"Kampf gegen den Islam"?Warum Johanna Mikl-Leitner ihre Entgleisung nicht nur halb zurücknehmen sollte

Die Rhetorik der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegenüber dem Islam ist verantwortungslos: Sie vertieft die gesellschaftlichen Gräben und erschwert das Zusammenleben.

Islamisches Zentrum Wien
Islamisches Zentrum Wien© Manfred Werner/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Bei manchen Politikern ist es noch nicht angekommen: Wir leben nicht mehr in christlich homogenen Gesellschaften. Die religiöse Landschaft hat sich verändert. Der Islam ist durch Migration zu einem vitalen Faktor geworden. 700.000 Muslime leben in Österreich. Dabei ist die Vielgestaltigkeit zu registrieren: Es gibt säkularisierte, liberale, konservative und fundamentalistische Muslime. Viele schätzen die Vorzüge westlicher Demokratien und sind bereit, sich in Lebenswandel, Ausbildung und Beruf in die Gesellschaft zu integrieren. Andere ziehen es vor, unter sich zu bleiben, was zu leugnen realitätsblind wäre, aber die Bildung von Parallelgesellschaften wirft auch Rückfragen an die Integrationspolitik auf.

Durch den gewaltbereiten Dschihadismus ist in der österreichischen Bevölkerung die Skepsis gegenüber Muslimen in den letzten Jahren gewachsen. Umso wichtiger ist eine differenzierte Sicht, welche Muslime als Teil der pluralistischen Gesellschaft anerkennt und den Islam nicht pauschal mit einer gefährlichen Religion gleichsetzt.

Polemik statt Dialog

Daher ist es befremdlich, dass die Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, soeben von "einem Kampf gegen den Islam" als einer politischen Aufgabe geredet hat. Was sie in den ORF-Nachrichten "Zeit im Bild" am 5. Januar gesagt hat, ist brandgefährlich. Die Beschwörung eines "Kampfes gegen den Islam" ist für alle im Land lebenden Muslime eine Zumutung, als seien sie Feinde, die man politisch bekämpfen müsste. Die verbale Entgleisung erschwert überdies das Gespräch zwischen den Religionen und torpediert das Anliegen eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft, das zu fördern doch gerade vorrangige Aufgabe besonnener Politik sein sollte. 

Johanna Mikl-Leitner hat ihre Wortmeldung nach scharfer Kritik des Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Ümit Vural, halb zurückgenommen und zugleich präzisiert. Selbstverständlich habe sie den "politischen Islam" im Visier gehabt und integrationsunwillige Muslime gemeint, die sich etwa weigerten, weiblichen Lehrkräften die Hand zu reichen. Es wäre blauäugig zu meinen, dass es hier nicht im Einzelnen gravierende Missstände geben würde. Aber umgekehrt gibt es auch eine Zunahme islamfeindlicher Aktionen in Österreich, welche das friedliche Zusammenleben belasten. Statt dem durch gezielte Maßnahmen gegenzusteuern und das Gespräch mit gut integrierten Muslimen zu suchen, ja diese als Multiplikatoren gelungener Kooperation zu fördern, bleibt die Grundhaltung der ÖVP-Politikerin, die in Niederösterreich einer Koalition mit der FPÖ vorsteht, dem Islam gegenüber insgesamt eher ablehnend.

Die Förderung von verlässlichen Allianzen ist das Gebot der Stunde, nicht das Schüren von antiislamischen Affekten durch politische Rhetorik.

Wenn europäische Politiker nach dem Sturz des Assad-Regimes den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates fordern, der Religionsfreiheit garantiert und den wenigen dort verbliebenen Christen Sicherheit bietet, dann ist es kontraproduktiv, hier in Österreich kämpferisch-kritische Töne gegenüber dem Islam anzuschlagen. Die Förderung von verlässlichen Allianzen ist das Gebot der Stunde, nicht das Schüren von antiislamischen Affekten durch politische Rhetorik.

Der Islam ist in Österreich eine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft. Liberale Rechtsstaaten kennen überdies das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit, auf Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit. Dieses gilt für Juden, Christen, Muslime und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften gleichermaßen. Wo der liberale Rechtsstaat untergraben wird, muss dies mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden, keine Frage. Aber wer hier mit ungleichem Maß misst oder pauschale Vorurteile schürt, muss aufpassen, dass er nicht in illiberales Fahrwasser gerät.

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