Die Ampel-Koalition ist an der Frage der Staatsverschuldung zerbrochen. Das ist die natürliche Sollbruchstelle einer Koalition von linken Parteien und Liberalen. Was solche Koalitionen hingegen zusammenhält, sind gesellschaftspolitische und bioethische Anliegen. In den westlichen Nachbarstaaten Niederlande, Luxemburg und Belgien etwa kam es immer dann zu Liberalisierungen bei Themen wie Abtreibung und Sterbehilfe und zu Änderungen beim Ehe- und Familienrecht, wenn Christdemokraten nicht an der Entscheidung beteiligt waren.
In Deutschland hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP das Werbeverbot für Abtreibungen gekippt und vor Kurzem noch das "Selbstbestimmungsgesetz" zur einfachen Änderung des Geschlechtseintrags durchgebracht. Zuletzt drängten vor allem SPD und Grüne auf eine Streichung des Abtreibungsparagrafen 218. Eine von der Koalition eingesetzte Kommission hatte im April eine "Entkriminalisierung" der Abtreibung in der Frühphase der Schwangerschaft empfohlen; eine Freigabe von Eizellspenden hielten die beauftragten Experten ebenfalls für möglich. Dazu wird es jetzt nicht kommen. Auch die von der bisherigen Koalition angestrebte "Modernisierung des Familienrechts" ist nun vorerst Makulatur. Das Ende der Ampel ist darum eine schlechte Nachricht für Anhänger solcher Reformen – und eine gute Nachricht für diejenigen, die in diesen Fragen die Positionen der katholischen Kirche teilen.
Trotzdem dürfen Konservative sich nichts vormachen. Auch wenn heute viele Wähler genervt von allzu forciert vorgetragener linker Identitätspolitik sein mögen – eine grundsätzliche Wende in gesellschaftspolitischen und bioethischen Fragen ist von der Union, die aller Voraussicht nach den nächsten Kanzler stellen wird, nicht zu erwarten. CDU und CSU sind kein konservatives Bollwerk.
Die Bereitschaft politischer Akteure, sich als Bremser des "gesellschaftlichen Fortschritts" zu positionieren, hängt davon ab, ob es entsprechende Bewegungen im vorpolitischen Raum gibt. Deren Mobilisierungspotenzial ist in Deutschland derzeit gering, wie zum Beispiel die Teilnehmerzahlen beim "Marsch für das Leben" zeigen. Gegen das neue Selbstbestimmungsgesetz regt sich zwar Kritik, aber auch das ist keine Massenbewegung.
Mit dem Ende der Ampel-Koalition ist eine wichtige politische Triebfeder für gesellschaftspolitische und bioethische Reformprojekte weggefallen.
Auch in den USA, wo die culture wars politisch ungleich präsenter sind, waren am Ende wirtschaftliche Fragen wahlentscheidend. Selbst Donald Trumps frisch zum Katholizismus konvertierter Vize JD Vance trug den Kurs mit, das Abtreibungsthema zu einer Angelegenheit der Bundesstaaten zu erklären. Abstimmungen zur Abtreibungsgesetzgebung, die dort in zehn Bundesstaaten parallel zur Präsidentschaftswahl stattfanden, gingen in sieben Staaten im Sinne einer Liberalisierung aus.
Mit dem Ende der Ampel-Koalition ist jedoch eine wichtige politische Triebfeder für gesellschaftspolitische und bioethische Reformprojekte weggefallen. In Koalitionen unter Beteiligung der Union könnten solche Projekte jedenfalls nicht dazu herangezogen werden, um Differenzen in anderen politischen Handlungsfeldern zu überbrücken.