Friedrich Merz und die Union bauen ihren Versuch, eine Regierung zu bilden, auf Schulden und dem Schreckgespenst Trump auf. Dem Vernehmen nach begründete Merz selbst vor der eigenen Fraktion das gebrochene Wahlkampfversprechen zur Schuldenbremse und den Vorstoß in unbekannte Dimensionen der Verschuldung mit Trump. Es sei sogar das Gerücht bemüht worden, Trump werde über Nacht die NATO verlassen, heißt es.
Trump wurde medial so zur Projektionsfläche des Hasses aufgebaut, dass mit dem Verweis auf den US-Präsidenten alles zu rechtfertigen ist. Dass er mit brachialer Rhetorik und dem kurzfristigen Entzug von Hilfe Selenskyj zum Einlenken auf einen Waffenstillstand zwang, galt als endgültiger Beweis für die bösartige Unzuverlässigkeit des Manns im Weißen Haus. Man wird sehen müssen, wie Russland darauf reagiert und sich die Dinge weiterentwickeln, aber die unisono positive Reaktion in Europa und von Noch-Außenministerin Annalena Baerbock auf das ukrainische Einlenken steht doch im krassen Gegensatz zur vorherigen Panikmache. Es ist höchste Zeit, die Trump-Karikatur abzuräumen.
Ein Blick zurück auf den Eklat im Weißen Haus und die Rede von JD Vance vor der Münchner Sicherheitskonferenz können dabei helfen. Nicht nur Friedrich Merz, auch ausgewiesene Amerikaexperten behaupteten, dass Selenskyj Trump bei jenem geschichtsträchtigen Besuch in die Falle gegangen sei. Trump hätte Selenskyj mithilfe von Vance vorführen wollen. Wer sich die ganze Pressekonferenz im Oval Office angesehen hat, kann Zweifel an dieser Darstellung bekommen. Selenskyj hat seine Gastgeber ohne Not provoziert, bevor Trump und Vance die Eskalationsdominanz zurückgewannen.
Was Meinungsfreiheit mit Sicherheitspolitik zu tun hat
Ohnehin taugt Vance nur deswegen als Buhmann, weil er Mitglied im "Verein für deutliche Aussprache" ist, der früher in der politischen Landschaft Deutschlands auch Anhänger hatte. Franz Josef Strauß sah sich seinerzeit als Vorsitzender. In diesem Sinne könnte man die Ausführungen von Vance in der bayerischen Landeshauptstadt wie im Weißen Haus über das gemeinsame Grundproblem von Meinungsfreiheit und Sicherheitspolitik noch deutlicher auf den Punkt bringen: Lächle, du kannst sie nicht alle töten! Es geht in beiden Fällen um einen ausgeweiteten Konsens, der so breit ist, dass er massiven Dissens an vielen Stellen einschließen kann, auch mit bisher ausgeschlossenen Gegnern, beispielsweise der AfD im Innern oder Putin im Äußern. Die Aufgabe der höchst unangenehmen wie schwierigen Konsensausweitung ist notwendig, weil die Marginalisierung der Outlaws nicht möglich war. Weder an der Wahlurne noch auf dem Schlachtfeld sind sie besiegt worden. Die Fortsetzung des Marginalisierungskampfes wird als zu kostenintensiv und am Ende aussichtslos angesehen. Um es auf noch eine brutale Volksweisheit zu bringen: Die Hand, die du nicht abhacken kannst, musst du schütteln.
Diese an sich schon unverdauliche Vorgabe wird umso unerträglicher, wenn sie mit dem Hinweis einhergeht, dass zentrale Punkte des bisherigen Grundkonsenses nicht mehr tragen. Der Washington Consensus, dass globale Regeln für alle durchgesetzt werden, ist genauso passé wie dessen Davoser Variante, die mehr in Richtung Staatsdirigismus neigte. Die neuen Leitlinien aus Washington lauten: Klimawandel kann nicht interventionistisch bekämpft werden. Energie muss billig sein. Migration muss als sicherheits- und kulturpolitisches Problem eingedämmt werden. Statt Abtreibung selbst gegen Beter zu verteidigen, sollte besser die Fertilitätsrate erhöht werden. Johannes Paul II. ist besser als Wokeismus. Gerade das Johannes-Paul-Zitat "Habt keine Angst!" in Vances Münchner Rede dürfte klargemacht haben, wohin die Reise gehen soll.
Um diesen rechtskonservativen Diskurswandel zu verhindern, muss alle Kritik am bisher etablierten Diskurs marginalisiert, am besten kriminalisiert werden. Bei Ludwig Wittgenstein heißt es: "Wo sich wirklich zwei Prinzipien treffen, die sich nicht miteinander aussöhnen, da erklärt jeder den Andern für einen Narren und Ketzer."
Wenn die reine Vernunft oft Schwierigkeiten hat, sich gegen die herrschenden Paradigmen zu artikulieren, wird Kritik, gerade auch an Personen, gelegentlich unflätig vorgetragen. Aber was bei Trump erlaubt ist, gilt nicht für Habeck. Durch die Verschärfung des Paragrafen 188 des deutschen Strafgesetzbuches im Jahr 2021 – hier geht es um die sogenannte "Politikerbeleidigung" – wird Kritik an der Regierung zur leichten Beute einer neuen Klageindustrie. Die Politik möchte sich vom Volkszorn abschotten. Vance trifft ins Schwarze, wenn er lapidar anmerkt, dass Angst vor dem Volk in der Demokratie nicht sein darf. Wenn dieser Zustand nicht behoben werde, dann könne Amerika nichts mehr für Deutschland und Europa tun. Die USA erwarten sich auch nichts mehr von Europa. Vance spielt die Völker Europas gegen ihr politisches Establishment aus und fordert umgehend einen raschen Wandel. Dass solche Zuspitzungen nicht auf Gegenliebe in der Politik treffen, ist nachvollziehbar. Aber ist das Grundanliegen deswegen falsch?
Vance sprach deutlich, aber freundlich. Trump trägt diese Dinge gerne mit einer Prise Humor vor, die nicht jedem liegt. Humor und Aggression treten gerne zusammen auf. Deswegen lachen die einen mit, wo den anderen endgültig übel wird. Um sich nicht völlig zu verschätzen, sollte aber doch Trumps aggressiver Humor nicht zu seiner Pathologisierung oder Dämonisierung herangezogen werden. Wer Trump selbstironischen Auftritt beispielsweise als janitor bei seinem eigenen Imitator von 2004 kennt, wird auch den abgedrehten Trump-Gaza-Clip entspannter einordnen können. Die beliebte Ferndiagnose Narzissmus trifft einen hemmungslosen Aufschneider und Selbstvermarkter kaum, der seinen Markenkern erfolgreich auf der Fähigkeit aufbaut, Deals mit sehr unterschiedlichen Partnern zu machen. Zur Kunst des Deals gehört auch die Fähigkeit, dem anderen nicht nur zuzuhören, um ihn für den Moment einzuwickeln, sondern um ihn in eine lange Geschäftspartnerschaft auf der Grundlage gemeinsamer Interessen zu bringen. Einwickeln beherrscht ein Narzisst, an langfristigen Partnerschaften scheitert er. Trumps weitgespanntes Beziehungsnetzwerk, mit dem ihm nicht zuletzt ein historisches Comeback ins Weiße Haus gelang, spricht gegen die Narzissmus-These.
Der alte Konsens der liberalen Globalisierung hat Europa, insbesondere Deutschland, Wohlstand gebracht. Ihn aufgeben zu müssen, ist eine große Härte. Aber er hat weder den Aufstieg Chinas noch die Aggression Russlands verhindern können. Im Gegenteil hat er beides befördert, indem er Aufstieg und Aggression zu finanzieren half und nicht in der Lage war, einen gemeinsamen Rahmen für die Interessen aller zu schaffen.
Weil alles auf dem Spiel steht, sollte man in jedem Fall einen Schritt zurücktreten und schauen, was die neuen Ansagen aus Washington beinhalten. Der alte Konsens der liberalen Globalisierung hat Europa, insbesondere Deutschland, Wohlstand gebracht. Ihn aufgeben zu müssen, ist eine große Härte. Aber er hat weder den Aufstieg Chinas noch die Aggression Russlands verhindern können. Im Gegenteil hat er beides befördert, indem er Aufstieg und Aggression zu finanzieren half und nicht in der Lage war, einen gemeinsamen Rahmen für die Interessen aller zu schaffen. Entweder man bindet Gegner ein oder man marginalisiert sie. Wenn beides nicht gelingt, muss man sich eine neue Variante überlegen. Dazu können auch wechselnde Priorisierungen von Einbindung und Einhegung gehören. Die Verlagerung amerikanischer Aufmerksamkeit nach Asien ist seit Obama ein Gemeinplatz. An einer Implosion Russland hatten die USA noch nie ein Interesse, genauso wenig wie an einer europäischen Supermacht, wohl aber an europäischen Verbündeten, die Moskau kraftvoll einhegen. Eine Neugewichtung, inklusive amerikanischer Truppenreduzierung innerhalb eines Friedensdeals für die Ukraine, muss Europa aus eigener Kraft auffangen können.
Amerika setzt auch deswegen auf Disruption, weil die US-Dominanz unter dem alten Konsens immer weniger gesichert war und immer mehr bedroht wurde. Am Abstieg der USA kann weder Europa, geschweige denn Deutschland, noch die Welt ein Interesse haben. Machtpolitisch wie normativ kann man getrost auf die USA setzen. Denn die Alternative zur Pax Americana sind die wenig nachhaltigen autoritären Modelle Chinas und Russlands oder die Kakofonie der Europäer, die sich in ihrer Verzweiflung über Uneinigkeit und Innovationsschwäche auf die sozialistische Droge des Interventionismus geflüchtet haben, die in den sozialen und ökonomischen Konkurs führt.
Beim vorschnellen Plädoyer für einen geordneten Abschied vom bindungsunwilligen Washington neigt Europa, allen voran Deutschland, zur Verdrängung seiner Probleme. Die Europäer sind mit ihrer ambitionierten Nachbarschaftspolitik schon in den besten Zeiten amerikanischer Protektion gescheitert. Nach den Jugoslawienkriegen war Europa unfähig, die Nachfolgestaaten südlich von Kroatien zu integrieren. Weiter südlich und östlich entstand vom Mittelmeer bis zur Ukraine statt eines ring of friends ein ring of fire. Die Militarisierung Europas und Deutschlands zum Ausgleich für dieses Versagen ist bis zu einem gewissen Grad nötig, um gegen revisionistische Gegner bestehen zu können. Ein nur halbwegs einiges Europa müsste Russland ein Stück weit Paroli bieten können. Russland ist, frei nach Helmut Schmidt, auch nichts anderes als ein Entwicklungsland mit Atomwaffen.
Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass sich die Europäer weder untereinander trauen – wären deutsche Atomwaffen akzeptabel? – noch ihr ökonomisches Potenzial einem sicherheitspolitischen Entscheidungszentrum unterstellen möchten. Aus beiden Gründen werden die USA gebraucht. Zudem können Europa und Deutschland konventionell aufrüsten, wie sie wollen. Um konventionelle Erfolge gegen eine Atomdrohung absichern zu können, benötigen sie die Abschreckung der USA mit ihrer abgestuften nuklearen Eskalationsfähigkeit, inklusive auch der deutschen Teilhabe am Einsatz taktischer Atomwaffen, nicht den einmaligen französischen oder britischen Vernichtungsschlag. An die Stelle einer erschreckten Abwendung von den USA sollte eine zuhörende Interessenverzahnung treten.
Europa kann sich an einem erfahrenen Frontstaat unter begrenztem amerikanischem Schutz orientieren: Israel kombiniert Wehrwillen und -fähigkeit mit einem sensiblen Gespür für amerikanische Interessen. Aber einer Orientierung an Israel stehen der Mob auf der Straße und die politische Fiktion einer Zwei-Staaten-Lösung entgegen. Die Rede von der Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson hat sich nach dem 7. Oktober als Worthülse entlarvt. An die Stelle von Phrasen und Denkverboten muss eine robuste Diskurskultur treten, um der neuen Realität gerecht zu werden.
Nur Meinungsfreiheit legt die Grundlage für Innovation
"Populist Nationalism" klingt als neuer Kompromiss zwischen Sozialismus und Kapitalismus wenig attraktiv, in liberalen wie christlichen Ohren, insbesondere in Deutschland. Musks radikaler Stellenabbau im öffentlichen Dienst gepaart mit dem Aus für den großen Markt der steuerfinanzierten NGO zerstört nicht nur ökonomische Existenzen und Karrieren. Es stellt ein gewagtes Vorgehen dar, das sich tatsächlich nur dann rechtfertigen lässt, wenn der Staatsbankrott nicht anders abzuwenden ist. Inwieweit das auch in Deutschland nötig ist, will gegenwärtig offensichtlich doch niemand in der Politik wissen. Dennoch ist jeder aufgerufen, politische Alternativen zu formulieren. Genau dafür wird es radikale Meinungsfreiheit geben müssen. Auch das hat Vance deutlich gemacht. Nur Meinungsfreiheit legt die Grundlagen für Innovation. Die darf man auch gegen dessen Diskurshegemoniebestrebungen einfordern. Das Angebot dafür war expliziter Teil seiner Münchner Rede.
Außenpolitisch ist für Deutschland und Europa nichts so wichtig wie der Krieg in der Ukraine und die schwer kalkulierbare Bedrohung durch Russland. Ist es möglich, den russischen Rest der Sowjetunion mit ihrer imperialistischen Nostalgie und ihrem KGB-Mann an der Spitze endgültig zu zerschlagen? Oder muss doch ein Weg gefunden werden, Russland und seine Spitze aus Kriegsverbrechern und Kleptokraten einzubinden?
Da auch ein radikalerer Einsatz gegen Russland seine Gefahren mit sich bringt und selbst nukleares Brinkmanship wie in der Kubakrise mit Konzessionen einhergehen muss, ist Trumps Versuch, einen Deal zu machen, kein Verbrechen.
Als die Vogel-Strauß-Politik mit dem offenen Angriffskrieg im Februar 2022 nicht mehr möglich war, ging der Westen zuerst vom schnellen Fall Kiew aus und lieferte dann hinhaltend Waffen, die nach einigen Anfangserfolgen in den Abnützungskrieg führten. Die Verluste an Menschen und Material lassen sich hier in den nächsten Jahren auch noch in die Dimensionen des Ersten Weltkriegs steigern. Da auch ein radikalerer Einsatz gegen Russland seine Gefahren mit sich bringt und selbst nukleares Brinkmanship wie in der Kubakrise mit Konzessionen einhergehen muss, ist Trumps Versuch, einen Deal zu machen, kein Verbrechen.
Europas Schwäche
Wenn ein Hauch von Jalta über Europa liegt, dann weniger wegen Trump, sondern wegen der Schwäche Europas. Die Verhandlungen finden in Saudi-Arabien statt, weil dort der Schlüssel zum Ölpreis liegt, mit dem Trump Putin in die Knie zwingen will. Der Rohstoffdeal mit der Ukraine steckt die Claims ab, innerhalb derer die USA und die Ukraine prosperierend aus der Katastrophe des Krieges herauskommen könnten. Dass Putin im Gegenzug ähnlich gute Geschäfte, inklusive Gebietsgewinne innerhalb der Ukraine, angeboten werden müssen, anstatt ihn vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen, versteht sich leider von selbst.
Trump die Schuld zu geben, ist ähnlich, wie der Feuerwehr einen Löschschaden in Rechnung zu stellen.
Dass damit Völkerrecht und Gerechtigkeit mit Füßen getreten werden und mit dem Ende der Unverletzlichkeit der Grenzen eine Friedensordnung in Europa zusammenbricht, die seit 1975 mit der KSZE-Schlussakte von Helsinki für Europa galt, ist eine traurige Tatsache. Dass die Europäer allen voran die Deutschen, die Notlösungen, die das Ende unserer Ordnung besiegeln, auch noch finanzieren und sichern sollen, ist eine hochnotpeinliche Zumutung. Am Ende übernehmen noch US-Investoren die Ostseepipelines und Deutschland und die Europäer dürfen sich freuen, wenn sibirisches Gas den ökonomischen Sinkflug beendet.
Trump die Schuld zu geben, ist ähnlich, wie der Feuerwehr einen Löschschaden in Rechnung zu stellen. Die Brandschutzordnung der Globalisierung war nicht ausreichend, und Brandmauern widerstehen keinem Vollbrand auf ewig. Sie kaufen nur Zeit. In der knappen Zeit, die bleibt, macht es wenig Sinn, sich über den barschen Ton des Feuerwehrhauptmanns zu beschweren. Wer im Ernst einen besseren Löschzug hat, als den, der von der Trump-Administration vorgefahren wird, der möge sich melden. Dieser Feuerwehrhauptmann zerstreut die Menge nicht. Trump und Vance fordern Meinungsfreiheit und bitten um eine Chance für die Diplomatie. Die Ukrainer, die Europäer und alle, denen an der alten Ordnung etwas liegt, sind aufgerufen, tragbare Lösungen einzubringen. Wenn sie das nicht können, sollten sie zur Seite treten und Trump Erfolg wünschen. Er kann nicht über Wasser gehen, aber er glaubt vielleicht nicht zu Unrecht, dass eine himmlische Hand die Kugel abgelenkt hat, um ihn ein paar Dinge erledigen zu lassen.