Streit um Richterposten in Nordrhein-WestfalenKatholischer Klüngel oder Katholikendiskriminierung?

Eine ehemalige stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros in Berlin soll Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Münster werden. Ein Mitbewerber klagt dagegen. Nun sagt das Bundesverfassungsgericht: Es gibt Indizien für eine "Vorfestlegung" des verantwortlichen Justizministers. Derweil spekulieren Medien über eine "katholische Connection". Und die Opposition meint: Wer für die Kirche gearbeitet hat, kann nicht neutral sein.

NRW-Justizminister Benjamin Limbach
NRW-Justizminister Benjamin Limbach© Justiz NRW

Seit fast einem Jahr gibt es im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen Streit um die Besetzung eines hohen Richterpostens. Nun hat sich das Bundesverfassungsgericht geäußert. Der nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach von den Grünen sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, einer Kandidatin für den Präsidentenposten des Oberverwaltungsgerichts Münster unrechtmäßig den Vorzug gegeben zu haben. In der Debatte spielt auch die katholische Konfession der Bewerberin eine Rolle. Handelt es sich um eine "Fall katholischer Ämterpatronage", wie Kritiker behaupten? Oder wird eine qualifizierte Kandidatin von Opposition und Medien diskriminiert, weil sie für die katholische Kirche gearbeitet hat?

Die Person, um die es geht, ist Juristin und CDU-Mitglied (sie sitzt im Vorstand des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen). Von 2011 bis 2020 war sie stellvertretende Leiterin des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin ("Katholisches Büro"). Seitdem ist sie Abteilungsleiterin im Düsseldorfer Innenministerium. In den 2000er Jahren hat sie als Verwaltungsrichterin in Nordrhein-Westfalen gearbeitet.

Gegen die Besetzung gingen die unterlegenen Mitbewerber juristisch vor. Die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Münster hielten die Besetzungsentscheidung für rechtswidrig, das Oberverwaltungsgericht Münster selbst sah das anders. Dagegen legte wiederum einer der Bewerber Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Nordrhein-Westfalen wird seit 2022 von einer schwarz-grünen Koalition regiert. Die Affäre beschäftigt die Landespolitik seit Monaten. Im Landtag befasst sich seit Juli 2024 ein Untersuchungsausschuss mit dem Thema. Limbach, so die Vorwürfe, habe bei seinem Amtsantritt ein bereits laufendes Verfahren gestoppt. Bei einem gemeinsamen Abendessen wenig später habe die Kandidatin, mit der Limbach per Du ist, ihr Interesse an der Stelle bekundet; später habe er ihr eine günstige "Überbeurteilung" ausgestellt.

Bundesverfassungsgericht: Anhaltspunkte für "politisch koordiniertes Vorgehen"

Der Mitbewerber, der den Fall bis vor das Bundesverfassungsgericht gebracht hat, berichtet in einer eidesstattlichen Versicherung, der Justiziar der CDU-Bundestagsfraktion, Ansgar Heveling (ebenfalls Vorstandsmitglied der CDU-Juristenvereinigung), habe ihm mitgeteilt, die Grünen in der Düsseldorfer Koalition wünschten sich eine Frau an der Spitze des Gerichts, die CDU sei einverstanden, weil es sich um eine Frau mit CDU-Parteibuch handeln könne. Limbach selbst habe ihm in einem Gespräch außerdem nahegelegt, seine Bewerbung zurückzuziehen – die Mitbewerberin habe einen "Vorsprung".

Limbach hat immer wieder betont, er habe das Verfahren nicht gestoppt, um der Kandidatin noch die Bewerbung zu ermöglichen. Es habe keine "unzulässige Vorfestlegung" zugunsten der Frau gegeben, auch bestehe kein besonders "Näheverhältnis" zu ihr. Informelle Gespräche mit Kandidaten für ein solches Amt seien gang und gäbe.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss, der am 29. August veröffentlicht wurde, festgestellt: Aus der eidesstattlichen Versicherung des Klägers würden sich "Anhaltspunkte für ein politisch koordiniertes Vorgehen mit Kenntnis und unter Beteiligung des Ministers" ergeben, "das mit einer Vorfestlegung anhand sachfremder Kriterien (Geschlecht und Parteimitgliedschaft) verbunden wäre"; das Oberverwaltungsgericht Münster habe es versäumt, diesen Indizien nachzugehen; das muss das Gericht jetzt nachholen.

Limbach hat immer wieder betont, er habe das Verfahren nicht gestoppt, um der Kandidatin noch die Bewerbung zu ermöglichen. Es habe keine "unzulässige Vorfestlegung" zugunsten der Frau gegeben, auch bestehe kein besonders "Näheverhältnis" zu ihr. Informelle Gespräche mit Kandidaten für ein solches Amt seien gang und gäbe. Die Überbeurteilung sei ohne sein Zutun erstellt worden.

"Katholische Connection"?

Derweil spekulierten Medien und Opposition über weitere "sachfremde Kriterien" – nämlich die Konfession der Beteiligten: Dem grünen Minister und der Kandidatin gemeinsam sei ihre "Verbindung zur katholischen Kirche" schrieben WDR-Journalisten im November. Als stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros sei sie "Cheflobbyistin der katholischen Kirche" gewesen. Limbach wiederum habe das katholische Aloisiuskolleg in Bonn besucht, sei Ministrant und Oberministrant gewesen und habe zu Protokoll gegeben, er habe in eine "katholisch-konservative Familie" eingeheiratet.

Damit rückten die Journalisten nun auch noch Limbachs Ehefrau in den Fokus. Diese ist ebenfalls Juristin und engagiert sich im Hildegardis-Verein, wie der WDR zu berichten wusste. Der Verein hat sich der Karriereförderung katholischer Frauen verschrieben. Die Kandidatin für den Richterposten habe dort im Jahr 2019 als Mentorin in einem Programm für weibliche Führungskräfte in der katholischen Kirche mitgewirkt. Das NRW-Justizministerium erklärte dazu, Limbachs Frau und die Kandidatin hätten sich zwar während ihrer Referendariatszeit am Landgericht Bonn kennengelernt, seien aber "nicht befreundet"; beim Hildegardis-Verein seien sie sich nicht begegnet.

Im Februar sprach dann auch der Kölner Stadt-Anzeiger von einer "katholischen Connection" – und verwies auf den CDU-Mann Nathanael Liminski, den Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, der ab 2005 als Sprecher der papsttreuen "Generation Benedikt" in den Medien aufgetreten war und bis heute über "exzellente Kontakte zur Kirche" verfüge. Tatsächliche hatte Liminski mit der Kandidatin und einem Mitbewerber mehrere Gespräche geführt – auf deren Wunsch hin, wie Liminski im Dezember im nordrhein-westfälischen Landtag betonte.

Der kirchenfeindliche "Humanistische Pressedienst" bezeichnete die Affäre im März als "Fall katholischer Ämterpatronage".

Nicht neutral?

Auch die Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag schoss sich auf die Konfession der Bewerberin ein Der FDP-Abgeordnete Werner Pfeil problematisierte im November in einer Kleinen Anfrage, dass in der Überbeurteilung für die Kandidatin ein Arbeitszeugnis eine wichtige Rolle spiele, das der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, seiner ehemaligen Stellvertreterin ausgestellt hat. In dem Zeugnis heißt es, die Bewerberin habe "mit hoher politischer Intuition und Kompetenz klug und angemessen in Ton und Stil die Anliegen der katholischen Kirche gegenüber den verschiedenen Feldern des politischen Betriebs (Regierung, Parlament, Verbände, Medien und Wissenschaft) in eigener Verantwortung, in absoluter Loyalität mit den deutschen Bischöfen vorgetragen." Sie sei "für die Kontaktpflege zu den Vorständen/Präsidien der Bundesparteien inklusive der regelmäßig stattfindenden Spitzengespräche zuständig" gewesen und habe "oft entscheidend zur Positionierung der Kirche in ethischen, politischen und staatskirchenrechtlichen Fragen beigetragen".

Der FPD-Mann Pfeil zitiert aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom September, in dem es dazu heißt: "An einer Reflexion in Bezug auf die für das Amt der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen erforderlichen Eignung in Justizverwaltungsangelegenheiten fehlt es allerdings gänzlich." Die Richter bemängelten also, dass nicht begründet wird, inwiefern die Arbeit im Katholischen Büro zur Leitung eines Oberverwaltungsgerichts qualifiziert. Die nächsthöhere Instanz, das Oberverwaltungsgericht Münster selbst, stellte allerdings im Februar fest, das Zeugnis von Jüsten sei korrekt gewürdigt worden.

Für den FDP-Abgeordneten ist also bei jemandem, der beruflich die Positionen der katholischen Kirche vertreten hat, zumindest fraglich, ob er ein Richteramt neutral und unabhängig ausüben kann.

Doch Pfeil will auf etwas anderes hinaus. Er fragt: "Warum war für den Justizminister das höchste Lob für langjährigen Kirchendienst durch einen katholischen Prälaten als Begründung für ein hohes staatliches Richteramt nicht problematisch?" Würden sich aus der "absoluten Loyalität zu den deutschen Bischöfen" nicht "Bedenken hinsichtlich des Neutralitätsgebots" ergeben? Und könne sich der Justizminister wirklich sicher sein, dass die Kandidatin "trotz ihrer über neun Jahre religiösen Tätigkeit bei der Katholischen Kirche (…) als Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts in keine Konfliktsituation (…) gerät"? Für den FDP-Abgeordneten ist also bei jemandem, der beruflich die Positionen der katholischen Kirche vertreten hat, zumindest fraglich, ob er ein Richteramt neutral und unabhängig ausüben kann.

Der Justizminister hat die Anfrage im Januar beantwortet. In der Antwort heißt es, "religiöses oder weltanschauliches Engagement" könne "nicht als Indiz dafür ins Feld geführt werden, dass die Beamtin, der Beamte, die Richterin oder der Richter in Ausübung des Amtes die staatliche Neutralitätspflicht nicht achten würde." Im Gegenteil: "Eine solche Unterstellung würde die Neutralitätspflicht des Staates gerade verletzen."

Katholische Vergangenheit darf kein Ablehnungsgrund sein

Aus den Reihen der SPD kommen ähnliche Vorwürfe. Die Abgeordnete Lisa-Kristin Kapteinat verwies im Dezember in einer weiteren Kleinen Anfrage darauf, dass die Bewerberin in ihrer Tätigkeit für das Katholische Büro sich 2018 bei einer Anhörung im Bundestag für die Beibehaltung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche, dem damaligen Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, ausgesprochen habe und verweist vor diesem Hintergrund ebenfalls auf die "hohen Ansprüche an die richterliche Neutralität". Kapteinat fragt rhetorisch: "Wie viel ist der Landesregierung das Selbstbestimmungsrecht der Frau wert?" Die Antwort des Justizministers im Januar: Eine "einzelne fachpolitische Äußerung als Vertreterin einer Einrichtung in der Vergangenheit" sei für die "Eignungsprognose" einer Kandidatin nicht relevant.

Die "Rheinische Post" kommentierte im Dezember: Die "katholische Vergangenheit" der Kandidatin dürfe "kein Ablehnungsgrund" sein. Wer "grundsätzlich die Eignung zu einem Amt von solchen Meinungen abhängig macht", stelle "die katholische Kirche außerhalb der Verfassung". Die Bewerberin werde "sehr genau zwischen ihrer privaten Meinung und der Auslegung von Gesetzen unterscheiden können".

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Prälat, der das Kommissariat der deutschen Bischöfe seit 24 Jahren leitet, politisch hervorragend vernetzt ist. In Nordrhein-Westfalen versuchen SPD und FDP nun, der Kandidatin einen Strick daraus zu drehen, dass sie für Jüsten gearbeitet hat.

Im jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts spielt die Frage der Konfession keine Rolle. Es hat dem Oberverwaltungsgericht Münster aufgegeben, zu prüfen, ob es eine unrechtmäßige Bevorzugung der Kandidatin aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Parteizugehörigkeit gegeben hat. Für "katholische Ämterpatronage" gibt es bisher jedenfalls keine Beweise. Dass die Beteiligten der Affäre allesamt katholisch sind, reicht als Beleg nicht aus.

Dass ehemalige Mitarbeiterinnen von Karl Jüsten in hohe staatliche Ämter gelangen, ist allerdings keine Ausnahme. So wurde im Jahr 2007 eine andere Kollegin von Jüsten die erste Leiterin der damals neu eingerichteten Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Prälat, der das Kommissariat der deutschen Bischöfe seit 24 Jahren leitet, politisch hervorragend vernetzt ist. In Nordrhein-Westfalen versuchen SPD und FDP nun, der Kandidatin einen Strick daraus zu drehen, dass sie für Jüsten gearbeitet hat.

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