Weiß der Papst, was er tut?Franziskus und der Genozid-Vorwurf an Israel

Der Papst sagt, man müsse die Völkermord-Vorwürfe gegen Israel prüfen. Gewiss: Israel ist aus seiner humanitären Verantwortung gegenüber den Palästinensern nicht zu entlassen, und das Vorgehen der Regierung Netanjahu wirft viele Fragen auf. Doch mit seinen Äußerungen überschreitet Franziskus eine rote Linie: Er macht sich zur Partei in einem internationalen Konflikt.

Israelische Flagge
© Pixabay

In diesen Tagen erscheint ein neuer Gesprächsband von Papst Franziskus. Darin bezieht er sich auf die Ansicht von Juristen, das Vorgehen Israels im Gazastreifen trage genozidale Züge. Diese Einschätzung solle aus Sicht des Papstes "von Juristen und internationalen Gremien sorgfältig untersucht" werden.

Die Einlassung des Papstes reiht sich in prekäre Stellungnahmen und problematische Verhaltensmuster des Vatikans und von Franziskus selbst seit dem genozidalen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ein. Sie bedürfen einer politisch-theologischen Einordnung.

Franziskus differenziert zwischen Israel und Juden – zu Recht. Aber indem er sich als Papst nicht hinreichend klar zum Terror gegen den Staat Israel als Lebensraum für Juden positioniert, steht auch seine theologische Position infrage.

Der Papst lässt sich nicht beraten

Immer wieder sind seine theologischen Äußerungen ambivalent: Stark ist die Aussage aus seinem programmatischen Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium, dass Gott weiterhin im Volk des Alten Bundes wirke. Problematisch wirken demgegenüber die wiederkehrenden Aussagen zu Pharisäern, die er typologisch abwertet und mit denen er den alten antijudaistischen Gegensatz von vermeintlicher jüdischer Gesetzlichkeit und christlicher Barmherzigkeit im Geist Jesu wiederbelebt.

Handelt es sich um theologische Unwissenheit? Um fehlende Lernbereitschaft? Um die Selbstgewissheit des Papstes mit den Vorzügen seiner Lehrkompetenz? Die Fragen lassen sich nur stellen, nicht klären. Aber ein Papst, der auf Synodalität setzt, dürfte, nein: müsste sich besser beraten lassen – gerade im politisch-theologisch so wichtigen und so heiklen Verhältnis der katholischen Kirche zu Israel und zum Judentum.

Hier wirkt sich ein Konstruktionsproblem im Vatikan aus. Für die außenpolitischen Beziehungen ist das Staatssekretariat zuständig, für die religiösen Beziehungen zum Judentum eine eigene Kommission. Sie hat seit zehn Jahren nicht mehr mit ihren Beratern getagt, der zuständige Kardinal Kurt Koch enthält sich seit 10/7 der Stimme, gerade wenn es gälte, Aussagen von Franziskus einzuordnen und klärend einzugreifen. An dieser Schnittstelle fällt ein belastbares Korrektiv des Papstes aus.

Die jüngsten Äußerungen von Franziskus zur Untersuchung des Genozid-Vorwurfs gegenüber Israel überschreiten eine Grenze: die der Neutralität, denn offensichtlich hält Franziskus den Vorwurf für diskutabel. Mehr noch: Der Papst rückt das Verhalten Israels in die Nähe zu einem Völkermord. Er ist ab jetzt auf internationalem Terrain, den der Vatikanstaat diplomatisch bespielt, Partei.

Das hat unmittelbare Folgen. Die jüngsten Äußerungen von Franziskus zur Untersuchung des Genozid-Vorwurfs gegenüber Israel überschreiten eine Grenze: die der Neutralität, denn offensichtlich hält Franziskus den Vorwurf für diskutabel. Mehr noch: Der Papst rückt das Verhalten Israels in die Nähe zu einem Völkermord. Er ist ab jetzt auf internationalem Terrain, den der Vatikanstaat diplomatisch bespielt, Partei.

Das historische Gewissen des Argentiniers scheint unbelastet von symbolpolitischen Folgen seines israelpolitischen Handelns und der theologischen Implikationen: Für Juden weltweit stellt sich die Frage, wo der Stellvertreter Christi steht. Ein belastbarer Partner ist dieser Papst für sie nicht.

Das zeigt sich am Brief, den Franziskus zum Jahrestag von 10/7 schrieb. Er zitierte darin Joh 8,44, wo vom "Vater der Lüge" die Rede ist. Was der Papst auf die Ursache des Krieges bezieht, erweist sich im Kontext des Evangeliums als toxisch. Dort heißt es: "Ihr habt den Teufel zum Vater und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge." Dieser Text hat Juden das Leben gekostet. Er ist der locus classicus des christlichen Antijudaismus und Begründungsquelle für Pogrome bis hin zur Shoah.

Wo steht Franziskus wirklich?

Weiß der Papst nicht, was er da zitiert, oder nimmt er es in Kauf, was sich immer wieder gegen Israel und damit gegen Juden richtet? Fehler hat er weder eingestanden noch korrigiert. Und so müssen sich Juden fragen, wo Franziskus, der sich als Freund des Judentums versteht und aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires Rabbiner Abraham Skorka persönlich verbunden fühlt, wirklich steht. Das löst nicht nur diplomatische Fragen, sondern auch theologische im Dialog der katholischen Kirche mit dem Judentum aus. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte einen Schlussstrich unter jede Form eines katholischen Antijudaismus ziehen (vgl. Nostra Aetate, 4).

Für das, was ein Papst mit seiner Autorität kommuniziert, muss er Verantwortung übernehmen. Seine hochproblematischen Aussagen stellen ein Risiko für Israel als Staat und für Juden weltweit dar.

Diese Agenda unterstützt auch Papst Franziskus. Aber mit seinen Äußerungen wie nun zum Genozidverdacht gegenüber Israel verstärkt der Papst den weltweit neu aufflammenden Antisemitismus. Das will er selbstverständlich nicht. Aber für das, was ein Papst mit seiner Autorität kommuniziert, muss er Verantwortung übernehmen. Seine hochproblematischen Aussagen stellen ein Risiko für Israel als Staat und für Juden weltweit dar. Ausschreitungen wie in Amsterdam in diesem November belegen, wie sich die Grenzen im Alltag verschieben und seit 10/7 verschoben haben: unter welchem Druck, mit welchem Risiko Jüdinnen und Juden in Europa und weltweit leben.

Ohne es zu wollen, spielt der Papst der Hamas in die Hände

Dieser Papst stellt sich auf die Seite der Schwächsten. Seine Aufmerksamkeit gilt den Opfern von Gewalt weltweit. Deshalb hat er Angehörige von israelischen Geiseln und freigelassene Geiseln empfangen. Deshalb richtet er seinen christlich-humanitär bestimmten Blick auf die Menschen in Gaza. Ihre Situation ist entsetzlich, und alles politische Mögliche muss daran gesetzt werden, weitere Opfer zu verhindern. Israel ist aus seiner humanitären Verantwortung gegenüber den Palästinensern auch im Krieg gegen den Terror nicht zu entlassen. Das Handeln der Netanjahu-Regierung wirft viele Fragen auf, zumal mit Blick auf die Siedlungspolitik und die Entrechtung von Palästinensern. Sie werden nicht zuletzt in Israel gestellt. Aber im Krieg der Hamas, der Hisbollah und des Iran gegen Israel diktiert der Terror das Gesetz des Handelns – bis in den Vatikan hinein. Ohne es zu wollen, spielt der Papst der Hamas seit 10/7 in die Hände. Auf der Bühne internationaler Empörung steht Israel zunehmend allein da, als Feindbild. Das schließt hautnah Jüdinnen und Juden ein, die mit Israel identifiziert und angefeindet werden.

Man stelle sich den Aufschrei vor, Benedikt XVI. hätte sich so geäußert und so agiert wie sein Nachfolger.

Man stelle sich den Aufschrei vor, Benedikt XVI. hätte sich so geäußert und so agiert wie sein Nachfolger. Im Spiegel des nur vorstellbaren Skandals nimmt die israelpolitische und -theologische Silhouette des ersten Franziskus auf dem Stuhl Petri Konturen an. Während in den Archiven des Vatikans das Verhalten Pius XII. angesichts der Shoa erforscht wird, richtet sich der Blick erneut auf einen Stellvertreter Christi: Dieser Papst versagt, nicht, indem er schweigt, sondern indem er verschweigt, wer für den Terror von 10/7 und seitdem die Verantwortung trägt. Wer als Papst den Verdacht eines Völkermords durch Israel nährt, hat nicht nur zu viel gesagt. 

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