Der Besuch von Papst Franziskus in Sri Lanka und auf den Philippinen ist hierzulande in der medialen Berichterstattung von anderen Themen überlagert worden: Europa debattierte über die Folgen der Attentate von Paris, über „Islamfeinde“ und „Islamfreunde“, über die bisweilen geforderte Verschärfung des sogenannten Blasphemieparagrafen oder über die Freigabe der Schweizer Währung. Die großen überregionalen Tageszeitungen hierzulande gingen meist auf den hinteren Seiten auf die Papstvisite ein.
Südostasien hingegen erlebte eine auch in den Medien von viel Sympathie begleitete Reise des Papstes über die Inseln der Ärmsten. Für die katholische Kirche ist Asien mit seinen mindestens 130 Millionen Katholiken insgesamt ein Kontinent der Zukunft. In China, Indien, Südkorea, Vietnam lassen sich viele Menschen taufen. So wurde der einwöchige Papstbesuch auch in den Nachbarregionen mit Interesse verfolgt.
Der Abschluss mit vermutlich mehr als sechs Millionen Menschen beim Sonntagsgottesdienst in Manilas Rizal-Park geriet zu einem „Weltrekord“. Glaubt man den Behörden, haben so viele Menschen wie niemals zuvor bei einem Papstgottesdienst mitgefeiert. Die einheimischen Hauptmedien berichteten ausführlich. Die Tageszeitungen zeigten in großformatigen Fotos Menschenmassen in Regenjacken und den Papst im Papamobil: Das „Wir sind Papst“ hat noch ganz andere Bedeutung im Land der 7000 Inseln mit seiner Hundert-Millionen-Bevölkerung, davon 80 Prozent Katholiken, dreieinhalb mal so viel wie in Deutschland.
Auch die Presse Sri Lankas, dessen 2009 beendeter blutiger Bürgerkrieg zwischen singhalesischer Armee und tamilischen Extremisten den meisten Menschen tiefe Wunden geschlagen hat, brachte ein Wir-Gefühl angesichts des römischen Bischofs zum Ausdruck: in dem für deutsche Ohren eigenartig klingenden Wort vom „Volkspapst“, das immer wieder zu lesen und zu hören war.
Der 78-Jährige, dem man die Strapazen der Reise aufgrund des tropischen Klimas einige Male anmerkte, absolvierte ein strammes Programm, das man mit den Schlagworten Ermahnen, Versöhnen, Ermutigen und Nähe-Zeigen zu den Ärmsten umschreiben könnte. Treffend brachte es für beide Länder der philippinische Ordensmann Sebastiano D’Ambra in spirituell gefärbter Sprache zum Ausdruck. „Der Papst hat die besondere Fähigkeit, sich auf die Seite der Verwundeten und der verwundeten Heiler der Gesellschaft zu stellen. Und wir hoffen, dass seine Präsenz … einen neuen Geist hervorbringen wird“, heißt es in der Zeitschrift „Forum Weltkirche“ (Januar).
Heiligtum Madhu
Dieser Wandel hat in Sri Lanka, der ersten Station, gerade erst begonnen. Mit feinem Gespür für die anhaltende Zerrissenheit des Landes nach dem Ende des Bürgerkriegs und mit dem eisernen Willen, Versöhnung zu stiften, hatte Franziskus I. einen Besuch im Marienwallfahrtsort Madhu eingeplant. Damit ging er nicht nur in eine Region, die stark von den singhalesisch bedrängten Tamilen bewohnt ist, um bewusst ihnen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Das „katholische“ Heiligtum gilt vielmehr auch Buddhisten, Hinduisten und Muslimen als heilige Stätte. Unter den zwanzig Millionen Einwohnern Sri Lankas bilden Katholiken eine Minderheit von sieben Prozent.
An der ehemaligen Frontlinie gelegen, war das Gotteshaus zudem eine wichtige Zuflucht für die Zivilbevölkerung während des Bürgerkriegs. Madhu ist ein Symbol des Weiterlebens der katholischen Kirche unter der niederländischen Kolonialherrschaft im 17. und 18. Jahrhundert, als aus machtpolitischen Gründen die meist pro-portugiesischen Katholiken unterdrückt wurden. In diese Zeit fällt das Wirken von Joseph Vaz, eines Oratorianerpaters aus der portugiesischen Besitzung Goa in Indien. Er kümmerte sich im Geheimen, manchmal als Bettler verkleidet, um die Katholiken und missionierte. Franziskus I. sprach den „Apostel von Ceylon“ nun heilig.
Der Papst erinnerte in Madhu daran, dass für eine gelungene Aussöhnung zwischen verfeindeten Völkern und Religionen die Suche nach und die Anerkennung von Wahrheit unerlässlich sei. Damit berührte er die Tatsache, dass die bisherige - singhalesische - Staatsführung sich weigert, eine Untersuchung der mutmaßlichen Kriegsverbrechen zuzulassen, was die Vereinten Nationen längst verlangt haben, aber bisher nicht umsetzen können.
Die überwiegend buddhistischen Singhalesen kontrollieren Staat, Militär und Regierung, während die tamilische Minderheit, mehrheitlich Hindus, nach Selbstständigkeit strebt. Ihre Siedlungsgebiete in der nördlichen Inselhälfte sind auch fast sechs Jahre nach Kriegsende noch immer militärische Sonderzonen. Viele Tamilen wurden verschleppt. Sie leben oft bis heute in Lagern. Zwar wurden einige Entwicklungsmaßnahmen von Colombo eingeleitet. Aber die große Armut und die Enttäuschung, von der Politik nicht ernstgenommen zu werden, blieben.
Der Friedensforscher Jehan Perera von der Nichtregierungsorganisation „National Peace Council“ beschrieb gegenüber der „Deutschen Welle“ den Zustand des Landes so: „Sri Lanka ist nach wie vor in einem Nachkriegszustand, in dem die Wurzeln des Konflikts nicht bearbeitet und die Beziehungen zwischen den Volksgruppen sowie zwischen den Tamilen und dem Staat noch nicht geheilt sind … Viele Menschen glauben immer noch, dass ihre Mütter und Väter oder Brüder und Schwestern nicht tot, sondern in irgendeinem Gefängnis oder Gefangenenlager versteckt sind. Sie wollen Antworten auf ihre Fragen.“
Kirche als Fremdkörper
Schuld an dieser Lage ist die Staatsführung, die die Spaltung der Bevölkerung bisher billigend in Kauf nimmt. Noch vor dem Papstbesuch versuchte der kurz zuvor abgewählte Präsident Mahinda Rajapaksa, die Visite aus Rom, die auf eine Initiative sri-lankischer Bischöfe zurückgeht, für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen, um sich die Stimmen der Katholiken zu sichern. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb: „Das Datum der Wahl (8. Januar; d. Red.) war kaum zufällig so kurz vor dem bereits zuvor bestehenden Besuchstermin angesetzt worden. In kirchlichen Kreisen wurde hinter vorgehaltener Hand deshalb auch Kritik an Franziskus’ Annahme der Einladung geübt.“
Die Kirche erlebt diese Konflikte und ethnischen Spaltungen zwischen Singhalesen und Tamilen selber in ihrem Innersten, bis in ihre religiösen Gruppierungen hinein. Oftmals geht der Riss mitten durch eine Pfarrgemeinde. Und auch die Bischofskonferenz durchziehen diese Spannungen und getrennten völkisch-politischen „Loyalitäten“. Laut FAZ werfen tamilische Priester ihren singhalesischen Amtskollegen vor, sich aus Angst vor dem Druck der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit nicht auf die Seite der Unterdrückten - gemeint sind die Tamilen - zu stellen. „Unter Singhalesen heißt es dagegen, als Minderheit hätten die Katholiken kaum die Möglichkeit, auf die Politik Einfluss zu nehmen“, so die „Frankfurter Allgemeine“.
Weil Colombos höchster Kirchenführer, Kardinal Albert Malcolm Ranjith Patabendige, der dem eher traditionellen Flügel der Kirche zugerechnet wird, mit dem abgewählten Präsidenten Rajapaksa befreundet ist, wird vermutet, dass er deshalb die Position Rajapaksas einnimmt und eine Untersuchung der Kriegsverbrechen ebenfalls ablehnt. Offiziell spricht der Kardinal zurückweisend von „linkskatholischen Forderungen“. Die Hoffnungen ruhen nun auf dem neuen Staatspräsidenten, Maithripala Sirisena, der Papst Franziskus begrüßt hatte und Achtung der Religionsfreiheit zusagte.
In Sri Lanka war es zuletzt häufiger zu brutalen Übergriffen buddhistischer Extremisten auf Kirchen und Moscheen gekommen, angeführt von nationalistischen buddhistischen Mönchen, die statt der von Buddha gelehrten Friedensliebe die Ausgrenzung nach Volkszugehörigkeit propagieren. Dass die Regierung dies zumindest geduldet hat, beklagen Menschenrechtler immer wieder. Colombo wolle sich so die Unterstützung der Klöster sichern.
„Warum lässt Gott das zu?“
In diese Gemengelage richtete Papst Franziskus bei einem Treffen mit Religionsführern in Colombo einen energischen Appell zum Dialog und zur Klarheit: „Wir müssen unsere (religiösen; d. Red.) Gemeinschaften klar und unzweideutig auffordern, die Grundsätze des Friedens und der Koexistenz, die sich in jeder Religion finden, uneingeschränkt zu leben und Gewalttaten zu verurteilen.“ Begrüßt wurde der Papst von dem buddhistischen Mönch Vigithasiri Niyangoda Thero. Während der offiziellen Begegnung wurde ein buddhistischer Gesang angestimmt, ein hinduistischer Segen erteilt und ein ökumenisches Gebet durch den anglikanischen Bischof Diloraj Kanakasabei gesprochen. Ob und wie solche Zeichen praktisch wirken, bleibt offen. Der Benediktinerpater und Medienwissenschaftler Benedict Joseph zeigte sich gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur skeptisch. „Die Kirche gilt immer noch als ein europäischer Fremdkörper.“ Christliche Lehrer dürften nicht an staatlichen Schulen unterrichten und werden in höheren staatlichen Positionen bis heute nicht berücksichtigt.
Auf den Philippinen, dem einzigen großen Land Asiens mit überwiegend katholischer Bevölkerung, stellt sich die Lage der Christen anders dar. Aber auch im Inselreich ist die Armut eine Geißel. Jeder Vierte lebt am oder unter dem Existenzminimum. Politisch wird das Leben seit Jahrzehnten von rund vierzig wohlhabenden Familien bestimmt. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb: Bei seiner überwältigend gefeierten Ankunft in Manila prangerte Papst Franziskus in Anwesenheit der Staatsführung ungewöhnlich direkt die wuchernde Korruption an. „Eine Mahnung für die Regierung, aber wohl auch für die Kirche selbst, denn nirgendwo auf der Welt ist der katholische Apparat so stark verwoben mit der politischen Macht wie auf den Philippinen. Ohne den Segen der Kirche bewegt sich in Manila politisch kaum etwas. So konnte Präsident Benigno Aquino nur mit größter Mühe ein Gesetz zur Familienplanung durchsetzen, das die Aufklärung fördert und den Zugang zu Verhütungsmitteln verbessert. Jene Kräfte, die angesichts einer sehr hohen Geburtenrate für das Gesetz gekämpft haben, hoffen jetzt, dass Franziskus I. auf die philippinischen Bischöfe einwirkt, damit sie ihren teils heftigen Widerstand abmildern.“
Wie die „Welt“ beobachtete, hatte der Papst in seinen Predigten die auch innerkirchlich umstrittenen Sexualthemen eher umschifft oder sie allenfalls ausweichend vage angesprochen. Angesichts des vielfachen und oft unerträglichen Kinderelends auf den Philippinen, insbesondere der vielen elternlosen Straßenkinder, schärfte er den Politikern ein, sich tatkräftig um den Kinderschutz zu kümmern, und verurteilte „heimtückische Angriffe“ auf Ehe und Familie. Zur staatlichen Geburtenkontrolle durch Aufklärung und Verhütung sagte er öffentlich nichts. Vielleicht wollte er die traditionell konservativen Bischöfe des Landes nicht vor den Kopf stoßen.
Erst auf dem Rückflug nach Rom nahm er dazu - ebenfalls verklausuliert - mit einem recht seltsamen „volkstümlichen“ Vergleich Stellung. „Manche glauben, um gute Katholiken zu sein, müsse man, entschuldigt das Wort, sein wie Kaninchen. Nein!“ Katholiken müssten sich nicht wie dieses Tier „vermehren“. Es gehe vielmehr um „verantwortete Elternschaft“. Was das aber genau im Kontext vermeintlich nicht-natürlicher Empfängnisverhütung heißt, ließ Franziskus I. offen.
Bei einem Treffen mit Studenten an der Thomas-von-Aquin-Universität, der größten katholischen Hochschule Asiens, sprach der Papst das Problem an, dass sich viele lieber mit den „Verlockungen kurzlebiger Vergnügen und oberflächlichen Zeitvertreibs“ beschäftigen, als auf die Dinge ausgerichtet zu sein, „auf die es wirklich ankommt“: Gottesliebe und Nächstenliebe. Offen kritisierte er die auf den Philippinen verbreitete Macho-Kultur. „Wir lassen den Frauen oft keinen Raum. Dabei können Frauen die Dinge aus einem anderen Blickwinkel sehen als wir Männer“, mit einem größeren Reichtum. Unter tosendem Applaus fügte Franziskus I. im Blick auf eine nahezu nur männlich besetzte Begrüßungsdelegation hinzu: „Bitte mehr Mädchen und Frauen!“
Die berührendste Szene des Papstbesuchs ereignete sich während der Begegnung des Kirchenoberhaupts mit der zwölfjährigen Glyzelle Iris Palomar, einem ehemaligen Straßenkind. Sie erzählte aus ihrem Alltag: „Viele Kinder um mich herum wurden von ihren Eltern verlassen. Viele werden Opfer von Drogen oder Prostitution.“ Daraufhin brach sie plötzlich in Tränen aus und fragte den Papst: „Warum lässt Gott das zu?“ Der Papst erhob sich von seinem Sitz, überquerte die Bühne und nahm Glyzelle lange in den Arm, schweigend. An seine jungen Zuhörer gewandt, sagte er: „Lasst uns lernen zu weinen wie sie.“ Schweigen oder Tränen könnten eine Antwort auf fremdes Leid sein.
In Tacloban, dem philippinischen „Ground Zero“, wo vor einem Jahr der „Jahrhunderttaifun Haiyan“ getobt hatte und insgesamt 6500 Menschen ums Leben kamen, feierte der Papst eine Eucharistie mit 300 000 Menschen. Er hatte es abgelehnt, die Liturgie in eine Kirche zu verlegen, als der Taifun „Mekkhala“ das päpstliche Protokoll durcheinanderbrachte. So toste der Sturm, zerrte an seinem gelben Regenschutz und riss ihm die Wortfetzen von den Lippen. Anschließend traf Franziskus I. im nahe gelegenen Sitz des Erzbistums Palo dreißig Überlebende und Hinterbliebene der „Haiyan“-Katastrophe.
Taifune und Bettler
Wie krass sich die Szenerie für die Bewohner von Tacloban darstellte, zeigt das Zitat eines 32-Jährigen. Vincent Basiano sang und feierte in der Menge mit. Er lebt seit der Katastrophe, die sein Haus zerstörte, mit 500 anderen Familien in einem Zeltdorf. „Während ich in der Nähe des Papstes war, überwältigte mich die Freude. Aber als ich wieder nach Hause kam, kehrte auch die Realität wieder zurück.“ Ein anderer heftiger Sturm, erneut Schutz suchen, die Armut und Hilflosigkeit aushalten. „Wäre Papst Franziskus zu uns gekommen“, sagte eine andere Bewohnerin der Zeltstadt, „wäre er schockiert gewesen.“
Nie ist der Klimawandel, dessen Folgen der Papst in einer neuen Enzyklika behandeln will, die wahrscheinlich im Sommer veröffentlicht wird, deutlicher spürbar gewesen als in Tacloban. Überstürzt und zu seinem Schutz musste Papst Franziskus - vier Stunden früher als geplant - wegen des heraufziehenden Taifuns „Mekkhala“ den Ort mit dem Flugzeug verlassen.
Die Menschen, die Ärmsten der Armen auf den Philippinen, konnten sich mit dem Papst aus Argentinien, der die Ränder kennt, identifizieren. Hinzu kommt der besondere Katholizismus, eine Mischung aus Freude und Volksglaube, aus Magie und Nützlichkeitsdenken. Diese religiöse Mentalität sei vergleichbar mit der lateinamerikanischen, meinte Franz-Josef Eilers, Steyler Missionar in Manila. Die Filipinos seien die Latinos Asiens. Und wie in Lateinamerika herrsche auf allen Ebenen Korruption. Freilich: Auch auf den Philippinen stößt die traditionelle Volksfrömmigkeit in den gebildeteren Schichten an ihre Grenzen.
In ihrem Kampf gegen soziale Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung fühlen sich die einfachen Menschen ermutigt. Außerdem habe das demütige Auftreten des Papstes den Leuten gutgetan, bemerkte Benedikt Seemann von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Manila. „Das sind die Menschen von den meisten Würdenträgern nicht gewohnt. Franziskus hat deutlich gemacht, dass er der Papst der Armen ist. Ich glaube, damit hat er einen Maßstab gesetzt.“ Vielleicht ist dies das stärkste Moment dieser Reise gewesen. Auch für Franziskus selbst: „Wir müssen ‚Bettler‘ sein. Wenn wir die Armen vom Evangelium trennen, können wir die Botschaft Jesu nicht verstehen. Bekehre die Armen, aber lass dich auch von ihnen bekehren. Sie haben Werte, die du nicht hast.“