Integration von FlüchtlingenHerr Z. sucht eine Wohnung

Der Zuzug von Flüchtlingen nach Europa ist merklich schwächer geworden. In den Städten, Kommunen und christlichen Gemeinden werden die Bemühungen um Integration fortgesetzt.

Die Stimmung ist aufgeregt, fast erregt. Ich werde umlagert von jungen Männern und Frauen, die auf Arabisch auf mich einreden. Ein Dolmetscher versucht sein Bestes, um sicherzustellen, dass ich etwas von dem mitbekomme, was gesprochen wird. Sicher kann ich mir aber nicht sein, dass der Dolmetscher die Geschichten der jungen Leute nicht mit seinen eigenen Geschichten anreichert. Was ich höre, ist also nicht unbedingt das, was gesagt wird.

Die Gesprächspartner sind seit wenigen Monaten Mitglieder einer orthodoxen Gemeinde in Hamburg. Wie viele sind sie dem Krieg in Syrien entflohen und versuchen nun, hier in Norddeutschland heimisch zu werden. Sogar aus Rostock sind sie zur festlichen Liturgie in ihrer Sprache und ihrem Ritus nach Hamburg gereist. Dementsprechend voll war auch der Gottesdienst.

Wir reden über den Alltag dieser jungen Menschen. Gleich mehrere Gemeindemitglieder erzählen mir von Anfeindungen, denen sie in den Unterkünften für Flüchtlinge ausgesetzt sind. Die Schilderungen klingen stets ähnlich: Radikale Muslime beschimpfen sie als „Ungläubige“. Christen und andere Minderheiten werden offensichtlich bedroht und zum Teil gewalttätig angegriffen. Oft haben die so Verfolgten kein Vertrauen in die Einrichtungsleitung, schon gar nicht in die privaten Sicherheitsleute, die mit wenig Fingerspitzengefühl vorzugehen scheinen, manchmal sogar selber zu radikalislamischem Gedankengut neigen. Ich möchte das Problem nicht aufbauschen, gleichzeitig bringt angestrengtes Abwiegeln solcher Vorfälle auch nicht weiter.

Aufreibender Alltag

Die Flüchtlingsunterkünfte gleichen einem Mikrokosmos. Besonders für jene Bewohner, die kaum Kontakt zur Außenwelt haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass in einer solchen Umgebung für Mitglieder einer ethnischen beziehungsweise religiösen Minderheit der Alltag aufreibend sein kann. Im Angesicht einer andersdenkenden Mehrheit ist es schwer bis unmöglich, unbedarft seinen eigenen Glauben zu leben. Öffentliche Stellen sind für konkrete Hinweise dankbar, von den Flüchtlingen selbst erhalten sie die aber wenig. Diese sind oft unsicher und haben Angst vor weiteren Anfeindungen. Da ist es gut, dass die Betroffenen mit mir sprechen. Zum einen höre ich ihre Sicht der Dinge, zum anderen kann ich in Einzelfällen konkret weiterhelfen - leider viel zu selten. Das Gefühl der Bedrohung legt sich erst, wenn man eine eigene Wohnung oder eine passende Wohngemeinschaft gefunden hat. Die Situation mag sich auch beruhigen, jetzt, da viele Unterkünfte leerer werden.

Beim Gespräch in der orthodoxen Gemeinde spüre ich auch, dass manche eta­blier­ten Gemeindemitglieder auf den Islam nicht gut zu sprechen sind. Stimmen mit AfD-Nähe sind hörbar, und schlechte Erfahrungen aus der Heimat klingen durch. Offenbar ist es schon passiert, dass Verfolgte und Verfolger aus der Heimat hierzulande wieder zusammengetroffen sind. Für mich sind die tiefen Gräben unverkennbar, die zwischen nach Deutschland geflüchteten Muslimen und den ebenfalls geflüchteten Christen klaffen können. Für ein unbeschwertes Verhältnis sind die Leiderfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte zu präsent.

Zwischen den Töpfen

An einem anderen Tag in einer staatlichen Flüchtlingsunterkunft: Ich bin auf einem sogenannten Iftar, also einem muslimischen Fastenbrechen am Abend nach Sonnenuntergang. Es ist einer der längsten Tage im Jahr. Männer, Frauen, Kinder aus aller Herren Länder kommen zusammen. Ihr Glaube verbindet sie im gemeinsamen Mahl. Schon früh bin ich da, um mit den Organisatorinnen eines freien Kulturvereins den spartanischen Saal in einem Wohncontainer für das Essen vorzubereiten. Wir räumen Mobiliar zur Seite und legen den Boden mit einer schützenden Folie aus, an einer Stelle. An einer anderen Stelle rollen wir Teppiche in den Raum fürs Gebet. Wir verteilen Blumen, Kerzen, Servietten. Die Gäste werden Platz finden auf dem Boden. Sie werden sich dort niederlassen, um das tägliche Hungern und Dürsten zu beenden.

Neugierige Kinder kommentieren durchs Fenster gelehnt einen jeden der Handgriffe. Die ersten Besucher kommen, schauen und gehen wieder. Tee kochen wir, Brot wird geschnitten, Süßes wird zurechtgemacht, Servietten werden gefaltet. Dazwischen drücken sich Gespräche, wie man sie selten führt. Über das Fasten, selbstverständlich, das christliche und das muslimische. Über rituelles Speisen an sich und überhaupt die Rolle des Essens in den Religionen: das Iftar, die christliche Speisesegnung zu Ostern, über das Mahl der Christen, die Eucharistie. Doch kaum versuche ich, es in kurze verständliche Worte zu fassen, spüre ich an mir selbst das „Ärgernis“ (1 Kor 1,23), das für einen Nichtchristen im Erfassen dieses Mahles liegen muss. So bleibt der Satz „Wir Christen nehmen den Leib und das Blut Jesu Christi zu uns“ fürchterlich haltlos im Raum der kleinen Küche hängen. Interreligiöse Begegnung im kargen, geschäftigen Wohncontainer, Dialog sozusagen „zwischen den Kochtöpfen“, wie es Teresa von Ávila einmal genannt hat.

Spät am Abend werden Teile aus dem Koran rezitiert, ein Gebet wird gesprochen. Anschließend bricht man das Fasten, mit einer Dattel und einem Schluck Wasser. Essen wird aufgetragen. Ich spreche mein persönliches Tischgebet mit einem Kreuzzeichen. Verwirrung entsteht, da in der international zusammengesetzten Gruppe unterschiedliche Zeiten kursieren, zu denen das Fasten gebrochen werden darf. Die einen tun es um 22 Uhr, die anderen eine halbe Stunde später. Satt werden alle. Und es bleibt genug für die Daheimgebliebenen wie für den eigenen Kühlschrank.

Die gesellschaftliche Debatte über Flucht und Integration ist von der Tatsache geprägt, dass ein Großteil der Flüchtlinge muslimischen Glaubens ist. Das öffentliche Unbehagen, das dem Islam entgegengebracht wird, ist jeden Tag aufs Neue zu spüren. Das Gespräch bei der orthodoxen Gemeinde, aber auch die offen geäußerte Islam-Skepsis in vielen anderen Begegnungen und Zuschriften machen mir mehr und mehr klar, welche entscheidende Bedeutung die ehrliche interreligiöse Begegnung hat. Das gilt gerade für die etablierten Kirchen, die im Anderen des Islam etwas von dem erkennen, was sie an und in sich selbst vermissen: ein im Alltag erkenntlicher und erbaulicher Glaube, eine Bereitschaft auch des einzelnen Gläubigen, der eigenen Religion ein öffentliches Gesicht zu geben.

Beim Iftar-Empfang in der Flüchtlingsunterkunft setze nicht nur ich mich der Erfahrung des Anderen aus. Die Begegnungen vor Ort - so meine Hoffnung - werden auch bei meinen muslimischen Gesprächspartnerinnen - es waren vor allem Frauen - etwas anstoßen. Nur in Ausnahmefällen wird sich diese interreligiöse Begegnung zu einem echten „Dialog“ aufschwingen können, bei dem es um den Austausch spiritueller Haltungen und theologischer Ansichten geht.

Das heißt aber nicht, dass interreligiöse - möglichst alltagsnahe - Begegnung nicht ständig versucht werden sollte. Die Kirchen können mit ihren finanziellen und personellen Mitteln dafür sorgen, dass es nicht der Hoffnung und dem Zufall allein überlassen wird, ob und auf welche Weise solche Begegnungen zustande kommen. Mit einem gesunden Urteilsvermögen muss man sie planen, durchführen und letztlich auch: wollen.

Weltkirche in Hamburg

Mit Herrn Z. aus Syrien verbringe ich einen ganzen Vormittag. Er sucht eine Wohnung für seine Familie. Gemeinsam schauen wir uns eine an. Herr Z. wohnt derzeit in einem anderen Bundesland. Dort fühlt er sich nicht wohl. Es gebe keine Arbeit für ihn, sagt er, und die anderen Flüchtlinge seien fast ausnahmslos Muslime. Herr Z. ist syrischer Katholik. Als solcher hat er sich an mich gewandt mit der Bitte um Hilfe.

Neben den Muslimen hat es auch viele Christen aus dem Nahen Osten und aus Afrika nach Deutschland getrieben. Die Fluchtgründe sind überall dieselben: Krieg in Syrien und im Irak, Willkürherrschaft in Eritrea. Nicht nur die Tageszeitungen, sondern auch die kirchlichen Hilfswerke wie „Misereor“, „Missio“ und der Flüchtlingsdienst der Jesuiten berichten regelmäßig und gut informiert über die Lage in diesen Ländern. Wer will, kann sich bei uns jederzeit umfassend und gründlich informieren.

Einige Zahlen für Norddeutschland: Auf dem Gebiet des Erzbistums Hamburg haben sich seit 2012 rund fünfzig Personen aus Eritrea, neunzig Personen aus dem Irak und 150 Personen aus Syrien „katholisch“ gemeldet. Geht man davon aus, dass nur wenige Katholiken aus den betreffenden Ländern um die Eigenarten des deutschen Meldewesens wissen, dann ist das sehr viel. Und geht man weiter davon aus, dass die Katholiken so oder so nur den geringeren Anteil der Christen unter den Flüchtlingen ausmachen - die orthodoxen beziehungsweise orientalischen Christen sind in weit größerem Umfang nach Europa geflohen -, bekommt man ein Gefühl vom Ausmaß der mutmaßlich hohen Zahl von christlichen Flüchtlingen hierzulande.

Der eritreisch-katholische Ostergottesdienst in Hamburg wurde von mehr als 300 Gläubigen gefeiert. Die Menschen kamen aus ganz Norddeutschland angereist. Deutschsprachige Gemeinden feiern ihre Gottesdienste oft mit weit geringerer Beteiligung. Langsam dämmert es daher den kirchlich Zuständigen, dass all diese „neuen“ Katholiken kein vorübergehendes Phänomen sein werden. Die weltkirchliche Pluralisierung nimmt in der katholischen Kirche hierzulande weiter zu. Nicht nur kommen neue Sprachgruppen in Deutschland hinzu. Es gibt auch eine größere Zahl von Gläubigen, die ihre Gottesdienste in einem anderen, nichtlateinischen Ritus feiern und zudem noch von einem anderen Kirchenrecht erfasst werden. Für diese Katholiken ist die pastorale „Versorgung“ bislang mager. Der arabisch-sprachige Seelsorger für Hamburg beispielsweise kommt einmal im Monat aus Frankfurt am Main angereist, der eritreische Priester gar mit dem Flieger aus Rom.

Eigene Liturgie schafft Heimat

Als ich Herrn Z. berichte, dass hier in Hamburg alle vier Wochen ein arabischsprachiger katholischer Gottesdienst gefeiert wird, glänzen seine Augen. Ja, er und seine Familie wollen sich hier in Deutschland integrieren. Herr Z. spricht auch schon sehr passabel unsere Sprache. Die Aussicht, mit Menschen aus der eigenen Heimat und aus der eigenen Glaubensgemeinschaft gemeinsam Liturgie zu feiern, beflügelt die Wohnungssuche geradezu. Umso härter wäre es, wenn all die einzuholenden Genehmigungen und Bewilligungen einen Umzug verhindern würden.

Ständig bewege ich mich zwischen den mal tragischen, mal hoffnungsvoll gestimmten Einzelschicksalen von Flüchtlingen. Die vielen Diskussionen rund um Flucht, Migration und Integration befremden mich da eher. Auf der einen Seite stehen die absoluten, gesinnungsethischen Maßstäbe, auch jene der Kirchen. Sie mögen die eine oder andere Gesetzesverschärfung abmildern können oder die Engagierten motivieren. Argumentativ zerschellen sie aber an der Wirklichkeit politischer Zwänge. Die asylpolitische Behördenpraxis auf der anderen Seite erscheint im Hinblick auf die konkreten „Fälle“ oft als menschen- und familienfeindlich. Zwischen diesen Polen versuche ich einen ständigen Spagat.

Selbst bin ich Teil der großen Institution Kirche, die sich die Hilfe für die Flüchtlinge auf die Fahnen geschrieben hat, daneben aber noch viele andere Felder zu beackern hat. Nicht überall renne ich mit meinen Anliegen offene Türen ein. Ich bohre dicke Bretter zwischen Kirche und Staat, Ehrenamt und Hauptamt, Flüchtlingen und Bundesbürgern, zwischen Politik und Ethik, Islam und Christentum, Theorie und Praxis. Meine stärkste Waffe in all dem ist die beharrliche Wiedervorlage.

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