Während des Wahlkampfes kam heftige Kritik an CDU und CSU aus den Reihen der katholischen Kirche. Nun stellen manche die bisherige Kirchenfinanzierung infrage. Kirchenvertreter sollten sich jetzt um Deeskalation bemühen.

Noch sind es vereinzelte Stimmen. Aber sie könnten zu einem Chor anschwellen. Droht jetzt die Retourkutsche für die CDU-Kritik der katholischen Kirche während des Bundestagswahlkampfs?

Markus Lewe, CDU-Oberbürgermeister von Münster und Präsident des Deutschen Städtetages, sagt in einem Interview mit "Cicero": "Ich tendiere dazu, aus grundsätzlicher Liebe zur Kirche die Kirchensteuer, so wie wir sie haben, abzuschaffen und stattdessen ein Steuersystem zu entwickeln, wie man es aus Italien kennt, eine Gemeinwohlsteuer, bei der die Kirchen dann bedacht werden sollten." Derartige Vorschläge hört man immer wieder einmal, nur kommen sie normalerweise eher aus dem Umfeld der Linken und nicht von einem CDU-Mann.

Brisanter Kontext

Brisant ist der Kontext der Äußerungen. In dem Interview geht es um Lewes Austritt aus dem katholischen Kolping-Verband. Der Auslöser: Ein Beschluss des Verbandsablegers in Münster zur Abstimmung über einen Entschließungsantrag und einen Gesetzesentwurf zur Begrenzung der Migration, den die Union kurz vor der Wahl in den Bundestag eingebracht hatte. Bei beiden Abstimmungen hatte die AfD mit Ja gestimmt. Zur Unionsfraktion gehören auch Mitglieder des Kolpingwerks. Eine "indirekte Zusammenarbeit der Kolpingmitglieder mit der AfD" sei "nicht mit den Beschlüssen des Kolpingwerks vereinbar", so das Papier. Die Vorgehensweise der Union im Bundestag verurteile man "mit Nachdruck".

Dazu Lewe im Interview: "Wenn CDU- oder CSU-Mitglieder in katholischen Verbänden mit Vorwürfen überzogen werden und sie quasi mit einem moralistischen Imperativ belegt werden, dieses oder jenes (…) nicht machen zu dürfen, dann ist das unanständig und schadet unserer freiheitlichen Ordnung."

Der Beschluss des Kolpingwerks Münster war nicht die einzige kirchliche Äußerung dieser Art. Eine Stellungnahme der Vertreter von katholischer und evangelischer Kirche beim Bund, die zusammen mit einem "Brandbrief" an alle Bundestagsabgeordneten geschickt wurde, hatte vor einem Monat für große Aufmerksamkeit gesorgt. Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) kritisierte den Kurs der Union scharf. Als Reaktion darauf trat die ehemalige Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Laiengremium aus, wo sie zuletzt Sprecherin des Sachbereichs "Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung" gewesen war. In der neuen "Neuen Osnabrücker Zeitung" klagte Kramp-Karrenbauer über das ZdK: "Man hält die eigene Position für die einzig richtige, und von der aus wird mit dem erhobenen Zeigefinger auf alle anderen herabgeredet".

Derweil wurde in den beiden großen katholischen Frauenverbänden zum Angriff gegen die eigenen Bundesvorsitzenden geblasen. KDFB-Vorsitzende Anja Karliczek und kfd-Vorsitzende Mechthild Heil stehen unter Druck, weil sie als Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion für den Entschließungsantrag und das Gesetz gestimmt hatten.

Schon länger ist in Unions-Kreisen von einer "Entfremdung" die Rede. Mit der Entwicklung der letzten Wochen dürfte ein neuer Tiefpunkt der Beziehungen erreicht sein.

Die Lust von Unions-Leuten, sich weiter in den katholischen Verbänden oder im Zentralkomitee der Katholiken zu engagieren, dürfte sich derzeit wohl in Grenzen halten. Schon länger ist in Unions-Kreisen von einer "Entfremdung" die Rede. Mit der Entwicklung der letzten Wochen ist ein neuer Tiefpunkt der Beziehungen erreicht.

"Denkt mal drüber nach"

Dass Münsters OB Lewe in diesem Zusammenhang die Finanzierungsfrage stellt, lässt an die Äußerungen von Markus Söder beim kleinen CSU-Parteitag vor zwei Wochen in Nürnberg denken. Da hatte der Ministerpräsident gefordert, die Kirchen mögen sich doch "manchmal auch um die ein oder anderen mehr christlichen Themen" kümmern, er erinnerte nebenbei an Kirchensteuer und Staatsleistungen – und formulierte als "kleinen Merkposten": "Nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht. Es sind nämlich wir. Nicht, dass irgendwann man ganz plötzlich alleine steht. Denkt mal drüber nach."

Kurz darauf warf WELT-Herausgeber Ulf Poschardt den Kirchen in der Migrationsdebatte "gesinnungsethische Autoerotik" vor. "Die Kirchen in Deutschland präsentieren sich als Etagenkellner des Zeitgeistes und als Gemeinschaft weltanschaulich gefestigter Opportunisten", so der Journalist. Die politische Antwort auf das "schauerliche Spektakel der Kirchen" müsse sein, die Zahlung der Staatsleistungen an die Kirche zu beenden und die Kirchensteuer abzuschaffen.

Angesichts der fortschreitenden Säkularisierung ist das deutsche Staat-Kirche-Verhältnis keine Selbstverständlichkeit mehr – auch wenn die Hürden für Änderungen auf diesem Gebiet zugegebenermaßen hoch sind und die meisten politischen Akteure wohl weiterhin ein großes Interesse daran haben, dass die Kirche als Trägerin von Leistungen im Bildungs- und Sozialbereich erhalten bleibt.

Tatsache ist, dass die Union die Wahl gewonnen hat und es darum schlicht ein Gebot der Klugheit ist, sich kirchlicherseits darum zu bemühen, schnell das Verhältnis zu der Partei zu verbessern, die künftig den Bundeskanzler stellen wird. Vielleicht würde es dafür schon reichen, etwas am Ton zu verändern und politische Optionen nicht wie dogmatische Gewissheiten vorzutragen.

Viele haben Söders Ansagen – "denkt mal drüber nach" – als Drohung verstanden, auch wenn der Politiker später beteuerte, so sei es nicht gemeint gewesen. Man kann das als übergriffig kritisieren. Und man kann die Anwürfe des WELT-Herausgebers undifferenziert finden. Man kann umgekehrt aber auch fragen, warum die Kirchen sich eigentlich mit Vorliebe auf diejenigen in der Politik einschießen, die bislang die kirchlichen Privilegien verteidigt haben. Wie dem auch sei: Tatsache ist, dass die Union die Wahl gewonnen hat und es darum schlicht ein Gebot der Klugheit ist, sich kirchlicherseits darum zu bemühen, schnell das Verhältnis zu der Partei zu verbessern, die künftig den Bundeskanzler stellen wird. Vielleicht würde es dafür schon reichen, etwas am Ton zu verändern und politische Optionen nicht wie dogmatische Gewissheiten vorzutragen.

Bei den katholischen Kirchenmitgliedern haben die Bannflüche gegen die Union ohnehin nicht verfangen. Wie schon bei der Europawahl im vergangenen Jahr schnitt die Union unter katholischen Wählern auch diesmal überdurchschnittlich gut ab. Bei Katholiken erreichten CDU und CSU 39 Prozent, während es in der Gesamtbevölkerung nur 28,5 Prozent waren.

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