Nach der Amokfahrt von TrierMein dritter Tag im Advent

Über Trier ist das Dunkel des Entsetzens über eine Amokfahrt mit mehreren Toten hereingebrochen. In der Stadt hat das Deutsche Liturgische Institut seinen Sitz. Dessen Leiter, Marius Linnenborn, spricht über sein Erleben, seine Gefühle nach der schrecklichen Tat.

Warum?“ Nur dieses eine Wort ist auf einer Tafel inmitten des Lichtermeers aus Kerzen an der Porta Nigra zu lesen. Was geht in einem Menschen vor, der mit einem schweren Wagen in eine belebte Fußgängerzone fährt und bewusst andere Menschen anfährt, um sie zu töten? Am dritten Tag des Advent ist über Trier das Dunkel des Entsetzens über eine Amokfahrt mit mehreren Toten hereingebrochen. Nicht in Barcelona, Nizza oder Berlin, sondern fast direkt vor der eigenen Haustür. Der psychisch auffällige Täter beginnt seine Todesfahrt dort, wo ich beinahe täglich mein Brot kaufe. Die Wucht des Aufpralls und die Schreie der verletzten Menschen sind noch in benachbarten Straßen zu hören. Sofort kümmern sich andere Passanten um die Verletzten. Wer das Unbegreifliche mit den eigenen Augen und Ohren miterlebt hat, wird es nicht vergessen können.

Wie die Polizei empfiehlt, verlassen wir erst einmal nicht unser Gebäude. Wir machen uns Sorgen um eine Kollegin, die in der Mittagspause in die Stadt gegangen ist und verspätet zurückkehrt. Als gemeldet wird, dass es wohl kein Terrorakt ist, macht sich eine gewisse Erleichterung breit. Aber natürlich überwiegen das Entsetzen über das brutale und sinnlose Ereignis und das Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen. Die ganze Stadt ist in Trauer. Kaum jemand kann sich an eine solche Betroffenheit in der mehr als 2000-jährigen Geschichte der oft eher beschaulich wirkenden Römer-, Bischofs- und Universitätsstadt erinnern.

Gleich am Abend versammeln sich Menschen zu einem Gottesdienst im Dom. Klage, Schmerz, aber auch Vertrauen in Gott finden in Lesung, Psalm und Fürbittgebet ihren Ausdruck. Die alten und neuen Texte der Liturgie bilden ein Gerüst, das Halt in dieser Ausnahmesituation gibt. Keine überflüssigen Worte, sehr dichte Gesänge. Gebetet wird auch für jene, die ihren Kindern jetzt erklären müssen, was hier geschehen ist. Ein erst wenige Wochen altes Mädchen verlor mit seinem Vater das Leben, die Mutter ist schwer verletzt. Eine Schulklasse trauert um ihre Lehrerin.
Auch am folgenden Tag herrscht Stille in der Stadt, wenngleich die Geschäfte wieder öffnen. An mehreren Stellen auf der Strecke der Todesfahrt werden Kerzen entzündet, genau dort, wo Menschen ihr Leben verloren. Am Marktkreuz, am Brunnen des Stadtpatrons Petrus und an der Porta Nigra werden unzählige Kerzen entzündet, Stofftiere erinnern an das getötete Baby. Bis in die Nacht hinein verharren Menschen in Stille an diesen Orten.

Die Frage nach dem Warum wird keine Antwort erhalten. Am nächsten Tag heißt es im Psalm der Laudes von einem Menschen, der Unheil plant, schlimme Wege betritt und zum Bösen entschlossen ist: „In seinen Augen gibt es kein Erschrecken vor Gott“ (Ps 36,1). Wer den Psalm mit der Erfahrung der furchtbaren Gewalttat weiter betet, wird dennoch zum Vertrauen auf Gott ermutigt, bei dem sich die Menschen bergen können: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens.“ Und aus der Schriftlesung des Tages aus dem Buch Jesaja spricht die Verheißung, dass Gott den Tod beseitigen und die Tränen von jedem Gesicht abwischen wird (Jes 25,8). Nach einer so schmerzlichen Erfahrung gerade in diesen adventlichen Tagen an dieser Zuversicht festzuhalten, ist eine Herausforderung auch für Glaubende. Aber wer sonst kann Halt in seiner solchen Situation geben als der, auf den wir unsere Hoffnung setzen? Mitten hinein in die Frage nach dem Warum ist Gottes Sohn Mensch geworden. Auch er musste die Frage aushalten bis in die dunkelste Stunde seiner Menschwerdung am Kreuz.

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