Ein Weckruf?Österreich wählt rechts – kirchliche Appelle verhallen ungehört

Die Nationalratswahl in Österreich hat ein deutliches Ergebnis gebracht: Die bisherige Regierung von Volkspartei und Grünen wurde abgewählt. Die FPÖ erzielte ihren bisher größten Wahlerfolg. Stellungnahmen zur Wahl aus Kirche und Theologie wirkten nur als Bestärkung unter Gleichgesinnten und machten es sich in Sachfragen wie der Migrationspolitik zu leicht. Um dem Aufstieg der FPÖ entgegenzuwirken, braucht es mehr als Symbolik und Demonstrationen "gegen rechts".

Parlament in Wien
© Pixabay

Das österreichische Wahlergebnis mag viele schockieren. Überraschend kam es jedoch nicht. Der Ausgang der Nationalratswahl entspricht im Wesentlichen den Prognosen der vergangenen Monate, welche die FPÖ stabil auf dem ersten Platz vor ÖVP und SPÖ gesehen haben und auch den Grünen nichts Gutes verhießen. Kurzzeitig erwachte die Hoffnung, das verheerende Hochwasser Mitte September könnte den Rechtsruck stoppen, Kanzler und ÖVP könnten vom Regierungsbonus im Krisenmodus ebenso profitieren wie die Grünen, die die Hochwasserkatastrophe nutzten, um das Klimaschutzthema wieder in den Vordergrund zu schieben. Genutzt hat das alles nichts. Die FPÖ liegt erstmals auf Platz 1 und erzielte das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Auch in den Bundesländern verzeichnet sie große Gewinne. In Kärnten hat sie mit 38,65 Prozent der Stimmen zu alter Stärke wie zu Jörg Haiders Zeiten zurückgefunden.

Es wird nun viel über den fulminanten Wahlsieg der FPÖ debattiert werden, der im Wesentlichen der persönliche Triumph ihres Parteiobmanns Herbert Kickl ist. Unter ihm hat die Partei nach dem Waterloo des Ibiza-Skandals 2019 zu neuer Geschlossenheit gefunden wie nie zuvor. Unter Kickls Führung hat sich die rechtpopulistische Partei aber auch zunehmend radikalisiert. Nicht nur Kickl, sondern auch viele weitere Funktionsträger und Parteimitglieder vertreten rechtsextreme Ansichten.

Kickls Wahlsieg wird auch im übrigen Europa nicht ohne Folgen bleiben, bestehen doch enge Verbindungen zur AfD, die zuletzt in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Wahlerfolge zu verzeichnen hatte, und zu Viktor Orbáns Fidesz-Partei. Der Trend zu extremen Rechten in Europa bleibt ungebrochen.

Die bisherige Koalition ist abgewählt

Der Wahlausgang in Österreich ist ein Paukenschlag. Ob er auch als Weckruf vernommen wird, ist aber noch nicht ausgemacht. Über der Erregung und vielleicht auch dem Entsetzen über den Aufstieg der extremen Rechten droht die wichtigste Botschaft unterzugehen, nämlich dass die bisherige türkis-grüne Bundesregierung ganz klar abgewählt worden ist. Die ÖVP hat fast 11 Prozent verloren. Die Grünen, die 2017 aus dem Nationalrat geflogen waren und 2019 mit einem Stimmenanteil von 13,9 Prozent nicht nur ins Parlament zurückkehrte, sondern – nachdem Österreich ein politisches Chaos ohne Beispiel erlebt hatte – sogar gleich in der Regierung landete, liegen bei 8,3 Prozent und haben satte 27 Prozent ihrer Wählerschaft eingebüßt. Die Regierung, die mit dem Anspruch angetreten ist, das Beste aus den beiden ideologischen Welten von ÖVP und Grünen zu vereinen, ist dafür am Ende bitter abgestraft worden. Zusammen kommen beide Parteien gerade einmal noch auf 34,5 Prozent.

Man muss es der scheidenden Regierung zugutehalten, dass sie nicht auseinandergebrochen, sondern die volle Legislaturperiode durchgedient und Verantwortung für das Land übernommen hat. Nichtsdestrotz muss man feststellen, dass die Bevölkerung mit der Regierungsarbeit extrem unzufrieden ist.

Ihre Regierung stand zugegebenermaßen unter keinem günstigen Stern. Kurz nach ihrem Antritt brach die Corona-Pandemie aus. Im Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine mit allen weltpolitischen, energie- und wirtschaftspolitischen Folgen auch für Österreich. Zwischenzeitlich kam der ÖVP auch noch ihr Kanzler und Obmann Sebastian Kurz abhanden. Man muss es der scheidenden Regierung zugutehalten, dass sie nicht auseinandergebrochen, sondern die volle Legislaturperiode durchgedient und Verantwortung für das Land übernommen hat. Nichtsdestotrotz muss man feststellen, dass die Bevölkerung mit der Regierungsarbeit extrem unzufrieden ist. Ob Migration, Inflation, Rezession oder Gesundheitspolitik: Die Konzepte der Regierung überzeugen nicht. Auch auf dem für die Zukunft so wichtigen Feld der Klimapolitik gibt es keine so durchschlagenden Erfolge, dass sich die Wähler eine Fortsetzung der bisherigen Regierungsarbeit wünschen.

Wer gehofft hat, die seit Jahren im Krisenmodus lebende SPÖ hätte von der Unzufriedenheit der Wähler profitieren können, sieht sich enttäuscht. Nach endlosen Querelen hatte sich die Partei auf Andreas Babler als Parteiobmann geeinigt. Unter dem aus dem linken Lager stammenden Bürgermeister von Traiskirchen fuhr die SPÖ mit einem sozialpolitischen Retro-Programm ihr schlechtestes Wahlergebnis in der Geschichte der Zweiten Republik ein und landete mit 21,05 Prozent auf dem dritten Platz. Ein Anspruch, den Kanzler zu stellen, lässt sich aus diesem Ergebnis beim besten Willen nicht ableiten.

Einziger Wahlsieger neben der FPÖ sind die bürgerlich-liberalen NEOS. Mit 8,96 Prozent liegen sie nun vor den Grünen auf Platz 4. Kleinparteien wie die satirische Bierpartei oder die Kommunisten, die in Salzburg und Graz kommunalpolitisch erfolgreich sind, haben den Einzug in den Nationalrat klar verfehlt.

Die Neos haben schon während der Regierungskrise 2019, als die erste Regierung unter Sebastian Kurz abtreten musste und zeitweilig durch eine Expertenregierung abgelöst wurde, konstruktive Oppositionsarbeit geleistet, politische Mitverantwortung übernommen und stehen nun als möglicher Regierungspartner für ÖVP und SPÖ bereit, sollten diese am Ende eine Koalition bilden, so unbeliebt diese Option auch in beiden Parteien sein mag.

Eine Regierung mit der FPÖ unter Kickl schließt die ÖVP momentan aus. ÖVP und SPÖ zusammen kämen im Parlament nur auf eine hauchdünne Mehrheit. Mit den Grünen weiterzuregieren, würde bedeuten, eine Koalition der Wahlverlierer zu bilden, was weiter Wasser auf die Mühlen der FPÖ vor den bevorstehenden Landtagswahlen in der Steiermark – auch hier liegt die FPÖ jetzt auf dem ersten Platz – und in Vorarlberg, wo die ÖVP vor der FPÖ liegt, leiten würde. Wenn es allen übrigen Parteien ernst damit ist, die rechtsradikale FPÖ auf Bundesebene von der Macht fernzuhalten, ist eine Koalition aus ÖVP, SPÖ und Neos die wahrscheinlichste Option.

Ritualisierte Demonstrationen gegen Rechtspopulismus und Neonazismus ersetzen aber keine Sachpolitik, welche die Wählerinnen und Wähler überzeugen könnte, der extremen Rechten ihre Stimme nicht zu geben.

Um den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der FPÖ einzubremsen, taugen arithmetische Machtspiele freilich ebenso wenig wie eine Symbolpolitik "gegen Rechts" und zivilgesellschaftliche Appelle nach mehr "Haltung". Das alles ist nicht falsch. Ritualisierte Demonstrationen gegen Rechtspopulismus und Neonazismus ersetzen aber keine Sachpolitik, welche die Wählerinnen und Wähler überzeugen könnte, der extremen Rechten ihre Stimme nicht zu geben. Zumal die FPÖ in Österreich seit Bestehen der Zweiten Republik zum politischen System in Österreich gehört, bereits mehrfach im Bund mitregiert hat und derzeit in drei Landesregierungen (Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg) sitzt, von der Kommunalpolitik ganz zu schweigen.

Es ist ja richtig, dass die FPÖ für die großen politischen Fragen der Gegenwart, allen voran die Migrationspolitik, Scheinlösungen anbietet, die schon rechtlich nicht halten werden. Die Wählerinnen und Wähler wollen aber nicht immer wieder hören, was zum Beispiel migrationspolitisch rechtlich alles nicht geht, sondern tragfähige Lösungen. Mit negativen Botschaften, was alles nicht möglich ist, gewinnt man keine Wähler. Es ist zwar richtig, dass es für überaus komplizierte Probleme keine einfachen Lösungen gibt. Es ist auch wahr, dass sich die Klimakrise nicht in Luft auflöst, wenn man sie herunterspielt und nur an den vermeintlich gesunden Hausverstand appelliert, wie es die ÖVP tut. Es genügt aber nicht, Politik nur besser zu erklären. Es braucht auch inhaltlich neue Ansätze.

Österreichs Nationalhymne besingt die Alpenrepublik als "Land der Hämmer, zukunftsreich". Woran es momentan mangelt, sind überzeugende Zukunftsperspektiven, die Zuversicht und Hoffnung wecken. Was die FPÖ zu bieten hat, ist eine Vision, die das Land spaltet, die ungeteilten Menschenrechte in Frage stellt und die Grundfesten einer liberalen Demokratie gefährdet. Es mangelt an überzeugenden Alternativen.

Unterkomplexe Äußerungen aus kirchlichen Kreisen

In diesem Zusammenhang lohnt auch ein Blick auf die verschiedenen Wahlprüfsteine aus kirchlichen Kreisen, die vor der Nationalratswahl veröffentlicht wurden.

Der Fachbereich Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien hat gemeinsam mit der Katholischen Sozialakademie Österreich (ksö) eine Handreichung "Christlich verantwortlich wählen" vorgelegt, die darlegt, wo nach Ansicht der Autorinnen und Autoren auf zentralen Politikfeldern aus Sicht der katholischen Soziallehre rote Linien zu ziehen sind, die nicht überschritten werden dürfen.

Dass es gute Gründe geben könnte, irreguläre Migration zu steuern und wirksam zu begrenzen, bleibt ebenso unterbelichtet wie der Umstand, dass die europäische Rechtsprechung zum Asylrecht im Ergebnis die Forderung nach seiner grundsätzlichen Einschränkung begünstigt. Die Integration von Geflüchteten stößt nicht nur materiell an Kapazitätsgrenzen. Dass Gefühl von Teilen der Bevölkerung, sich im eigenen Land nicht mehr beheimatet zu fühlen, sollte nicht mit einer universalistischen Auslegung des Gebotes der Nächstenliebe beiseitegeschoben werden.

Wie es im Vorwort heißt, betreffen die Abgrenzungen vor allem die FPÖ. Nun mag das vielleicht stimmen. Es fällt aber auf, das schon das Migrationsthema unterkomplex dargestellt wird, weshalb auch die Populismuskritik an dieser Stelle unterkomplex ausfällt. Dass es gute Gründe geben könnte, irreguläre Migration zu steuern und wirksam zu begrenzen, bleibt ebenso unterbelichtet wie der Umstand, dass die europäische Rechtsprechung zum Asylrecht im Ergebnis die Forderung nach seiner grundsätzlichen Einschränkung begünstigt. Die Integration von Geflüchteten stößt nicht nur materiell an Kapazitätsgrenzen. Das Gefühl von Teilen der Bevölkerung, sich im eigenen Land nicht mehr beheimatet zu fühlen, sollte nicht mit einer universalistischen Auslegung des Gebotes der Nächstenliebe beiseitegeschoben werden. Mit solchen Texten mögen sich Gleichgesinnte gegenseitig bestärken. Auf das Wahlverhalten haben sie aber keine Auswirkungen, wie das Ergebnis der Nationalratswahl zeigt.

Diakonie Österreich und Evangelische Kirche A.u.H.B. in Österreich haben gemeinsam ein Argumentarium veröffentlicht mit dem Titel "Demokratie wählen". Zwar kann man auch aus diesem Text Vorbehalte gegenüber FPÖ-Positionen, aber auch gegenüber Aussagen von ÖVP und Neos herauslesen. Die evangelische Kirche hat aber ausdrücklich ihre Äquidistanz gegenüber allen politischen Parteien betont. Einseitig mit der FPÖ direkt anlegen wollte man sich nicht, kann man doch davon ausgehen, dass es auch unter evangelischen Kirchenmitgliedern eine nicht unbeträchtliche Zahl von FPÖ-Wählern gibt. Man kann es aber politisch wie theologisch gleichermaßen für klug halten, der Versuchung einer allzu undifferenzierten Populismuskritik mit ihren Parolen "gegen Rechts" zu widerstehen. Immerhin: Dem Aufruf, die Demokratie zu wählen, sind die Österreicherinnen und Österreicher gefolgt, lag die Wahlbeteiligung doch bei mehr als 78 Prozent.

Das Thema Lebensschutz bleibt in allen drei kirchlichen Handreichungen ausgespart.

Schließlich gab es auch noch einen Fragenkatalog des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRK), der jedem Themenbereich ein Bibelwort vorangestellt hat. Immerhin hat der ÖRKÖ auch das Themenfeld der Friedens- und Sicherheitspolitik angesprochen, dem auch der Text von KTF (Institut für Sozialethik) und ksö unter Einschluss entwicklungspolitischer Fragen ein eigenes Kapitel widmet. Hingegen bleibt das Thema Lebensschutz in allen drei kirchlichen Handreichungen ausgespart.

Bleibt abzuwarten, in welchem Ausmaß und in welcher Deutlichkeit sich die Kirchen an den nun anstehenden Diskussionen rund um die Regierungsbildung öffentlich beteiligen werden. Es ist noch nicht so lange her, dass das Schlagwort einer "öffentlichen Theologie" von sich reden machte. Gerade jetzt wird eine "öffentliche Theologie" gebraucht, die nicht mit einfachen Antworten aufwartet, sondern sich hinreichend differenziert an der Suche "nach der Stadt Bestem" (Jer 29,7) beteiligt, sich solidarisch den Mühen der Ebene, will sagen der politischen Kompromisssuche, stellt, ohne ihr klares christliches Profil zu verlieren.

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