Der von den Gräueltaten islamischer Extremisten motivierte Attentäter, der in einem Regionalzug bei Würzburg mit einer Axt bestialisch auf ahnungslose Reisende einschlug, soll eine Botschaft hinterlassen haben, in der er seinen Vater bat: „Bete für mich, dass ich in den Himmel komme.“
Glaubte der angeblich Siebzehnjährige, der als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland einreiste, wirklich, dass Mörder das ewige Heil erlangen? Die klugen Fachleute, die jetzt wieder auf allen Kanälen raten, wie der radikalisierenden Versuchung vorzubeugen sei, setzen gern auf „Wachsamkeit“ und auf säuselnde Pädagogik, auf Belehrung der Migranten-Jugend mit den Vorzügen eines freiheitlichen, sozial gesicherten, demokratischen Rechtsstaats. Vor allem meinen sie, mit säkularen Heilsversprechungen und den Verlockungen einer irdischen Konsumgüter-Glücksgesellschaft die verführbaren, von radikalen Muslimen umworbenen, nicht selten frustrierten, niemals wirklich heimisch gewordenen Heranwachsenden vom Terror abhalten zu können. Welch ein Irrtum. Besser wäre es, aus eigener religiöser Überzeugung, wenn man sie nur hätte, die religiöse Wahrheit in aller Klarheit und Deutlichkeit auszusprechen, in einer Sprache, die die Verirrten verstehen: Die Oberen, die Propagandisten des Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien verar…en euch! Ihr kommt nicht in den Himmel! Ihr kommt in die Hölle! Ihr werdet dort schmoren in der ewigen Gottesfinsternis, wo Heulen und Zähneknirschen ist. Statt des Paradieses, Dschanna, wartet auf euch die Feuergrube der Verdammten, Dschahannam! Wer Nihilismus sät, wird Nihilismus ernten, und wenn er sich noch so fromm gebärdet und voller Todesverachtung meint, die Lebensbejahenden mit Todessehnsucht erschrecken zu können. An den faulen Früchten werden auch die vermeintlich Gottesfürchtigen, die grausamst getäuscht wurden und sich täuschen ließen, von Gott erkannt und danach beurteilt.
Nur scheint es niemand mehr in unserer einstmals christlichen Kultur noch zu wagen, auf dem Feld des Glaubens, auf der Ebene der Religion, jenen entgegenzutreten, die mit falschem Glauben und falschen religiösen Anschauungen meinen, ihr Leben zu retten, indem sie in ihrem Götzendienst anderes Leben vernichten. Warum sagen selbst die vielen rechtgläubigen Muslime samt ihren Imamen nicht offen und offensiv die Wahrheit, dass die „gläubigen“ Extremisten und deren muslimische Lehrer Ungläubige sind - und nichts anderes! Stattdessen ist nicht nur in den islamischen Staaten vielfach klammheimliche und sogar öffentliche Bewunderung zu beobachten für jene, die meinen, sich als „Märtyrer“ an den - westlichen oder westlich infizierten - „Ungläubigen“ rächen zu müssen. Entsprechend lautete ja der erste Teil des Schreibens jenes Flüchtlings, der zum Verbrecher wurde: „Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann.“
Das große Vergessen
Unterdessen versuchen viele Meinungsmacher samt Medien, dem hiesigen Volk eine Angst einzureden, die es gar nicht hat. „Urlaub in Angst“ verkündete der „Spiegel“ in einer Titelgeschichte und sprach von einer „Ausweitung der Angstzone“. Die Realität sieht anders aus: Die Leute wechseln allenfalls mal das Reiseziel. Auch bald nach dem furchtbaren Tsunami 2004 in Fernost kehrten die Touristen zurück. Sie tummeln sich wieder an den Stränden Thailands und Indonesiens, als ob nichts gewesen wäre.
Geradezu albern sind nach dschihadistischen Anschlägen die billigen Aufrufe zu kindischen Trotzreaktionen: Man möge sich doch seine Belustigung, sein Vergnügen nicht nehmen lassen. „Jetzt erst recht…!“ So das Motto. Als ob die Menschen das zum Überleben nötig hätten. Abgesehen von einigen momentanen Aufregern, hysterischen Kurzzeit-Reaktionen und überwiegend eher leichten Irritationen haben sich die Menschen ohnehin noch nie abspenstig machen lassen vom Überraschungstod da oder dort - selbst wenn, wie im fernen Asien, Hunderttausende in der Flut umkamen. Auch zur Ferienzeit steigen die Scharen wie immer in Flugzeuge und ins Auto, trotz der Unglücke mit tausenden Toten auf unseren Straßen Jahr für Jahr. Letzten Endes obsiegt stets die Verdrängung, das Vergessen.
Leider scheint sich das Vergessen auch des Christlichen bemächtigt zu haben, was nicht nur an den jüngsten, weiterhin dramatischen Zahlen des kirchlichen Schwunds abzulesen ist. Weitgehend abhandengekommen ist dem ehemals christlichen Abendland und seiner einstigen Leitkultur die Realutopie der biblisch begründeten Hoffnung auf Auferstehung inmitten der Realität von Leiden und Tod, der jedem und jeder unausweichlich bevorsteht. Wen bewegt eigentlich noch die besondere Sprachkraft, Widerstandskraft und Heil(ung)skraft der Verheißung eines ewigen Lebens im Reich Gottes, das seine Sphären ausbreitet bereits ins hiesige, oft so schwer erschütterte Dasein, hinein ins irdische Jammertal voller Tränen? Was ist geworden aus der durch Jesus Christus und in seiner Folge von Paulus und anderen Nachfolgern angeregten Ausweitung der Hoffnungszone?
In dem vom Theologen Johann Baptist Metz formulierten, inzwischen in der Glaubensgemeinschaft leider ebenfalls vergessenen Dokument „Unsere Hoffnung“ der Würzburger Synode der westdeutschen Bistümer, verfasst in den siebziger Jahren, heißt es: Wir dürften „die Maßstäbe unserer Hoffnung … nicht zurückschrauben oder verbiegen“. Denn sie „gebieten uns auch ein hoffnungsvolles Ja zu jedem menschlichen Leben in einer Zeit, in der unterschwellig die Angst regiert, überhaupt Leben zu wecken“. Die christliche Bereitschaft zu gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen bewähre sich „in unserem Einstehen für Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden“. Dabei rücke unsere Hoffnung auch anderen nahe, die in ähnlichem Einsatz engagiert sind.
Die Illusion: mehr Sozialarbeit
Vor allem aber betont der Text, dass alle humanen Initiativen für Christen einen tiefen religiösen Grund und ein religiöses Ziel haben. Die Aktivitäten und Haltungen schweben nicht im leeren Raum. Sie „messen sich letztlich am Maß der ‚einen Hoffnung, zu der wir berufen sind‘ (Epheserbrief 4,4). Diese Hoffnung kommt nicht aus dem Ungewissen und treibt nicht ins Ungefähre. Sie wurzelt in Christus, und sie klagt auch bei uns Christen des späten 20. Jahrhunderts (jetzt des frühen 21. Jahrhunderts; d. Red.) die Erwartung seiner Wiederkunft ein. Sie macht uns immer neu zu Menschen, die inmitten ihrer geschichtlichen Erfahrungen und Kämpfe ihr Haupt erheben und dem messianischen ‚Tag des Herrn‘ entgegenblicken: ‚Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde… Und ich hörte eine gewaltige Stimme vom Thron her rufen: Seht das Zelt Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und Gott selbst wird mit ihnen sein. Er wird jede Träne aus ihren Augen wischen: Der Tod wird nicht mehr sein, nicht Trauer noch Klage noch Mühsal… Und der auf dem Thron saß, sprach: Neu mache ich alles‘ (Offb 21,1.3-5).“
Die apokalyptische, das Neue Testament beschließende Schrift ist eine Trostschrift in schwerer Bedrängnis, eine Hoffnungsschrift der expressivsten und poetischsten Art. Es stünde den Christen und den Kirchen der Gegenwart gut an, sich darauf zu besinnen, statt sich mit Plattitüden unter die sonstigen inflationär verkündeten Plattheiten zu mischen, die dem religiösen Fanatismus nichts anderes entgegenzusetzen haben als weltlich-diesseitige Vertröstungs- oder Überwachungsrhetorik. Nichts anderes als Opium des Volkes. Wer aber weckt den Sinn für die Realitäten, für die Sicherheit einer Hoffnung die von ganz woandersher kommt, aus dem Innersten des Religiösen, des Christlichen selbst, aus dem Glauben an die Auferweckung Jesu Christi und aus der Erwartung der Auferstehung der Toten? Wo ist die Verkündigung, die sich auf die existenzielle Ebene dessen begibt, was letztlich alle angeht: das Ewige, das Unendliche mitten im Endlichen? Und sei es nur als Sehnsucht, der viele nicht zu vertrauen wagen. Aber sie ist der einzig wahre Trost in der Trostlosigkeit.
Papst Franziskus notierte in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute: „Seine (Christi; d. Red.) Auferstehung gehört nicht der Vergangenheit an; sie beinhaltet eine Lebenskraft, die die Welt durchdrungen hat… Es ist wahr, dass es oft so scheint, als existiere Gott nicht: Wir sehen Ungerechtigkeit, Bosheit, Gleichgültigkeit und Grausamkeit, die nicht aufhören. Es ist aber auch gewiss, dass mitten in der Dunkelheit immer etwas Neues aufkeimt, das früher oder später Frucht bringt… Das ist die Kraft der Auferstehung, und jeder Verkünder des Evangeliums ist ein Werkzeug dieser Dynamik.“
Der Theologe Karlheinz Ruhstorfer sieht die christliche Verkündigung als Dauerauftrag, Zeugnis abzulegen von der Christusverbundenheit, die auch eine poetische Seite hat, ein „verdichtetes Wissen“, das nicht nur äußerlich zu vermitteln, „sondern existenziell einzuüben“ sei. Dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi entspringe „der absolute Optimismus der Christen“, auch wenn sie selber von Gewalt, von den Abgründen der Hoffnunglosigkeit, Krankheit, Unglücken und Tod nicht verschont bleiben. Vergesst die Hoffnung nicht!
Ruhstorfer schreibt in seinem Buch „Freiheit - Würde - Glauben“ über die christliche Religion und die westliche Welt (bei Schöningh), Jesus lehre die vollkommene Gelassenheit gegenüber der Welt. Wer die falsche Anhänglichkeit an die Sachen und Menschen lasse, dem könne „das wahre Gut des Menschen überhaupt erscheinen“. Mehr noch: „Das wahre Gut … ist das Gottesreich, das in nichts anderem besteht als in der Gegenwart Gottes selbst. Wir müssen begreifen, dass die Quelle des Lebens Gott selbst ist. Wir sind in Gott, und Gott ist in uns… Gott selbst ist das Licht… Das Licht der Gegenwart Gottes lässt uns eines Tages und mithin die Dinge der Welt erst erscheinen… Wer … wahrhaft liebt, leuchtet als Licht der Welt.“ Wenn es eine erste und letzte Hoffnung in der Drangsal unserer endlichen Existenz und endlichen Welt überhaupt gibt, dann diese: „Unsere Endlichkeit ist in der Unendlichkeit Gottes geborgen.“
Der Westen sollte schleunigst den Mut finden, angesichts des Dschihadismus wieder davon zu erzählen und damit Widerstand, ja Immunisierungskräfte zu wecken. Der Innsbrucker Theologe Jozef Niewiadomski hat Wesentliches erkannt: Nur durch die üblichen Integrationsangebote und herkömmliche Sozialarbeit seien die zum Extremismus neigenden Muslime nicht vom Dschihadismus und Anschlägen abzuhalten. Was diese Menschen bräuchten, „sind rief religiöse Menschen, die sie auf dem Weg zu einem anderen Gottesbild begleiten“. Und: „Einer Religion, die tötet, wird nur eine Religion, die den Gewaltverzicht und die Versöhnung mit Anderen, mit Fremden, ja mit Gegnern und Feinden lebt, standhalten.“
Das bedeutet für die Bevölkerung der Einwanderungsländer, des Westens, aber auch: Statt des propagandistischen „Jetzt erst recht!“ und „Weiter so wie bisher!“ hätten wir ebenfalls Umkehr nötig, Umkehr zu einer ursprünglichen, zu einer religiösen, authentisch christlichen Hoffnung: aufrüttelnd, motivierend, erhebend. Das ist das Beste, was Christen der Welt, einschließlich der islamischen Welt, auch heute zu sagen hätten, wenn sie es nur wollten.