Nachhaltige EntwicklungDie Zukunft unseres Planeten gestalten

Auf siebzehn Nachhaltige Entwicklungsziele hat sich die Staatengemeinschaft verständigt. Viel zu viele, meinen Kritiker. Endlich werden die globalen Herausforderungen mti einer Agenda umfassend abgebildet, die Befürworter.

Die extreme Armut in all ihren Formen ist bis zum Jahr 2030 überall beendet. Darauf haben sich die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in einem Aktionsplan unmissverständlich geeinigt. Dass die Staats- und Regierungschefs auf einem UN-Sondergipfel im September die insgesamt siebzehn Nachhaltigen Entwicklungsziele mit ihren 169 Unterzielen unterzeichnen werden, daran besteht kaum ein Zweifel. Und das, obwohl man sich keineswegs nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt hätte. Die Ziele sind auch nicht so unklar formuliert, dass jeder darunter verstehen könnte, was ihm beliebt. Ganz im Gegenteil: So wie das bereits angesprochene erste Ziel mess- und nachweisbar besagt, dass bis 2030 kein Mensch weniger als 1,25 Dollar pro Tag zur Verfügung haben soll, lassen auch die weiteren Vorhaben an Klarheit nur wenig vermissen. Weltweit ist inzwischen ein Bewusstsein für die Herausforderungen und Probleme der Globalisierung gewachsen. Entsprechend ist Entwicklungsminister Gerd Müller überzeugt: „Wir sind einem Weltzukunftsvertrag einen großen Schritt näher gekommen.“ Mit den siebzehn Kernzielen ließe sich innerhalb einer Generation die extreme Armut beenden, Ungerechtigkeit bekämpfen und der Planet vor dem Kollaps bewahren.

Armut, Hunger, Umwelt, Klima

Ob Umweltfrage, soziale Frage, Frauenfrage oder Klimafrage - es handelt sich dabei keineswegs um die lange belächelten Sonderprobleme in den Köpfen einiger westlicher Gutmenschen, die keine existenziellen Nöte mehr hätten. Der Zielekatalog spiegelt die verschiedenen, ja teils sich widersprechenden Interessen und Perspektiven der vielen so unterschiedlichen Länder umfassend wider. Das hat neben einer gewissen Unübersichtlichkeit auch Widersprüche - zumindest führt bis heute industrielle Förderung eher zu mehr als zu nachhaltigem Konsum - und das Fehlen einer stringenten Systematik zur Folge, wie der Überblick zeigt: Neben der bereits genannten Beendigung der extremen Armut will die Weltgemeinschaft den Hunger beenden und Nahrungssicherheit global schaffen. Das dritte Ziel verpflichtet dazu, ein gesundes Leben für alle Menschen sicherzustellen. Alle Schüler sollen eine qualitativ hochwertige Bildung erhalten. Die Gleichstellung der Geschlechter wird ebenso gefordert wie die Versorgung aller Menschen mit Trinkwasser und sanitären Einrichtungen. Es folgen die Ziele Energiesicherheit für alle sowie nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Förderung menschenwürdiger Jobs für alle Arbeitnehmer. Eine robuste Infrastruktur und eine nachhaltige Industrie sollen geschaffen werden, heißt es im Punkt neun. Es gilt, die Ungleichheit zwischen Ländern, aber auch innerhalb von Gesellschaften zu verringern und den Menschen ein lebenswertes Umfeld in sicheren Städten zu ermöglichen. Neben einem nachhaltigen Konsumverhalten will die Weltgemeinschaft auch sofort Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen, so das Ziel Nummer dreizehn. Ozeane und Gewässer sollen ebenso bewahrt werden wie die Artenvielfalt und die Ökosysteme auf dem Land, beispielsweise Wälder. In den letzten beiden Zielen verpflichten sich die Unterzeichner - deutlich weniger konkret -, friedfertige Gesellschaften zu fördern, etwa mit wirksamen Institutionen wie Gerichten, sowie eine globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung einzugehen.

Von Entwicklungshilfeorganisationen ist dieser Katalog überwiegend positiv aufgenommen worden. Die Präsidentin von „Brot für die Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel, ist überzeugt: „Wenn das in nationales Recht umgesetzt würde, wäre das ein großer Fortschritt in Richtung einer sozial-ökologischen Transformationsagenda.“

Wer aber ist zuständig?

Viele Beobachter bemängeln jedoch, dass jedem Land selbst überlassen bleibt, wie es diese Ziele umsetzt und welchen Beitrag es wie leistet. Scharf kritisiert der Philosoph Thomas Pogge auf „Zeit online“, dass klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten fehlen: „Ein Ziel steht immer in Verbindung mit einer Person oder Institution. Aber: Wessen Nachhaltigkeitsziele sind das? Wenn die Antwort lautet, unser aller, dann reicht das nicht aus. Wer wird im Jahr 2030 versagt haben: Die Menschheit? Das ist zu schwach. Es muss genau festgeschrieben werden, wer welche Aufgaben zu erledigen hat. Sonst sind es keine Ziele, sondern Wünsche. Wünschen kann man sich auch, dass es im Jahr 2030 nur noch gutes Wetter geben soll“, so Pogge, der an der Yale-Universität den Lehrstuhl für Philosophie und internationale Angelegenheiten innehat. Ähnlich kritische Einwände gab es auch im Jahr 2000, als mit den acht sogenannten Milleniumszielen - sozusagen den Vorgängern - unter anderem beschlossen wurde, den Anteil der extrem Armen an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren. Dies, so zumindest die offizielle Darstellung, ist neben einigen anderen Vorhaben erreicht worden. Pogge wendet jedoch ein, dass sich dafür niemand angestrengt habe, sondern viele Erfolge auf „kosmetische Mathematik zurückzuführen“ seien. „Auf dem Welternährungsgipfel 1996 wollten die Regierungen die Anzahl der hungrigen Menschen noch bis zum Jahr 2015 halbieren. Auf dem Milleniumsgipfel 2000 sollte nur noch ihr Anteil an der Weltbevölkerung halbiert werden, später wurde auch noch das Basisjahr von 2000 auf 1990 vorverlegt. 2012 hat die FAO (die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen; d. Red.) dann auch noch die Methode geändert, wie die Zahl der Hungrigen berechnet wird. Mit all diesen Tricks gelang es, einen stetig anwachsenden Trend in einen stetig abfallenden zu verwandeln.“ Dass die Zahl der Armen tatsächlich gesunken ist, führt Pogge allein auf das globale Wirtschaftswachstum zurück. Auch Bernd Bornhorst, der bei dem katholischen Hilfswerk „Misereor“ die Abteilung Politik und Globale Zukunftsfragen leitet, will nicht einfach von einem Erfolg sprechen. Denn die Verringerung der Armut wurde erreicht, indem die endlichen Ressourcen weiter geplündert, die Umwelt verschmutzt, der Klimawandel verschärft und die Arbeiter ausgebeutet wurden - kurz: mit dem Modell einer ständig wachsenden Wirtschaft, das der gesamten Weltbevölkerung weder ausreichend Nahrung noch menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen bieten kann.

„Die nachhaltigen Entwicklungsziele sind eine entscheidende Weiterentwicklung der Milleniumsziele, weil damit nicht mehr ‚nur‘ Armut und Hunger bekämpft werden sollen, sondern die globalen Probleme und Herausforderungen universal angegangen werden“, erklärt Bornhorst im Gespräch. In den vielen Zielen und Unterzielen sieht er eine Chance, weil die umfassenden Zusammenhänge von Frieden, Umweltschutz, Hunger, Industrie, Konsumverhalten in den Blick kommen. „Das ist keine Agenda mehr für die armen Länder des Südens und die Entwicklungsministerien, sondern für uns alle - weltweit.“

Es sei nun an den zivilgesellschaftlichen Gruppen, gegenüber der Politik deutlich zu machen, dass es nicht um kleine Veränderungen am bestehenden politischen und wirtschaftlichen System geht, sondern um einen wirklichen Wandel des Wirtschaftens und Politiktreibens. „Wir haben jetzt ein Instrument in der Hand, dass wir beispielsweise dem Wirtschaftsminister vorlegen können mit dem Hinweis: ‚Das habt ihr unterschrieben, daran muss auch die Wirtschaftspolitik ausgerichtet werden‘“, erklärt Bornhorst.

Zwei Billionen Dollar

Scharf kritisiert wird in der Öffentlichkeit, dass sich die Staatengemeinschaft bislang in großer Einmütigkeit darüber ausschweigt, wie denn die Verwirklichung der Ziele finanziert werden soll. „Natürlich ist das auch eine Frage des Geldes, aber das allein schafft den Systemwandel, den wir brauchen, nicht“, gibt Bornhorst zu bedenken. Als angeblich notwendig werden in der Debatte immer wieder zwei Billionen Dollar genannt. Dem entwicklungspolitischen Beauftragten des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, Thilo Hoppe, zufolge geht diese Zahl auf Berechnungen der Weltbank zurück. Dabei gehe es vor allem um große Infrastrukturprojekte, wie Staudämme zur Energiegewinnung oder Verkehrsnetze. „Wir zeigen mit unserer Arbeit, wie man mit deutlich geringeren Mitteln die Ernährungssituation verbessern kann, beispielsweise in der Landwirtschaft durch die Förderung von Kleinbauern oder die Verwendung traditionellen Saatguts und entsprechender Anbaumethoden.“

Niemand will die reicheren Staaten aus ihrer finanziellen Verantwortung entlassen - man denke etwa an das Jahrzehnte alte Versprechen Deutschlands und anderer, 0,7 Prozent des Bruttoinlandseinkommens für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitzustellen. Dennoch richtet auch Hoppe den Blick eher auf strukturelle Veränderungen. „Afrikanischen Staaten entgeht durch die Steuervermeidung transnationaler Unternehmen das Dreifache der Summe, die sie als Entwicklungshilfe erhalten.“ Damit die Staaten sich nicht länger im Kampf um Arbeitsplätze gegenseitig mit immer niedrigeren Steuersätzen oder Steuerfreiheit Konkurrenz machen, braucht es aber eine internationale Lösung. Die Entwicklungsländer wollen deshalb die Rolle der Vereinten Nationen in Steuerfragen aufwerten. Das verhinderten jedoch die Industriestaaten nach wie vor, beklagt Hoppe.

Die eigentliche Arbeit für Kirchen, Gewerkschaften, Hilfswerke und Menschenrechtsorganisationen beginnt erst jetzt, wenn die einzelnen Staaten ausarbeiten, welchen Beitrag sie zu leisten bereit sind. Deutschland habe eine vorbildliche Rolle dabei gespielt, dass die Ziele so verabschiedet wurden - für Hoppe ein „positiver diplomatischer Unfall“. Denn aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit hatte er befürchtet, dass die meisten Anliegen in den langwierigen Verhandlungen aufgeweicht werden. Hätte man ihn vorher gefragt, wäre er sich sicher gewesen, dass beispielsweise die Forderung, die Ungleichheit zwischen und innerhalb der Länder zu verringern, niemals überleben würde. Denn die Ausführungen legen sogar fest, dass die Einkünfte der ärmeren vierzig Prozent einer Gesellschaft stärker wachsen müssen als die der oberen sechzig Prozent. „Das geht nicht ohne Umverteilung angesichts der Tatsache, dass bis heute in den meisten Ländern die Schere zwischen Arm und Reich tendenziell weiter auseinandergeht.“ Dieses und weitere ehrgeizige Formulierungen stehen nun zur Unterschrift an, weil das Gesamtpaket bei den Abschlussverhandlungen nicht mehr aufgeschnürt wurde, um einzelne Punkt aufzuweichen. Und an diesem diplomatischen Erfolg hatte Thilo Hoppe zufolge neben den Entwicklungs- und Schwellenländern gerade auch Deutschland einen großen Anteil.

Mit Gebet und Tat

Dass die Bundesregierung auch bei der Umsetzung auf nationaler Ebene eine ähnlich rühmliche Rolle spielen wird, da ist sich Hoppe jedoch nicht so sicher. „Es beginnt schon die Rosinenpickerei.“ Bei der Bekämpfung des Hungers in der Welt gebe es beispielsweise den Vorschlag, die Lebensmittelverschwendung in Deutschland zu reduzieren. „Das klingt zwar griffig, ist vermittelbar und wichtig, davon wird aber noch niemand in den ärmeren Ländern satt“, merkt Hoppe an. Wenn Deutschland dagegen weniger oder keine Futtermittel mehr für die Fleischproduktion aus Entwicklungsländern einführen würde, wäre das der größere Hebel. Auf den Äckern in Paraguay würde dann nicht länger Soja für die deutschen Schweine angebaut, sondern Reis, Maniok und Bohnen für die dortige Bevölkerung. Dafür müsste in Lateinamerika endlich das Ackerland anders verteilt werden und hierzulande der Fleischkonsum deutlich eingeschränkt oder aber teurer werden. So ließen sich gleich mehrere Ziele voranbringen: den Hunger zu bekämpfen, das Klima zu schützen und ein nachhaltiges Konsumverhalten zu etablieren. Allerdings wären die Widerstände von den Landbesitzern in Lateinamerika, aber auch von Bauernverbänden und so manchem Verbraucher hierzulande erheblich.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie notwendig es ist, „die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen“, wie Papst Franziskus in seiner im Juni veröffentlichten Enzyklika „Laudato si’“ betonte. Wenn die Staaten auch bei der konkreten Umsetzung und Anwendung der Nachhaltigen Entwicklungsziele im ständigen Austausch bleiben, immer wieder kritisch überprüfen, wo die Staatengemeinschaft steht, wird der vom Papst angeregte „neue Dialog … über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten“, Wirklichkeit. Auch die von Franziskus genannten Zentralthemen der Enzyklika lassen einen ähnlichen Geist wie den der Entwicklungsziele erkennen: „die enge Beziehung zwischen den Armen und der Anfälligkeit des Planeten; die Überzeugung, dass in der Welt alles miteinander verbunden ist; die Kritik am neuen Machtmodell und den Formen der Macht, die aus der Technik abgeleitet sind; die Einladung, nach einem anderen Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt zu suchen; der Eigenwert eines jeden Geschöpfs; der menschliche Sinn der Ökologie; die Notwendigkeit aufrichtiger und ehrlicher Debatten; die schwere Verantwortung der internationalen und lokalen Politik; die Wegwerfkultur und der Vorschlag eines neuen Lebensstils.“

Diese Themen stehen nicht nur auf dem Papier, sondern werden vom Vatikan über Religionsgrenzen hinweg vorangebracht. So hat sich Kardinal Peter Turkson als Präsident des päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden bei einem islamischen Symposion über den Klimawandel im türkischen Istanbul dafür ausgesprochen, sich gemeinsam mit Gebet und konkretem Handeln für die Überwindung der ökologischen Krise einzusetzen. Der Glaube an Gott dränge dazu, „die wunderbaren Gaben zu pflegen, die Gott uns und den künftigen Generationen anvertraut hat. Deshalb wird unser Handeln gewiss viel wirkungsvoller sein, wenn wir Gläubige verschiedener Religionen einen Weg finden, um im Geist der Solidarität zusammenzuarbeiten.“

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