Die Eucharistie – "Oralsadismus"?: Der ORF verbreitet dumme Klischees über den katholischen Glauben

Mich hat seinerzeit die (unpolemische) Bemerkung eines italienischen Reiseführer nachdenklich gemacht: Das Christentum ist die einzige Religion, die ihren Gott isst. Also doch Kannibalismus? Ich glaube nicht, dass Thomas von Aquin solchen Vorstellungen ein Ende bereitet hat. Er hat sie erst eigentlich befeuert. Thomas war ein Mystiker, wie die ihm zugeschrieben Gebete bzw. Hymnen nahelegen: Adoro te devote ... und Pange lingua gloriosi ... Für ihn war die Eucharistie vor allen Dingen eine mystische Vereinigung, so wie sie auch die Liturgie in den Wandlungsworten benennt: Mysterium fidei. Allerdings bin ich nicht so sicher, ob Thomas nicht auch haptisch gedacht hat, wenn er im Pange lingua formuliert: ... cuius una stilla salvum facere totum mundum quit ab omni scelere. Jedenfalls war die Praxis im Umgang mit Hostie und Wein noch in meiner Jugend so auf die Gestalten fokussiert, dass kleinste Stäubchen oder Tropfen davon die volle Gegenwart Christi bedeuteten. Nur Geweihte oder Nonnen durften mit den Paramenten, die solches enthalten konnten, umgehen. Ich neige zur Annahne der Realpräsenz im Sinne Calvins, der Christus nicht im Brot und im Wein "einsperren" wollte, sondern lehrte, dass Christus beim Abendmahl realiter, nicht nur symbolisch, unter uns ist.

Dass "Essens" in diesem Kontext nicht einfach zu verstehen ist, ist keine Neuigkeit. Man muss auch aus katholischer Sicht so ehrlich sein und einräumen, dass zum Beispiel das Evangelium zum heurigen (B) 20. Sonntag im Jahreskreis (Joh 6,51-58) für biblisch ungeübte Ohren Irritationspotential hat. Man wird daher vor einer breiteren Öffentlichkeit dort ansetzen müssen, dass "essen" hier nicht "(ab)beißen" meint, sondern vom der Grundbedeutung her eher "Aufnahme eines Lebens-Mittels", im konkreten Fall die Gemeinschaft mit den Herrn als "Mittel" (Weg) zum Ewigen Leben.
Auch im Film "Ghandi" (R: Richard Attenborough) gibt es eine kurze Szene, die auf ein solches Missverständnis hinweist. Da erzählt ein Inder dem auf das Zugdach gekletterten Missionar, dass er eine Christin kenne. Dann fügt er hinzu: "Sie trinkt Blut." Eine Schocksekunde später folgt die Auflösung, die praktizierende Christ:innen im Filmpublikum freilich schon ahnen: "Das Blut Christi, sagt sie."
Man kann einwenden, dass diese kurze Szene ein interkulturelles Missverständnis darstellt, das es zwischen Europäer:innen so nicht geben dürfte. Die Realität sieht, fürchte ich, anders aus. Vielleicht ist uns als Kirche daher heute mehr geholfen, unbeirrt Missverständnisse aufzuklären, anstatt gleich Schlimmeres zu vermuten.
Für mich führt der ORF-Beitrag übrigens zu einer untersuchenswerten Frage: Wie ausgeprägt ist das Eucharistieverständnis unter Katholik:innen, insbesondere Gottesdienstbesucher:innen tatsächlich? Das wäre eine Umfrage wert!