Im schweizerischen Weinfelden wird es in Kürze dem Stimmvolk obliegen, über die Errichtung eines muslimischen Gräberfeldes abzustimmen. Kritiker des kommunalpolitischen Entscheids mobilisierten 400 Unterschriften für ein Referendum. Damit stellen sie einen politischen Beschluss unter den Vorbehalt des Plebiszits. Manche vermuten dahinter übliche antimuslimische Reflexe. Doch es geht um mehr. Es geht um die Provokation, die von den letzten Fragen ausgeht und den Versuch, sie politisch zu bändigen.
Sofern richtig verstanden, geht es in der Weinfeldener Friedhofsordnung lediglich um die Errichtung eines nach Mekka orientierten, exklusiv muslimischen Gräberfeldes mit 70 Grabstellen. Ferner sind diese auf "reiner Erde" zu errichten, sprich, sie werden nicht über ehemaligen Gräbern angelegt. Weitere religiöse Spezifika, etwa die nicht nur von Muslimen, sondern auch von den katholischen Karthäusern und Trappisten favorisierte sarglose Bestattung, stehen gar nicht zur Diskussion.
Unbehagen an der Religion?
Von der Notwendigkeit einer offenen Debatte ohne Unterstellungen von Intoleranz sprechen Initiatoren des Referendums. Der "Islam löse bei vielen Unbehagen aus", so die damit einhergehende Begründung. Nun muss man wissen, dass das Gut der Religionsfreiheit im modernen helvetischen Staat traditionell von fragwürdigen Restriktionen flankiert ist. Zur Gewährleistung des konsensualen ordre publique der Eidgenossenschaft mussten und müssen wahlweise Katholiken, Jesuiten, Bistumsgrenzen, Minarette das Nachsehen haben.
Man wollte das Friedhofsreglement nicht religiös aufladen, heißt es vonseiten der Initiatoren. Es drängen sich Rückfragen auf: Welcher Ort, wenn nicht der Friedhof, ist ein religiös aufgeladener? Ist es nicht die Bestattungskultur, die der religiösen Orientierung und Hoffnung den letzten biografischen Ausdruck verleiht? Ist sie nicht eine Art letztes Glaubenszeugnis und letzter symbolischer Ausdruck einer Rebellion gegen das Vergängliche? Das Grab ist eine Art letztes Statement – über uns selbst, unsere intimen Erwartungen, unsere Botschaft an die Lebenden.
Man kann davon ausgehen, dass dies auch die um das Abendland besorgten Initiatoren wissen oder zumindest ahnen. Ihre Skepsis gegenüber einem bekenntnisgeprägten Gräberfeld ist nicht einfach intolerant oder ignorant. Eine solche Erklärung wäre zu einfach. Auf dem Feld der Nekropole, dem Ort der Scheidung, dem Ort fundamentaler Ängste und drängender Sinnanfragen ist das öffentliche Bekenntnis in Form der Bestattungsform eine Provokation. Den einen ist sie Trost, den anderen neuerdings eine Quelle des Unmuts und der Sorge um das Gemeinwohl.
Kann es sein, dass das religiöse Bekenntnis auf dem buchstäblichen Feld der Vergänglichkeit die Angst weckt – im Sinne einer vulgären Reformulierung von Pascals Wette – aufs falsche Pferd gesetzt zu haben?
Denn die Friedhofsordnung betreffe auch "Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens". Kann es sein, dass die Sorge um den sozialen Zusammenhalt in Wahrheit über die vorletzten Fragen hinausgreift? Kann es sein, dass das religiöse Bekenntnis auf dem buchstäblichen Feld der Vergänglichkeit die Angst weckt – im Sinne einer vulgären Reformulierung von Pascals Wette – aufs falsche Pferd gesetzt zu haben? Steckt hinter der Sorge um das Gemeinwohl nicht vielmehr der Versuch, über letzte Fragen mitzubestimmen?
Die Solidarität der Kirchen ist gefragt
In einem Land, in dem sich mittlerweile eine knappe Mehrheit der Menschen in sogenannten Gemeinschaftsgräbern bestatten lässt, scheinen individuelle Bestattungswünsche in der Tat fast schon anachronistisch. Der Wunsch nach einem eigenen Gräberfeld legt nolens volens einen Finger in die Wunde. Er findet sich mit der Egalisierung des Todes nicht ab. Er verweigert dem säkularen Dogma, das sich die Konfrontation mit letzten Sinn- und Hoffnungsfragen vom Leibe halten möchte, unaufdringlich die Gefolgschaft. Er erinnert daran, dass die letzten Ordnungen sich der Zugriffsmacht der öffentlichen Verwaltung entziehen müssen.
In den Kirchen ist die Klage über die Verflachung der Todes-, Trauer- und Bestattungskultur groß. Gering hingegen ist der Grad der Selbstkritik, ob nicht auch die eigene pastorale Praxis daran Anteil haben könnte. Dem Anliegen der muslimischen Community im Thurgau ist Solidarität geschuldet. Nicht nur aus der gebührenden Ehrfurcht gegenüber dem, was in dieser Religion wahr und heilig ist (Nostra Aetate 2). Sondern auch, weil sie die letzten Fragen, die letzten Orientierungspunkte in Gestalt dieser heilsamen Provokation wachhalten. Der säkulare Gesellschaftsvertrag lebt auch von der Zurückhaltung des Politischen im Bereich des genuin Religiösen. Die Kirchen täten gut daran, nicht zuletzt im perspektivisch eigenen Interesse, daran öffentlichkeitswirksam zu erinnern.