Zum Tod von Papst FranziskusEin Name als Programm

Papst Franziskus ist am Morgen des Ostermontags gestorben. Der Augsburger Kirchengeschichtler Jörg Ernesti blickt auf sein Pontifikat zurück.

Wenn man sich mit der Geschichte des Papsttums beschäftigt, stellt sich früher oder später die Frage nach dem Verhältnis von Person und Amt. Wie hat eine konkrete Persönlichkeit mit ihrer konkreten Prägung den Erfordernissen eines Amtes entsprochen, das von einer langen Geschichte modelliert wurde? Wie hat sie selbst das Amt umgeformt und ihm einen eigenen Akzent gegeben? Besonders spannend scheint diese Frage bei einem Pontifikat, der in mancher Hinsicht einen Neuansatz darstellt. Franziskus war der erste Nicht-Europäer auf dem Stuhl Petri seit 1300 Jahren, der erste Amerikaner überhaupt, der erste Jesuit, der erste Ordensmann seit mehr als anderthalb Jahrhunderten, der erste Träger des Namens Franziskus (den zu führen selbst die vier Päpste aus dem Franziskanerorden nicht gewagt haben). Dass diese besondere Vorgeschichte nicht ohne Auswirkungen auf seinen Pontifikat bleiben konnte, liegt nahe.

Jorge Mario Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 als Kind italienischer Einwanderer in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires geboren. Ein hervorstechender Zug seiner Persönlichkeit scheint gewesen zu sein, dass er sowohl durch die südamerikanische als auch durch die europäische Kultur geprägt war. Als junger Mann überstand er eine schwere Lungenentzündung, die zeitlebens seine körperliche Aktivität einschränken sollte. Er erlernte den Beruf des Chemietechnikers, den er kurze Zeit ausübte, bis er sich 1958 entschloss, Jesuit zu werden. Während seines Theologiestudiums wurde er mit den Anliegen der damals noch jungen Theologie der Befreiung vertraut. Die „Option für die Armen“ wurde für Bergoglio zum Leitbild kirchlichen Wirkens. Stark beeindruckt war er durch die Enzyklika Populorum progressio, mit der sich Paul VI. im Jahr 1967 auf die Seite der unterentwickelten Völker gestellt hatte. Nach der Priesterweihe im Jahr 1969 stieg der Jesuit in seinem Orden auf und wurde unter anderem Novizenmeister und Provinzoberer. Er enthielt sich offener Kritik an der Militärdiktatur (1976–1983) und suchte auf stillen Wegen für Mitbrüder zu intervenieren, die in Konflikt mit dem Regime geraten waren. Der Befreiungstheologie Leonardo Boff bescheinigte dem Pontifex nach dessen Wahl zum Papst, sich diskret für viele Unschuldige eingesetzt zu haben.

Ein Doktoratsstudium an der Frankfurter Ordenshochschule Sankt Georgen über den deutschen Theologen Romano Guardini brach Bergoglio nach kurzer Zeit ab. 1992 wurde er zunächst Weihbischof, nach fünf Jahren Koadjutor des Erzbischofs der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires und ein Jahr später dessen Nachfolger. 2001 erfolgte die Aufnahme in das Kardinalskollegium. Nach eigenem Bekunden war er gerne Bischof und verstand dieses Amt als Seelsorge. Sein direkter und unverstellter Stil fand auch in den Elendsvierteln Beachtung. Schon damals wohnte er in einer einfachen Wohnung und verzichtete auf einen Dienstwagen. 2005–2011 war er Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz. Überdies war er für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Argentinien zuständig. Papst Benedikt XVI beließ ihn über seinen 75. Geburtstag hinaus im Amt.

Bereits 2005 hatte Jorge Bergoglio zeitweise die zweitmeisten Stimmen der Kardinäle im Konklave auf sich vereint, doch schien damals die Zeit für einen Neuaufbruch noch nicht reif. Im Konklave des Jahres 2013, das am 12. März begann, votierte ab dem zweiten Wahlgang eine relative Mehrheit für ihn, sodass die Zweidrittelmehrheit bereits einen Tag später erreicht war. Er stand sicher nicht in dem Ruf, ein Konservativer zu sein, sonst hätten ihn die fast ausschließlich unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ernannten Kardinäle sicher nicht gewählt.

Der neue Papst schien von Anfang an unkonventionelle Auftritte zu lieben. Bei der Vorstellung auf der Benediktionsloggia begrüßte er die Menge mit den Worten: „Ihr wisst, dass es die Aufgabe des Konklaves war, Rom einen Bischof zu geben. Es scheint, als hätten meine Mitbrüder, die Kardinäle, ihn gleichsam vom Ende der Welt geholt.“

Die Wahl seines Namens war alles andere als ein Zufall, wie er selbst erklärte. Franz von Assisi stand im frühen 13. Jahrhundert für eine arme, menschenfreundliche Kirche, für die Bewahrung der Schöpfung und den Dialog – drei Schwerpunkte, die auch Bergoglios Pontifikat bestimmen sollten.

Die Bedeutung der Armut unterstrich der neue Pontifex symbolisch dadurch, dass er erst gar nicht in den Apostolischen Palast einzog, sondern sein bescheidenes Zimmer im vatikanischen Gästehaus Santa Marta beibehielt. Mit dieser persönlichen Anspruchslosigkeit reihte er sich in die Päpste seit 1870 ein. Zu diesem Bild passte eine unverkennbare Schlichtheit im Umgang mit Menschen. Er ging direkt auf sie zu und fand den rechten Ton, ganz gleich ob es sich um hochrangige Politiker oder die Zuschauer einer italienischen Talkshow handelte. Das sollte sich besonders während der Pandemie auszahlen, als er durch seine Gesten und seine Worte Stärkung und Orientierung zu vermitteln wusste. Unvergessen sind die Bilder einer Andacht vor den menschenleeren Petersdom, als er – flankiert von der Marienikone von Santa Maria Maggiore und dem Pestkreuz von San Marcello – die ganze Welt in sein Gebet hineinnahm. Auch sein Einsatz für die Flüchtlinge im Mittelmeer lässt sich in dieses Bemühen um eine menschennahe, arme Kirche einordnen. Seine erste Reise führte ihn nicht von ungefähr er auf die italienische Insel Lampedusa, um auf diese Weise die europäische Öffentlichkeit an das Schicksal der Flüchtlinge im Mittelmeer zu erinnern. Unterstützt wurde er bei dieser Politik von dem philippinischen Kardinal Luis Antonio Tagle (*1957), dem er im Jahr 2019 die Leitung der Missionskongregation Propaganda fide anvertraute. Eine arme, menschennahe Kirche verkörperte für den Papst auch der Almosenmeister Konrad Krajewski (*1963), dessen Arbeitsbereich er aufwertete, indem er den Polen zum Kardinal ernannte. Mutter Teresa von Kalkutta, die er 2016 heiligsprach, war für ihn Verkörperung einer Haltung, die er von der Kirche als ganzer, insbesondere von den Seelsorgern verlangte: an die Peripherie, zu den Rändern der Gesellschaft zu gehen: „Ihre [= Mutter Teresas] Mission in den Randzonen der Städte und den Randzonen des Lebens bleibt in unserer Zeit ein beredtes Zeugnis für die Nähe Gottes zu den Ärmsten der Armen.“

Auch ein zweiter Schwerpunkt, die Bewahrung der Schöpfung, deutet sich in seiner Namenswahl an. Franz von Assisi hatte in seiner Zeit ein neues Verhältnis zur Schöpfung entwickelt, als deren Teil er sich verstanden hatte (man denke an den „Sonnengesang“ oder die „Fioretti“). So wurde er im 20. Jahrhundert zum Patron einer christlichen Ökologie. In seiner Sozialenzyklika Laudato si‘ (2015) bezog sich Papst Franziskus auf seinen Namenspatron. Heute sind es Klimawandel und Umweltzerstörung, die neue Ungleichheiten schaffen und Flüchtlingsbewegungen auslösen. Anknüpfungspunkt war für ihn auch die Kapitalismuskritik des polnischen Papstes. Mit scharfen Worten kritisierte er „eine Wirtschaft, die tötet“ – den Menschen, die sozialen Beziehungen und die Umwelt. Angesichts dessen regte er eine Rückbesinnung auf den biblischen Schöpfungsbericht an.

Die Enzyklika Fratelli tutti (2020) „Über die Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft“ erinnerte nach Art eines flammenden Appells an die Menschenwürde, die heute mehr denn je bedroht ist, namentlich durch neue Formen der wirtschaftlichen Abhängigkeit (durch einen „neuen Kolonialismus“ und einen „Dritten Weltkrieg in Abschnitten“). Anklänge an die Enzyklika Populorum progressio sind unverkennbar. Ein dritter Schwerpunkt dieses Pontifikates war der Dialog. In dieser Hinsicht knüpft Franziskus an den Montini-Papst an, der den Dialog 1964 in seiner Antrittsenzyklika Ecclesiam Suam als Strukturprinzip des Christlichen durchdekliniert hatte. Bei Franziskus hieß das: Gott tritt mit den Menschen in einen Dialog ein, indem er sie „erbarmt und erwählt“ (Bergoglios Motto lautete denn auch Miserando atque eligendo). Einen innerkirchlichlichen Dialog anstoßen wollte er durch die Bischofssynoden zu den Themen Familie, Jugend, Amazonas, die eher ein gemeinsames Nachdenken anstoßen als fertige Ergebnisse präsentieren sollten. Im Hinblick auf die festgefahrene Familien- und Sexualethik stieß er einen Dialogprozess an, der in eine zweiteilige Bischofssynode mündete (2014/2015). Eine breitangelegte Bischofssynode zum Thema Synodalität sollte in den Jahren 2023/2024 das dialogische Prinzip in der Kirche stärken. Für Unverständnis sorgte allerdings, dass er die Frage des Diakonates der Frau an eine Kommission ausgelagerte. Dass er die weitreichenden Bestimmungen seines Vorgängers zur vorkonziliaren Liturgie 2021 durch das Motu proprio Traditiones custodes weitgehend rückgängig machte, hatte weniger mit liturgischen Präferenzen als damit zu tun, dass er durch die Zweigleisigkeit der Liturgieformen den Dialog in der Kirche behindert sah.

Auch dem ökumenischen Dialog fühlte sich dieser Papst verpflichtet. Ein großer Erfolg war sicher die Begegnung mit Patriarch Kyrill I. am 12. Februar 2016 in Havanna, das erste Zusammentreffen eines russisch-orthodoxen Patriarchen mit einem Bischof von Rom.

Eine besondere Bedeutung hatte für Papst Franziskus der Dialog mit der muslimischen Welt. Auch hier wurde ihm Franziskus zum Leitbild, der in der Hochzeit der Kreuzzüge zum Sultan nach Ägypten gereist war, um für eine friedliche Ausbreitung des Glaubens zu werben. Für Franziskus wurde der Großimam von Al-Azhar, Ahmad Al-Tayyeb, die höchste akademische Autorität des sunnitischen Islam, zum wichtigen Gesprächspartner. Mit ihm zusammen legte er die Erklärung von Abu Dhabi vor, in der sich die beiden Religionsführer auf die Förderung des Friedens, der Gewaltlosigkeit und der Menschenrechte verpflichteten. Statt in katholisch geprägte Staaten reiste er auffallend oft in islamische Länder. Deutlich knüpfte er so an Johannes Paul II. an, der Vertreter der verschiedenen Religionen 1986 zu einem Friedenstreffen nach Assisi eingeladen hatte, da er die Religionen in der Pflicht sah, für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten.

Sicher hat er daneben auch das „Tagesgeschäft“ weitergeführt. Für außenpolitische Kontinuität stand die Person des Kardinalstaatssekretärs Pietro Parolin (*1955). In diesem Bereich ist eine klare Kontinuität zu erkennen. Das gilt etwa auch für die Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg und im Konflikt im Südsudan. Auch in anderen Zentralbehörden setzte er auf Kontinuität. Darauf deutet etwa die Ernennung des spanischen Jesuiten Luis Francisco Ladaria Ferrer zum Präfekten der Glaubenskongregation hin. Der Kurs seines Nachfolgers, des argentinischen Kardinals Viktor Manuel Fernández, scheint ambivalent. Es sich in der Frage der Segnung Homosexueller sowohl mit Progressiven wie mit Konservativen zu verscherzen, ist sicher ein Kunststück. Das Dokument Fiducia supplicans (2023) war aber sicher kein Alleingang des Glaubenspräfekten, sondern vollumfänglich vom Papst mitgetragen. Manch ein Beobachter hätte es 2013 wohl nicht erwartet, dass ein Charismatiker wie Bergoglio zu einer weitreichenden Kurienreform fähig gewesen wäre. Die zentralen Anliegen der Kurienreform Pauls VI. wurden institutionell gewahrt, aber verschiedene Dikasterien zusammengefasst und der kuriale Betrieb insgesamt verschlankt. Als größte Umwälzung dürfte sich auf Dauer die Bestimmung erweisen, Frauen den Zugang zur höchsten Leitungsebene zu eröffnen. Mit der Ernennung einer Präfektin des Ordensdikasteriums und einer „Regierungschefin“ für den Staat der Vatikanstadt hat er den Anfang gemacht. Auch die Bemühungen um Transparenz im wirtschaftlichen Sektor sind unverkennbar, wenn auch unzureichend. Im neu geschaffenen Wirtschaftsrat sind zwar unter den Mitgliedern acht Kardinäle, deren Wirtschaftskompetenz nicht auf Anhieb zu erkennen ist, aber immerhin auch sieben Laien (darunter sechs Frauen).

Was den Umgang mit dem Problem des sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Amtsträger der Kirche angeht, bleibt seine Bilanz ambivalent. Wegweisend war sicher die Einrichtung einer Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen (2014). Im Jahr 2016 wurden die Möglichkeiten ausgeweitet, Bischöfe und Ordensobere ihres Amtes zu entheben, wenn sie sexuellen Missbrauch nicht den Strafverfolgungsbehörden oder dem Vatikan angezeigt hatten. Irritieren mussten allerdings immer wieder einzelne Äußerungen, etwa über einen ihm nahestehenden Bischof, oder die Aussage, früher sei alles vertuscht worden.

Vielleicht braucht es noch einigen zeitlichen Abstand, um die Bedeutung ermessen zu können, die der Mann aus Argentinien auf dem Stuhl Petri gehabt hat. Franziskus war sicher ein großer, kreativer, entscheidungsstarker, weitblickender Papst. In seiner Amtszeit ist die katholische Kirche weltweit um etwa 150 Millionen Gläubige gewachsen, während einstige katholische Kernländer wie Deutschland oder Frankreich von einer starken Säkularisierungswelle gezeichnet waren. Durch Enthüllungen über den Umgang zahlreicher Bischöfe mit dem Missbrauchstätern in den eigenen Reihen kam es zu einer nie dagewesenen Erschütterung des Vertrauens der Gläubigen in ihre Oberhirten. Man stelle sich vor, in dieser schwierigen Zeit hätte eine weniger angesehener Papst an der Spitze der katholischen Kirche gestanden. Die Inschrift auf dem Grabmal Hadrian VI., der in der Reformationszeit Papst war, darf man wohl auch auf Franziskus münzen: „Wie viel hängt davon ab, in welche Zeiten auch des besten Mannes Wirken fällt.“ Trotz mancher Begrenzung, die wohl allem menschlichen Wirken eigen ist, war Jorge Bergoglio der Mann zur rechten Zeit, der der Kirche den Weg in die Zukunft gewiesen hat.

Eine arme Kirche, die Bewahrung der Schöpfung und der Dialog waren ohne Zweifel Schwerpunkte, die diesen Pontifikat bestimmten und die sich bereits in der Namenswahl des Papstes ankündigten. In dieser dreifachen Hinsicht hat er sicher Akzente gesetzt und seiner Amtsführung eine charakteristische, in der Papstgeschichte nie dagewesene Prägung gegeben.

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