Migration, Moral und MachtDer Papst gegen Trumps Katholiken

Es ist ein ungewöhnlicher Schritt: Der Papst greift mit einem Brief in die US-Politik ein und rügt die harte Einwanderungspolitik von Präsident Trump. Er hätte deutlicher anerkennen können, dass die illegale Migration an der US-Südgrenze große soziale Probleme verursacht. Trotzdem ist der Brief eine Ohrfeige für die Katholiken in der US-Regierung, die ihre Politik auch mit der kirchlichen Lehre begründen.

Grenzzaun
© Unsplash

Mit seinem Brief an die amerikanischen Bischöfe hat sich Papst Franziskus direkt in die amerikanische Innenpolitik eingemischt. Warum? Trumps "Border Czar", der Verantwortliche für die Außengrenzen, Tom Homan, ist Katholik. Auch der Vizepräsident J.D. Vance ist katholisch. Beide bekennen, dass ihre Politik von ihrem Glauben inspiriert sei. Aber beide setzen eine radikale Wende in der Einwanderungspolitik der USA durch.

Unter dem ebenfalls katholischen Präsident Biden wurden die Grenzen weiter geöffnet als kaum jemals zuvor in der jüngeren Geschichte. Der Zustrom von Millionen illegal die Grenze überschreitenden Migranten überlastete die sozialen Einrichtungen, das Gesundheitswesen und das Integrationsvermögen der Gemeinden. An der Staatsgrenze nutzten organisierte Schlepperbanden das Vakuum für eine Schreckensherrschaft von Erpressung, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Vier Fünftel der Amerikaner wollten daher eine neue, restriktivere Grenzpolitik. Auch dafür wurde Trump gewählt.

Vielleicht wäre es dem Dialog dienlich gewesen, wenn der Papst diese drängenden Probleme in seinem Brief klarer gewürdigt hätte. Ähnlich wie die europäischen Regierungen steht auch die amerikanische in der Frage der Immigration vor großen Herausforderungen, die allein durch Hinweise auf die jüdisch-christliche Tradition der Liebe zum Fremden nicht gelöst werden können.

In wenigen Worten erkennt der Papst zwar das staatliche Recht an, sich zu verteidigen und die Gemeinschaft vor denjenigen Immigranten zu schützen, die während ihres Aufenthalts im Land oder vor ihrer Ankunft gewalttätige Verbrechen begangen haben. Die Stoßrichtung des Briefes ist aber eine andere. Der Papst wendet sich entschieden dagegen, illegale Einwanderer generell zu Kriminellen abzustempeln und so Massenabschiebungen zu rechtfertigen. Die Verletzung der Einwanderungsgesetze allein macht einen Menschen nicht zum Verbrecher.

Nicht nur in der Rhetorik, sondern auch in der polizeilichen Praxis verwischt die Trump-Regierung aber diesen Unterschied. Die Kriminalisierung von Millionen von Einwanderern ist die Folge. Nicht nur das. Das Programm für die legale Einwanderung von Schutzbedürftigen - das U.S. Refugee Admissions Program (USRAP) - wurde von Trump ausgesetzt. Das hat nichts mit den Problemen illegaler Einwanderung zu tun. Es scheint vielmehr darum zu gehen, die Wohltätigkeit deutlicher auf amerikanische Staatsbürger begrenzen zu wollen. Unverhohlener Nationalismus spricht aus dieser Entscheidung.

Die katholische Bischofskonferenz hat dies unmissverständlich kritisiert. Unerhört, dass Vizepräsident Vance darauf postwendend polemisiert hat, die amerikanischen Bischöfe würden sich nur an diesem Programm beteiligen, um die damit verbundenen 100 Millionen Dollar Subventionen von der Bundesregierung zu kassieren. Das ist eine widerliche Unterstellung.

Zugleich gab Vance den Bischöfen eine vermeintliche "Lehrstunde" in Theologie, indem er behauptete, das alte christliche Konzept des Ordo armoris verlange es, sich vorrangig der eigenen Familie und dem eigenen Volk karitativ zuzuwenden und erst später und reduzierter dann den Fremden. Ohne den Namen zu nennen, macht der Papst in seinem Brief klar, dass die Ethik des Vizepräsidenten nicht der Morallehre der Kirche entspricht. Der Papst schreibt:

"Christliche Liebe ist keine konzentrische Ausdehnung von Interessen, die sich nach und nach auf andere Menschen und Gruppen erstreckt. Mit anderen Worten: Der Mensch ist nicht nur ein Individuum, das einigermaßen ausdehnungsfähig ist und ein paar philanthropische Gefühle hat! Der Mensch ist ein Wesen mit Würde, das durch die grundlegende Beziehung zu allen, insbesondere zu den Ärmsten, nach und nach in seiner Identität und Berufung reifen kann. Der wahre Ordo amoris den es zu fördern gilt, ist der, den wir entdecken, wenn wir ständig über die Parabel vom 'Barmherzigen Samariter' nachdenken (vgl. Lk 10,25-37), d.h. über die Liebe, die eine Brüderlichkeit aufbaut, die allen offen steht, ohne Ausnahme."

Das ist eine direkte Erwiderung auf Vance und, wenn man so will, eine päpstliche Ohrfeige. Entsprechend genervt war dann auch die Reaktion: Der oberste Grenzschützer und Katholik Homan riet dem Papst, er solle sich lieber um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und die Kirche wieder in Ordnung bringen. Er warf dem Papst Verlogenheit vor: Der Papst "will uns angreifen, weil wir unsere Grenze sichern? Er hat doch eine Mauer um den Vatikan herum, oder nicht? Er hat also eine Mauer, um sein Volk und sich selbst zu schützen, aber wir können keine Mauer um die Vereinigten Staaten herum haben?"

Gegen jede diplomatische Gepflogenheit

Dieser direkte Schlagabtausch über die christliche Soziallehre und die Aufgabe der Kirche zwischen hochrangigen katholischen Vertretern eines Staates und dem Papst ist außergewöhnlich und gegen jede diplomatische Gepflogenheit. Eine Parallele wäre vielleicht die Auseinandersetzung zwischen Pius XI. und der Action Française, jener rechtsradikalen Form eines katholischen französischen Nationalismus am Anfang des letzten Jahrhunderts, der Juden, Freimaurer und Ausländer als Gefahr für die Nation ansah.

Natürlich ist die politische Situation in den USA heute eine andere. Aber es gibt eine weitere Parallele: den katholische Integralismus. Der Integralismus ist eine Auslegung der katholischen Soziallehre, die das Prinzip vertritt, dass der katholische Glaube die Grundlage des öffentlichen Rechts und der öffentlichen Ordnung innerhalb der Zivilgesellschaft sein sollte. Diese nur scheinbar mit der Action Française untergegangene Bewegung erfreut sich, angeführt von dem Harvard-Juristen Adrian Vermeule, unter konservativen Katholiken in den USA, gerade auch der jüngeren Generation, immer größerer Beliebtheit. Religion soll aus der Privatsphäre wieder in den politischen Bereich geholt werden. Vizepräsident Vance wurde auf Veranstaltungen der Integralisten gesichtet. Präsident Trump lässt sich als Retter des Christentums feiern, wenn er Schulgebeten und christlichen Feiertagen wieder mehr öffentlichen Raum geben will. Umso bitterer ist es für diese selbsternannten Verteidiger des Glaubens nun, wenn kein Geringerer als der Papst ihre national-konservative Deutung des Christentums in Schranken weist.

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