Der Vatikan hat ein Papier über Künstliche Intelligenz veröffentlicht – und zeigt sich damit auf der Höhe der Zeit. Absender der "Note über das Verhältnis von künstlicher Intelligenz und menschlicher Intelligenz" unter dem Titel "Antiqua et nova" sind die Dikasterien für Glaubenslehre sowie für Kultur und Bildung. Damit liegt eine umfängliche Einschätzung der Technologie aus christlich-katholischer Perspektive vor.
Ein Debattenbeitrag
Zielgruppe des im Januar 2025 veröffentlichten Papiers sind "diejenigen, die mit der Weitergabe des Glaubens betraut sind (Eltern, Lehrer, Seelsorger und Bischöfe)" (5), aber auch das breitere Publikum ist angesprochen. Vom Selbstanspruch haben wir es mit einem Debattenbeitrag zu tun, der Stil passt weithin zu diesem Charakter.
Soweit gerade die Beschreibung des Menschen als spirituelles und körperliches, erfahrungsgebundenes Beziehungswesen grundsätzlich gelungen ist und Verkürzungen vermeidet, kann kritisch nachgehakt werden: Können wir überhaupt Körper und Beziehungen sowie Erfahrung und Reflexion unabhängig von Technologien denken?
Im Kern geht es dem Dokument darum, die menschliche Intelligenz gegenüber maschinellen Simulationen von Intelligenz in den Mittelpunkt zu rücken und von dort aus zu einer Beurteilung von KI zu kommen. Unter den Stichworten Vernünftigkeit, Inkarnation, Relationalität, Wahrheit und Bewahrung der Welt wird eine integrale und umfassende Anthropologie präsentiert, die Abstand nimmt von rationalistischen, rein metaphysischen, bewusstseinsphilosophischen und individualistischen Verkürzungen. Menschliches Sein wird in seiner gesamten Bandbreite zum Ausgangspunkt genommen: "spirituell, kognitiv, körperlich und relational" (26). Nur Menschen seien als verkörperte Beziehungswesen in umfassendem Sinne offen für Erfahrung und Reflexion von Realität (33) und können als Freiheitswesen und darauf aufbauend als moralische Akteure verstanden werden (39).
Soweit gerade die Beschreibung des Menschen als spirituelles und körperliches, erfahrungsgebundenes Beziehungswesen grundsätzlich gelungen ist und Verkürzungen vermeidet, kann kritisch nachgehakt werden: Können wir überhaupt Körper und Beziehungen sowie Erfahrung und Reflexion unabhängig von Technologien denken? Sind wir als Menschen mit unseren Artefakten und epistemischen Strukturen nicht immer schon verstrickt mit Technologien, die uns das, was Realität ist, immer schon mitformen? Das Papier ist offen für diese Sichtweise, weil es die "Offenheit des menschlichen Herzens für das Wahre und Gute" (33) als entscheidende menschliche Eigenschaft betont, also die Begegnung mit der Realität als erfahrungsgebundenen, auf Wahrheit hingeordneten Prozess wahrnimmt. Das Papier vergisst aber in seinem Eifer, das Menschliche gegenüber dem Technischen auszuzeichnen, dass sich der Mensch dem Wahren und Guten immer nur mit Technologien und anderen Erkenntniswerkzeugen nähern kann und gar nicht von einer nichttechnischen Position aus an die Realität herangehen kann.
Die Maschinen und das Wahre, Gute und Schöne
Da das Papier aus seiner Betonung des Humanen keine Technikfeindlichkeit ableitet, fällt das nicht stark ins Gewicht, aber man bekommt einen anderen Blick auf Künstliche Intelligenz, wenn man diese Technologie als Möglichkeit begreift, dem Wahren und Guten auf die Spur zu kommen. Weitergedacht kann das bedeuten: Wenn Wahrheit richtigerweise einen Beziehungscharakter hat, dann kann auch die Beziehung mit Maschinen uns in Sachen Wahrheit weiterführen. Natürlich können Beziehungen zu Menschen anders eingeordnet werden als Beziehungen zu Maschinen. Aber die Realität wird sein, dass wir Beziehungen zu Maschinen eingehen, die unsere Sicht auf uns und die Welt verändern. Mit ChatGPT stehen wir in dieser Hinsicht erst am Anfang. Wenn wir einen relationalen Begriff vom Menschen haben (wie in den Nummern 18-20 dargestellt), diese Relationalität zurückwirkt auf den Menschen und sein Selbst- und Weltbild - welche Relationen spielen dann auf welche Weise eine Rolle und welche Gestaltungsherausforderungen folgen daraus? Diese Frage wird derzeit in Literatur, Film und Wissenschaft intensiv behandelt und ist eine Schlüsselfrage.
Es müssen, so betont der Text, "sowohl die Ziele und Mittel, die bei einer bestimmten Anwendung der KI eingesetzt werden, als auch die Gesamtvision, die sie verkörpert, bewertet werden, um sicherzustellen, dass sie die Menschenwürde achten und das Gemeinwohl fördern" (42). Damit liegt das Papier richtig: Zentral sind die Folgen der Technologie, wie sie durch ihre in ihr verkörperte "Gesamtvision" unsere Welt tiefgreifend umformt.
Aber klar, KI ist auch andererseits ein Mittel, das in guter und schlechter Weise eingesetzt werden kann. Doch diese Einsicht ist banal, denn für welche Technologie gilt das nicht? Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht anstrengen müssen, KI zu regulieren. Der Text spricht von "Lenkung" der Nutzung von KI: "Die Verantwortung für die weise Ausübung dieser Lenkung liegt auf allen Ebenen der Gesellschaft, unter der Einsetzung des Subsidiaritätsprinzips und der anderen Prinzipien der Soziallehre der Kirche." (42)
Wie können wir KI demokratisieren, zu einem öffentlichen Gut machen?
Der Text macht hier leider halt und geht nicht auf die Diskussionen um eine weltweite Regulierung von Künstlicher Intelligenz ein, selbst im Abschnitt über "KI und der Krieg" (98ff.) nicht. So richtig und lesenswert gerade die Abschnitte im Teil "Besondere Fragestellungen" (zum Beispiel Wirtschaft und Arbeit, Gesundheitswesen, Bildung, Desinformation, Datenschutz, Ökologie und Krieg) sind, fehlt hier doch eine politische Perspektive und Problematisierung, wie von der Ethik zur Gestaltung überhaupt zu kommen ist. Es werfe "erhebliche ethische Bedenken auf", "dass gegenwärtig der größte Teil der Macht über wichtige Anwendungen der KI in den Händen einiger weniger mächtiger Unternehmen liegt" (53) – das ist richtig, aber was fällt uns ein, um diesen beklagenswerten Zustand zu verändern? Wie können wir KI demokratisieren, zu einem öffentlichen Gut machen? Denn nur dann wird KI auch wirklich das Gemeinwohl weltweit fördern können.
Das Papier ist anregend, arbeitet über weite Strecken mit einer doch erstaunlich sensiblen und modernen Anthropologie und schafft es, Technologien der KI in ihrer Komplexität gerecht zu werden. Es ist ein vornehmlich sozialethisches Papier und verdient die Lektüre und Diskussion und kann bei der Urteilsbildung über KI hilfreich sein. Der Vatikan hat verstanden, dass KI unser aller Zukunft umfassend prägen wird.