"Niemand kommt uns nahe"Trump verspricht ein goldenes Zeitalter

In einer desillusionierten Zeit beginnt Donald Trump seine Amtszeit mit einer Rede voller Verheißungen und Visionen. In Europa sollte man genau hinhören: Wer diese Rede unterschätzt, unterschätzt sie zum eigenen Schaden.

Kapitol in Washington
© Pixabay

Der geflügelte Streitwagen aus weißem Marmor in der Statuary Hall trägt Clio, die griechische Muse der Geschichte, auf ihrer Reise von Westen nach Osten. Die Statue blickt über ihre Schulter, um alles zu notieren, was sich ihr zeigt.

Unter ihr versammeln sich die Gäste des Inaugural Luncheon an runden Tischen. Es ist etwa 13:30 Uhr. Tim Cook, CEO von Apple, sitzt neben Donald Trump Jr., während Mark Zuckerberg mit zwei Bundesrichtern platziert ist. Jeff Bezos isst mit Barron Trump, und der designierte Außenminister Marco Rubio ist ebenfalls anwesend. Der Podcaster Joe Rogan stößt mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei an, während UFC-Präsident Dana White der Sängerin Carrie Underwood zuzwinkert, die gerade "America the Beautiful" in der Zeremonie anstimmte. Der wegen Korruptionsvorwürfen in die Schlagzeilen geratene Richter des Supreme Court Clarence Thomas hebt mit Pete Hegseth, der bald das Pentagon leiten könnte, ein goldumrandetes Weinglas, das anscheinend mit Leitungswasser gefüllt ist. In diesem Moment steigt ein Hubschrauber mit Joe und Jill Biden in den klaren, eisigen Himmel über Washington, D.C.

Europa blickt nach Amerika

Amerika ist ein anderes Land, heißt es. Aber ist es das wirklich? In Brüssel sinniert Hubert Wetzel in der Süddeutschen Zeitung bereits über den Untergang: "Die Amerikaner, die Europa einst gerettet haben, sind tot." In diesem peinlichen Artikel beschwört der Europäer alte Kinofilme wie Band of Brothers und zitiert EU-Diplomaten, die anonym bleiben wollen. Wetzel weiß, dass die Amerikaner aus Band of Brothers tot sind. Doch dass in diesem Januar 2024 noch immer neunzehn- und zwanzigjährige Soldaten der amerikanischen Streitkräfte in Brüssel, Kaiserslautern, Wiesbaden, Stuttgart, Vicenza, Redzikowo und an vielen anderen Orten die Freiheit Europas verteidigen, bleibt unerwähnt – obwohl Donald J. Trump seit zwei Stunden ihr Commander-in-Chief ist.

Während Millionen Europäer die Angelobung an den Bildschirmen verfolgen, stellt sich eine zentrale Frage: Sehen sie in Amerika eine Seite, die sie immer für die wahre hielten? Ein widersprüchliches, dekadentes, selbstbezogenes Land, das in einer Mischung aus Prüderie, Kulturlosigkeit und Gewalt mehr zerstört, als es schafft?

Drill, Baby, Drill

Ja, man ist in Europa zurecht misstrauisch; doch die Gefahr ist, dass man durch Ressentiments und Vorurteile blind wird. Trump spricht von einem "goldenen Zeitalter". Er greift den Begriff "Manifest Destiny" aus dem Expansionismus des 19. Jahrhunderts auf und wendet ihn auf die Eroberung des Mars an. Das klingt verrückter, als es ist: Unternehmer wie Elon Musk und Jeff Bezos entwickeln nachhaltige, wiederverwendbare Raketen und können weitaus günstiger Satelliten in den Orbit schicken, als es die europäische Raumfahrtagentur ESA mit der Ariane vermag.

John Gast (1842-1896): Der Fortschritt Amerikas.
John Gast (1842-1896): Der Fortschritt Amerikas. Allegorische Darstellung des "Manifest Destiny": Columbia mit Telegrafendraht und Schulbuch trägt das "Licht der Zivilisation" nach Westen und vertreibt die amerikanischen Ureinwohner. gemeinfrei/Wikimedia Commons

Während Trump den Fokus auf die Energiewirtschaft legt und mit Zöllen eine rücksichtslose Nationalökonomie fördern möchte, könnte Deutschland sich daran erinnern, dass es die Regierung Merkel war, die die deutsche Wirtschaft von russischem Gas und chinesischen Rohstoffen abhängig machte. Deutschland errichtete seine Wirtschaft auf störungsanfälligen Lieferketten, ohne die nötigen militärischen Ressourcen und Allianzen zu pflegen.

Nach dem Kalten Krieg prägten amerikanische Technologieunternehmen in Kooperation mit dem Militär eine Zukunft, die größere Konnektivität und Wohlstand für alle Amerikaner und die Welt schuf – während in Deutschland versucht wurde, Industrien anzukurbeln, die nicht wegen mangelnder Nachfrage, sondern wegen mangelnder Innovation abgehängt wurden.

Industrie 4.0: In der Rotunde des Kapitols versammelten sich Tech-Oligarchen von Apple, Google und Facebook, deren Unternehmen den Wert der amerikanischen Wirtschaft seit den Nullerjahren vielfach steigerten. Nach dem Kalten Krieg prägten amerikanische Technologieunternehmen in Kooperation mit dem Militär eine Zukunft, die größere Konnektivität und Wohlstand für alle Amerikaner und die Welt schuf – während in Deutschland versucht wurde, etwa per Abwrackprämie Industrien anzukurbeln, die nicht wegen mangelnder Nachfrage, sondern wegen mangelnder Innovation abgehängt wurden. Und in der Europäischen Union ist man stolz darauf, gegenüber den Tech-Konzernen eine einheitliche Norm für Handy-Ladekabel durchgesetzt zu haben, anstatt sich auf eine solide Förderung von Spitzentechnologie zu konzentrieren.

Kulturkampf: Mehr Ressentiment als Rache

Da stehen also die Tech-Oligarchen nah an der präsidialen Macht, hören Trump zu, während er davon spricht, fossile Brennstoffe als Grundlage der Wirtschaft zu erhalten. Er versichert, dass Amerika wieder Autos mit Verbrennungsmotoren bauen wird und spricht so seine Anhänger im Rust Belt an. Auch die Tech-Industrie hungert nach billigem Strom für ihre Serverfarmen.

Bei der Inauguration ist eine neue Schicht an Influencern und Vertretern von Gruppen, die zuvor zu den Nichtwählern gehörten, vertreten. Trumps Rede ist deshalb gespickt mit Kulturkampfthemen: Es gibt nur zwei Geschlechter, Männer und Frauen; Impfverweigerer sollen in den US-Behörden ihre Jobs zurückbekommen; und die "Geiseln" vom 6. Januar 2021 sollen freikommen. Jedes dieser Themen ist ein gezielter Sprengsatz.

Besonders effektvoll ist die Umbenennung des Golfes von Mexiko in den "Golf von Amerika" – ein klarer symbolischer Akt. Und eine Retourkutsche auf die tugendhafte Umbenennung von Orten zur Zeit der Obama-Administration, als man zum Beispiel 2015 auch Mount McKinley in Alaska in Denali umbenannte, um die Ureinwohner zu ehren.

Die Rede suggeriert eine Art instantane Verzauberung der Welt.

Trump verspricht eine fast sofortige Veränderung der politischen Realität, indem er durch Dekrete regiert. Diese Macht, durch seine bloße Unterschrift politische Veränderungen herbeizuführen, unterstreicht die durch seine Rede erzeugte Dringlichkeit. Die Rede suggeriert eine Art instantane Verzauberung der Welt.

Seltsamerweise hält sich Trump jedoch zurück, was Rache betrifft. Wer die Zeitwende zwischen seiner ersten und zweiten Amtszeit betrachtet, erkennt, dass er nun nicht mehr retribution suchen muss. Stattdessen sprudelt seine Rede vor imperialer Überschwänglichkeit. Die Sehnsucht nach amerikanischem Exzeptionalismus und einer Rückbesinnung auf Eigeninteressen ist real. Selbst wenn die Republikaner unter Trump andere Ziele verfolgen als ihre Wähler, wird kaum ein Demokrat behaupten können, sie hätten es besser gemacht. Paradoxerweise klingt Trumps Rede auf bizarre Weise emanzipatorisch.

Trump spricht, anders als viele europäische Politiker, nicht in vagen Begriffen wie "Sicherheit" oder "Demokratieförderung", sondern in konkreten Bildern.

Trumps Pläne über eine Annexion Grönlands oder zum Panamakanal ("Wir holen ihn zurück") mögen absurd erscheinen. Er spricht jedenfalls, anders als viele europäische Politiker, nicht in vagen Begriffen wie "Sicherheit" oder "Demokratieförderung", sondern in konkreten Bildern. Trump sagt: Die Welt hat sich verändert, und daher muss auch die Sprache der USA sich ändern.

Interessanterweise kommt die Ukraine mit keinem Wort vor. Einige Stunden nach Trumps Rede sagt Ben Hodges, ehemaliger Kommandeur der amerikanischen Streitkräfte in Europa, aus seiner Frankfurter Wohnung: "Trump denkt nicht mehr über Putin wie 2017. Damals himmelte er ihn an. Trump denkt über Putin inzwischen, was alle denken: Putin ist ein loser."

Trumps Rede war verführerisch genug, um das anzusprechen, was die Amerikaner hören wollen: "Es gibt keine Nation wie unsere Nation. Amerikaner sind Entdecker, Erbauer, Innovatoren, Unternehmer und Pioniere. Der Geist der Grenze ist in unsere Herzen eingeschrieben. Der Ruf des nächsten großen Abenteuers hallt aus unseren Seelen. Unsere Vorfahren verwandelten eine kleine Gruppe von Kolonien an den Rändern eines riesigen Kontinents in eine mächtige Republik mit den außergewöhnlichsten Bürgern der Welt. Niemand kommt uns nahe."

Politik ist mehr als ein abgemeldeter X-Account

Es ist die Rede eines Rattenfängers. Gewiss. Voller Widerwärtigkeiten und Vagheit. Und sicher: Politik ist mehr als Reden – das ist in Amerika nicht anders als in der Europäischen Union. Wer die Rede jedoch unterschätzt, unterschätzt sie zum eigenen Schaden. Sie ist ein Lehrstück, wie populistische Rhetorik im 21. Jahrhundert funktioniert. Sie verfängt nicht nur. Ihr gelingt, was Obama bei aller Poesie nie gelungen ist: Sie schafft es, in einer desillusionierten Zeit neue Verheißungen zu erzeugen. Sie stimmt in der medialen Kakofonie Akkorde an, die klar und eindeutig durchdringen. Trump hat verstanden, dass nicht die Institutionen in einer Vertrauenskrise stecken – sondern die Visionen.

Wer dieser Politik mit Bescheidwissen oder Boykott begegnet, wird scheitern. Stattdessen sollte man sich klarmachen, warum diese Art der Rhetorik funktioniert, nicht nur als eine Art gewissenlose, verlogene Rede der Verführung, sondern als eine Rhetorik der Inspiration, der Überlegenheit und der Inszenierung des amerikanischen Kolossus.

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