Jetzt ist der Religionsunterricht gefragtIslam im Klassenzimmer – Herausforderung für Wiens Schulen

Muslime bilden die größte religiöse Gruppe an Wiens Pflichtschulen. Gefordert sind demokratische Bildung, Integration ohne Selbstaufgabe und ein Islamunterricht, der zum Dialog statt zur Abgrenzung führt.

Klassenzimmer
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Die  über die gestiegene Präsenz islamischer Schülerinnen und Schüler hat in Österreich für eine gewisse Aufregung gesorgt. Dabei spiegelt die neue Datenerhebung über die religiöse Zusammensetzung in den Pflichtschulen Wiens die gesamtgesellschaftliche Verschiebung des religiösen Feldes. Wir leben nicht mehr in christlichen, sondern in religiös pluralen Gesellschaften mit wachsenden Anteilen an religiös indifferenten Zeitgenossen. Anders gesagt: Der Islam wächst, die Konfessionslosen nehmen zu, der Anteil der Christen schrumpft. Besonders der bürgerliche Konventionskaholizismus Wiens bröckelt, seitdem die gesellschaftlichen Stützen wegfallen – eine Herausforderung nicht nur für den Klerus, sondern gerade auch für Laien.

Allerdings ist es zur Beurteilung der Datenerhebung wichtig zu berücksichtigen, dass lediglich die Volks- und Mittelschulen Wiens einberechnet wurden, nicht aber die Gymnasien. Auch die katholischen Schulen und andere Privatschulen wurden in der Statistik nicht berücksichtigt. Zudem können die Zahlen nicht einfach auf ganz Österreich hochgerechnet werden, da städtische Zentren für Migranten deutlich attraktiver sind als das Land.

Dennoch stimmen die Zahlen nachdenklich: Innerhalb eines Jahres ist die Zahl der islamischen Schülerschaft um etwa 2 Prozent auf 41,2 Prozent angestiegen. Der Anteil der katholischen Schülerinnen und Schüler beträgt nurmehr 17,5 Prozent, der der orthodoxen 14,5 Prozent, der der evangelischen 1,7 Prozent und der der jüdischen 0,1 Prozent. Ohne Bekenntnis sind 23 Prozent – Tendenz steigend. Schon in wenigen Jahren dürften muslimische Schülerinnen und Schüler die absolute Mehrheit in den Klassenzimmern stellen.

Wer hier an 1683 erinnert, an jenes historische Datum, an dem die Türken vor Wien zurückgeschlagen wurden, schürt religionspolitische Konflikte und erschwert das gesellschaftliche Zusammenleben. Umgekehrt ist ein vor allem in akademischen Kreisen verbreiteter Multikulturalismus verfehlt und verantwortungslos, da er notorisch und blauäugig den wachsenden Einfluss der Strömungen des politischen Islam ausblendet.

Diese signifikante Veränderung ist kein Grund zu Alarmismus oder kulturkämpferischen Parolen. Wer hier an 1683 erinnert, an jenes historische Datum, an dem die Türken vor Wien zurückgeschlagen wurden, schürt religionspolitische Konflikte und erschwert das gesellschaftliche Zusammenleben. Umgekehrt ist ein vor allem in akademischen Kreisen verbreiteter Multikulturalismus verfehlt und verantwortungslos, da er notorisch und blauäugig den wachsenden Einfluss der Strömungen des politischen Islam ausblendet. Moderate Muslime selbst weisen schon länger darauf hin, dass es im Spektrum des politischen Islam radikale Stimmen gibt, die ganz unverblümt Migration und Demografie als Instrumente eines Dschihad mit friedlichen Mitteln betrachten. Die weitere Entwicklung in der Gesellschaft und besonders auch an den Schulen ist daher sorgsam im Blick zu behalten.

Demokratie lernen

Die Datenerhebung über die Pflichtschulen Wiens weist eben auch darin, dass in einem Segment der islamischen Schüler abschätzige Einstellungen gegenüber Juden, gegenüber der Gleichberechtigung von Mann und Frau vorherrschen und grundlegende Werte wie Freiheit, Pluralismus und Demokratie in Zweifel gezogen werden. Hier müssen das Bildungsministerium und die Schulbehörden dringend gegensteuern und kreative Präventionsmaßnahmen ergreifen. Das friedliche Zusammenleben mit Andersdenkenden und Andersgläubigen kann nicht früh genug eingeübt werden, um die Ausbreitung von Paralellgesellschaften zu verhindern. Daher ist der Vorschlag des Bundesministers für Bildung, Christoph Wiederkehr, zu begrüßen, ein für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtendes Fach "Leben in der Demokratie" einzuführen.

Damit Integration in pluralistischen Gesellschaften gelingen kann, bedarf es eines Religionsunterrichts, der zwischen der Förderung religiöser Identität und der politischen Instrumentalisierung klar unterscheidet.

Allerdings ist das nur die eine Hälfte. Die andere muss ein islamischer Religionsunterricht sein, der im Rahmen der Werteordnung Österreichs stattfindet. Daher ist es sinnvoll und gut, dass es an der Universität Wien das Institut für islamische theologische Studien gibt. Hier sollen künftige Religionslehrer ausgebildet werden, die eine reflexive Haltung zur eigenen Religion einnehmen und von fundamentalistischen Kurzschlüssen Abschied genommen haben. Damit Integration in pluralistischen Gesellschaften gelingen kann, bedarf es eines Religionsunterrichts, der zwischen der Förderung religiöser Identität und der politischen Instrumentalisierung klar unterscheidet. Religiöse Bildung darf sich nicht im affirmativen Wiederholen konfessioneller Selbstverständlichkeiten erschöpfen, sondern muss Raum für kritische Selbstreflexion eröffnen.

Integration muss kein Akt der Selbstverleugnung sein

Gerade im islamischen Religionsunterricht ist es von zentraler Bedeutung, dass Lehrkräfte theologisch gebildet, pädagogisch versiert und demokratisch verankert sind. Nur so kann verhindert werden, dass der Unterricht zur Bühne für religiöse Abgrenzungsstrategien oder politische Einflussnahmen wird, die den Grundprinzipien eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens zuwiderlaufen. Auch der Religionsunterricht sollte den Dialog zwischen Glaubensüberzeugungen und modernen Gesellschaftsordnungen fördern, den Reflexionsraum erweitern und junge Menschen dazu befähigen, sich im Spannungsfeld von Tradition und Gegenwart verantwortlich zu positionieren.

Ob eine Domestizierung des politischen Islam durch Wissenschaft und Pädagogik in Seminaren und Klassenzimmern gelingt, steht dahin. Hier ist der Einsatz aller Akteure gefragt.

Insofern kommt dem islamischen Religionsunterricht eine doppelte Aufgabe zu: Er soll religiöse Identität stärken, ohne die universale Achtung vor der Würde jedes Menschen zu relativieren — und zugleich zur gesellschaftlichen Teilhabe motivieren, ohne die kritische Distanz zum Eigenen preiszugeben. Integration wird auf diese Weise nicht zum Akt der Selbstverleugnung, sondern zum Weg der Verständigung zwischen Muslimen, Christen und Juden — getragen von einem aufgeklärten Glauben, der sich seiner Tradition bewusst bleibt und sich zugleich dem Gespräch mit der säkularen Moderne öffnet.

Ob eine Domestizierung des politischen Islam durch Wissenschaft und Pädagogik in Seminaren und Klassenzimmern gelingt, steht dahin. Hier ist der Einsatz aller Akteure gefragt.

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