Der Tonfall in bioethischen Debatten wird rauer, die Grenzen des Sag- und Denkbaren werden immer weiter verschoben. Das zeigt eine neu ins Leben gerufene Aktion, die seit Montag symbolische zwölf Wochen lang dafür kämpfen will, den Abtreibungsparagrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch ersatzlos zu streichen. Zahlreiche Medien berichteten über den Start der Kampagne. Unter dem Namen "Abtreibung legalisieren – jetzt!" wird auf einer grellen Internetseite zum Mitmachen aufgerufen. Die Botschaft ist unmissverständlich: Schwangere sollen komplett allein entscheiden dürfen, ob und wann sie abtreiben, und zwar als Kassenleistung. Versehen wird das alles mit dem ebenso modern wie ausreichend abstrakt klingenden Modewort der "reproduktiven Selbstbestimmung". Eine typische Umgangsweise, um der Realität dessen, was bei einer Abtreibung geschieht, nicht ins Auge sehen zu müssen.
Die aktuelle Regelung sieht vor, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich strafbar sind. Straffrei bleibt der Abbruch bis zur zwölften Woche und wenn mindestens drei Tage zuvor ein Beratungsgespräch in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle stattgefunden hat. Die auf den ersten Blick merkwürdig anmutende Gleichzeitigkeit von Strafbarkeit und Straffreiheit kommt daher, dass zum Ausdruck gebracht werden soll, dass ein Abbruch an sich abzulehnen und mit dem im Grundgesetz verankerten Schutz jedes menschlichen Lebens unvereinbar ist. Es handelt sich um eine Kompromisslösung, die nicht mit der grundsätzlichen Ablehnung von Abtreibung durch die katholische Kirche in Einklang zu bringen ist, für die das Leben ab der Empfängnis als absolut schützenswert gilt. Die klare Linie der Kirche schließt übrigens nicht aus, in der Seelsorge empathisch Frauen zu begleiten, die für sich keine andere Lösung gesehen und eine Abtreibung hinter sich haben.
Die von der Kampagne geforderte ersatzlose Streichung der gesetzlichen Regelung bedeutet das schlichte Gegenteil der katholischen Position: das Recht auf Abtreibung bis zur Geburt. Ein Baby dürfte in der 32. Schwangerschaftswoche im Mutterleib getötet werden, außerhalb, wo es sehr wahrscheinlich lebensfähig wäre, nicht. Auf die Rückfrage von COMMUNIO zu diesem Punkt antwortet eine Sprecherin: Das "Bild von verantwortungslosen Schwangeren, die bis kurz vor der Geburt warten, um dann noch abzutreiben, ist eines, das vor allem aus konservativen und rechten Spektren bedient wird". Eine Reaktion, die den Fragesteller zu framen und damit zu degradieren versucht. Weiter wird lobend hervorgehoben, dass in Kanada, wo Abtreibungen legal seien, "ungefähr 90 Prozent aller Abtreibungen […] innerhalb der ersten 12 Wochen stattfinden".
Ob wohl wenigstens die Ärztin oder der Arzt direkt vor dem Eingriff über Risiken und Konsequenzen aufklären dürfte? Es steht zu vermuten, dass dies einer "diskriminierungsfreien Abtreibung" widersprechen würde.
Es erscheint intuitiv plausibel, dass man die Entscheidung, einen heranwachsenden Menschen im eigenen Körper zu töten, nicht allein treffen sollte. Laut "Abtreibung legalisieren – jetzt!" ist die aktuelle Beratungspflicht jedoch "entmündigend" und "untergräbt das Recht auf körperliche Selbstbestimmung der schwangeren Person". Es gibt Fälle, bei denen eine Mutter ihr Neugeborenes in einer Nacht- und Nebelaktion in einer Babyklappe abgibt. Kurze Zeit später fährt sie zurück ins Krankenhaus, da sie ihre Entscheidung überdacht hat. Bei einer überstürzten Abtreibung ohne jegliche Beratung etwa über Unterstützungsmöglichkeiten wäre das Kind nicht im Krankenhaus, sondern tot. Ob wohl wenigstens die Ärztin oder der Arzt direkt vor dem Eingriff über Risiken und Konsequenzen aufklären dürfte? Es steht zu vermuten, dass dies einer "diskriminierungsfreien Abtreibung" widersprechen würde.
Wer steckt hinter der Kampagne?
Auf ihrer Internetseite läuft ein penetrantes Banner "Wir sind viele. Wir sind mehr." Wer genau "wir" ist, bleibt indes unklar. Feministische Aktivisten, Gruppen und Initiativen seien beteiligt. Auf die Rückfrage, wer die Mitglieder und Geldgeber seien, antwortet die Sprecherin ausweichend, das "Bündnis" finanziere sich aus Spenden und Förderungen. Weitere Nachfragen bleiben unbeantwortet. Wie groß das Mobilisierungspotenzial wirklich ist, wird sich im Dezember zeigen: Für den Abschluss der Kampagne sind "Großdemonstrationen" in Berlin und Karlsruhe geplant.
Im Impressum ist als Verantwortliche eine Medienstrategin aus dem extrem linken Spektrum genannt, die mit einer "Aktivistinnen-Agentur" Mediencoachings und Strategieberatungen anbietet sowie Gesprächspartner für Interviews und Talkshows vermittelt. Wer wohl die Rechnung für die offenbar von ihr inszenierte Kampagne übernimmt?
Deutlich wird: Politisch wie gesellschaftlich gibt es kaum noch eine Lobby für ungeborenes Leben. Schon im April hatte das Votum einer von der aktuellen Bundesregierung (ohne Abstimmung mit der Opposition) eingesetzten "Expertenkommission" für Diskussionen gesorgt. Die Kommission plädiert dafür, "die Rechtmäßigkeit und Straflosigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen in der Frühphase" sicherzustellen.
Von den Kirchen kamen zuletzt starke Worte im Kampf gegen Rechtsextremismus. Jetzt ist es an der Zeit, starke Worte für das ungeborene Leben zu äußern.
Anfang September ging das Statement des Models Stefanie Giesinger über ihre Abtreibung durch die Medien. Sie sei dankbar "für das Privileg, über meinen eigenen Körper entscheiden zu können", schrieb sie auf Instagram. Bei einer Schwangerschaft geht es aber nicht nur um den Körper der Mutter, sondern auch um den zweiten, kleinen Körper eines Menschen, der ebenfalls Rechte hat. Hier gilt es mindestens anzuerkennen, dass ein schweres Dilemma vorliegt. Wer das heranwachsende Kind ausblendet, macht nichts anderes als zu verdrängen. Unter dem Post häufen sich neben kritischen Stimmen zahlreiche positive Kommentare. Abtreibung wird salonfähig und bekommt Bewunderung und Applaus.
Von den Kirchen kamen zuletzt starke Worte im Kampf gegen Rechtsextremismus. Jetzt ist es an der Zeit, starke Worte für das ungeborene Leben zu äußern. Dahinter steht nicht zuletzt die Frage, in welcher Gesellschaft man leben möchte. Die Kampagne steht jedenfalls für eine, in der Spaß mehr zählt als Verantwortung, und in der man sich ungeborenen Lebens unkompliziert entledigen kann.