Das Ende kommt. Wer meint, mit dem Leben auf diesem Planeten, ja mit dem Planeten selbst werde es immer weitergehen, muss sich eines Besseren belehren lassen. Gleich mehrere Szenarien für die universale Apokalypse gibt es. Die „sicherste“ Variante: Spätestens in 4,5 Milliarden Jahren wird der Wasserstoff in der Sonne verbraucht sein. Sie wird sich zu einem Roten Riesen aufblähen und die Erde „schlucken“. Aber vielleicht geht es auch viel schneller: durch einen Meteoriteneinschlag und dessen Folgen etwa - so wie vor 65 Millionen Jahren möglicherweise die Dinosaurier ausgelöscht wurden. Oder durch die Explosion einer Super- oder Hypernova in einer benachbarten Galaxie. Und dann sind da ja auch immer noch die Selbstzerstörungskräfte des Menschen …
Unser Universum wird es, nach allem was die Astrophysik heute sagen kann, irgendwann sicher nicht mehr geben. Aber selbst wenn der Weltuntergang unmittelbar bevorstünde, soll man ja noch ein Apfelbäumchen pflanzen, wie Martin Luther gesagt haben soll. Übersetzt könnte das heißen: Auch angesichts der unausweichlichen kosmischen Katastrophe in fernen Tagen können und müssen wir uns heute Gedanken über die „großen Fragen“ machen. Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir? Wie wollen wir leben? Schließlich ist es genau das, was den Menschen vom Tier unterscheidet und zum Menschen macht: Er muss nicht nur im Augenblick, in der Gegenwart leben. Sondern sein Geist stellt ihm noch mindestens zwei weitere Denk-Dimensionen zur Verfügung: Vergangenheit und Zukunft. Zum einen können wir uns erinnern, unsere Erfahrungen deuten und daraus lernen. Zum anderen können wir nach vorne blicken: planen, Vorsorge treffen.
Die beiden Richtungen sind freilich für unser Denken unterschiedlich gut zu erreichen. Zwar haben wir längst gelernt, dass auch der Zugriff auf die eigene Vergangenheit oft alles andere als objektiv ist. Hier wird nicht einfach ein Speicher aus dem Gehirn ausgelesen, denn nicht selten spielt einem die Psyche einen Streich. Erinnerungen werden durch Gefühle oder Einflüsse von außen überlagert, gemäß bekannten Deutungsmustern im Gehirn abgeglichen und interpretiert. Deshalb schalten Strafgerichte immer wieder Psychologen als Gutachter ein, um die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen zu bewerten.
Der Optimismus von einst
Dennoch sind all diese Probleme mit der Vergangenheit überschaubar, verglichen mit dem Blick nach vorne. „Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“ So lautet ein geflügeltes Wort in diesem Zusammenhang, das wahlweise Karl Valentin, Mark Twain oder anderen zugeschrieben wird. Teilweise können wir die Zukunft tatsächlich gestalten und beeinflussen. Doch was letztendlich auf uns zukommt, liegt in Finsternis beziehungsweise im Nebel. Søren Kierkegaard formulierte den Sachverhalt so: „Das Leben muss rückwärts verstanden, aber vorwärts gelebt werden.“
Umso mehr Anstrengungen haben die Menschen seit jeher unternommen, um den Nebelschleier über der Zukunft zumindest ein wenig zu lüften. Sie deuteten den Flug der Vögel, lasen in den Eingeweiden von Opfertieren oder erstellten Horoskope. Nicht einmal die aus heutiger Sicht abwegigsten Dinge ließ man unversucht, um Aussagen über das Kommende treffen zu können. In unserer Zeit sind viele fasziniert von Trendforschern.
Derzeit ist das Interesse an der Zukunft besonders groß. Denn heute scheint kaum einer mehr den Optimismus früherer Tage zu haben, als man noch meinte, die Verhältnisse würden immer irgendwie besser werden. Frieden, Demokratie und Wohlstand für alle galten einmal als vorstell- und erreichbar. Man werde es einmal besser haben als die Vorfahren, gesünder leben und noch viel älter werden. Der Hunger werde besiegt. Eine „Allianz für den Fortschritt“ hatte John F. Kennedy ausgerufen. Die Zukunft stand vor allem auch der Achtundsechziger-Bewegung offen und war verheißungsvoll.
Heute dagegen herrschen vielfach Unsicherheit und Enttäuschung: Die Arbeitslosigkeit in Europa ist hoch, viele Beschäftigungsverhältnisse sind prekär, unverbindlich. Junge Menschen wachsen mit dem Gefühl auf, nicht gebraucht zu werden. Das gesellschaftliche Klima verroht. Hinzu kommen Bedrohungen durch Terrorismus, Kriege, die großen Migrationsbewegungen und Umweltprobleme. Nur ein Drittel der Deutschen sieht dem kommenden Jahr angeblich hoffnungsvoll entgegen, ergab kürzlich eine Umfrage.
Groß war der Zuspruch, als jetzt die Katholische Akademie in Bayern ihre „Philosophischen Tage“ dem Thema „Zukunft“ widmete. 140 Teilnehmer ließen sich erläutern, welche künftigen Szenarien erwartet werden. Die Tagung war kursorisch angelegt, man bekam also einen guten Gesamtüberblick. Es ging um den einzelnen Menschen, um die Gesellschaft, um die Welt und schließlich um den gesamten Kosmos. Aus jedem dieser Teilbereiche der Wirklichkeit hatten die Veranstalter einzelne Beispiele ausgewählt - wobei notwendigerweise viele Themen aus den jeweiligen Fachgebieten auch nicht diskutiert werden konnten.
Eizellen aus Hautzellen
Auffällig: Trotz des „Philosophischen“ war die Philosophie nicht der Ausgangspunkt, sondern zunächst galt es, auf die Erkenntnisse etwa der Astrophysik, der Soziologie oder der Ökonomie zu hören - und sich dann den daraus abgeleiteten Fragen zu stellen. Um es vorauszuschicken: Diesen zweiten Teil, also das tatsächlich philosophische Abwägen, hätte man sich manches Mal ausführlicher gewünscht. Aber das war mit gerade einmal zwei Arbeitstagen kaum zu leisten. Die Entwicklungen in den einzelnen Disziplinen der Wissenschaft sind derart komplex, dass es erst einmal einen Anlauf braucht, diese überhaupt darzustellen.
Der Bonner Wissenschaftsethiker Sebastian Knell nahm die Zukunft des einzelnen Menschen in den Blick. Auf dem Feld der Biowissenschaften werden laufend neue Entwicklungen verkündet. Gerade haben japanische Genforscher Eizellen aus Hautzellen hergestellt, was die Zukunft der Fortpflanzung verändern wird. Andere arbeiten daran, Erbkrankheiten heilen zu können - wobei sich viele Versprechen allerdings regelmäßig wieder in Luft auflösen.
Sebastian Knell griff sich aus diesem Bereich ein Thema heraus, das tatsächlich in mittlerer Frist Wirklichkeit werden könnte: die Verlängerung des menschlichen Lebens durch das Stoppen oder Verlangsamen des Alterns. Die Biogerontologie, also die Erforschung des Älterwerdens, hat laut Knell „die Ursachen bald verstanden“. Damit werde es vermutlich möglich sein, in den Alterungsprozess einzugreifen und den Tod immer weiter hinauszuschieben. Zwar wandte sich der Wissenschaftsethiker in scharfer Form gegen die post- oder transhumanistische Idee, den Tod mithilfe von Computertechnik gänzlich abschaffen zu wollen. Daran arbeitet etwa Ray Kurzweil, einer der Pioniere in der Forschung zu Künstlicher Intelligenz beim Internetkonzern Google. Solche Vorstellungen einer Verschmelzung von Mensch und Maschine bezeichnete Knell als „unsinnig“ und „spinnerte Vision aus dem Silicon Valley“. Auch die biologische Unsterblichkeit, von der manche Biogerontologen sprechen, sieht Knell nicht. Aber er hält es durchaus für denkbar, dass das Leben des Menschen künftig 140 bis 180 Jahre dauern könnte.
Ewig diesseits leben?
Damit werde womöglich eine Klage überflüssig, die es seit der Antike gibt: Das Leben ist zu kurz. „Vita brevis, ars longa“, hat etwa Hippokrates gesagt. Der allzu frühe Tod verhindert, dass die Menschen zu vollkommener Weisheit und Kunstfertigkeit gelangen. Mit „De brevitate vitae“ widmete der römische Denker Seneca der Kürze des Lebens sogar eine eigene programmatische Schrift. Die Erfahrung der antiken Philosophen ist heute nur noch dringlicher geworden, so Knell. Wir haben uns im Lauf der Geschichte eine Welt geschaffen, die wir unmöglich noch durchdringen und denkerisch bewältigen können. Niemand schafft es zum Beispiel mehr, alle großen Werke der Weltliteratur zu lesen. Und selbst wenn es ihm gelänge, hätte er sich noch nichts von Malerei oder Musik angeeignet. Und erst recht könnte er nicht im Detail erklären, wie ein Atomkraftwerk funktioniert.
Mit einem deutlich längeren Leben wäre dieses Missverhältnis zumindest entschärft, so Knell. Und warum soll sich der Mensch nicht auch die Zeit erobern - so wie er in früheren Tagen durch die Erfindung immer neuer Verkehrsmittel auch seinen Raum immer weiter vergrößert hat?
Ganz so einfach freilich ist es nicht. Zunächst einmal bedeutet ein längeres Leben nicht zwangsläufig auch ein besseres Leben, sondern nur die Chance darauf. Außerdem gehen durch die große Länge möglicherweise wesentliche Dimensionen des Menschseins verloren, etwa die Zielgerichtetheit unserer Existenz oder die Fähigkeit, das eigene Leben noch einigermaßen zu überblicken und für sich und andere einzuordnen. „Wäre der Mensch durch mehr Lebenszeit aus den Angeln seines Menschseins gehoben?“
Zwar wurden auch in diesem Vortrag manche Aspekte nur gestreift. Etwa die Frage, ob es im größeren Zusammenhang überhaupt erstrebenswert ist, dass die Menschen so lange leben. „Das wäre nur durch eine gewisse Form der Geburtenkontrolle realisierbar“, so Knell. Dennoch war der Beitrag des Bonner Wissenschaftsethikers derjenige, der am besten den Zweischritt - Darstellung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und ihre philosophische Gewichtung - leistete. Oft kamen die Referenten nicht entscheidend über die erste Stufe hinaus. Bei der Exkursion ins Roboter-Laboratorium der Technischen Universität München etwa ging es ausführlich um die technische Herausforderung, Robotersteuerung zu entwickeln, die künftig eine effiziente und gefahrlose Zusammenarbeit von Mensch und Maschine möglich macht. Für die ethischen Aspekte blieb leider wenig Zeit, für die wichtigen Fragen etwa wie: Was passiert, wenn in der Pflege menschliche Zuwendung durch Roboter ersetzt wird - selbst wenn diese uns immer ähnlicher werden?
Der Münchener Soziologe Armin Nassehi führte aus, dass moderne Gesellschaften immer komplexer werden. Prozesse, auch in der Politik, laufen heute nicht mehr linear, direktiv ab, nach dem Motto: Einer sagt, wo es langgeht. Stattdessen gehe es um Aushandlung, um Wechselwirkungen, auch um sich selbst organisierende Prozesse. Diese neue Unübersichtlichkeit mache vielen Menschen Angst, sie wünschten sich lineare, einfache Antworten. „Es gibt Leute, die mit der Komplexität der Welt nicht zurechtkommen“, so Nassehi. Notwendig sei, die Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten auszuhalten. Ja mehr noch dies als Chance zu sehen, von anderen Einflüssen zu lernen.
Kosmischer Karfreitag
Der Berliner Klimaforscher Ottmar Edenhofer erläuterte, dass es einen Paradigmenwechsel brauche, um das sogenannte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, also die Erderwärmung nicht um mehr als diesen Wert ansteigen zu lassen. Wichtige Voraussetzung dafür sei, die Atmosphäre völkerrechtlich als Gemeingut zu verstehen. Dann sind nämlich alle Staaten verpflichtet, bei Gefahren für dieses Gemeingut einzuschreiten. Diese Sichtweise leitete Edenhofer originellerweise aus den Prinzipien der katholischen Soziallehre her. Auch Papst Franziskus hat sie in seiner Enzyklika „Laudato si’“ vertreten, zu der Edenhofer seinen Beitrag geleistet hat. „Die Atmosphäre ist ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit, ein Gemeinschaftsgut von allen für alle“, heißt es da.
Bleiben noch die kosmische Dimension und die Aussicht auf das sichere Ende. Gleich mehrfach ließ der Astrophysiker Josef M. Gaßner vor seinen staunenden Zuhörern in München die Welt untergehen. Er blieb freilich ganz in der Perspektive des Naturwissenschaftlers. Egal, ob das kosmische Ende durch einen Meteoriteneinschlag - „Statistisch gesehen sind wir längst überfällig“ -, durch eine Super- oder Hypernova oder durch den Zusammenstoß mit einer anderen Galaxie kommt - für Gaßner ist das alles Teil des „kosmischen Kreislaufs“.
Wie aber reagiert die Theologie auf solche Sichtweisen und Erkenntnisse? Der Regensburger Thomas Schärtl-Trendel griff sich beispielhaft die Aussagen der Astrophysik über das Ende des Kosmos heraus. Theologisch verweisen diese auf die Lehre von den letzten Dingen, die Eschatologie. Schärtl-Trendel räumte ein: „Es sieht nicht gut aus, wenn man nur das Kosmologische betrachtet.“ Widerlegen diese Modelle letztlich nicht die biblische Rede davon, wonach Gott allein und bewusst ein Ende der Geschichte und der Zeit setzt? Dass er eine Heilung und Verherrlichung des ganzen Kosmos will? Ausführlich nahm Schärtl-Trendel Stellung zu den verschiedenen Strategien, mit dieser Herausforderung umzugehen. Am geläufigsten ist es zum Beispiel, Naturwissenschaft und Theologie als „getrennte Geschäftsbereiche“ zu betrachten. Sie haben es demnach mit völlig verschiedenen Gegenständen zu tun: im einen Fall das Verhalten materieller Dinge, im anderen die Beziehung von Gott und Mensch. Eine solche Strategie mag sich plausibel anhören. Schärtl-Trendel bezeichnete sie jedoch als „faulen Frieden“. Es sei für die Selbstbeschreibung des Menschen nicht zuträglich, wenn wissenschaftliche und religiöse Weltdeutung „komplett verschiedene Wege gehen“.
Schärtl-Trendel sprach sich stattdessen dafür aus, die Unstimmigkeiten zwischen der eschatologischen Hoffnung und dem naturwissenschaftlichen Weltbild mit Hilfe einer Analogie zu überbrücken. Konkret erläuterte er eine „Analogie der Verwandlung“: „Was wir erhoffen, geht nicht am Tod vorbei, sondern durch den Tod.“ Dies gelte auch für den Kosmos als Ganzes. So verstanden, sei das Ende des Universums nur ein „kosmischer Karfreitag“. Die Hoffnung auf eine österliche Erlösung bleibt - so erst recht jenseits von Raum und Zeit.