Die Welt steht vor einem Handelskrieg. Die neuen US-Zölle auf Waren aus aller Welt sind ein Angriff auf den Freihandel. Eine Spirale der Gegenmaßnahmen kommt in Gang. China etwa will mit hohen Gegenzöllen reagieren. Auch in der EU werden scharfe Antworten gefordert.
Die volkswirtschaftliche Bewertung dieses Szenarios ist eindeutig. Doch eine sozialethische Einschätzung aus christlicher Sicht scheint schwierig. Erinnert sei an das bis heute nicht abgeschlossene Handelsabkommen TTiP zwischen den USA und der EU vor rund zehn Jahren. Dazu gab es viele kritische Töne von Bischöfen und Verbänden. Die Relativierung von Sozialstandards, Arbeitsnormen und gar Menschenrechten wurde befürchtet. Momentan hört man nichts dergleichen. Das Eintreten gegen Freihandel käme momentan einer Unterstützung der Trump-Administration gleich. Das ist nicht gewollt.
Umso mehr stellt sich die Frage, wie sich christliche Sozialethik grundsätzlich positionieren sollte, um nicht nur die Fahne im Wind zu sein. Klare Leitlinien dazu gibt es weder in der Bibel noch in Texten der katholischen Soziallehre. Doch sie lassen sich am konkreten Beispiel entwickeln.
Arbeitsteilung kommt allen zugute
Protektionismus ist das Gegenmodell zum Freihandel. Volkswirtschaften schotten sich gegenüber anderen ab, mit Zöllen und anderen Beschränkungen. Ziel ist der Schutz der heimischen Wirtschaft. Pate steht dafür das Modell des Merkantilismus. Es geht im Handel von einem Nullsummenspiel aus. Sprich: Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen. Die Vorstellung, dass alle Seiten bei einem Handel gewinnen, ist ihm fremd. Handel wird als ein Gegeneinander interpretiert.
Die Volkswirtschaftslehre hat sich lange von diesem Gedanken verabschiedet. Das Effizienzprinzip fordert etwa, dass Ressourcen so eingesetzt werden, dass am Ende möglichst alle Seiten sich besser stehen. Im Blick auf den internationalen Handel bedeutet dies: Bestimmte Länder können bestimmte Produkte besser und günstiger herstellen als andere. Es ist besser, Bananen in Südamerika zu produzieren als in Europa. Und es ist besser, Rotwein in Frankreich zu produzieren als in Skandinavien.
Diese internationale Arbeitsteilung kommt allen zugute. Durch Spezialisierungsgewinne ist es für alle günstiger. Es wird das Prinzip der komparativen Kosten angelegt. Verglichen wird, was die Produktion von Gütern wo kostet. Danach ergeben sich die bevorzugten Orte für bestimmte Produktionen. Freihandel fördert diese Effizienz-Logik. Wenn alle das produzieren und auf den Markt bringen, was sie am besten können, geht es am Ende allen Beteiligten besser. Das ist kein Nullsummenspiel.
Offenbar hat Donald Trump dieses volkswirtschaftliche Basiswissen über Bord geworfen. Der US-Präsident wettert lautstark über ein "Ausbluten" der US-Wirtschaft. Im Blick auf die Warenflüsse ist aber bei einem Handelsbilanzdefizit das Gegenteil der Fall. Es werden mehr Waren ein- als ausgeführt. So gesehen ist diese Behauptung also falsch. Was er natürlich zu Recht befürchtet, ist eine mögliche Abwanderung von Industrie aus den USA. Kurzfristig mag es vielleicht Erfolge in der US-Industrie geben, wenn etwa die Amerikaner keine deutschen Autos mehr kaufen. Doch langfristig sind die Folgen auch für die US-Wirtschaft schwierig. Viele Produkte werden dort teurer. Die Vorzüge aus den internationalen Spezialisierungsgewinnen wirken nicht. Inflation, Misstrauen, Rezession und wachsende Armut können die Folge sein.
Protektionismus als Instrument der Klientelpolitik
Ob Trump und seine Berater das alles nicht sehen? Dieses Szenario verwundert umso mehr, da doch weite Teile seiner Partei wirtschaftlich liberal oder gar libertär geprägt sind. Wirtschaftsliberalen Republikanern ist der Merkantilismus aber ein Dorn im Auge. Da liegt der Verdacht nah, dass der Protektionismus vor allem als Machtinstrument, denn als volkswirtschaftliche Strategie verstanden wird. Schließlich gibt er dem Präsidenten die Möglichkeit zu subtiler Klientelpolitik. Loyale Partner werden begünstigt, andere bestraft. Das widerspricht der Gleichheit vor dem Recht. Es ist zudem Ausdruck narzisstischer Hybris.
Neben einer solchen volkswirtschaftlichen Kritik an der aktuellen US-Regierung kann nun aber die grundsätzliche sozialethische Bewertung von Protektionismus versus Freihandel erfolgen.
Zunächst braucht es dafür eine Kriteriologie. Dann folgt die Bewertung. Kriterium der Bewertung ist der Wert "soziale Gerechtigkeit". Sie bezeichnet das der Menschenwürde entsprechende Verteilungsrecht. Handelsgesetze sind also auf den Prüfstand der Menschenwürde zu stellen. Für Christen ist dafür das christliche Menschenbild maßgeblich, aus dem sich im Sinne der katholischen Soziallehre bekanntermaßen soziale Werte, Prinzipien und Tugenden ergeben. Wenden wir diese Kriterien nun exemplarisch auf die absehbaren Folgen einer drohenden Eskalation des Protektionismus an.
1. Gemeinwohl
Folgen sind Wohlstandsminderung in den USA, der EU und vielen anderen Ländern, in denen Arbeitsplätze verloren gehen.
2. Freiheit
Der Handelskrieg treibt in der geopolitischen Gesamtlage viele Länder in die Hände Chinas, das die freiheitliche Ordnung im Westen systematisch zersetzen und unter seiner Führung eine neu gestaltete Weltordnung autoritär dominieren will. Personale Menschenrechte sind in Gefahr.
3. Frieden
Schon für Kant ist der Freihandel grundsätzlich eine wesentliche Voraussetzung für den Weltfrieden, weil die Menschen in Handel investiert haben und damit Verluste erleiden, wenn sie den Handel einschränken. Diese Friedenswirkung, die man unter nicht-autoritären Staaten erwarten kann, wird zersetzt.
4. Menschheitsfamilie
Die Friedensidee des Freihandels wird ersetzt durch einen Kampf aller gegen alle, in dem mit Zöllen und Rhetorik international das Recht des Stärkeren gilt. Das widerspricht dem christlichen Ideal globalen Miteinanders.
5. Schonung der Ressourcen
Ökonomische Effizienz im Freihandel hat die Wirkung, die Verschwendung knapper Ressourcen zu vermeiden, auch im Sinne der Bewahrung der Schöpfung. Diese moralische Wirkung des Wirtschaftens wird verkannt.
6. Fairness
Gute Leistung anderer Länder wird nicht belohnt. Im eigenen Land kann sich vergleichsweise schlechte Leistung behaupten. Falsche Anreize widersprechen dem moralischen Gehalt der Effizienz. Gleiches wird ungleich behandelt. Das ist ein Verstoß gegen die Fairness.
7. Solidarität
Anliegen der Weltgemeinschaft sollte es sein, schwächeren Ländern im Aufbau zu helfen. Aufstrebende Länder wie etwa Vietnam werden besonders hart von den Zöllen getroffen. Aber auch Staaten in Afrika und Südamerika. Die vom Lehramt immer wieder geforderte Entwicklung der Völker wird behindert.
8. Subsidiarität
Internationale Arbeitsteilung motiviert alle Länder, aus eigener Kraft das mit einzubringen, was sie am besten einbringen können. Diese Motivation zur Leistung und Mitverantwortung wird zerstört.
9. Vertrauen
Zölle sind ein Ausdruck des globalen Misstrauens. Folgende Inflation mindert zudem das Vertrauen in Währung und Politik. Eine Kultur des Misstrauens schafft Angst und widerspricht christlicher Tugend.
10. Nächstenliebe
Die egoistische Perspektive des Protektionismus hat das Wohl des anderen nicht im Blick. Das widerspricht dem christlichen Gebot der Nächstenliebe. Und darüber hinaus auch der Einsicht von David Hume, dass es ja im eigenen nationalen Interesse ist, dass es den Nachbarn gut geht.
Protektionismus widerspricht nicht nur volkswirtschaftlichem Sachverstand, sondern auch einem christlichen Verständnis sozialer Gerechtigkeit. Er ist deshalb abzulehnen.
Das Fazit ist eindeutig: Protektionismus widerspricht nicht nur volkswirtschaftlichem Sachverstand, sondern auch einem christlichen Verständnis sozialer Gerechtigkeit. Er ist deshalb abzulehnen. Freihandel ist dazu die Alternative. Selbstverständlich ist aber auch er aus christlicher Perspektive kein Selbstzweck, sondern ein Instrument im Dienst der Menschenwürde und des menschlichen Zusammenlebens. Um diesen Zweck zu erfüllen, muss auch er sich kritischen Fragen stellen. Es ist darauf zu achten, dass kein "Race to the bottom" bestehende soziale Grundrechte pulverisiert. Unter solchen Bedingungen ist im Sinne katholischer Soziallehre der Freihandel ein starkes Instrument sozialer Gerechtigkeit.
Wie kommen wir nun wieder auf diese Spur? Die Europäer könnten mit gutem Beispiel vorangehen und eigene Zölle, Bürokratie und Subventionen abbauen. Sie sollten dafür neue Handelspartner suchen, die ebenso den Protektionismus ablehnen. Das bedeutet eine zügige Abkehr von China, das durch hohe staatliche Subventionen und stark eingeschränkte Marktzugänge den Freihandel ad absurdum führt. Das bedeutet aktuell auch die Suche nach Alternativen für den US-Markt. Dieser Weg ist glaubwürdiger, als sich in einen Handelskrieg zwingen zu lassen, bei dem alle verlieren. Das Lehramt sollte sich ausdrücklich positiv zum Freihandel positionieren. Das würde auch in Washington Wirkung zeigen und wäre ein großer Wurf.