Am 6. März ist das Programm des Erfurter Katholikentags vorgestellt worden. Im Vorfeld hatte Erfurts früherer Oberbürgermeister Manfred Ruge die mangelnde Ausgewogenheit des Programms beklagt und war vom Vorsitz des Trägervereins zurückgetreten. Das Bistum Erfurt und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hatten die Vorwürfe Ruges zurückgewiesen.
Jetzt ist es möglich, nachzuprüfen, was dran ist an der Klage des ehemaligen CDU-Kommunalpolitikers. Bloß: Ist das nicht Auslegungssache? Ist die schiere Tatsache, dass es Podien über grüne Lieblingsthemen wie "Potenziale feministischer Außenpolitik", über "Anti-Gender und die Neue Rechte", "Klimagerechtigkeit", "sozialökologische Transformation" und Dekolonisierung gibt, schon ein Beleg für eine politische Schlagseite der katholischen Großveranstaltung? Immerhin wird auch über Sicherheitsfragen, die deutsche Einheit und Familienpolitik gesprochen.
Was könnte also ein härteres Kriterium sein?
Nun, man kann die Auftritte von Politikern bei den verschiedenen Veranstaltungen des Katholikentags zählen. Ich komme auf 59 Auftritte von Bundes-, Landtags- und Europaabgeordneten, von aktuellen und ehemaligen Bundes- und Landesministern und anderen Amtsträgern und von Personen mit einer Parteifunktion. Einige Politiker absolvieren mehrere Auftritte beim Katholikentag: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen kommt auf vier Aufritte; Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken absolviert drei Veranstaltungen. Diese Mehrfachauftritte verstärken die jeweilige Parteipräsenz, sodass sie hier auch mehrfach gezählt werden.
Grüne und Linke sind überrepräsentiert
Die Zahlen bestätigen den subjektiven Eindruck der Schlagseite. Denn das Programm bevorzugt zwei Parteien: die Grünen und die Linke.
Von den 59 Politikerauftritten sind 17 den Grünen zuzuordnen. Das entspricht einem Gesamtanteil von 28,8 Prozent. Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl kamen die Grünen auf 14,7 Prozent, in aktuellen Umfragen stehen sie bei einem ähnlichen Anteil. Die Grünen sind damit beim Katholikentag fast doppelt so stark, wie in der Wählergunst. In Thüringen, dem Gastgeberland des Katholikentags stehen sie indes in den letzten Befragungen bei nur 5 Prozent. Gleich drei Bundesminister der Grünen werden beim Katholikentag erwartet: Cem Özdemir, Lisa Paus (zwei Auftritte) und Annalena Baerbock (zwei Aufritte).
Überproportional ist auch die Linke beim Katholikentag vertreten. Das liegt vor allem an der starken Präsenz von Ministerpräsident Ramelow; doch auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die als religionspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag fungiert, tritt zweimal beim Katholikentag auf. Insgesamt gibt es neun Linken-Aufritte, was einem Anteil von 13,5 Prozent entspricht. Bei der letzten Bundestagswahl kam die Linke auf 4,9 Prozent und steht inzwischen in den Umfragen bei etwa 3 Prozent. Anders in Thüringen, wo sie im Umfragen zuletzt etwa 15 Prozent Zustimmung erreichte.
SPD-Politiker sind beim Katholikentag an 15 Veranstaltungen beteiligt – ein Anteil von 25,4 Prozent. Das entspricht in etwa dem Resultat bei der Bundestagswahl (25,7 Prozent). Inzwischen ist die SPD jedoch bei der Sonntagsfrage auf Werte um die 15 Prozent abgerutscht. Aus der Partei nehmen unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil am Katholikentag teil. Vertreter der Union kommen auf 16 Veranstaltungen, also 27,1 Prozent. Bei der Bundestagswahl erreichte sie 24,2 Prozent und pendelt in den aktuellen Umfragen um die 30 Prozent. Unter anderem werden EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EVP-Fraktionsvorsitzender Manfred Weber erwartet. Manfred Ruge hatte beklagt, dass bei der Programmplanung Thüringens CDU-Vorsitzender Mario Voigt nicht vorgesehen gewesen sei. Nun steht er im Programm – bei einem "World Café" zum Thema "digitale Arbeitswelt".
Stark unterrepräsentiert in Bezug auf die letzte Bundestagswahl ist die FDP. Nur 3-FDP-Auftritte hat der Katholikentag zu bieten, also 5 Prozent. Bei der Bundestagswahl erzielten die Liberalen 11,4 Prozent, inzwischen müssten sie aber Umfragen zufolge um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen, weil sie um die 5 Prozent pendeln. Aufgrund einer grundsätzlichen Entscheidung der Veranstalter sind AfD-Politiker beim Katholikentag nicht vertreten. Bei der Bundestagswahl 2021 kam die AfD auf 10,4 Prozent und steht in den letzten Umfragen bei etwa 19 Prozent. In Thüringen würden derzeit laut einer Forsa-Umfrage vom Januar 36 Prozent die AfD wählen, laut einer Befragung von INSA aus dem gleichen Monat 31 Prozent. Auch vom neuen "Bündnis Sahra Wagenknecht" scheint niemand beim Katholikentag dabei zu sein.
Das Zentralkomitee muss gegensteuern
Man mag solche Rechenspiele für pedantisch halten, mag auch einwenden, dass man den Bundespräsidenten vielleicht nicht mitzählen sollte und dass die Veranstalter nichts dafür können, dass der Thüringer Ministerpräsident zufällig von der Linken ist. Und eine Programmgestaltung kann sich natürlich nicht nur von Proporzdenken bestimmen lassen. Die Dominanz von Grünen und Linken ist auch nicht ganz so groß, wie manche Kritiker das vielleicht vermutet hätten – etwa der WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt, der meint, dass kirchliche Großveranstaltungen in Deutschland von Grünen-Parteitagen kaum noch zu unterscheiden seien.
Trotzdem könnte der Befund ein Anlass für das ZdK sein, zu prüfen, ob man mit der Auswahl von Themen und Personen inzwischen nicht ein zu kleines Segment der Gesellschaft anspricht – und gegenzusteuern. Beim letzten Katholikentag in Stuttgart haben jedenfalls nur 27.000 Personen teilgenommen; in Erfurt rechnet man mit 20.000 Teilnehmern. Schon länger ist zudem der Vorwurf zu hören, dass es neben der politischen Unausgewogenheit auch eine religiös-theologische gibt, dass sich also nicht alle Schattierungen des gegenwärtigen Katholizismus bei den Katholikentagen gleichermaßen vertreten und angesprochen fühlen – auch wenn sich das nicht wie bei Vertretern politischer Parteien nachzählen lässt.
Man sieht die Welt anders, wenn man den Horizont der Ewigkeit hat. Und die Welt wiederum soll sehen, dass dieser Horizont einen Unterschied macht.
Dann ist da noch eine andere Sache, die auf den ersten Blick nichts mit Politik zu tun hat. Aber nur auf den ersten Blick. Am Vormittag des Fronleichnamsfestes ist in Erfurt ein Wortgottesdienst geplant, keine feierliche Messe mit anschließender Prozession. Die Veranstalter erklären das so: "Im Bistum Erfurt wird das Hochfest Fronleichnam üblicherweise mit Eucharistiefeiern am Abend oder am darauffolgenden Sonntag gefeiert – so auch beim Katholikentag." Es soll Leute geben, die so etwas von einer Fahrt zum Katholikentag abhält. Aber das ist nicht das einzige Problem. Denn so löblich es ist, dass sich die Katholiken den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Debatten ihrer Zeit annehmen – ob nun mit oder ohne Schlagseite –, so wichtig wäre es doch, deutlich zu machen, dass sie darüber hinaus eine grundsätzlich andere Sicht auf die Dinge haben. Man sieht die Welt anders, wenn man sie vor dem Horizont der Ewigkeit sieht, sub specie aeternitatis. Und die Welt wiederum soll sehen, dass dieser Horizont einen Unterschied macht. Katholiken sind nicht nur Bürger der Bundesrepublik, sondern Bürger der himmlischen Polis, deren Bürgerversammlung die himmlische Liturgie ist, von der die irdische ein Abbild sein soll. Deswegen ist der Verzicht auf die Fronleichnamsprozession ein größeres politisches Problem als der mangelnde Parteiproporz.