Die Europäische Union ist durch die Europawahl insgesamt nach rechts gerückt. Sozialisten, Liberale und Grüne haben im Parlament an Stimmen eingebüßt, die Europäische Volkspartei hat dazugewonnen, ebenso die Parteien rechts von der EVP, die sich bisher in zwei unterschiedlichen Fraktionen zusammengeschlossen haben und über das Verhältnis zu Russland zerstritten sind.
Eine Woche vor der Europawahl ging in Erfurt der Katholikentag zu Ende. Den Vorwurf, die Veranstaltung sei politisch unausgewogen, wies der Generalsekretär des ausrichtenden Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Marc Frings, zurück: CDU und CSU seien derzeit nicht an der Regierung beteiligt, da sei es normal, dass die Vertreter der Ampel-Koalition auf den Podien stärker vertreten seien. Die Erklärung stellte nicht jeden zufrieden. In CDU-Kreisen war am Rande des Katholikentages von einer "totalen Entfremdung" zwischen Union und ZdK die Rede.
Nur 10 Prozent der Katholiken wählten Grün
Eine am Mittwoch bekannt gewordene Befragung der Forschungsgruppe Wahlen zeigte, dass die Konfessionszugehörigkeit bei der Wahl zum Europäischen Parlament einen deutlich erkennbaren Einfluss auf das Wahlverhalten hatte: Während die Union insgesamt auf 30 Prozent kam, erreichte sie unter Katholiken 43 Prozent. Nur zehn Prozent der Katholiken wählten Grün – etwas weniger als die 11,9 Prozent für die Partei in der Gesamtwählerschaft.
Die Gewichtungen beim Katholikentag stellten sich anders dar. Bei den Politikerauftritten im Programm der Veranstaltung kamen die Grünen auf einen Anteil von 28,8 Prozent, die Union auf 27,1 Prozent. Hat das ZdK den Sensus dafür verloren, was sich an der katholischen Basis tut?
Natürlich gibt es kirchlich Engagierte, die sich über einen Katholikentag mit vielen grünen Themen und vielen grünen Sprechern freuen. Die einschlägigen Veranstaltungen waren gut besucht. Themen wie feministische Außenpolitik, die sozialökologische Transformation, Queerness, Geschlechtergerechtigkeit, Kolonialismus oder "Anti-Gender und die neue Rechte" sprechen ein bestimmtes Segment des Kirchenvolkes an. Aber erreicht man mit einer solchen Akzentsetzung wirklich die Kirchenmitglieder in ihrer Breite?
Wenn der Anspruch ist, dass die Kirche "gesellschaftlich relevant" bleibt, muss man sich daran auch messen lassen.
Selbstverständlich müssen sich Kirche, ZdK und Katholikentag ihre Agenda nicht von Wahlen und Meinungsumfragen vorgeben lassen. Aber wenn der Anspruch ist, dass die Kirche "gesellschaftlich relevant" bleibt (diese Formulierung war beim Katholikentag unzählige Male zu hören), dann muss man sich daran auch messen lassen.
Die Europawahlen könnten auch beim Bund der Katholischen Deutschen Jugend (BDKJ) Anlass für einen reality check sein. Dessen Führungsebene hat sich in den letzten Jahren sehr nachdrücklich auf gesellschafts- und identitätspolitische Standpunkte festgelegt, die denjenigen der Grünen entsprechen. Indes haben die Grünen bei den 16- bis 24-jährigen Wählern im Vergleich zu 2019 zwei Drittel der Stimmen verloren und kommen nur noch auf 11 Prozent. 17 Prozent der Jugendlichen wählte dieses Mal Union, 16 die AfD. Die größte Gruppe – 28 Prozent – entschied sich für eine der zahlreichen Kleinstparteien.