Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat den Anspruch, die "Anliegen der katholischen Gläubigen in Deutschland" zu vertreten und "ihnen eine Stimme" zu geben. "Aus unserem Glauben leiten wir den Auftrag ab, Kirche, Gesellschaft und Politik aktiv mitzugestalten", heißt es im neuen Leitbild des Komitees, das im letzten November beschlossen wurde. Gestern hat das ZdK einen Katalog mit "politischen Erwartungen" zur bevorstehenden Bundestagswahl veröffentlicht.
Jakob Ranke hat in der "Tagespost" das Naheliegende getan und die ZdK-Erwartungen mit den Wahlprogrammen der Parteien abgeglichen. Genau genommen hat er diesbezüglich das KI-Orakel befragt. Das Ergebnis:
"Ein KI-gestützter Vergleich mit aktuellen Partei-Wahlprogrammen ergibt – um an dieser Stelle den geneigten katholischen Leser nicht mit eigener Rechercheleistung, die aber wohl zu ähnlichen Ergebnissen führen würde, zu überfrachten – die größte Übereinstimmung mit den Plänen der Grünen, insbesondere, so Chat-GPT, "in den Bereichen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Bildung."
Zur Sicherheit habe ich die Gegenprobe mit Googles NotebookLM gemacht. Das Tool, das auf die Auswertung von Texten spezialisiert ist, kommt zu dem Schluss:
"… dass die Grünen die höchste Übereinstimmung mit den Erwartungen des ZdK aufweisen, gefolgt von der SPD und der Linken. Das BSW hat eine mittlere Übereinstimmung. Die CDU/CSU und FDP weisen eine geringe Übereinstimmung auf. Die AfD hat die geringste Übereinstimmung mit den Erwartungen des ZdK."
Schlüsselthema Migration
Besonders deutlich wird der Gleichklang von ZdK und Grünen, wenn man auf das Thema schaut, das die Wähler derzeit Umfragen zufolge für das wichtigste politische Problem halten: die Migration. In der Kurzfassung des Papiers stellt das ZdK seine Position so dar:
"Migrationspolitik muss dem Anspruch der Menschenwürde und der Menschenrechte genügen und fair gestaltet sein. Eine Welt, in der Geflüchtete kein Schutzgesuch mehr stellen können, wäre ein entsolidarisierter Ort. Geflüchtete haben das Recht, einen Asylantrag zu stellen – auch und gerade in Deutschland. Dieses Menschenrecht darf nicht durch Aufnahmekontingente eingeschränkt werden. Wir fordern die Abschaffung der Obergrenze für den Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten und einen Rechtsanspruch auf Geschwisternachzug."
Von der Notwendigkeit einer stärkeren Kontrolle und Begrenzung des Zuzugs ist beim ZdK nicht die Rede. Dass das am ehesten der Position der Grünen entspricht und im Kontrast zum derzeitigen Kurs der Union steht, die sich nach den Merkel-Jahren eine "grundsätzliche Wende in der Migrationspolitik" auf die Fahnen geschrieben hat, liegt auf der Hand. Indes bekunden selbst die Grünen in ihrem Programm die Absicht, Migration "besser ordnen bzw. steuern" zu wollen und betonen: "Nicht jede bzw. jeder, die bzw. der nach Deutschland kommt, kann bleiben."
Man kann davon ausgehen, dass die Positionierung des ZdK schlicht die politischen Prioritäten und Präferenzen der Akteure widerspiegelt, die an der Entstehung des Papiers beteiligt waren. Die traditionelle Nähe von Katholizismus und Union scheint keine große Rolle mehr zu spielen – jedenfalls beim ZdK. In der katholischen Wählerschaft dagegen war zuletzt wieder eine Vorliebe für die Union zu erkennen. Bei der Europawahl im vergangenen Jahr kamen CDU und CDU unter Katholiken auf 43 Prozent, während sie insgesamt nur 30 Prozent erreichten. Nur zehn Prozent der Katholiken wählten Grün – etwas weniger als die 11,9 Prozent für die Partei in der Gesamtwählerschaft.
Die ZdK-Leute haben Glaube und Politik ins Verhältnis gesetzt und sind dabei zu einem Ergebnis gekommen. Das ist ihr gutes Recht. Was jedoch fehlt, ist die Erkenntnis, dass es sich dabei nicht um das einzig mögliche Ergebnis handelt.
Nun kann man einem Positionspapier nicht vorwerfen, dass es Position bezieht. Die ZdK-Leute haben Glaube und Politik ins Verhältnis gesetzt und sind dabei zu einem Ergebnis gekommen. Das ist ihr gutes Recht. Was jedoch fehlt, ist die Erkenntnis, dass es sich dabei nicht um das einzig mögliche Ergebnis handelt. Die Anwendung christlicher Prinzipien auf die politische Praxis ist nämlich keine exakte Wissenschaft. Man kann als Katholik legitimerweise auch zu anderen Schlussfolgerungen gelangen – abhängig davon etwa, wie man das Weltgeschehen deutet, was man für wesentlich und vordringlich hält, für wie tauglich man bestimmte politische Instrumente hält – und wohl auch abhängig davon, wie man die katholische Lehre interpretiert.
Dieser letzte Punkt lässt sich mit einer weiteren KI-Spielerei untermauern. Füttert man NotebookLM mit dem Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) und den Wahlprogrammen der Parteien, die Aussicht haben, in den Bundestag zu kommen, gelangt das Programm zu folgendem Schluss: "Das Wahlprogramm von CDU und CSU zeigt die stärkste Übereinstimmung mit den Prinzipien des KKK, da es traditionell eine konservativere Wertehaltung vertritt, die mit vielen Aspekten der katholischen Lehre kompatibel ist."