Der Lapsus des PapstesIn einem Brief an die Katholiken des Nahen Ostens zitiert Franziskus einen Bibelvers, der die Juden als Kinder des Satans bezeichnet

War es ein peinliches Versehen oder gar skandalöse Absicht, dass der Papst in einem Schreiben zur Situation im Nahen Osten die wohl dunkelste Stelle zitiert, die sich im Neuen Testament zum Judentum findet und mit der in der Vergangenheit sogar Pogrome legitimiert wurden? So oder so: Der Fehler muss korrigiert werden.

Jerusalem
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Zum Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober hat der Papst einen Brief an die Katholiken im Nahen Osten geschrieben. Er beklagt die Spirale der Gewalt und spricht die beschämende Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft an, die Waffen zum Schweigen zu bringen. Statt dem "Zorn" und dem "Drang nach Rache" müsse man dem Dialog und Frieden Raum geben. Krieg sei immer eine Niederlage.

Das klingt gut, ist aber historisch unkonkret. Nicht jeder Krieg ist eine Niederlage. Der militärische Einsatz der Alliierten gegen Hitler war ein Sieg der Humanität, auch wenn er vielen Menschen das Leben gekostet hat. Schon in seinem "Brief an die Juden" tat sich Franziskus schwer, den Aggressor – die Hamas – beim Namen zu nennen und das Recht des Staates Israel auf Selbstverteidigung zu bejahen. Das hat viele Juden irritiert. Zurecht. Denn der Hamas-Terror ist beispiellos gewesen. Unschuldige Zivilisten wurden auf israelischem Staatsgebiet vergewaltigt, enthauptet, verstümmelt oder als Geiseln verschleppt. 

Inzwischen hat der Gaza-Krieg unzählige unschuldige Palästinenser getroffen. Die Bombardements halten an und sind im Kampf gegen die Hisbollah auf den Libanon ausgedehnt worden. Das ist dramatisch und bedrückend. Die Frage, ob die militärische Selbstverteidigung Israels noch verhältnismäßig ist, wird auch von den Freunden Israels gestellt. Bei der Antwort darf nicht ausgeblendet werden, dass die Terror-Organisation Hamas, die Hisbollah und auch der Iran das Existenzrecht des Staates Israels verneinen.

Das Leiden der anderen – eine Exit-Strategie?

Es ist gut, dass der Papst den leidenden Katholiken im Nahen Osten den Rücken stärkt und alle zu einem Tag des Fastens und Gebets aufgerufen hat. Gebet und Fasten sind Waffen der Liebe, die Geschichte verändern können, schreibt der Papst. Man könnte noch weiter gehen als Franziskus und sagen, dass die Wahrnehmung des "Leidens der anderen" eine Exit-Strategie aus dem anhaltenden Konflikt sein könnte. Wenn die Hamas die jüdischen Opfer und die Traumata ihrer Angehörigen in den Blick nehmen und umgekehrt die politisch Verantwortlichen in Israel die Leiden der palästinensischen und libanesischen Zivilbevölkerung in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken würden, könnte das einen heilsamen Perspektivwechsel verursachen. Johann Baptist Metz, der Begründer der neuen politischen Theologie, hat wiederholt daran erinnert, dass der historische Handschlag 1993 zwischen dem PLO-Führer Jassir Arafat und dem israelischen Premier Jitchak Rabin nur zustande gekommen ist, weil beide bereit waren, sich vom Leiden der jeweils anderen Seite betreffen zu lassen. Eine solche Politik auf dem Geist der Compassion scheint im aktuellen Krieg beinahe eine Utopie zu sein.

Papst Franziskus fragt in seinem Brief weiter nach dem "wahren Feind" und ortet ihn im "Mörder von Anfang an", im "Vater der Lüge" (Joh 8,44). Damit zitiert er die wohl dunkelste Stelle, die sich im Neuen Testament über die Juden findet. Das ist prekär. Denn mit dieser Stelle, die Juden als Kinder des Satans bezeichnet, wurden Pogrome legitimiert, selbst Hitler hat den Vers instrumentalisiert, um sein Programm der Judenvernichtung, die Shoah, zu rechtfertigen.

Die offiziellen kirchlichen Medien haben den Brief des Papstes an die Katholiken im Nahen Osten einstimmig gelobt. Tatsächlich hat er für die vom Krieg Betroffenen eine bestärkende und tröstende Wirkung gehabt. Der Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, hat sich für die pontifikale Solidaritätsbekundung denn auch bedankt. Die jüdische Welt aber hat bislang taktvoll geschwiegen, nur ein Rabbiner hat den antijüdischen Subtext des Zitats von Joh 8,44 offengelegt und von einer schweren Belastung des Gesprächs zwischen Katholiken und Juden gesprochen. Zurecht. Vollständig lautet der Vers: "Ihr habt den Teufel zum Vater und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an und er steht nicht in der Wahrheit, denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt, denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge." (Joh 8,44)

Gewiss, der Papst zitiert nur Wendungen aus dem Vers, ohne ihn explizit auf die Juden, gar die Juden von heute, zu beziehen. Auch zeigt eine historische Kontextualisierung des Johannes-Evangeliums, dass es hier um einen innerjüdischen Konflikt geht, in dem die Gegner Jesu polemisch als Kinder des Satans diffamiert werden. Es sind weder alle damals lebenden noch überhaupt alle Juden gemeint. Jesus, Maria und die Apostel sind selbst Juden!

Dass sich dieser Vers im Papst-Brief ausgerechnet zum Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober findet, ist ein Skandal. War es blanke Unkenntnis der kurialen Mitarbeiter, die das Zitat in den Brief eingeflochten haben, ohne seine wahre Bedeutung zu beachten? Oder war es vielleicht Absicht, der Solidaritätsbekundung mit den bedrängten Brüdern und Schwestern im Nahen Osten eine versteckt antijüdische Note zu geben?

Aber abgesehen davon, dass der Rückgriff auf die Figur des Satans für die Deutung von Kriegen kaum hilfreich ist, ist die Wirkungsgeschichte der Stelle fatal, da sie den kirchlichen Antijudaismus und gesellschaftlichen Antisemitismus immer wieder gestützt und befeuert hat. Dass sich dieser Vers im Papst-Brief ausgerechnet zum Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober findet, ist ungeheuerlich. War es blanke Unkenntnis der kurialen Mitarbeiter, die das Zitat in den Brief eingeflochten haben, ohne seine wahre Bedeutung zu beachten? Oder war es vielleicht Absicht, der Solidaritätsbekundung mit den bedrängten Brüdern und Schwestern im Nahen Osten eine versteckt antijüdische Note zu geben? Das erste wäre peinlich, das zweite skandalös. Daher sollte der Lapsus im Brief des Papstes umgehend bereinigt werden.

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