Autobahnkirche. Die Gegenwart des Christlichen verlangt jedoch nach einer Gegenwart der Kunst, um anschlussfähig zu bleiben, wieder auf die Höhe der Zeit zu kommen.

Sinnliches Christentum

Man mag darüber streiten, wie weit es beim Bau des Amtssitzes auf dem Limburger Domberg mit rechten Dingen zugegangen ist und ob am Ende bewusster Betrug oder schlichtweg Panik angesichts der schwindelerregenden Kosten das bischöfliche Chaosverhalten und seine Ausflüchte bestimmte. Auch mag man über das bauliche Ensemble, die Ästhetik seiner Außenwirkung und die Gestaltung der Inneneinrichtung geteilter Meinung sein, nicht zuletzt über die Kapelle, die fremdartig wie ein „Playmobil-Häuschen“ ihr Spitzdach hinausreckt. Von Fachleuten wird das Gesamtprojekt des renommierten Architekten Michael Frielinghaus allerdings als „hervorragend gelungen“ bewertet, als eine „Synthese aus Alt und Neu, reich an fesselnden bildhaften Verweisen auf die sakrale Bestimmung“. Mit einer Ausnahme: „Die hypertrophe Bischofswohnung, die für Unsummen aus dem Ausland importierten Materialien, die selbstherrlichen Umplanungen dagegen kann man nicht anders als das Denkmal eines blinden Ästhetizismus und maßloser Verschwendung nennen. Dafür muss nun der gesamte Amtssitz büßen“ - so Dieter Bartetzko in der „Frankfurter Allgemeinen“.

Jedenfalls sollte die Kritik an den Kosten und am bischöflichen Realitätsverlust des Maßes selber nicht maßlos werden. Der Glaube ist und bleibt auf Sinnlichkeit und Partizipation an künstlerischer Qualität angewiesen. Wir leiden im Christentum zurzeit nicht an einem Zuviel, sondern an ­einem Zuwenig an Kunstverständnis, Ästhe­tik, Schönheit, Kostbarkeit und Experiment. Stattdessen regiert allzu häufig das Billige, Durchschnittliche, Banale, Belanglose, die Allerweltsware des Allerweltsgeschmacks.

Das verdammte Geld! Auch 31 Millionen oder mehr sollten uns nicht irremachen, uns nicht ablenken davon, dass unser Dasein für das Geistige materiell verfasst ist. Gott ist das Schöne - und nicht nur das Wahre und Gute. Über Wahrheit und Moral wird ausgiebig gepredigt. Das Schöne und Herausfordernde, ja auch Ergreifende und Erschütternde der Kunst scheint jedoch in einem spießigen Alltags-Wellnesschristentum in Vergessenheit geraten zu sein. Selbst wenn der Versuch des Franz-Peter Tebartz-van Elst, das Schöne angesichts des Heiligen wiederzugewinnen, nur zur Befriedigung seiner Vorlieben inszeniert worden sein mag, bleibt doch die Herausforderung, im Glaubensleben wieder das Ästhetische im künstlerischen Experiment unserer Zeit und mit unserer Zeit zu wagen.

Gott hat dem Homo sapiens mit den Sinnen die Sinnlichkeit in die Wiege gelegt. Der religiöse Mensch kann sich damit jener Spannung aussetzen, in der sich Himmel und Erde berühren, um sinnlich Sinn zu suchen und zu finden. Die absurden Geschehnisse in der Limburger Provinz sollten daher zuvorderst eine Mahnung sein, kirchlichen Provinzialismus in seinen verschiedensten Schattierungen zu überwinden. Auch wenn wir nicht mehr in den künstlerischen Maßen etwa der Renaissance oder des Barock groß zu denken wagen, sollte der christliche Glaube es uns doch wert sein, im Wettbewerb der Ideen und Taten - auch des Bauens - künstlerisch und ästhetisch nicht hintanzustehen.

Tebartz-van Elst wird irgendwann vergessen sein, so wie wir alle irgendwann vergessen sind. Damit aber Gott nicht vergessen wird, dazu gibt es Religion, dazu gibt es die Sinne, die Emotion, den Verstand und die Form - nicht zuletzt die echte, wahre, starke Kunst, inspirierende und befremdende Kunst. Kunst aber kommt von Können, auch die Kunst des Leitens durch Lehren wie Lernen. Die Geschehnisse auf dem Domberg oberhalb der Lahn geben Anlass zu vielfältiger Gewissenserforschung, nicht nur dort „oben“, nicht nur im besonderen bischöflichen Amt.

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