Woher diese Erregung der Massen, in Frankreich - und teilweise in anderen Ländern? Nach den Attentaten islamischer Terroristen in New York, Madrid oder London gingen nicht Millionen protestierend auf die Straßen, obwohl damals mehrere tausend Menschen umgebracht wurden. Und in Amerika wurde seinerzeit interreligiös für die Opfer gebetet, jetzt überwiegend bloß demonstriert. Sogar viele Staatsmänner und die weltweit mächtigste Staatsfrau gingen anlässlich des ergreifenden Trauer- und Bekenntnismarschs in die Hauptstadt des Laizismus, um in einem Symbolbild ihre Abscheu gegenüber den Verbrechen „Heiliger Krieger“ zu bekunden. Der Anschlag auf die sogenannte Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ wurde als Angriff auf die westlichen Werte, die westliche Freiheit begriffen. Der Überfall auf ein jüdisches Geschäft mit mehreren Toten ging in der quasi-hysterischen Aufmerksamkeit für das in der Auflage schwächelnde Magazin ziemlich unter.
Optisch, in den Medien, wurde der Anschein erweckt, als würden die Politiker den Protestzug anführen. Wie die Presse erst nachträglich korrigierte, hatten sie sich bloß für gut eine Viertelstunde für die Kameras der Weltpresse in einer mit Sicherheitskräften abgesperrten Nebenstraße an der Spitze einer kleinen Gruppe weiterer Personen aufgestellt, um dann in die Autos zu steigen und wegzufahren. Politiker sollen außerdem nicht demonstrieren. Sie sollen Gesetze machen, deren Ausführung organisieren, für Recht und Ordnung sorgen, über die innere wie äußere Sicherheit einer Nation wachen. Der Ort der Repräsentanten des Souveräns Volk ist nicht die Straße, sondern das Parlament sowie der Regierungs„palast“. Die jetzige Unruhe der Staatsmächtigen, die nicht mehr mit Rhetorik zu überspielen ist, treibt sie zu unüblichem Verhalten. Der Grund ist die abgrundtiefe politische Hilflosigkeit und Ratlosigkeit angesichts des Dschihad, der global seine Kreise zieht und nun das Abendland erfasst. Zwar sucht man nach Schuldigen, um abzulenken. Geheimdienste werden auf Versagen hin durchleuchtet, als ob es sich bei der radikalislamischen Bewegung um etwas handele, das man gut mit technokratischen Sicherheitsmitteln bekämpfen könne. Schärfere Überwachung der elektronischen Kommunikation zur Vorbeugung als logische Konsequenz? Nein danke!, regt sich schon wieder empörter Widerspruch im Namen der Freiheit gegen andere Freiheit. Das Absurde und Tragische ist und bleibt eben Teil der Politik und einer stets im Dilemma gefangenen Welt struktureller Sündenverfallenheit.
Unsere „Werte“? - längst relativ
Die böse Überraschung von Paris war eigentlich keine Überraschung. Schon aus dem geistlichen, religiösen Testament Mohammed Attas, des Anführers der geradezu apokalyptischen Geschehnisse des 11. September 2001, ließ sich entnehmen, um was es diesen Kämpfern eigentlich geht: um „Gott“, um Allah und seine Ehre. Es handelt sich eben nicht bloß um einen Ausbruch von Wutbürgertum gegen das „westliche System“, dessen Arroganz und zur Schau getragene Unberührbarkeit sich im Ernstfall als wenig sattelfest erweisen.
Vermutlich schwingt im gegenwärtigen Erregungstaumel viel mehr Selbstzweifel mit, als den einzelnen Entrüsteten bewusst ist und sie sich eingestehen möchten. Wie immer nach solcher Erschütterung bis tief in die Seele wird floskelhaft Zusammenhalt beschworen. Was aber hält Gesellschaften wirklich zusammen, wenn es nicht mehr der Glaube ist, der zusammenhält? Allenfalls noch ein Lippenbekenntnis der Verantwortung vor Gott und den Menschen, begleitet von einem vagen Verfassungspatriotismus und Rechtspositivismus diffuser Werte, in denen jederzeit jeder durch einen anderen relativiert werden kann, auch ohne Zwei-Drittel-Mehrheit? Längst ist ja über Bord geworfen, was einmal als unhintergehbar schützenswert galt. Sterbehilfe und Abtreibung contra Unverletzlichkeit der Würde jedes Lebens; die Auflösung der lebenslangen Einehe zugunsten des Werts der freien sexuellen Liebe; Selbstverwirklichung als Recht zur Bereicherung der Reichsten in einem zügellos spekulativen Finanzkapitalismus, zur Kapital- und Immobilienakkumulation gegen die Gleichheit sozialer Verteilungsgerechtigkeit zur Wiederherstellung subsidiärer Chancengerechtigkeit; schließlich die Freiheit zum Spott über das Heilige und zur Verhöhnung derer, die sich um Heiligkeit bemühen, als Inbegriff „aufklärerischer“ Geisteskultur und Freiheit.
Womöglich spürte mancher Protestierende doch ein klammheimliches Befremden, dass es mit unserer Kultur im Kampf der Kulturen nicht ganz so gut läuft, wie wir uns in Illusionen einzureden versuchen. Die Turbulenzen des Dschihad sind vielleicht doch auch ein Signal dafür, dass etwas faul ist im Staate Europa? Bei Massenmord fällt es schwer, sich die Ungereimtheiten einzugestehen, sich selber an die Brust zu klopfen. Doch ist es noch gar nicht so lange her, dass - ausgerechnet von französischem Boden aus - der Essay „Empört Euch!“ des ehemaligen Widerstandskämpfers, Uno-Diplomaten und politischen Aktivisten Stéphane Hessel seinen Lauf als Bestseller durch Europa antrat. Ist das schon vergessen? Seit langem wird über „die Ausgeschlossenen“ der superreichen Nationen, über die Zu-kurz-Gekommenen, diskutiert. Sind all diese Phänomene auf einmal ohne Belang?
Mit der Waffe Allahs Auserwählte
Ohne Belang jedenfalls ist es nicht, dass viele der jungen verführten Dschihadisten genau in solchen sozialen Brennpunkten rekrutiert werden. Versager, die von anderen Versagern, Primitiv-Muslimen, aber ebenso hochgebildeten Muslimen gleichermaßen geführt, angeleitet, in den „Heiligen Krieg“ geschickt und dort „verpulvert“ werden. Nicht selten haben sie im Gefängnis ihr „Erweckungserlebnis“ und werden dort zu dem gemacht, was sie am Ende sind: Mörder und nichts als Mörder, aber irregeleitet im Wahn, heilige Märtyrer zu sein. Diejenigen, die nichts waren und nichts galten, werden mit der Waffe in der Hand plötzlich zu Herren über Leben und Tod. Mehr noch: Sie fühlen sich dazu von Allah selber ermächtigt, berufen, auserwählt, vom Gott über Leben und Tod. Eine archaische religiöse Welt tat sich ihnen auf. Diese aber prallt auf eine verständnislose säkularistisch-laizistische Welt, die meint, mit so etwas nicht mehr rechnen zu müssen, weil sie selber mit dem Religiösen weitgehend abgeschlossen hat.
Der „Dschihadist“ Elija
Plötzlich aber zeigt sich im expansiven islamisierenden Islam eine geradezu sakral aufgeladene Radikalität, die man aus der biblischen Überlieferungsgeschichte des Alten Testaments zumindest kennen könnte, wenn man sie nur kennen wollte: Im achtzehnten Kapitel des ersten Buchs der Könige ist das Dschihad-Phänomen genau beschrieben, im sogenannten Gottesurteil auf dem Karmel. Das Volk soll entscheiden, ob es zu Baal hält oder zum wahren Gott. Die Propheten des Baal müssen versuchen, Feuer im Namen ihres Gottes auf ihr Kultopfer zu dessen Ehren herabzurufen. Es gelingt ihnen nicht. Sie rufen, schreien, tanzen hüpfend um den Altar, doch nichts geschieht. Elija spottet schlimmer, als „Charlie Hebdo“ spotten könnte: „Ruft lauter! Er ist doch Gott. Er könnte beschäftigt sein. Vielleicht schläft er und wacht dann auf.“ Keine Antwort. Nun schreitet Elija zur Tat, und der Gott Abrahams, Isaaks und Israels entzündet das Brandopfer. „Das ganze Volk sah es, warf sich auf das Angesicht nieder und rief: Jahwe ist Gott, Jahwe ist Gott! Elija aber befahl ihnen: Ergreift die Propheten des Baal! Keiner von ihnen soll entkommen. Man ergriff sie, und Elija ließ sie zum Bach Kischon hinabführen und dort töten.“ Elija als „Dschihadist“.
Es handelt sich um die wohl schrecklichste, barbarischste Geschichte der „Heiligen“ Schrift. Sie steht dort, als Schrecken bewahrt für alle Zeiten. Erst von daher wird verständlich, welchen mühsamen, weiten Weg der Reinigung des Gottbegreifens der Monotheismus gehen musste bis zur Universalisierung in der späteren prophetischen Tradition Israels, schließlich bei Jesus. Schlussendlich brach er - und mit ihm beschleunigt der Paulus der morgenländisch-abendländischen Freiheit von der Gefangenschaft des religiösen „Gesetzes“ - mit der Stammesreligion. Aus dieser in Jesus angelegten Ur-Entmythologisierung des Gottesverständnisses und eines magischen Kult-Opferpriestertums des Allerheiligsten konstituierte sich allmählich die neue Religion Christentum. Trotz vielfacher Regressionen ins Archaische ließ sich der Christus-Impuls nicht blockieren. Er entwickelte das Christentum zu großer Weite. So ist es als einzige echte Weltreligion in einem aufklärerischen Horizont angekommen, zwar noch nicht vollständig, aber in größten Teilen als eine Gott universal verstehende und feiernde Religion, kulturübergreifend und kulturstiftend, ohne die eigenen dunklen Kapitel zu leugnen. Daher sind die Christen der Kreuzzüge und anderer Verbrechen begrifflich Christen geblieben und nicht zu „Christisten“ geworden. Die Irrwege einer Religion lassen sich nicht abspalten, nicht entsorgen durch semantischen Betrug, wie es versucht wird, wenn man meint, „Islamisten“ vom Gesamt des Islam abkoppeln zu können.
Der Kern des Problems bleibt: Der Radikalislam greift - getreu seinem Religionsstifter, dem Kriegsherrn Mohammed - geistig auf ein stammesreligiöses Gottesverständnis zurück, um zwischen wahrem und falschem Gott, zwischen Allah und den „Götzen“, zwischen den Gläubigen und den „Ungläubigen“ zu unterscheiden.
Diesen Antagonismus hat der französische Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem neuen Werk „Unterwerfung“ erhellt. Dieser Zukunfts-„Fantasy“-Roman beschreibt geradezu satirisch ernsthaft die Machtübernahme extremistischer Muslime in Frankreich. In einer Rezension der „Zeit“ von Jens Jessen heißt es zu dieser Aussicht auf 2020 in Anspielung auf eine vielkritisierte Redewendung von Thilo Sarrazin: „Frankreich hat sich … abgeschafft… Zumindest die französische Republik mit ihrem laizistischen Kern, ihrer unbedingten religiösen Neutralität und ihren Emanzipationsidealen hat sich abgeschafft, der Schleier beherrscht die Öffentlichkeit, und die Frau sitzt wieder am Herd (was übrigens den Arbeitsmarkt dramatisch entlastet).“
Die „säkulare westliche Zivilisation“ hat sich in dem Werk, das in seiner „Prophezeiungskraft“ an die inzwischen vielfach zur realen Realität gewordene virtuelle Realität von George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ erinnert, zersetzt. „Sie ist an Materialismus, Sexismus, Egoismus, ihrem nur mehr konsumistischen Konkurrenzverhalten zugrunde gegangen. Selbst die intellektuelle Elite der Studenten verlässt die Universitäten mit nichts als dem Drang, ‚sich zu beweisen, sich einen beneidenswerten Platz in einer Gesellschaft des - wie sie denken und hoffen - Wettbewerbs zu erkämpfen, elektrisiert von der Anbetung austauschbarer Ikonen: Sportler, Modedesigner, Internetkreative, Schauspieler, Models‘. Es sind solche Sätze…, mit denen Houellebecq abermals sein gnadenloses Talent entfaltet, Wahrheiten unserer Gesellschaft zu benennen, von denen die Medien niemals sprechen und von denen auch die Soziologen nur in vorsichtigsten Umschreibungen reden… Gerade die Übernahme des verrotteten Westens durch muslimische Einwanderer könnte, wie Houellebecq mit genießerischer Verachtung formuliert, die Rettung sein.“
Unterwegs zum Business-Islam?
Für die Dschihadisten ist diese Vision schon Wirklichkeit. Ihr Gott des Gemetzels greift durch ihre Hand radikal ein in die laizistische Stadt ohne Gott. Gott selber ist in dieser Sicht der Dinge der Handelnde, ein eifersüchtiger Gott nicht aller Menschen, sondern nur der Reinen, der Bekenner, der Allah-Gläubigen. Alle anderen sind die „Ungläubigen“, Götzendiener jener Götzen, die Houellebecq in einem ironisch-sachlichen Ton aus schriftstellerischer Distanz und Nähe zugleich genüsslich beschreibt, voller Spott, voller Ernst. Die „Benachteiligten“ machen sich auf, um im Namen der wahren - und das heißt der radikalen - Religion die Anbetung des wahren, exklusiven, ausscheidenden, abtrennenden Gerichts-Gottes wiederherzustellen. Da - und nicht in bloß politisch-säkularen Machtinteressen - liegen der Kern des Dschihadismus und die immerwährende Problemzone des gesamten Islam. Trotz vieler Friedensbeteuerungen aus den Reihen der für die allermeisten Muslime überhaupt nicht repräsentativen Islamverbände ist dieser Problemkern immer noch nicht ernsthaft theologisch-spirituell thematisiert, geschweige denn kulturell-praktisch unter Geistlichkeit wie Volk bearbeitet.
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hat diesen schweren Mangel gerade auch der „gemäßigten“ Muslime ohne Umschweife benannt: „Was der Islam mit dem Islam zu tun hat.“ Der Autor, Michael Martens, verlangt Redlichkeit. Kein Ausweichen mehr! „Das Muster ist bekannt: Wenn irgendwo auf der Welt mit der Begründung, Allah sei groß, Köpfe abgeschnitten oder Frauen vergewaltigt werden, wenn Selbstmörder sich und andere zum Ruhme dieser Größe in Fetzen sprengen, dauert es nicht lange, bis jemand sagt, all das habe nichts mit dem Islam zu tun.“ Es stimmt natürlich, dass die große Mehrheit der Muslime nicht radikal, schon gar nicht terroristisch ist. Aber: „Genauso, wie die Verbrechen der Kreuzfahrer, die spanische Inquisition, die Grausamkeiten der Täufer in Münster, die Menschenvernichtung der Konquistadoren in Südamerika, die Pogrome im russischen Zarenreich und alle die vielen anderen Untaten … durchaus etwas mit dem Christentum zu tun hatten - indem sie dessen hässlichstes, grausamstes, dümmstes Gesicht zeigten -, so haben selbstverständlich auch Verbrechen wie jenes von Paris etwas mit dem Islam zu tun. Das wird in der muslimischen Welt (und um der lieben Friedhofsruhe willen auch im Westen) aber allzu oft unter den Gebetsteppich gekehrt. Die meisten der Männer, die in Allahs Namen morden, haben in Moscheen gebetet und lesen aus dem Koran die Rechtfertigung ihres Tuns heraus. Dass muslimische Verbände die Untaten verurteilen, ist eine Selbstverständlichkeit, so wie man ‚Gesundheit‘ sagt, wenn jemand niest. Statt aber nach Attentaten reflexhaft zu sagen, Terroristen missbrauchten den Islam, müssen Imame, muslimische Funktionäre und die Führer islamisch geprägter Staaten danach fragen, woher dieser Missbrauch kommt… Solange sich all die Imame und Scheichs nicht fragen, warum ihre Religion so viele Perverse hervorbringt und warum die Lehren ihres Propheten so viele Menschen gebären, die sich mordend auf ihn berufen, so lange werden sich die Verbrechen wie das von Paris wiederholen - einmal auch in unserer Nähe.“
Die „Frankfurter Allgemeine“ hingegen erklärt in einem Leitartikel von Rainer Hermann, dass auch der Islam eine „flexible Weltreligion“ sei und dies schon mehrfach in der Geschichte bewiesen habe. Der Autor vermutet, dass sich der Islam mit der Zeit den Bedingungen der säkularen, von Wirtschaft und Handel beherrschten Welt anpasst. „Das eine ist der fanatische Dschihad-Islam, das andere ein gemäßigter Business-Islam. Für den stehen zwei Beispiele: die türkische AKP, deren Basis das prosperierende anatolische Unternehmertum ist, und Dubai, wo nicht der Islam radikal ist, sondern der Kapitalismus.“ Im Islam sei alles „außer dem Glaubensbekenntnis relativ, kann also angepasst werden“, meint Hermann.
Die Frage ist nur, wie weit die Anpassung reicht - oder ob diese nicht gerade erst im Gegenzug jenen Radikalismus gebiert, aus Unmut über den kapitalistisch „dekadenten“ Protzislam jener Eliten, denen die verelendeten muslimischen Massen völlig egal sind. Jene Mächtigen koppeln die Religion der Frömmigkeit von der Welt des persönlichen Lebensstils in eine Parallelwelt ab, als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun habe. Anders als das Christentum hat der Islam in seinen Hauptverbreitungsgebieten historisch keine Grundlage der Gewaltenteilung geschaffen ähnlich dem Gegeneinander von Kaiser und Papst, weltlicher und geistlicher Herrschaft im christlichen Abendland. Bis heute ist der Islam überwiegend in Stammeskulturen beheimatet, denen ein national gedachtes Staatswesen nur übergestülpt wurde. Trotz aller Bewegungen des arabischen Nationalismus hat sich bisher kein echtes islamisches Bürgertum, kein staatsbürgerliches Bewusstsein entwickelt. Sämtliche funktionierenden Demokratien befinden sich - bis auf ganz wenige Ausnahmen - in (ehemals) christlichen Kulturen.
Benedikt XVI. sah es klar
Besonders schwer wiegt, dass im Islam keine entmythologisierende Strömung in Bezug auf das magisch-ritualistische Gottesverständnis wirksam wurde. Der extremistische Islam nährt sich geistig aus einer naiven Unmittelbarkeit zum Willen Gottes und zum Wort des sogenannten Propheten. Wer sich Allah unterwirft, hat schon Allah. Und Allah kann tun, was er will. Dieses verhängnisvolle Verständnis eines Willkürgottes hatte Papst Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede fein seziert, was in der islamischen Welt aus verständlichen Gründen große Aufregung verursachte. Denn ein derart sich je nach Gutdünken offenbarender Gott mag in vielerlei Hinsicht mit der frühen stammesreligiösen Phase der Entstehung des Jahwe-Ein-Gott-Glaubens übereingehen, mit dem rationalen Gottesverständnis Jesu jedoch nicht. Da liegen die Grenzen der Verständigung und die weiteren Konfliktzonen.
Wer im zum Kampf entarteten Wettbewerb der Kulturen diesen religiösen Zusammenprall unterschätzt, unterschätzt die Dramatik der geistig-geistlichen Differenzen. Dem Willkür-Gott des Gemetzels der Dschihadisten in der Stadt ohne Gott können nur eine Kultur und Politik Paroli bieten, die sich intellektuell neu begründen - in einer geistesschweren Stadt mit Gott. Die Geisteskraft Jesu, aus der sich Europa einst in all seinen progressiven Entwicklungen nährte und bildete, legt jedenfalls ein anderes Gottesverständnis nahe als das eines Elija oder eines Mohammed: ein universaler Gott aller und von allem.
Der Islam kann aus seiner selbstverschuldeten Sackgasse des Dschihad erst dann herausfinden, wenn er aus seiner stammesgeschichtlichen Gefangenschaft des religiösen Bewusstseins ausbricht. Die Freiheit des Abendlandes wiederum hängt nicht ab vom Islam, sondern von der religiösen Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit seiner Bürger, von deren Bildung, Neugier und Ernsthaftigkeit im Christentum. Nach der Traditions-Christlichkeit wurde nun auch die laizistische Gemütlichkeit, in der sich viele eingerichtet haben, erschüttert. Das ist ernüchternd, für nicht wenige erschreckend. Der Dschihad jedenfalls wird uns vermutlich noch lange begleiten. Das verlangt „Sofortmaßnahmen“: mit rechtsstaatlicher Radikalität die Radikalen bekämpfen und dafür die ganze Bandbreite der Gesetze nutzen, notfalls neue Gesetze schaffen, um die schwer Terrorverdächtigen und ihre offenkundigen Sympathisanten rechtzeitig aus der offenen Gesellschaft zu ziehen, wie einst die Terroristen der Roten Armee Fraktion.