Entwicklungsminister Gerd Müller hat noch Visionen. Wenn sie Wirklichkeit werden, ist die Zukunft Afrikas rosig. Ausgemalt sind sie in seinem „Marshallplan mit Afrika“. Vision Nummer eins: „Ein prosperierendes Afrika, das auf inklusivem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung fußt.“ Vision Nummer zwei: „Ein friedliches und sicheres Afrika.“ Vision Nummer drei: „Ein Afrika der guten Regierungsführung, der Demokratie, des Respekts für die Menschenrechte, der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit.“ Die Ziele decken sich mit dem Traum der Afrikaner selbst: Unser Ziel ist ein Afrika, das „in puncto Lebensqualität weltweit zur Spitzengruppe gehört“, wie die Afrikanische Union formuliert hat.
Fromme Wünsche. Wie in CHRIST IN DER GEGENWART (Nr. 1, S. 3f) beschrieben, ist Afrika weit von dieser Utopie entfernt. Die Zahl der Kriege hat zugenommen, die Armut auch, das Klima spielt verrückt. Ist diesem Kontinent überhaupt noch zu helfen, der nach Einschätzung des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler für die „gute Zukunft des Planeten“ im 21. Jahrhundert entscheidender sein wird als alle anderen? Was muss Europa tun, damit Afrika, an das es auf Gedeih und Verderb gebunden ist, auch nur von Ferne die Pforten dieses erwünschten Garten Eden sehen wird?
Das brennendste Problem für die Europäer ist vorerst, dass zu viele aus dem in Aussicht gestellten Paradies fliehen wollen. In zum Teil menschenunwürdigen Auffanglagern - deutsche Diplomaten sprechen von „KZ-ähnlichen Verhältnissen“ - sitzen sie auf afrikanischem Boden fest und warten darauf, die lebensgefährliche Reise nach Europa anzutreten. Allein in Libyen sind es schätzungsweise 350?000 Menschen. Prognosen sprechen - je nach Grad der Schwarzmalerei - von so und so viel Millionen weiteren, die nachrücken werden. Die EU verabschiedet Punktepläne und Maßnahmenkataloge, um die Menschen am Aufbruch zu hindern. Doch sie reichen nicht an die Ursachen der Flucht heran, die auf dem gesamten Kontinent liegen.
Als Bundeskanzler Gerhard Schröder im Juni 1999 zum Gipfel der wichtigsten Industrienationen der Welt plus Russland (G8) nach Köln lud, war bereits klar: So konnte es nicht weitergehen. Afrika lag zum Ende des 20. Jahrhunderts am Boden. Die meisten Länder des Kontinents waren so sehr überschuldet, dass sie wirtschaftlich unmöglich aus eigener Kraft hätten auf die Beine kommen können. Die reichsten Nationen erließen den ärmsten Ländern Schulden in bis dahin nicht gekannter Höhe.
Doch kam der Schuldenerlass den Armen wirklich zugute? Hat er den Volkswirtschaften so viel Luft verschafft, dass sie durchstarten konnten? Schuldenerlasse entlasten, führen aber nicht notwendigerweise zu einer Neuordnung der Strukturen. Wenn Kleptokraten die Schulden erlassen werden, warum sollten sie ihr Verhalten ändern?
Acht Ziele, siebzehn Punkte …
Gut ein Jahr später, im September 2000, tagte die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York zum 55. Mal. Die damals 189 Mitgliedstaaten beschlossen, die Armut auf der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren - eines von acht sogenannten Millenniumszielen.
Der jährlich erscheinende Uno-Fortschrittsbericht zeichnete bereits 2009 vor, worauf es hinauslief: Von einem fairen und nicht diskriminierenden Handels- und Finanzsystem sei man noch weit entfernt. Die Vereinten Nationen und auch Wirtschaftswissenschaftler wie der Nobelpreisträger und Philosoph Amartya Sen stellten fest, dass Handelsbarrieren für Entwicklungsländer und handelsverzerrende Subventionen seitens der Industrieländer kaum abgebaut wurden. Am Ende der fünfzehn Jahre wurde die Zielvorgabe im Afrika südlich der Sahara bei weitem nicht erreicht - so wenig wie die meisten anderen Millenniumsziele, etwa eine bessere Gesundheit für Mutter und Kind zu erwirken oder für ökologische Nachhaltigkeit zu sorgen.
Doch man ließ nicht locker. Im September 2015 verabschiedeten nunmehr 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen einstimmig die Resolution, den Entwicklungsprozess fortzusetzen. Nun formulierten sie siebzehn Punkte, sogenannte „Ziele für nachhaltige Entwicklung“. Der erste: Armut und Hunger sollen nicht nur halbiert, sondern bis 2030 vollständig vom Globus verschwunden sein. Etwas mehr Zeit gibt sich übrigens Afrika selbst: Die Afrikanische Union hat sich 2015 in Addis Abeba eine „Agenda 2063“ verordnet, ein Programm zur sozialen und wirtschaftlichen Transformation in den kommenden fünfzig Jahren.
Woher kommt der Optimismus, dieses Mal zu schaffen, was bisher nicht gelang? Hatte der kenianische Ökonom James Shikwati, Direktor des IREN-Instituts, eines überregionalen Wirtschaftsnetzwerks, in Nairobi, nicht schon bei der Formulierung der Millenniumsziele eine völlige Abwendung vom Konzept der Entwicklungshilfe - mit Geld ließe sich alles richten - verlangt? Sie habe Afrika abhängig gemacht und Machtstrukturen zementiert, von denen nur eine kleine Elite profitiere.
Dachten die Staats- und Regierungschefs der Industrienationen vielleicht nicht groß genug? Ließ sich unter den Länderchefs der Uno-Mitgliedsstaaten keine Mehrheit finden, um grundsätzlichere globale Lösungen zur Bekämpfung der Rückständigkeit Afrikas zu finden? Lassen sich Mehrheiten für eine gerechtere Weltordnung jenseits von Schuldenerlassen und Hilfsprogrammen nicht organisieren? Ist der Egoismus der Reichen letztlich doch größer als ihre Mildtätigkeit? Oder ihre Bereitschaft gering, am eigenen Wirtschaftssystem etwas zu ändern - etwa Handel nach Fair-Trade-Gesichtspunkten -, hin zu mehr Verzicht auf noch mehr Profit, zu Ausgleich und Gerechtigkeit?
„Diese Wirtschaft tötet“
Die Zeichen stehen spätestens seit der Vereidigung des neuen amerikanischen Präsidenten auf Konfrontation statt auf Kooperation, wie sie Papst Franziskus fordert. Der Slogan „America first!“ steht für den weltweit wirkmächtigsten Ausbund an Protektionismus. Der Zugang zu ausländischen Märkten wird schwieriger. Am meisten werden die schwächsten Marktteilnehmer darunter zu leiden haben. Selbst an der Direkthilfe der Vereinigten Staaten dürfte gespart werden. Die „New York Times“ veröffentlichte kürzlich einen Fragenkatalog, den Donald Trumps Beraterstab an das Außenministerium schickte. Eine der Fragen lautete: „Weshalb sollten wir Afrika diese Summen an Spenden geben, während wir hier in den USA leiden?“ Trumps Vorvorgänger, der Republikaner George W. Bush, hatte die Geldmenge für afrikanische Regierungen südlich der Sahara noch vervierfacht.
Angesichts des um sich greifenden Nationalismus und wirtschaftlichen Isolationismus ist an eine insgesamt gerechtere Weltordnung vorerst nicht zu denken. Die Chance tendiert gegen null, die Globalisierung nicht nur als Tummelplatz zu sehen, freigegeben überwiegend für multinationale Konzerne, die naturgemäß nichts anderes im Sinn haben, als dicke Geschäfte zu machen, sondern als Möglichkeitsbedingung für eine gerechtere Verteilung von Gütern und Gewinnen. „Diese Wirtschaft tötet“, hatte Franziskus I. in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ geurteilt, in dem er sich auf die Seite der Armen stellt - und sie wird weiter töten, solange die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ nicht aufhört.
Statt an einer Art Weltdemokratie zu bauen, sind wir Zeuge einer Fragmentierung der Welt. Die Organisationen und Instrumente, die für eine gerechtere Neugestaltung der Weltwirtschaftsordnung infrage kämen - Welthandelsorganisation (WTO), Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank -, schaffen dafür allem Anschein nach nicht hinreichend Voraussetzungen.
Die Macht über die Märkte
Deregulierte Märkte, wie sie die 1994 gegründete Welthandelsorganisation anstrebt, führen dazu, dass schwache Marktteilnehmer keine Chance haben und unter die Räder kommen. Ein ungeschulter Kleinbauer kann mit seiner Parzelle unmöglich mit industriellen Agro-Unternehmen konkurrieren, noch nicht einmal mit im Ausland produzierten - weil hoch subventionierten - Grundnahrungsmitteln. Geflügelanbieter in Westafrika leiden unter europäischen Billighähnchen, Pulver aus subventionierter Milch macht das Leben afrikanischer Bauern schwer, Tomatenzüchter müssen mit künstlich verbilligtem Tomatenmark aus Italien konkurrieren, und Zwiebeln aus Holland lassen Afrikas Blumen welken. Die EU gewährt zwar neuerdings afrikanischen Staaten Schutzzölle, doch die flächendeckende Subventionierung der Bauern innerhalb der EU bleibt.
Kritiker der Welthandelsorganisation behaupten schon lange, ohne Schutzzölle auf Importe hätten Entwicklungsländer keine Chance, eine eigene, stabile Produktion aufzubauen. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik fordert für die bis 2030 anvisierten „Ziele nachhaltiger Entwicklung“ von der Staatenwelt, die „Exporte der Entwicklungsländer deutlich zu erhöhen“ durch eine „rasche Umsetzung des zoll- und kontingentfreien Marktzugangs … für die am wenigsten entwickelten Länder“. Entwicklungsminister Müller ist sich des Problems bewusst: „Wir müssen die WTO zu einer fairen Handelsunion umbauen.“
Dem Internationalen Währungsfonds, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, werfen Kritiker vor, die für die Kreditvergabe geforderten Sparprogramme und Reformen der Sozialsysteme seien insbesondere für die Menschen in Entwicklungsländern unzumutbar. Globalisierungskritiker sehen im IWF ein Machtinstrument der reichen Industrienationen. In der Tat können unter den 189 Mitgliedsstaaten die USA allein oder die EU-Staaten zusammen jede Aktion mit ihrer Sperrminorität stoppen. Die administrativen Kosten des gewaltigen, rund 2600 Mitarbeiter starken Apparats mit Sitz in Washington tragen zu drei Vierteln die armen Schuldnerländer und nur zu einem Viertel die reichen Gläubiger. Dem IWF wird auch entgegengehalten, Menschen- und Freiheitsrechte, Rechtsstaatlichkeit, Arbeitsrechte und soziale Mindeststandards spielten bei der Umsetzung seiner währungspolitischen Ziele keine Rolle. So wurden Diktatoren gestärkt.
Und auch die Weltbank, die bei der Finanzierung langfristiger Entwicklungs- und Aufbauprojekten hilft und so zur Umsetzung internationaler Entwicklungsziele beitragen will, hat ihre Kritiker. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz - von 1997 bis 2000 selbst deren Chefökonom - moniert, die auf einen freien Markt hin orientierte Reformpolitik könne die wirtschaftliche Entwicklung in schwachen, nicht konkurrenzfähigen Staaten schädigen. Andere sprechen davon, die Machtverteilung innerhalb der Weltbank zugunsten des Westens mache sie zu einer Säule der „globalen Apartheid“. Da die Weltbank im Rahmen des „Washington Consensus“ - wie die WTO - eine Politik der Deregulierung und Marktliberalisierung verfolgte und vor allem auf die Steigerung des Bruttoinlandprodukts und eine Kürzung der Staatsausgaben ausgerichtet war, ohne zugleich auf die Reduzierung der Armut hinzuarbeiten, verschlimmerte sich die Situation vieler Armer, weil die Sozialausgaben gekürzt wurden und die Lebensmittelpreise stiegen.
Was also tun? Ist Müllers neuer Marshallplan die Rettung? Er greift zwar nicht die Weltwirtschaftsordnung an, doch immerhin sieht er vor, die Entwicklungshilfe komplett umzukrempeln. Statt nach dem Gießkannenprinzip Euros über den Kontinent regnen zu lassen oder statt nur „Leuchtturmprojekte“ zu fördern, will er mit staatlichen Entwicklungsgeldern künftig private Investitionen fördern. Deutsche Unternehmen sollen, in Planung und Finanzierung etwa mit Hermes-Risikobürgschaften staatlich unterstützt, stärker in Afrika investieren. Damit will er in reformwilligen Staaten stabile Wirtschaftsstrukturen schaffen und die Wertschöpfung aus Rohstoffen vor Ort belassen. Natürlich dienen neu entstehende Jobs auch dazu, die Migration nach Europa einzudämmen - angeblich also eine „Win-win-Partnerschaft“.
Ein Marshallplan mit Ideen
Derzeit investieren nur rund tausend deutsche Unternehmen in Afrika. Das Entwicklungsministerium nennt als Gründe ungenügende Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln, schlechte Regierungsführung, mangelnde Sicherheit, Korruption und überbordende Bürokratie. Es verweist gleichzeitig auf die Chancen, in afrikanischen Ländern tätig zu werden: Die Hälfte der Menschen sei jünger als 25 Jahre, und bis 2050 werde sich die Bevölkerung dort voraussichtlich auf rund 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. Das verspricht jede Menge Konsumenten und Arbeitskräfte.
Müllers Überlegungen, afrikanische Länder dazu zu bringen, selbst mehr zu leisten, sind im Prinzip richtig. Zumal er auch verlangt, vor der eigenen Haustür zu kehren: Der Entwicklungsminister fordert neben fairen Handelsbedingungen einen Stopp von Waffenlieferungen in Krisengebiete und einen EU-Kommissar für Afrika in Brüssel. Das Problem an Müllers Plan ist allerdings die Auswahl der Staaten, denen die Gunst der Zusammenarbeit zuteil werden soll. Der Großteil der Flüchtlinge kommt gerade nicht aus diesen „Musterstaaten“, sondern aus jenen, die für sein Konzept der Zusammenarbeit am wenigsten infrage kommen: aus Ländern ohne funktionierende Strukturen, regiert von Diktatoren.
Es zeichnet sich also eine moralisch fragwürdige Doppelstrategie ab: Staaten, die einigermaßen gut funktionieren, sollen mit Investitionen belohnt werden - zugleich aber gibt es doch Geld für jene Machthaber, die nichts für ihr Volk tun, aber Flüchtlinge auffangen. Mit dieser Zweigleisigkeit laufen Deutschland und die EU Gefahr, sich weiter unglaubwürdig zu machen. Schon bisher war es im Ansatz widersinnig, Entwicklungshilfe zu leisten bei gleichzeitiger protektionistischer und subventionistischer Wirtschaftspolitik.
Fünf „K“ für den Wandel
Nichtsdestotrotz haben katholische Organisationen wie „Misereor“, „Missio“ und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken Müllers Marshallplan positiv aufgenommen. Das verwundert nicht, da ihm doch das Subsidiaritätsprinzip zugrunde liegt, das auch in die katholische Soziallehre eingegangen ist. Wolfgang Huber, Präsident von „Missio München“, ließ wissen, der Entwicklungsminister habe „für Afrika einen Perspektivwandel eingeläutet“, der überfällig sei. Müller setze auf vier Mal K: Konditionierung, Kampf gegen Korruption, Konzentration und Kooperation, dem könne der Minister „getrost ein fünftes K für Kirche hinzusetzen“: Kirche sei vor Ort, setze nachhaltig auf Bildung und bekämpfe Fluchtursachen „an den Brennpunkten der Welt“. Es gäbe noch ein paar Ks hinzuzufügen: Katastrophen, Kriege und Krankheiten. Und die größte Katastrophe ist aus der Sicht europäischer Politiker derzeit die „Flüchtlingskatastrophe“. Nicht für die Flüchtlinge - für Europa. So reiht sich ein Gipfel an den nächsten.
Für das G20-Treffen unter deutscher Präsidentschaft im Juli in Hamburg hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Afrika als „Zukunftskontinent“ auf die Tagesordnung gehoben. Zuvor war im Oktober 2014 der Karthum-Prozess angestoßen worden. Darin kooperiert die EU mit Eritrea, Äthiopien, Somalia, dem Südsudan, Sudan, Kenia, Ägypten und Tunesien. 2015 tagte der EU-Afrika-Gipfel in La Valletta auf Malta. Mit 35 afrikanischen Staaten wurde ein „Aktionsplan“ beschlossen und ein Treuhandfonds mit fast zwei Milliarden Euro aufgelegt - zusätzlich zu den rund zwanzig Milliarden Euro, die Europa jährlich als Entwicklungshilfen nach Afrika überweist. Im Sommer 2016 wurden acht Milliarden Euro schwere Migrationspartnerschaften mit Senegal, Niger, Nigeria, Mali und Äthiopien abgeschlossen. Soeben gab es ein EU-Treffen auf Malta mit Bezug auf die desolate Lage in Libyen nach Gaddafi. Immer nach dem Grundsatz: Hilfe gegen Migrationskontrolle!
Kritiker wie der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck werfen der EU und ihren Mitgliedsstaaten vor, sich der eigenen Verantwortung „durch eine Auslagerung der Grenzkontrollen an Drittstaaten zu entziehen“. Und von EU-Parlamentariern ist zu hören, zum ersten Mal sei festgeschrieben worden, „dass humanitäre Hilfe und Geld nicht für Armutsminderung, Entwicklung, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung verwendet werden sollen“. Die Hilfe werde nun dazu missbraucht, „die Menschen von Europa abzuhalten“.
Die meisten dieser Partnerländer genügen nicht annähernd moralischen Mindestanforderungen. Sudans Präsident Omar al-Baschir wird vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord gesucht. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit dem Sudan ist deshalb ausgesetzt, doch auf EU-Ebene wird kooperiert. In Ägypten sind 50?000 politische Gefangene eingekerkert, doch die EU plant dort ein Trainingszentrum für Polizisten. In Eritrea, das mit der Diktatur in Nordkorea verglichen wird, sollen Behörden institutionell gestärkt werden - in einem Land, in dem hohe Militärs angeblich am Schleusergeschäft mitverdienen. In Äthiopien sind nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zwischen Januar und Ende Oktober 2016 mindestens 2800 Menschen durch staatliche Verfolgung zu Tode gekommen. Zudem gibt es Zehntausende politische Gefangene. Im Südsudan sind kriegslüsterne Anführer dabei, das Land zu zerstören. Und Somalia ist ein von Kriegsherren, Clans und Terrormilizen zugrunde gerichteter failed state.
Ungeheure Summen: Schwarzgeld
Im Oktober empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel den tschadischen Präsidenten Idriss Déby, um ihm deutsche Hilfe zu versprechen. Déby soll für mehrere Zehntausend Morde verantwortlich sein (vgl. CIG Nr. 34?/?2016, S. 374). Dabei warnen Experten wie Pater Endashaw Debrework, Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Ostafrika, davor, Gelder aus dem „Aktionsplan“ in Länder mit autoritären Regimen zu überweisen. Diese würden dadurch gestützt, weil sie das Geld zweckentfremdet verwendeten. Bei den Schutzsuchenden in den Flüchtlingscamps käme das Geld nicht an.
Allen Bedenken zum Trotz wird weiter Geld in großem Stil ausgegeben in althergebrachter Entwicklungshilfemanier: Die Probleme lassen sich mit kräftigen Finanzspritzen schon lösen, wenn auch geschätzte zweitausend Milliarden Dollar in den vergangenen sechzig Jahren die Malaise nicht beendet haben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versucht derzeit, mit einer gigantischen „Investitionsoffensive“ zu glänzen. Bis zu 88 Milliarden Euro will er für die Herkunftsländer von Flüchtlingen zur Verfügung stellen, die Hälfte davon aus EU-Mitteln, die andere aus den Mitgliedsstaaten und von anderen Partnern.
Dabei gäbe es ganz andere wirksame Mittel, die nicht einmal vom europäischen Steuerzahler zu finanzieren wären. Désiré Assogbavi, Verbindungsmann zwischen Oxfam und der Afrikanischen Union, hat Folgendes vorgeschlagen: „Wenn unsere westlichen Partner uns dabei helfen würden, die sechzig Milliarden Dollar Schwarzgeld, die jedes Jahr aus Afrika abfließen, auf dem Kontinent zu halten, würde es uns prima gehen, und wir könnten auf jeden Marshallplan verzichten.“ Wenn dann noch die jährlich rund einhundert Milliarden Euro hinzukämen, die Afrika über illegale Finanzströme verliert durch die Steuervermeidung multinationaler Unternehmen - eine Summe, gut doppelt so hoch wie die gesamten Entwicklungsgelder -, dann müsste es eigentlich reichen.