Politik mit der BrechstangeIn Sachen Staatsleistungen wechselt die Bundesregierung vom Dialog in den Monolog

Die Bundesländer haben kein Interesse an einer Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Der neue Vorstoß der Bundesregierung hat nur einen Zweck. Die Ampel-Koalition will deutlich machen: "An uns hat es nicht gelegen".

Geldscheine
© Pixabay

Das Recht der sogenannten Staatsleistungen bildet einen besonders verschlungenen Nebenpfad des deutschen Staatskirchenrechts. Ihr Rechtsgrund liegt über zwei Jahrhunderte zurück, nämlich in den Entschädigungspflichten der deutschen Einzelstaaten als Ausgleich für die umfassenden Konfiskationen kirchlicher Vermögensgüter (teils pragmatisch, teils ideologisch motiviert). Vor gut einem Jahrhundert verfügte die Weimarer Verfassung ihre Ablösung ("Die … Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst."). Doch erbracht werden sie bis heute, um zwar in einem Umfang von gut 600 Millionen Euro pro Jahr. Hintergrund dessen ist, dass vor der Ablösung durch die Länder das Reich (seit 1949 der Bund) die dafür maßgeblichen "Grundsätze" aufzustellen hat. Eben daran fehlt es bis heute – und so müssen die Länder weiter ihre historisch begründeten Entschädigungspflichten erfüllen. Sie "verjähren" nicht, auch wenn sie lange zurückliegen.

Bisher sind alle Entwürfe gescheitert

Die verfassungsgesetzliche Vorgabe des Art. 138 Abs. 1 WRV (1949 durch Art.140 in das Grundgesetz übernommen) wird von der deutschen Staatspraxis beharrlich ignoriert. Zu Weimarer Zeiten gab es einen einzigen Regierungsentwurf (1921), über den der Reichstag niemals abstimmte. Auch der nächste Anlauf, ein halbes Jahrhundert später, verpuffte folgenlos, als das Kirchenpapier der FDP ("Freie Kirche im freien Staat") 1973 in seiner These 8 die Beachtung der Verfassungsnorm anmahnte. Konkrete Gesetzentwürfe für ein Ablösungsgesetz des Bundes wurden erst ab den 2010er Jahren vorgelegt: 2012 von der Fraktion DIE LINKE, 2020 folgte eine interfraktionelle Initiative von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE sowie ein gesonderter Entwurf der AfD. Während letzterer eine vollständige Einstellung sämtlicher Staatsleistungen zum 31.12.2026 vorsah, wollte die interfraktionelle Initiative die Ablösung durch eine abschließende Zahlung bewirken, wobei die jährliche Summe mit dem Faktor 18,6 multipliziert werden sollte. Es wäre also ein Beitrag von deutlich über 10 Milliarden Euro aufzubringen. Dahinter stand die Erwägung, dass "Ablösung" nicht einfach ersatzlose Streichung meint (so der AfD-Entwurf), sondern eine angemessene Entschädigung. Alle diese Entwürfe scheiterten.

Der Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Bundesregierung ("Mehr Fortschritt wagen") setzte 2021 das Projekt eines "Grundsätzegesetzes" (so wie es Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Satz 2 WRV fordert) auf die politische Tagesordnung. Dieses Gesetz sollte "im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung" bilden. Eine beim Bundesinnenministerium angesiedelte Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund, Ländern und Kirchen hat auf Arbeitsebene die fachlichen Fragen erörtert. Indes hatten im Verlauf des letzten Jahres verschiedene Ministerpräsidenten jedweder Couleur erklärt, dass sie aktuell keine finanziellen Spielräume für eine Ablösung sehen. Politisch war damit das Projekt tot.

Beredtes Schweigen der Länder

Offenbar versucht sich nun die Bundesregierung an der Reanimierung des Vorhabens. Der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, kündigte jüngst für diesen Herbst einen Gesetzentwurf an, der so gestaltet werden solle, dass er nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürfe. Den Ländern solle, so heißt es, nicht "abschließend die Form der Ablösung" vorgeschrieben werden. Auch eine auf Jahrzehnte gestreckte Erbringung des noch zu ermittelnden Ablösungsbetrags sei denkbar. Die Länder könnten sogar selbst entscheiden, ob sie die Ablösung realisieren wollten oder nicht. Die Reaktionen waren deutlich: Einige Landesregierungen formulierten in knappen Worten ihre Ablehnung, die meisten beließen es bei eisigem Schweigen, in diesem Fall beredtem Schweigen: Die Länder bleiben dagegen.

 Rechtlich bleibt offen, welche "Grundsätze" der Bund eigentlich regeln will, wenn die Länder am Ende doch machen können, was sie wollen.

Was also bezweckt der Verstoß, der am Ende der parlamentarischen Sommerpause lanciert wurde? Zunächst wird sich die Ablösung der Staatsleistungen kaum als eines der drängendsten Probleme des Landes klassifizieren lassen: Es gibt weit bedeutendere Herausforderungen, für die noch nicht einmal Umrisse einer Lösung erarbeitet wurden oder sonst erkennbar sind. Vom Finanzierungsvolumen fällt das Projekt angesichts der sonstigen Ausgabefreudigkeit der Regierung wenig aus dem Rahmen – zumal die Finanzierungslast nicht den Bund, sondern die Länder trifft (und dass dabei der Bund vom versprochenen Dialog in den Monolog-Modus wechselt, veranschaulicht mustergültig den aktuellen Stand der politischen Kommunikation). Rechtlich bleibt offen, welche "Grundsätze" der Bund eigentlich regeln will, wenn die Länder am Ende doch machen können, was sie wollen (und ihr politischer Wille ist eben – wie sie wiederholt bekundet haben –, derzeit keine Ablösung vorzunehmen). Ob über Jahrzehnte gestreckte Abgeltungszahlungen sich politisch und kommunikativ wirklich als "Ablösung" und weiter gar noch als "Weiterentwicklung" eines "kooperativen Trennungsmodells" (so der Koalitionsvertrag) darstellen lassen, steht ohnedies dahin.

Seit 1919 und 1949 ist klar, dass die Ablösung der Staatsleistungen nur gelingen kann, wenn die Länder substanziell einbezogen werden. Das Vorhaben ohne oder gar gegen die Länder in Angriff nehmen zu wollen, ist Politik mit der Brechstange. Als kommunikative Botschaft eines solchen Vorgehens bleibt allein die Schuldzuweisung an die Länder und die korrespondierende Selbst-Exkulpation des Bundes: "An uns hat es ja nicht gelegen". Das ist schon fast wieder biblisch: "Herr, ich danke dir, weil ich nicht so bin wie diese."

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