Arme Menschen sind im reichen Europa schlafend in den Parks, unter Brücken oder vor den Eingängen großer Warenhäuser sichtbar - vor allem aber tagsüber bettelnd in den Innenstädten. Über Fernsehen, Internet und Zeitungen erreichen uns Berichte bitterster Armut, wenn beispielsweise in Bangladesch hunderte ausgebeuteter Arbeiterinnen unter den Trümmern einer Bekleidungsfabrik sterben, Menschen vor großen Sportereignissen wie zuletzt der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien aus ihren Elendsvierteln vertrieben werden oder eine europäisch-amerikanische Geberkonferenz mehr als vier Milliarden Euro für den Wiederaufbau des zerbombten Gazastreifens zusagt.
Es sind vor allem Zahlen, die in unserer medial vermittelten Wirklichkeit Armut beschreiben und auch zuschreiben. „Die Zahl der armen Kinder in Deutschland wächst“, meldete die „Süddeutsche Zeitung“. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger insgesamt stabil geblieben, der Anteil der Kinder unter 15 Jahren, die auf diese staatliche Unterstützung angewiesen sind, sei aber in den vergangenen zwei Jahren von 15 auf 15,7 Prozent angestiegen. „Für viele der 1,64 Millionen Mädchen und Jungen bedeutet dies: einmal Hartz IV, viele Jahre Hartz IV“, fasste die Münchner Tageszeitung eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zusammen.
Gemessen werden zunehmend auch die Erfolge beziehungsweise Misserfolge von sechzig Jahren Entwicklungshilfe. „Nicht unbedingt schmeichelhaft“ ist der Blick zurück, meint etwa Wolfgang Maier, der bei der Konrad-Adenauer-Stiftung für europäische und internationale Zusammenarbeit zuständig ist. In den „Auslandsinformationen“ fragte er: „Wird es 2030 überhaupt noch eine Entwicklungspolitik geben?“ Die Dekaden der Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit, so Maier, sind dann vergessen. Die Welt werde nicht mehr in die Pole „Nord und Süd - Geber- und Nehmerländer“ eingeteilt sein. Die neue Entwicklungspolitik „wird weniger ‚Entwicklung‘ sein, dafür mehr ‚Politik‘ werden, sie wird breiter aufgestellt und vielschichtiger (‚komplexer‘) werden, sie wird kulturell sensibler werden, und sie wird deutlichere strategische Elemente beinhalten - und schließlich: Sie wird nicht mehr ‚von uns gemacht‘ werden“.
Der Sohn des Zimmermanns
Dieser optimistische Blick in eine gar nicht so weit entfernte Zukunft steht jedoch im Kontrast zu den Befindlichkeiten und aktuellen Verhältnissen zwischen den - im weltweiten Maßstab reichen - Staaten innerhalb der Europäischen Union, den Bundesländern innerhalb Deutschlands, ja zum Gefühl der Menschen innerhalb der Gesellschaft. Die Welt ist in der EU nach wie vor streng in „Nettozahler und Nettoempfänger“, hierzulande in „Geber- und Nehmerländer“ und gesellschaftlich in „Steuerzahler und Bezieher von staatlichen Leistungen“ getrennt. Wirtschaftliches Wachstum und eine durchschnittlich deutlich bessere finanzielle Ausstattung haben ein Denken in den Rastern von Arm und Reich keineswegs erledigt. Verbissen wird debattiert, wer und was an der nach wie vor bestehenden, wenn nicht gar wachsenden Ungleichheit schuld ist. Die einen bemängeln einseitige wirtschafts- und finanzmarktfreundliche Strukturen, die anderen kritisieren Staaten, die finanziell über ihre Verhältnisse leben, Bundesländer, die auf Kosten anderer großzügig Wahl- und Steuergeschenke verteilen, Menschen, deren Faulheit und Antriebslosigkeit durch staatliche Hilfen weiter verstärkt werden.
Anstoß an „Armut“ nehmen und Anstöße für die Debatte geben wollten auch die diesjährigen Philosophischen Tage der Katholischen Akademie in Bayern. Für den Innsbrucker Philosophen und Leiter der Veranstaltung, Winfried Löffler, handelt es sich bei „Armut“ um einen philosophisch vernachlässigten und zugleich höchst zwiespältigen Begriff. So gilt Armut als zu bekämpfendes Problem. Gleichzeitig wurde sie als einer der von Ordensleuten und Priestern gelobten evangelischen Räte neben Gehorsam und Keuschheit idealisiert. Selbst vor Romantisierungen ist Armut nicht gefeit, wie an nicht wenigen weihnachtlichen Krippen oder beispielsweise dem berühmten Bild „Der arme Poet“ von Carl Spitzweg (1808-1885) zu beobachten sei.
Wie über Armut gedacht wird, ist keineswegs ein rein akademisches Problem. Denn für den Umgang mit armen Menschen ist die Bewertung der Armut und ihrer Ursachen entscheidend, betonte der theologische Direktor und Sprecher des Vorstands des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche im Rheinland, Uwe Becker. Unter dem Einfluss jüdisch-christlichen Denkens sei es zu einer Umkehr des Denkens gekommen. Dem griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.) galt „körperliche Arbeit als Ausdruck von Unfreiheit“, da die tägliche Sorge um das Lebensnotwendige ein von Tugend und der Wahrheitssuche geprägtes Leben unmöglich mache. „Diese grundsätzliche Diffamierung der körperlichen Arbeit wurde in der jüdisch-christlichen Tradition überwunden“, erläuterte Becker. Gott erschafft die Welt. Jesus, der Sohn eines Zimmermanns, beruft Handwerker und Fischer zu seinen Jüngern, und seine Gleichnisse sind wie im Fall der Arbeiter im Weinberg geprägt von Themen und Bildern des Arbeitslebens.
Diese christliche Aufwertung der Arbeit geht einher mit der radikalen prophetischen und jesuanischen Kritik am Reichtum der Reichen und seiner besonderen Hinwendung zu den Armen und Ausgeschlossenen. „Armut wurde folglich in der frühen Christenheit über Jahrhunderte hinweg als ein Stand gewertet, der einerseits in besonderer Weise religiöse Verehrung erfuhr, andererseits aber auch das caritative Handeln der Kirche und frühen Christenheit einforderte“, beschrieb Becker die Folgen. Die Rede vom Weltgericht (Mt 25,31-46) diente als Begründung: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Die Almosengabe im frühen Mittelalter wird so zur „heilsökonomischen Win-win-Situation“: diesseitiger Gewinn für den Armen, Erlass jenseitiger Strafen für den Wohltäter.
Arbeiter und Bettler
Nicht nur, dass sich die christliche Hochschätzung der Arbeit und Wohlwollen gegenüber dem - unschuldig - in Not Geratenen bis heute hält, auch die begriffliche und inhaltliche Nähe von Arbeit und Armut hat sich durch die Geschichte hindurch eingebrannt. Die Pestwellen im 14. Jahrhundert verringerten drastisch die Bevölkerung großer Regionen. Die Lebensmittelpreise verfielen. Die verarmte Landbevölkerung strömte in die Städte, in denen ebenfalls aufgrund des „Schwarzen Todes“ Arbeiter fehlten. „Daraus resultierte eine bis heute bestehende Paradoxie: Obwohl ganz offensichtlich Arbeitskräfte fehlten, war das Stadtbild geprägt von arbeitslosen Bettlern, die, anstatt zu arbeiten, um Almosen nachsuchten“, so Becker. Es etablierte sich die Logik, „dass Arbeit Armut überwindet“. Die Armen mussten beweisen, „warum ihrer Armut nicht durch Arbeit ein Ende gesetzt werden kann“.
In der Neuzeit dienten „Zucht- und Armenhäuser“ dazu, die Betroffenen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen und sie mittels durchgängiger Überwachung und einer rigiden Rhythmisierung des Tagesablaufs zu disziplinieren. Arbeit gilt bis heute als das Rezept zur „Heilung“ der Armutsproblematik. Becker: „Erwerbsarbeit ist gewissermaßen die ‚Zentrale‘ der Gesellschaft und zugleich ihr ‚Umkleideraum‘, in dem ihre einzelnen Mitglieder sich erst einmal mit dem Gewand der Gesellschaftsfähigkeit ankleiden… Kein gesellschaftlicher Faktor wird derart mit Projektionen, aber auch mit realen Funktionen behaftet, was seine Wichtigkeit und Vermittlungsfähigkeit anbelangt bezüglich der sozialen Kontakte, der Sinnstiftung, der Strukturierung des Lebens, der Sicherheit und Vorsorge für das Alter, der Lebensfreude, der Emanzipation, des Nutzens für das Gemeinwohl, der Anerkennung im gesellschaftlichen Gefüge und schließlich der Vermeidung von Armut.“
Die Schwierigkeiten einer hochtechnisierten „Arbeits“-Gesellschaft liegen auf der Hand. Nicht nur, dass es angesichts eines immer höheren Grades der Automatisierung und Rationalisierung schlicht nicht genug Arbeitsplätze gibt. Für weniger gebildete Menschen bleibt immer weniger zu tun. Maschinen erledigen „einfache“ Tätigkeiten effektiver und zuverlässiger. Der politische und gesellschaftliche Druck hat den Arbeitgebern verzweifelte Arbeitssuchende in die Hände getrieben, die schlecht bezahlte Teilzeit-Jobs fast noch dankbar annehmen. Auf der Münchner Armutstagung waren sich die Referenten einig, dass das von den Regierenden gefeierte „Job-Wunder“ die Lage armer Menschen verschärft hat.
Das Leistungsideal
Dennoch ist die Situation der meisten europäischen Armen nicht mit der von Betroffenen in südlichen Weltgegenden vergleichbar. Die dort herrschende flächendeckende absolute Armut bedeutet, dass die Menschen keine Perspektive auf Zukunft haben und viele eines vermeidbaren, frühen Todes sterben. „Ist Armut bei uns weniger dramatisch?“, fragte rhetorisch der Politikwissenschaftler Helmut P. Gaisbauer vom Salzburger Zentrum für Ethik und Armutsforschung. „Nein“, so seine entschiedene Antwort. Aufgrund eines zutiefst materialistischen Menschenbildes wird Erfolg allein persönlicher, individueller Leistung zugeschrieben. Strukturen, die Herkunftsfamilie, glückliche Umstände, die zu Reichtum führen, würden einfach ausgeblendet. Entsprechend suchen Arme die Fehler oftmals allein bei sich. Das Gefühl, am Leistungsideal gescheitert zu sein, sorgt für Scham. Anstatt die zustehenden staatlichen Leistungen abzurufen, fürchten Betroffene, entdeckt zu werden und „das Stigma der Armut umgehängt zu bekommen“. Aus einem persönlichen Gespräch berichtet Gaisbauer von einer Familie, die ihrer Tochter anlässlich der Fahrradprüfung in der vierten Klasse ein neues Rad kauften und sich noch mehr verschuldeten, nur damit die Armut nicht sichtbar, nicht entdeckt wird. Dass es Missbrauch von Sozialleistungen gibt und Arbeitslose nicht einfach bessere Menschen sind, berechtigt, so der Tenor auf der Münchner Armutstagung, nicht dazu, Arme unter Generalverdacht zu stellen.
Der Begriff einer „relativen Armut“ beruht auf dem Vergleich mit anderen. Ganz gleich, ob man die Armutsschwelle - wie häufig zu hören - bei einem Wert von weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens ansiedelt oder darunter: Die Gruppe der „relativ Armen“ bleibt gleich - unabhängig davon, wie sehr sich das gesamtgesellschaftliche Niveau verändert. Auch die Selbstachtung des Menschen ist von Vergleichen geprägt, wie der Münchner Philosoph und Vorstandsreferent beim Caritasverband im Erzbistum München und Freising, Thomas Steinforth, darlegte. Was und wie ich bin, vergleiche ich immer auch damit, was mir grundsätzlich zusteht. Und neben allem, was ich mir aneignen kann, bin ich auch auf eine Anerkennung angewiesen, die ich nicht selbst schaffen kann. Die Achtung durch andere muss nicht nur hörbar, sondern auch spürbar für das Selbst sein.
Armut bedeutet auch fehlende Teilhabe, gesellschaftliches Ausgeschlossensein. Das gefährdet die Selbstachtung mehr noch als materieller Mangel. Während bei den einen sich das Gefühl verfestigt, grundsätzlich auch weniger wert zu sein, ein besseres Leben gar nicht verdient zu haben, verstärkt Mangel bei anderen die Solidarität innerhalb der benachteiligten Gruppe. Weil man sich von der Gesellschaft verletzt fühlt, kapselt man sich ab, rebelliert gegen die Werte und Haltungen der Mehrheit offensiv. Jedes noch so gut gemeinte Hilfsangebot wird abgelehnt.
Wenn aber das allgemeine, in Fernsehen und Hochglanzmagazinen sichtbare Leistungsideal als Ursache für den immensen Druck ausgemacht und beklagt wird, stellt sich die Frage: Gibt es alternative Konzepte oder gehört das Sich-mit-anderen-Vergleichen und Etwas-leisten-Wollen nicht zum Wesen des Menschen? Selbst in wohlhabenderen Schichten sind die Lebenszufriedenheit und die Selbstachtung keineswegs höher oder der Neid auf den, der noch mehr hat, geringer. Und auch jene, die nicht dem schnöden Mammon anhängen, vergleichen sich mit anderen - auch wenn es sich auf Bildung, prestigeträchtigere Ämter, Musikalität oder anderes bezieht.
Wenn die Selbstachtung so sehr vom Vergleich mit anderen abhängt, stellt sich die Frage: Löst nicht die öffentliche Darstellung und Präsentation von „Armut“ durch Medien, Politiker oder auch caritative Verbände sowie die Behauptung, dass Einzelne oder bestimmte Gruppen „arm“ seien, genau diese Negativgefühle erst aus? Der Eindruck der Betroffenen von sich selbst, weniger wert zu sein, könnte gerade dadurch verstärkt werden. Das würde die Menschen erst recht müde, krank und risikoscheu machen. Der gesellschaftliche Abstieg wäre vorgezeichnet. Thomas Steinforth spricht sich dafür aus, mit der Zuschreibung „Arm!“ vorsichtig zu sein und unser wechselseitiges Achten, Anerkennen und Wertschätzen kritisch zu prüfen.
Die Gefahr, in absolute Armut abzurutschen, gibt es auch in Europa (wieder). Das zeigt beispielsweise die tägliche Speisung von rund zweihundert obdachlosen und armen Menschen durch die Benediktiner in der Münchner Innenstadt-Gemeinde Sankt Bonifaz. Beim Besuch der Einrichtung erläuterte Prior Emmanuel Rotter, wie sehr die fehlende Selbstachtung zu innerer und äußerer Verwahrlosung führt. Hilfe für einen wirklichen Neuanfang, die über die Versorgung mit Essen und Kleidung hinausgeht, gelingt nur in wenigen Fällen. Selbst für den Gang in die angegliederte Arztpraxis braucht es zum Beispiel trotz schwerster und schmerzhaftester Entzündungen der Beine viel Überzeugungsarbeit und Überredungskunst.
Für den Leiter des Salzburger Zentrums für Ethik und Armutsforschung, Clemens Sedmak, wäre ein bedingungsloses Mindesteinkommen vielleicht doch eine Möglichkeit, den Teufelskreis von fehlender Selbstachtung, relativer und schlussendlich absoluter Armut zu durchbrechen. Der Vorteil sei, dass Menschen dann nicht mehr gezwungen sind, jede schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen, die ihnen ja aufgrund des fehlenden Ansehens auch nicht zu mehr Selbstachtung verhilft und meistens nur die Gefangenschaft in „Armut“ bestärkt. Ein Experiment der kanadischen Regierung in den siebziger Jahren sei erst vor einigen Jahren von einer Soziologin anfanghaft ausgewertet worden. Das Ergebnis: Arme Beschäftigte profitierten durch das bedingungslose Grundeinkommen von einem deutlich höheren Lebensstandard. Der befürchtete Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt blieb dagegen aus. Nur Mütter und Jugendliche ließen mehr Zeit verstreichen, bis sie wieder einer Erwerbsarbeit nachgingen. Erstere, weil sie länger bei ihren Kindern zu Haus blieben, zweitere, um die Schule abzuschließen.
Wege in die Selbstachtung
Da es derzeit illusorisch erscheint, auf die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu hoffen, legte Sedmak, der auch Sozialethik am Londoner King’s College lehrt, Vorschläge für eine gelungene Armutsbekämpfung vor. Zuerst müssten die Schäden, die heute zu oft durch die Hilfen selbst entstehen, verringert werden, indem die versteckten Ziele der Helfer aufgedeckt werden. Aufträge zur Armutsbekämpfung an profitorientierte Firmen zu vergeben, „ist eine bösartige Idee“, so Sedmak. Natürlich steht dann das Ziel, Geld zu verdienen, im Vordergrund.
Hilfsprojekte sollten von politischer Seite ohne zuvor bestimmte Zeitbegrenzung ausgeschrieben werden. Die dadurch erreichbare Beständigkeit und die Bewahrung des Know-hows sorgten für Sicherheit bei den Betroffenen und befreiten die Helfer von zeitlichem und finanziellem Druck, der noch nie zu besseren Leistungen und Ergebnissen geführt habe. Zudem sollte man Hilfebedürftigen nur Versprechungen machen, die eingehalten werden können, und Gelegenheiten anbieten, die für sie auch handfeste Möglichkeiten bieten. Das bewahrt vor enttäuschten Hoffnungen.
Von Armut Betroffene müssten zunächst einmal aus „giftigen Institutionen“ herausgehalten werden. Beispielsweise erzeuge eine Schule, an der permanente Gewalt, Lärm und Unberechenbarkeit vorherrschten, Stress bei allen Beteiligten. Wer hier helfen will, müsse zunächst diese Situation ändern. Es gelte aber auch, innere Hindernisse abzubauen. Häufig gebe es Gewalterfahrungen, gescheiterte Beziehungen sowie Erlebnisse enttäuschter Hoffnungen. Diese traumatischen Gedächtnisspuren müssten mit Erfahrungen gelingender und beständiger Beziehung „überschrieben“ werden. Studien zeigten, dass Projekte, die auf langfristige, beständige Begleitung setzen, bei den Betroffenen dazu führen, dass sie sich höhere Bildungsziele stecken und dafür ihre Energie einsetzen.
Entscheidend ist nach Sedmak das Menschenbild: Glaubt man an die Idee einer Seele oder hängt man dem Konzept eines Gehirns an, an dem man wie an einer Maschine herumschrauben kann? Armutsbekämpfung gelinge nur mit „Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben und denen es nur um die Armen geht“.
Deshalb erwarten sich die in München versammelten Philosophen auch neue kirchliche Anstöße vom „Papst der Armen“, wie der Untertitel des Buchs „Sein Name ist Franziskus“ (Schöningh 2014) von dem Theologen und Jesuiten Hans Waldenfels lautet. Das viel zitierte Wort von der armen Kirche für die Armen hat durchaus zu Widerspruch geführt. Mancher sah darin gar eine Glorifizierung Armer und eine Idealisierung der Armut. Waldenfels zeigt jedoch auf, dass der Papst nicht die Armut verklärt, sondern sie für ihn in einer „Haltung großer Freiheit“ besteht. Bereits der Heilige aus Assisi habe keineswegs zum Bettlerdasein eingeladen. „Von seinen Brüdern fordert er, dass sie arbeiten und sich sinnvoll für die Mitmenschen einsetzen. Aus der Haltung innerer Freiheit ergeben sich der Einsatz für die Gerechtigkeit, die Haltung der Solidarität mit all denen, die an den Rändern menschlicher Existenz leben, folglich auch mit denen, die gar nicht arbeiten können und daher zu Bettlern werden, die krank und verlassen sind, das Bemühen um Versöhnung und Frieden“, so Waldenfels.
In seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (Freude des Evangeliums) macht Papst Franziskus deutlich, dass sein Verständnis von Armut als Bereitschaft zum Teilen alle angeht. „Damit alles menschliche Tun vom Evangelium verwandelt wird, darf sich niemand von der Sorge um die Armen und um die soziale Gerechtigkeit freigestellt fühlen.“ Auf die Frage, was man persönlich denn tun könne, antwortete der Armutsforscher Clemens Sedmak ähnlich: „Gehen Sie Freundschaften mit Armen ein - nicht weil sie arm sind, sondern weil sie Mitmenschen sind.“