365 Millionen Christen sind laut "Weltverfolgungsindex" Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Die Gründe sind oftmals handfest politisch, stehen Christen in vielen Ländern doch stellvertretend für eine kolonialistische Vergangenheit.

Es waren grausige Szenen, die sich im Frühjahr 2015 an einem Strand in Libyen zutrugen. 21 Männer – allesamt koptische Christen – wurden von IS-Schergen in Sträflingskleidung in einer Reihe aufgestellt und vor laufender Kamera enthauptet. "Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes" lautete der Titel des Videos, das in Folge vom "Islamischen Staat" veröffentlicht wurde. "Wir werden das Meer mit eurem Blut tränken", lautete die dazugehörige Botschaft. Eineinhalb Jahre später besuchte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, den Ort des Grauens, um mit den Angehörigen der Ermordeten zu sprechen, ihre Geschichten zu hören und mit ihnen zu beten. Eine Reise, die im Rückblick zu den "herausragenden Begegnungen in meinem Leben" zählt, sagte der Kardinal im vergangenen Jahr in einem Interview dazu. Herausragend, weil niemand von Rache sprach, weil die Trauer vereinte und die Opfer von ihren Familien als Märtyrer beweint wurden.

Von Christenverfolgung und -Diskriminierung "in einem sehr hohen bis extremen Maß" spricht indes der von "Open Doors" veröffentlichte "Weltverfolgungsindex" im Blick auf die Situation in vielen Ländern – darunter in Nordkorea, Somalia, Libyen, Eritrea, Jemen, Nigeria, Pakistan, Sudan, Iran und Afghanistan, so die "Short-List" der für Christen gefährlichsten Länder im vergangenen Jahr. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent hätten Übergriffe gegen religiöse Minderheiten zugenommen – und zeigten sich in physischer wie materieller Gewalt, in Kirchenschließungen, Verhaftungen, Zwangsverheiratungen, Missbrauch, Vertreibung, Plünderungen von Häusern oder Geschäften und Angriffen gegen Menschen, christliche Einrichtungen oder Kirchen. Fast 5.000 Christen seien allein 2023 nur deshalb getötet worden, weil sie Christen waren, so "Open Doors".

Große Beteiligung am "Red Wednesday"

Agiert "Open Doors" bewusst überkonfessionell und mit einem weiten Fokus auch auf andere religiös verfolgte Gruppen, so gibt das katholische Hilfswerk "Kirche in Not" vor allem den verfolgten Christen eine Stimme bzw. macht deren Leid in Form des "Red Wednesday" sichtbar. An diesem Aktionstag wird weltweit auf die Verfolgungssituation von Christen hingewiesen, indem Kirchen, Klöster, aber auch öffentliche Gebäude rot angestrahlt werden.

 Allein in Deutschland haben sich in diesem Jahr laut "Kirche in Not" 218 Kirchen und Einrichtungen am "Red Wednesday" beteiligt und ihre Gebäude am 20. November in rotes Licht getaucht. In Österreich waren es 220.

Ihren Ursprung hat die "Red Wednesday"-Initiative in Brasilien. Dort ließ das lokale "Kirchen in Not"-Büro 2015 die Statue "Cristo Redentor" in Rio de Janeiro rot beleuchten, um gegen die Christenverfolgung im Irak zu protestieren. Im Jahr darauf folgte das italienische Büro mit der Beleuchtung des Trevi-Brunnens in Rom. Seitdem sind viele andere Länder diesem Beispiel gefolgt und die Initiative wurde von mehreren christlichen Konfessionen in vielen anderen Regionen unterstützt. Allein in Deutschland haben sich in diesem Jahr laut "Kirche in Not" 218 Kirchen und Einrichtungen am "Red Wednesday" beteiligt und ihre Gebäude am 20. November in rotes Licht getaucht. In Österreich waren es 220.

Begleitet wurde der "Red Wednesday" u.a. von Kundgebungen, Gebetsabenden und Mahnwachen. In Österreich etwa wurde das Thema Christenverfolgung eigens durch eine im Mai dieses Jahres gegründete "Stabsstelle Internationaler Schutz verfolgter religiöser Minderheiten" auf die politische Agenda gehoben. Ein eigener "International Religious Freedom Award" soll künftig an Akteure vergeben werden, die sich für Religionsfreiheit bzw. für den Schutz verfolgter religiöser Minderheiten einsetzen.

Begriff mit großer Unschärfe

Gleichwohl zeigen sich viele Christen zögerlich, wenn es um das Thema Christenverfolgung geht – und das nicht ohne Grund. Denn das Problem liegt im Begriff selber verborgen, ist dieser doch von einer großen Unschärfe in der Diagnose geprägt. Denn ab wann sprechen wir von Verfolgung? Wenn es um Leib und Leben geht? Wenn Drohungen ausgesprochen werden oder es strukturelle, etwa rechtliche Schlechterstellung gibt? Oder genügen bereits Vandalismus in Sakralgebäuden oder Hänseleien auf dem Schulhof, um von Diskriminierung zu sprechen?

So zweifellos ärgerlich, ja schändlich die Vandalismus-Akte im Einzelnen auch sind – ist es gerechtfertigt, angesichts dessen von Diskriminierung oder gar Verfolgung zu sprechen oder sie unter "hate crime" einzusortieren?

Dass diese Fragen nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern an eine wunde Stelle rühren, zeigen etwa Berichte der in Wien ansässigen "Beobachtungsstelle für Intoleranz und Diskriminierung von Christen in Europa" (OIDAC). Rund 2.500 Taten in 35 europäischen Ländern, darunter 232 persönliche Angriffe auf Christinnen und Christen wie Belästigung, Bedrohung und körperliche Gewalt, dokumentierte die Beobachtungsstelle allein 2023. Nicht nur in Ländern Afrikas und Asiens, auch in Europa gebe es Fälle von "antichristlicher Gewalt" – 25 Fälle von körperlicher Gewalt, Drohungen und Mordversuchen gegen Christen zählt OIDAC in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland, Polen, Serbien und Österreich.

Insgesamt könne man einen "alarmierenden Anstieg antichristlicher Hassverbrechen um 44 Prozent" feststellen, so Geschäftsführerin Anja Hoffmann bei der Präsentation der Zahlen im August dieses Jahres. Betrachtet man die Fälle im Einzelnen, so zeigt sich ein sehr diverses Bild, reichen die Fälle doch von der Störung von Gottesdiensten über Diebstähle sakraler Gegenstände bis hin zu Vandalismus-Akten und körperlichen Angriffen. 90 Fälle zählt die OIDAC-Datenbank im vergangenen Jahr etwa in Deutschland – darunter Brandstiftung in Kirchen, die Verwüstung von Kirchenräumen, aber auch der Anschlag von Solingen, bei dem ein syrischer Mann in diesem Jahr drei Menschen getötet hat. Der IS reklamierte daraufhin diesen Anschlag für sich und sprach davon, er sei "direkt gegen Christen" gerichtet gewesen.

So zweifellos ärgerlich, ja schändlich die Vandalismus-Akte im Einzelnen auch sind – ist es gerechtfertigt, angesichts dessen von Diskriminierung oder gar Verfolgung zu sprechen oder sie unter "hate crime" einzusortieren? Und nimmt man mit dieser Form gleichsetzenden Alarmismus' nicht der tatsächlichen Dramatik islamistischer Gewaltakte gegen Christen ihre Spitze?

Glaube ist politisch

Die Zeiten werden zweifellos rauer und ungemütlicher für Christen – gleichwohl ist die Dramatik der Vorfälle nicht vergleichbar mit Verfolgungssituationen von Christen und Andersgläubigen in anderen, nicht-demokratischen oder gar totalitären Ländern. Darin liegt wohl ein Grund, warum man den Begriff der "Christenverfolgung" vorsichtig und nicht inflationär verwenden sollte. Ein anderer Grund, warum sich selbst theologische Beobachter und Kirchenvertreter nicht immer leicht tun mit der Rede von Christenverfolgung, ist wohl die Vermischung mit politischen Motiven.

Anders gesagt: Nicht immer gründet die Verfolgung und Diskriminierung von Christen notwendigerweise in ihrem Glauben bzw. ihrer religiösen Überzeugung. Oder wie es die IS-Terroristen im libyschen Video ausdrückten: Die Hinrichtung der Christen war eine "in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes" – eine Nachricht, die besagt: Ihr Christen leidet und sterbt jetzt stellvertretend für "den Westen", der im Nahen und Mittleren Osten eine Spur kolonialistischer Verwüstung hinterlassen hat. Aus Sicht nicht weniger stellt sich die Geschichte des christlichen Westens somit als eine Schuldgeschichte dar.

Es mag eine Ahnung davon vermitteln, dass Religion und Glaube in vielen Ländern ein Politikum darstellen, dass das Christentum nie nur die Gruppe der Christgläubigen bezeichnet, sondern immer auch einen geopolitischen Anker in "dem Westen" hat – und dass Religionsfreiheit nicht umsonst ein hohes Gut im Konzert der Menschenrechte darstellt. 

Letztlich lassen sich drei Arten von Gewalt bzw. Diskriminierung und Verfolgung religiöser Menschen und damit auch Christen unterscheiden: Jene aus fundamentalistischen Affekten, also die Ablehnung anderer Religionen oder deren Vertreter und Gläubige als Feind. Ein Beispiel dazu bietet der IS und die zitierte Hinrichtung koptischer Christen. Dann gibt es Verfolgung aus nationalistischen und gleichsam politischen Motiven, wie etwa Beispiele des Hindu-Nationalismus zeigen, der das Christentum, aber auch den Islam als Störfaktor für die geforderte religiöse und kulturelle Einheit des Landes sieht. Und schließlich werden Religionen in den meisten anhaltend-kommunistischen Ländern als Konkurrenz zum Staat gesehen und deswegen verfolgt oder diskriminiert. Auch hier geht es weniger um die Inhalte des jeweiligen Glaubens, sondern darum, dass Staaten wie China oder Vietnam Angst davor haben, Religionen nicht kontrollieren zu können.

Diese Erklär- und Einordnungsversuche machen die Sache nicht leichter – und vor allem: es bringt den Opfern von Verfolgung und Diskriminierung nichts; es macht sie im schlimmsten Fall wie in jenem der koptischen Christen nicht wieder lebendig. Es mag aber eine Ahnung davon vermitteln, dass Religion und Glaube in vielen Ländern ein Politikum darstellen, dass das Christentum nie nur die Gruppe der Christgläubigen bezeichnet, sondern immer auch einen geopolitischen Anker in "dem Westen" hat – und dass Religionsfreiheit nicht umsonst ein hohes Gut im Konzert der Menschenrechte darstellt. Und schließlich drängt es dazu, bei allen Ärgernissen und gefühlt vielleicht wachsenden Repressalien im eigenen Land dankbar auf die Tradition des Rechtsstaates zu blicken, der alle Religionen gleichermaßen schützt – mehr noch: der weiß, dass er auf eine bunte, lebendige Religionslandschaft angewiesen ist.

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