FinanzweltAltäre des Geldes

Der Mensch glaubt - mal an Gott, mal an den Mammon. Ein Banker, Finanzmanager und Rechtsanwalt blickt angesichts der Debatten über die Europäische Zentralbank und den „Rettungsschirm“ auf die Metaphysik der Finanzwelt.

Nachdem die göttliche Religion im kollektiven Bewusstsein eines aufgeklärten Europa von weiten Teilen für nicht existent gehalten wird, heißt die sie ersetzende metaphysische Leistung Geld. Es existiert nicht, jedenfalls nicht physikalisch, wird aber so behandelt, als ob es tatsächlich da sei. Zum Mammon gesellt sich „der Markt“, dem geradezu personale Qualitäten zugeschrieben werden. „Der Markt“ will, „er“ will nicht. „Er“ reagiert, wie „er“ will oder auch nicht, nach oben, nach unten.

Jeder, wirklich jeder geht davon aus, dass es Geld in Wirklichkeit gibt. Als ob die elektronischen Ladezustände in den Rechnern der Welt irgendeine reale Qualität hätten. Dabei haben sie ja noch nicht einmal eine physikalische Entsprechung. Deutlich wird das dadurch, dass der nominale Geldwert der Erde alle handelbaren Waren und Dienstleistungen mindestens um das Vierzigfache übersteigt. Dieses Geld wird eben nicht im sonntäglichen Gottesdienst gespendet, sondern es wird beispielsweise auf Vernissagen in Kunst investiert. Museen erleben einen Besucherboom und sind die neuen Bildungskathedralen.

Handeln mit Nichts

Einer der faszinierenden Aspekte an diesem Umstand sind die Berufe, die sich mit diesem physikalisch nicht existenten Seienden befassen. Banker und Finanzmanager handeln mit Nichts. Es sind Erwartungen, die, zu Zahlen abstrahiert, erst als solche ebenfalls abstrakt gehandelt werden können und werden. Die einzige Sicherheit, welche die Banker bieten können, ist Vertrauen.

Deshalb tritt den Kunden auch die größtmögliche Fassade des gesellschaftlich als solide Geltenden gegenüber: perfekte Kleidung, gediegene Räumlichkeiten, ruhige Gelassenheit im Auftreten und die funkelnde Hülle des absichtlich - mal mehr, mal weniger subtil - vorgetragenen baulichen Stils, der aber als solches gerade als Untertreibung erkannt werden soll, um das Vorhandensein eines dahinter befindlichen, noch enormeren Vermögens vorzugeben.

Diese Architekturen sind wie die durch die Epochen immer üppiger werdenden Altäre und Kirchen vor dem Zeitalter der Aufklärung, welche den Priestern dazu dienten, dem Volk das Vorhandensein Gottes anschaulich und glaubhaft zu machen. In den Tabernakeln ruhte - ebenso wie in den Rechnern und Tresoren der Gegenwart - das Nichts, allenfalls symbolisch fassbar in der Hostie, vergleichbar mit dem Geldschein unserer Tage. Mit äußerstem Nachdruck bemühte man sich damals, die Realpräsenz Gottes in den eucharistischen Gaben zu behaupten und zu verteidigen. Ketzern erging es übel. So wird auch heute die Realpräsenz des Geldes, sein Wert, verzweifelt verteidigt. Aber letzten Endes muss geglaubt werden. Die Bemühungen der Europäischen Union um die Stabilität des Euro sind deshalb nichts anderes als eine Verteidigung des Glaubens.

Man muss das alles denken können, um damit auch sprachlich „hantieren“ zu können. Der Pseudorationalismus der Wirtschaft überhöht mit rationalistisch anmutenden Sprachspielen den Absolutheitsanspruch des sogenannten Marktes, der letzten Endes nichts anderes ist als die Bündelung der Interessen der Kapitalbesitzer. Sie scheinen hinter dem Markt zurückzutreten. Als wenn nicht sie, sondern der Markt mit seiner „unsichtbaren Hand“ die Fäden zöge, wie der Ökonom Adam Smith (1723-1790) einmal meinte.

Auch die Fachsprache rund ums Geld gleicht einer nur noch abstrakten, hochsymbolischen Kommunikation. Ähnlich der scholastischen Theologie wird das Abstraktum, um das es geht, in einer bis ins Äußerste gefächerten und von Laien nicht mehr nachvollziehbaren Fachsprache beschrieben. Ja, diese Kommunikation versucht, dem Geld nur eines abzugewinnen: einen Mehrwert. Der ist dann seinerseits wieder ein rein vermuteter, hypothetischer. Solange er geglaubt wird, ist er aber kommunikativ behandelbar und als solcher dann auch handelbar. So, wie es die Ablassbriefe oder das Seelenheil der Menschen im Mittelalter waren. Letzteres war die Renditeerwartung eines an den Vorgaben der Sachwalter des Abstraktums „Gott“ ausgerichteten persönlichen Lebens. Im Grunde besteht auch Geld lediglich aus seiner Kommunikation. Diese erzeugt wie im Mittelalter Haltungen und Bereitschaft: sich als Mensch auf das Kommunizierte einzulassen und sich ihm entsprechend zu verhalten. Damit ist dann auch die Existenz des Abstraktums bewiesen: Denn wenn es Wirkungen gibt, muss es dafür doch auch eine Ursache geben. Wunderbar!

Eliten glauben Derivaten

Ein unerschütterlicher Glaube hat immer etwas Faszinierendes, selbst der an das Geld. Was für eine außergewöhnliche psychische Leistung ist es doch, einerseits aufgeklärt und absolut rational zu sein - oder zumindest sein zu wollen - und andererseits vollständig abzuspalten, dass Geld etwas höchst Irrationales, weil Metaphysisches ist. Der Bewohner dieser Welt fühlt sich durch die Altäre seiner Kirche, die er in Form eines Geld-Bürogebäudes in den Türmen der Finanzmetropolen jeden Morgen betritt, immer wieder neu bestätigt, dass es das Geld doch geben muss, wenn all das „da“ ist, was es symbolisiert.

Große Teile der intellektuellen Eliten unseres Zeitalters scheinen sich deshalb in diesen geldlichen Bereichen des Lebens wohlzufühlen. Im Hochmittelalter hielten sich Eliten wie Thomas von Aquin, Nikolaus von Kues oder Anselm von Canterbury noch im theologischen Denken der Scholastik auf. Heute hingegen erschaffen führende Köpfe hochkomplexe, feinst herausgearbeitete und abstrakte sogenannte Derivate. Das sind Geldanlageformen, die ursprünglich der Absicherung von Geschäften mit realem Gegenwert dienten, etwa zur Sicherung gegenüber Währungsrisiken. Heute versteht man darunter Anlageformen, die auf den traditionellen Geldanlagen wie festverzinsliche Wertpapiere, Renten oder Devisen aufbauen und mit denen gehandelt wird. Diese Derivate nennen sich zum Beispiel „Credit Default Swaps“ oder „Cross Border Deals“ und sind nichts anderes als real nicht begreifbare „Gespinste“. Ihr „Wert“ wird geglaubt und gelehrt, wie die Scholastiker einst den Glauben an die „Transsubstantiation“ in der Eucharistiefeier zu glauben lehrten.

Immerhin hält all das so wie der Glaube der Kapitaleigner an erzielbare Renditen, die nichts als veränderte elektronische Ladezustände, also symbolische Vergegenwärtigungen sind, die Welt am Laufen - im Guten wie im Schlechten. Solange alle glaub(t)en, gibt es Gott und gibt es das Geld. Das ist dann wieder beruhigend, denn die Fähigkeit zu Glauben und Vertrauen ist das Menschliche schlechthin.

Konstrukte, die die Welt bewegen

Gott und Geld sind natürlich. Aber eben metaphysisch. So wie ja auch „der Staat“ und „das Recht“ nicht als physikalische Realität bestehen, sondern Konstrukte sind. Deshalb sind sie nicht weniger wichtig oder wertvoll. Im Gegenteil. Die Welt der Menschen ist eine Welt aus Symbolen, Zeichensystemen und - eben - Konstrukten. Man kann mit einem Hammer viel weniger kaputt machen als mit einer Idee. Es sind die Konstrukte, welche die Welt bewegen.

Eines der grundlegenden Konstrukte, um die sich die Welt vor der Aufklärung drehte, war Gott. Das neue vorherrschende Konstrukt unserer Zeit heißt Geld, eben der schnöde Mammon. Immerhin ist das Geld gegenwärtig gegenständlich messbarer als Gott, und es wird als Gold auch auf die Waage gelegt, anders als zum Beispiel die „Liebe“ im ersten Korintherbrief.

Der Gedanke einer weisen Vorsehung, wie ihn die Bibel kennt, wanderte von der Theologie in den Bereich der politischen Ökonomie ab. Dort verbreitete sich der hartnäckige Glaube, dass die Märkte grundsätzlich vernünftig sind und alles zum bestmöglichen Ende bringen werden. Der Berliner Kulturwissenschaftler und Philosoph Joseph Vogl (geboren 1957) prägte in diesem Zusammenhang die Idee einer „Oikodizee“ (in „Das Gespenst des Kapitals“, 2010). Es ist eine versuchte Rechtfertigung der versagenden Marktmechanismen, als Gegenbegriff zur Theodizee, zur Rechtfertigung Gottes angesichts von Leid. Damit beschreibt Vogl den zentralen Veränderungsprozess in der Moderne, deren Wirtschaftssystem auf Kredit umgestellt wurde. Nicht nur der produktive Bereich ist davon betroffen, der mit der Aufnahme von Darlehen künftige Gewinne verrechnet. Vielmehr wurde die Geldwirtschaft selbst von den klassischen Mechanismen der Deckung durch reale Werte wie etwa Gold auf ein System umgestellt, das einzig unter der wesentlichen Bedingung funktioniert, dass nicht irgendwann zu viele Marktteilnehmer zur selben Zeit auf die Auszahlung ihrer Guthaben pochen.

Eine begründete Entschuldigung für das Versagen der Märkte in der Finanzkrise ist aber damit immer noch nicht gefunden. Der Kern der christlichen Reich-Gottes-Lehre lautet: Das Reich ist schon angebrochen, es umgibt uns bereits - wenn auch noch nicht in Vollendung. So gilt es auch heute, die Marktteilnehmer immer weiter zu treiben: immer mehr, immer weiter, höher, schneller - in dem Bemühen um noch gewaltigere Renditen oder in der Hoffnung auf einen noch größeren Konsum. Das ist das Glaubensbekenntnis dieses säkularen Glaubenswirtschaftssystems, über das Papst Franziskus sagte: „Diese Wirtschaft tötet.“

Manchen mag solch ein Satz überraschen, da das Kirchenoberhaupt offensichtlich sehr gut, wenn auch bescheiden, lebt. Freilich ist es immer eine Frage, auf welcher Seite eines Gewehrlaufs man sich befindet. Wobei diese Wirtschaft nicht nur real Mensch und Umwelt „tötet“. Viel subtiler sind die Verluste der Gewinner der „Kirche des freien Marktes“ an Lebenszeit, Gesundheit, Beziehungen, Selbstachtung. Jeder wird seine eigene Antwort durch Gewissenserforschung finden.

In dieser „Kirche des freien Marktes“ generieren, wie es im Jargon heißt, deren Jünger in lediglich einem Arbeitsleben gigantische Vermögen. Diese sind nur angenommen, doch mit realer gesellschaftlicher und politischer Macht verbunden. Wie jede Religion hält auch dieses Marktsystem für die Verlierer Heilsversprechen bereit. Es ist der Glaube, auch zu den Gewinnern gehören zu können, wenn sie sich gemäß den Gesetzen des Marktes verhalten: Sei gierig und egoistisch! Untugenden werden zu etwas notwendig Gutem verbrämt. Hierdurch wird die mühsame, Jahrtausende dauernde zivilisierende Leistung des Judentums und Christentums ins Gegenteil verkehrt.

Kirchen, Staaten, Wissenschaften erzeugen und gestalten durch ihre Konstrukte Realität. Man könnte fragen, welchem Hauptkonstrukt man sich mehr verpflichtet sehen möchte. Papst Franziskus hat seine Antwort gegeben. Sie ist der jüdisch-christlichen Tradition verpflichtet, die ein „Leben in Fülle“ verspricht - auch jetzt schon.

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